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Kurze Darstellung der Ereignisse im Hamburger Schanzenviertel in der Nacht vom 30.4 auf den 1.5. 2000
 

Ein paar einleitende Worte

Nach allen Presse- und Fernsehberichten über die Ereignisse der Nacht zum 1. Mai in Hamburg hier ein erster unvollständiger Bericht aus der Roten Flora.

Die Flora hat sich in der Vergangenheit regelmässig zu Vertreibungsmaßnahmen gegen die örtliche Drogenszene, zur Polizeipresenz, zu rassistischer Dealerhetze und zu Umstruckturierungsprojekten im Stadtteil geäußert. Als sichtbarer und greifbarer Ort linksradikaler Politik wurde dem Projekt immer wieder öffentlich (wenn auch nicht juristich ) die Verantwortung für militante Aktionen in diesem Zusammenhang zugeschoben. Die Belagerung der Flora durch sämmtliche verfügbaren Hamburger Polizeikräfte und die greifbar nahe Erstürmung des Gebäudes unter dem Vorwand, möglicher "Gewalttäter habhaft werden zu wollen", ist jedoch ein Novum. Seit Montag, 1.Mai 2000, ist die Rote Flora, ihre reale und vermeintliche Praxis und das Fortbestehen des Projektes in Hamburg wieder einmal ein heiß diskutiertes Thema. Nicht thematisiert werden die Verhältnisse, gegen die sich die der Belagerung des Hauses vorangegangenen Aktionen im Viertel offensichtlich richteten.
 Von Seiten der Flora ist die Auseinandersetzung um die Einschätzung der Ereignisse und die möglichen Konsