Hier dokumentieren wir das Kommuniqué autonomer Gruppen, welches seitens der Bundesstaatsanwaltschaft als Begründung für den 129a-Vorwurf zitiert wird.

Der Text stammt aus: 'Kampf dem Atomstaat - Dokumentation Sommer '97, Castor stoppen - die Verhältnisse zum Tanzen bringen'.


Stopp die Bahn - Stopp den Castor!

Kommuniqué autonomer Gruppen

Für einen lebendigen und militanten Widerstand gegen den Castor ins Wendland: Ein offener Brief

Liebe Leute,

wir haben in den frühen Morgenstunden des 7.10.96 den Bahnverkehr im gesamten Bundesgebiet lahmgelegt. Hakenkrallen wurden an insgesamt 13 Stellen in die Oberleitungen gehängt:

4 bei Stuttgart, 1 bei Bremen, 1 in Nordhessen, 5 um Berlin, 1 bei Göttingen, 1 zwischen Hannover und Celle.

Mit diesem Brief laden wir euch aber auch zu einer öffentlichen Diskussion ein. Vielleicht wundert ihr euch, daß wir - im Gegensatz zu sonstigen eher knapp gehaltenen "waswannwowarum" Kommuniqués - geradezu ausschweifend werden. Deshalb zur Erläuterung ein paar Takte vorweg, wie die Idee zu diesem Brief entstanden ist: In verschiedenen autonomen Gruppen wird zur Zeit überlegt, wie sie sich im Rahmen der Anti-AKW Bewegung einbringen können. Dabei stoßen wir auf folgende Beobachtungen:

1) Der Widerstand im Wendland zu den Castor Transporten hat an Schärfe gewonnen, Tag X2 war ein voller Erfolg. Dennoch haben wir den Eindruck, daß wir zum einen wie das Kaninchen vor der Schlange hocken: wenn die Atommafia Transporte durchführt, rollt der Widerstand an, setzen sie auf Zeit und Deeskalation, wird es wieder ruhig. Zum anderen führen wir wieder einen Kampf, den wir schon lange gewonnen gehofft hatten, das deutsche Rollback bekommt auch die Anti-AKW Bewegung zu spüren. Wir wollen hier etwas frischen Wind hineinbringen und schlagen vor, nach eigenem Rhythmus den Druck so zu verstärken, daß die Herrschenden froh wären, mit einer Schließung von "Gorleben" davonzukommen. Wir haben reale Chancen, ihnen kräftig in die Suppe zu spucken.

2) Aber dazu haben wir viele Fragen und Kritik an der Anti-AKW-Bewegung. Obwohl wir die Vielfältigkeit im Widerstand gegen die AKWs sehr schätzen, erleben wir die Bewegung als sehr diffus und zu begrenzt auf den Kampf gegen Castortransporte. Viele sich anbietende Schnittpunkte zu anderen sozialen Bewegungen, zur Einbettung unseres Kampfes grundsätzlich gegen die herrschenden Verhältnisse fallen weitgehend unter den Tisch. Dies ist Ausdruck von unterschiedlichen politischen Herangehensweisen und Perspektiven, die wir gerne zum Thema machen würden...

3) Daran schließt sich für uns eine Auseinandersetzung an, bezüglich unserer eigenen Widersprüchlichkeiten gegenüber unserer radikalen Utopie. Statt "Seid realistisch fordert das Unmögliche" beteiligen auch Autonome sich am alltäglichen Krisenmanagement. Statt "revolutionärem Elan" ertappen wir uns öfters beim "tristen Tran" der Gewohnheit, sich zunehmend am scheinbar "Machbaren" zu orientieren. Dazu ist ein Versuch einer realistischen Selbsteinschätzung angesagt...

4) Und zuletzt verbinden wir mit diesem Text einen praktischen Vorschlag von einer Aktionsform, von der wir hoffen, daß sie weiter Blüten trägt. Bislang fußt die ganze Castortransportiererei auf der Bereitschaft der Deutschen Bundesbahn, diese auch durchzuführen. Von der Gefährdung, die von den Transporten ausgeht, wollen wir hier nicht reden. Wir reden hier über die Achillesferse der Atommafia. Für eine Kampagne "Stop die Bahn - Stop den Castor!".

Für einen offensiven Angriff auf die Infrastruktur von Bahn- Strom- und Staatseinrichtungen zum Thema Castor

Genug der Vorrede!

This is not a love song

Kaum ein halbes Jahr ist es her, und wieder klappert die Atommafia mit ihrem wackligem Gebiß. Nach dem 2. Castor hätten's gern 110 weitere im Zwischenlager Gorleben. Mindestens einen größeren Transport will die Atommafia noch in diesem Jahr nach Gorleben bringen lassen, wieder mit einem ähnlichen Bullenaufgebot wie im Mai. Doch einige Bundesländern, wie Hessen und Niedersachsen sind nicht mehr bereit, jedesmal mehrere tausend Polizisten zur Verfügung zu stellen. "Verfassungsbruch" pocht die Atomindustrie, ihr Recht auf Profit sei im Grundgesetz verankert - auch wenn sie dabei über Leichen geht.

Dabei standen ihren Geschäftspartnern bei der Deutschen Bundesbahn noch vor kurzem die Schweißperlen im Gesicht, als umherschweifende Horden energisch an ihrer deutschen Pünktlichkeit nagten. Das waren ja Zustände wie in Lateinamerika. "Kommt der Zug oder kommt er nicht?" fragten sich erschütterte Reisende, während der selbige auf offener Strecke bei Göttingen, Hannover oder Magdeburg ein Päuschen einlegte. Wurfanker, Barrikaden und Blockaden, zerknitterte Strommasten... Unkalkulierbar war es im Land trotz Einsatz von 19.000 Staatsbütteln - dem größten Aufgebot in der Geschichte der Bundesrepublik. 10.000 Störenfriede im Wendland, schwänzende Schülerlnnen, staatsverdrossene Rentnerlnnen, eine aufmüpfige Bauernschaft und zum Demontieren von Gleisanlagen aufrufende Hausfrauen. Noch am Morgen, als der Castor schon in Dannenberg auf dem Tieflader stand, überlegten die Herren, ob sie diesen nicht wieder heimschicken sollten (laut Polizeifunk).

Das Polittheater um den Castor wird wahrscheinlich trotz alledem noch einige Jahre so weitergehen:

Die Bosse aus der Atommafia nebst Stoiber in Bayern und Kohl in Bonn sehen den Standort Deutschland gefährdet, Schröder in Niedersachsen fürchtet um seine Wiederwahl, die SPD um ihre Glaubwürdigkeit in Sachen "Einstieg in den Ausstieg" etc. Es ist an der Zeit, daß wir Ihnen bei ihrer Entscheidungsfindung ein wenig nachhelfen! Zu plump sind ihre Lügen, zu langweilig ihr Geschwätz, "Energiekonsensgespräche". Dramatisch ringen die Kasperlepuppen darum, ob der Startschuß für die neue Reaktorbrut schon heute oder erst im Jahre 2005 fallen darf. Nach den 90 Millionen für den letzten Castor-Polizeieinsatz schlagen sie jetzt wieder den "Energiekonsens" vor. Aber mal ehrlich, für diesen Konsens lockt ihr doch keinen hinterm Ofen hervor, außer Siemens, RWE und die Deutsche Bank. Macht das mal unter euch aus, aber wundert euch nicht, wie ihr unseren Konsens um die Ohren gehauen kriegt. Trotz massiver Regierungspropaganda, "Atomkraft ist total ungefährlich", sind sich ausnahmsweise Zweidrittel der Bevölkerung einig: euren Schiet wolln wir nicht-, weder per Luft, per Wasser oder Bahn. Weder in Gorleben, Ahaus, Rußland, noch auf dem Südseeatoll oder auf dem Mars...

Sign of the Times

"Sofortige Abschaltung aller Atomanlagen" fordern viele, und meinen damit längst nicht dasselbe. Die Grünen reden davon seit ihrer Gründung vor 17 Jahren, auch die PDS hat eine ähnliche Forderung im Programm und bei der SPD heißt das Parteiprogramm "Einstieg in den Ausstieg". Viele Naturschutzverbände und Klimabündnisse verlangen den Ausstieg. Der BUND und die katholische Entwicklungs organisation Misereor ließen eine umfangreiche Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" anfertigen und belegen darin noch einmal gründlich, warum auf "die Nutzung der Kernenergie verzichtet werden sollte".

Doch Programme und Sonntagsreden wie am Tschernobyltag haben eine lange Weile. Wenn sie in die Niederungen der Realpolitik hinabsteigen, sind die Parteien eingebunden in den Druck der Wirtschaft und ihrer Klientel aus den Gewerkschaften (bei der SPD), und/oder der Regierungsverantwortung ihrer rot-grünen Koalition bzw. der Technolgiebejahung ihrer Wählerlnnen (so bei der PDS). In Greifswald, auf dem Gelände des ehemals größten AKW's der DDR, wird ein großes Zwischenlager gebaut und dort soll möglichst der erste EPR-Reaktor gebaut werden, geht es nach dem Willen der SPD in Mecklenburg-Vorpommern. Höchst pikant dabei ist, daß der Vörsitzende der SPD Ringsdorff schon die Möglichkeit einer Koalition mit der PDS ins Gespräch bringt. Die PDS vor Ort bejaht das neue Atomzentrum bei Greifswald. Die Halbwertzeit der Ausstiegsbeteuerung vieler hochrangiger PDS-Funktionäre scheint noch geringer zu sein als die bei den Grünen. Gerade in der Frage des Ausstiegs übernehmen die Grünen in den Länderregierungen in Kiel, Wiesbaden und Düsseldorf die Rolle der FDP. Sie sind die neue (Öko-) Umfallerpartei. Im Bundestag ließen sie im November 1995 durch ihre Abgeordnete Hustedt verkünden "Verantwortung für die Endlagerung von Atommüll zu übernehmen", vorausgesetzt die Laufzeit der AKWs werde begrenzt. Das liest sich wie der Einstieg in den Ausstieg aus ihrer Forderung nach sofortiger Abschaltung aller AKWs. Der Europaabgeordneter Cohn-Bendit fabuliert bereits von der Notwendigkeit der Atombomben für eine westeuropäische Armee. Und dafür brauchen sie Uran und Plutonium aus Atomkraftwerken.

Viele Anti-AKW-Gruppen werden die Argumente der BUND-Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" wegweisend finden. In der Wuppertaler Studie werden mit einer globalen Betrachtungsweise die ökologischen Folgen der Industriepolitik der Länder des Nordens betrachtet. Die Wuppertaler Wissenschaftler arbeiten heraus, wie die BRD ohne AKW's und ohne Klimakiller bei einem deutlich niedrigeren Energieverbrauch trotzdem ihr Wohlstandsniveau halten kann, ohne daß die Schadstoffe in den Trikont verschoben werden. Zugleich ist die Studie jedoch in der Frage der dafür notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen reichlich naiv. Die Herrschaft von Kapitalismus und Patriarchat, die letztendlich erst die ökologische Katastrophe heraufbeschworen hat, wird nicht thematisiert.

Der Kapitalismus soll in "Unserem Deutschland" in einen Ökokapitalismus transformiert werden, die damit verbundenen einhergehenden Strukturveränderungen mit neuen Massenentlassungen und Umverteilungskämpfen werden aber von den Wuppertalern nicht thematisiert. Statt dessen wird das Allheilmittel in der Ökosteuer gesehen.

Ob und wie das überhaupt gehen soll, "ganzheitliches Denken" dem Kapital beizubringen, diese spannende Frage wird ausgeklammert.

Weltweit 400 Atommeiler wollen erneuert werden, große Absatzmärkte warten im ostasiatischen Raum, ein riesiges Geschäft für Siemens, Westinghouse, Framatome, Mitsubishi. Die Atommafia ist kein nationales Problem. In den Vorstandsetagen der deutschen Stromkonzerne werden derzeit verschiedene Geschäftsperspektiven entwickelt: Einerseits engagieren sich die großen wie VEBA und RWE mit milliardenschweren Investitionen im Bereich Telekommunikation, andererseits tobt der Streit zwischen den Stromkonzernen über die Frage, ob nach dem Ende der alten Atomreaktoren überhaupt noch eine neue Generation von Reaktoren beniitigt wird, wie dem von Siemens und Framatome geplanten "noch sichereren" EPR-Reaktor. Einige Bosse spielen neuerdings mit dem Gedanken, die Atomkraft nach 2010 gänzlich fallen zu lassen, einfach weil andere, konventionelle Kraftwerke dann profitabler sind. Doch der Streit ist noch nicht ausge standen, zumal dabei auch noch der Siemenskonzern ein Wörtchen mitreden dürfte. Die Industriegiganten versuchen immer wieder, ihre Lobbypolitik zum Staatsinteresse zu erklären. Selbst wenn sie dort einmal scheitern, sind wir mit ihrer raffgierigen Energie in allen unseren Lebensbereichen konfrontiert. Das jüngste Beispiel dafür ist die Gen- und Biotechnologie, wo die Chemie und Saatgutkonzerne einerseits Milliarden von Forschungsgeldern abzocken und andererseits sich jegliche gesellschaftliche Einmischung in das Was, Wie und Warum ihrer Projekte verbitten.

Eat the Rich

Atomkraftwerke produzieren weltweit etwa 50% des anfallenden Energiebedarfs. "Ein Nordamerikaner verbraucht doppelt soviel Energie wie ein Deutscher, dreimal soviel wie ein Schweizer oder Österreicher, 60mal mehr als ein Inder, 160mal mehr als ein Tansanier und 1100mal mehr als ein Bewohner von Ruanda (Ostafrika). Die 6% Amerikaner auf der Erde verbrauchen mehr Energie als die zwei Drittel der Weltbevölkerung in den Entwicklungsländern" (Rudolf H.Strahm). Wenn uns jemand erklären kann, mit welchem Recht diese Verschwendung durchgesetzt wird, fressen wir unsere eigenen Wurfanker. Die Kosten menschlicher Arbeitskraft an der Herstellung eines Paar Nike-Sportschuhe liegt bei 0,1% der Gesamtkosten. Bei Vollbeschäftigung würden wir glatt in einem Ozean von Sportschuhen ersaufen... . Die Durchsetzung fast ausschließlicher maschineller Energie in der Produktion geht direkt auf Kosten von Millionen Menschen nicht nur in diesem Land und hat doch wenig mit dem hiesigen Anti-AKW-Kampf zu tun. Fast genauso ausgeblendet unter uns ist die Frage, welche Art von Gütern da eigentlich hergestellt wird, wem da Bedürfnisse eingeredet werden und wer daran verdient.

Es ist zwar richtig, wenn manche sagen, daß die Erde genug Ressourcen hat, damit es allen gut gehen kann. Aber daraus zu folgern, daß alles nur ein mehr oder weniger großes Verteilungsproblem sei, ignoriert, daß es zum Wesen der marktwirtschaftlichen Demokratien gehört, Ausbeutung und Unterdrückung aufrechtzuerhalten. Sonst funktioniert dieses System nämlich nicht.

Wieviele Ressourcen werden in der Genund Biotechnologie dafür aufgewendet, am menschlichen Erbgut zu manipulieren, um Pflanzen und Tieren profitabler zu verwerten. Mit welcher geballten Herrschaftsgewalt wird zur Zeit die Abschottung des reichen Europas vor Flüchtlingen durchgesetzt, die brutalste Abgrenzung vor den Menschen, die hierher kommen, wo der Ursprung ihrer Armut liegt. Das seit dem Ende des Realen Sozialismus sich noch schneller drehende Karussell der Globalisierung schleudert immer mehr Menschen auch auf der nördlichen Halbkugel in die Armut und beschert dem internationalen Großkapital immer neue Gewinnrekorde. Die Nationalstaaten bauen in gegenseitigen Wettlauf erkämpfte soziale Rechte ab. Die Skrupellosigkeit der Politik für die Reichen und Superreichen erinnert an die Zeiten des Frühkapitalismus im 19. Jahrhundert. Unter dem Medientrommelfeuer für den "Standort Deutschland" wird hier gespart an Kindergärten, Jugendzentren, Ausbildung, sozialen und kulturellen Einrichtungen und Projekten, Krankenversorgung. Der politische Rollback ist allerorts zu spüren: Die Arbeitszeit wird wieder verlängert, die Massenarbeitslosigkeit zu einer Naturkonstante erklärt und die Profite für die Konzerne und Vermögensbesitzer zum Staatsziel hochstilisiert. Zugleich wird das Geschick der Nation an die Existenz einer weltweit operierenden Bundeswehr gekoppelt. Der Umzug nach Berlin steht dabei für die Wiedererweckung deutscher Vormachtstellung in Europa und der Welt.

Von daher halten wir die Forderung nach sofortiger "Abschaltung aller Atomanlagen" - ohne Bezug auf die aktuelle ge sellschaftliche Entwicklung - für zu begrenzt, auch wenn sie allein schon unrealistisch erscheinen mag. Das "Kehren vor der eigenen Haustür" - z. B. Verschiffung des Atommülls ins Südseeatoll - geht wieder zu Lasten der Menschen im Trikont, ändert nichts am Kern der Sache.

We don't want just a plece of the cake, we want the whole fucking bakery!

Wir behaupten immer noch, gerade auch nach dem Scheitern des Realsozialismus, daß ohne eine Überwindung des globalen Kapitalismus, der patriarchalen Herrschaftsverhältnisse, der Anhäufung von Reichtum und Zentralisierung von Macht und Energie in den Metropolen, ein Ende der Unterdrückung und ein Überleben der Weltbevölkerung in Würde nicht möglich ist. Darüber hinaus wäre ein völlig neues Verständnis der Rolle von Wissenschaft und Technologie von Nöten. Die vorherrschende "objektive" Naturwissenschaft hat sich in Europa von Beginn an in den Dienst der (männlichen) Herrschaft gestellt und sie legitimiert. "Das entfremdete Verhältnis des Menschen zu sich und zur Natur auflösen" - diese Maxime muß mehr in den Mittelpunkt unserer Politik gerückt werden.

Ein energiepolitisch schlüssiges oder gar gesamtgesellschaftliches Konzept, um diese hochgesteckten Ziele zu erreichen, haben wir nicht, zumal wir auch selbst an vielen Punkten ein Teil dieser gesellschaftlichen Verhältnissen sind - mitten drin stecken. Problematisch sehen wir in diesem Zusammenhang unsere eigene widersprüchliche Realität - unsere Krise zwischen radikaler Kritik und realer Konzeptlosigkeit. Ein schlechtes Konzept wie die Wuppertaler Studie wird deshalb aber für uns noch nicht zu einem gangbaren Weg!

Wir denken, daß wir die Gesellschaftsstruktur nur verändern können, indem wir den Geist des Wi derstandes bewahren: "Eine Chance zur Veränderung haben wir nur da, wo wir uns als Teil einer offenen Kollektivität begreifen, die sowohl im gesellschaftlichen Raum als auch untereinander kämpferisch, kritisch und solidarisch ist." (Aufruf zum Autonomie-Kongreß, Ostern 95) Dafür gibt es allerdings keinen allein richtigen Weg, wir müssen immer wieder neue ausprobieren.

Die Bewegung gegen den Castor im Wendland ist seit dem letzten Transport so groß wie nie zuvor. Auf der anderen Seite ist die Mobilisierung zum Tag X zur Zeit die einzige, die eine relevante Gegenkraft zum Thema Atomenergie besitzt. Das Wendland und die Anti-Castor-Bewegung sind zwar ein großer Hoffnungsschimmer, um der Atommafia einmal wieder das Fürchten zu lehren, von einem Comeback der AntiAtom-Bewegung kann aber noch nicht gesprochen werden - die ist unserer Einschätzung nach auch nicht in Sicht.

Der Kampf gegen den Castor ist für uns ein (weder kleiner noch entscheidender) Ansatzpunkt oder auch Versuch aktiv zu werden. Wir teilen mit vielen Castorgegnerlnnen durchaus die Motivation an diesem Punkt gegen die menschenverachtende Atommacht und für eine ökologisch bewußtere Zukunft einzutreten. Wir betrachten diese Zielrichtung jedoch nicht isoliert von den Ursachen und anderen gesellschaftlichen Bereichen. Wir denken heute nicht, daß sich an der Castor- oder Atomfrage, flachs gesagt, die "Revolution" entzündet - die Systemfrage gestellt ist oder eben eine radikale gesellschaftliche Umwälzung entbrennt. Aber wir halten es für möglich an diesem Punkt Kapital und herrschende Politik ein Stück weit zurückzudrängen, um mit den vielen Menschen, mit denen wir hier gekämpft haben und zusammengekommen sind, an anderen Punkten weiterzumachen.

Wir schlagen vor

... in nächster Zeit nach einem eigenen Rhythmus die Sabotage auf die Bahn zu konzentrieren, um damit im Vorfeld die Mobilisierungen zum Tag X gegen den Castor im Wendland zu unterstützen und am Castor die Atomfrage zuzuspitzen. Vorsorglich empfehlen wir der DB auf den Druck des folgenden Winter- und Sommerfahrplans zu verzichten. Wäre ja deprimierend, die häufigen Änderungen... Wir haben mit dieser Aktion einen konkreten Schaden angerichtet, um die Bahn AG damit unter Druck zu setzen und so die Castor-Transporte zu stoppen. Der politische Schaden wird größer sein als der materielle, denn wir wissen, daß Tausende von Atomkraftgegnerlnnen mit uns lachen werden. Wir bewegen uns mit dieser Aktion im Konsens des wendländischen Widerstandes, keine Menschenleben zu gefährden.

Wann, wenn nicht jetzt?

"Es gibt für uns kein hierarchisches System von Aktionen, wo ganz unten das Flugblattverteilen steht und ganz oben die bewaffnete Aktion."

Dieser Satz der Revolutionären Zellen von 1980 zum Anti-AKW Kampf hat nichts an Gültigkeit verloren.

Wir wissen, daß die Bewegung für die "sofortige Abschaltung aller Atomanlagen" außerordentlich breit ist, daß es unterschiedliche Aktionsformen gibt und daß wir mit vielen der hier Aktiven oft nicht viel gemeinsam haben. Trotzdem begreifen wir uns als ein Teil davon.

Wir denken, daß militante Aktionen ein notwendiges Mittel sind, um in diesem Staat grundsätzliche Veränderungen zu erkämpfen. Mehr noch, die Bereitschaft zu militanter Aktion ist Voraussetzung, die eigene Würde zu wahren. Mit militanter Aktion meinen wir aber nicht nur die zerstörende Sabotage sondern jede Handlung, der eine entschiedene systemablehnende und zugleich menschliche Haltung zu Grunde liegt. Ob wir dabei die bestehenden Gesetze ignorieren müssen, oder nicht, diktiert uns die Gegenseite. Widerstand, der sich voll und ganz auf dem Boden der "Freiheitlich demokratischen Grundordnung" bewegt, hat in diesem Land der staatlichen Macht noch nie etwas abringen können. Gesellschaftliche Gegenmacht wird ohne die militante Macht der illegalen Aktionen keine Ernstzunehmende sein.

Gleichzeitig verkennen wir nicht die Stärke der Anti-AKW-Bewegung: ihre Vielfältigkeit, ihre Toleranz und ihren Respekt vor den verschiedenen Aktionsformen. Diesen Respekt teilen wir, denn auch wir leben lange genug in diesem Land, um zu wissen daß die Schritte vom Unbehagen zum Protest und zum Widerstand nicht einfach sind. Jede/r hier kennt die Angst, eine Unterschriftenliste zu unterschreiben, weil das auch nach Jahren noch Konsequenzen haben kann. Und doch muß es einen Punkt geben, an dem Courage gezeigt wird. Daß es genug Menschen in diesem Land gibt, die dazu bereit sind, haben wir im Wendland endlich wieder gesehen. Wenn Tausende wie im Wendland erklären, "eure Gesetze befolgen wir nicht mehr", hat das politische Wirkung, wenn sich diese Leute dann auch aktiv zur Wehr setzen.

Leider ist bei dem aufgeplusterten Gehabe von manchen Autonomen von dieser Achtung gegenüber "gewaltfreiem Widerstand" wenig zu merken. An dieser Stelle kritisieren wir Teile der BI Lüchow-Dannenberg, die nach dem Tag X2 die militanten Aktionen agents provokateurs der Bullen zuordneten. Sie unterstützten damit die Medienkampagne, dem militanten Widerstand jegliche Legitimität abzusprechen. Dies finden wir nicht gerade nützlich. Aus Angst vor der Stärke und zeitweilig sich immer wieder herstellenden Einigkeit der Anti-AKW-Bewegung lauern unsere Gegner immer auf Möglichkeiten der Spaltung und Befriedung.

We can get it it we really want

Wir sind ein Haufen Menschen, die sich entschlossen haben, ihre Würde zu erkämpfen. Und da die Mächtigen weder auf Argumente noch Proteste hören, außer wenn große Teile der Bevölkerung ihre Loyalität aufkündigen, müssen wir die Sprache sprechen, die sie verstehen. Und das ist eben die des Widerstandes und der direkten Aktion.

Wir sehen ganz viel Scheiße um uns herum und sind selbst weit davon entfernt, "Der Neue Mensch" zu sein. Aber wir belassen es nicht beim Sehen, sondern versuchen einzugreifen - gesellschaftlich, wie auch in unseren Strukturen oder bei unseren eigenen Persönlichkeiten. Das Wissen aufgestanden zu sein, und es auch leben zu können, hat etwas befreiendes und läßt manchmal das Gefühl aufkommen, über anderen zu stehen.

Wenn wir nüchtern unseren gesellschaftlichen Einfluß betrachten, dann müssen wir feststellen, daß dieser gering ist und wir öfter mal "objektiv" in die Rolle hineinrutschen, der "militante Arm" der Reformpolitikerlnnen, va. der der grünen, zu sein. Auch wenn wir das "subjektiv" nie sein wollten und dies per Deklaration radikaler, revolutionärer Sichtweisen in unseren Papieren hinzufügten. Trotz der eigenen Unzulänglichkeiten und der immer wiederkehrenden Gefahr vereinnahmt zu werden, gilt es, die eigene Sprache nicht zu verlieren. Unsere Sprache, auch wenn wir sie uns immer wieder erkämpfen müssen, ist die, der Zärtlichkeit und Solidarität untereinander und der Entschlossenheit im Kampf für eine menschliche Welt.

Zu hohl und abgedroschen?

Dann anders:

"Autonome" zu sein, heißt für uns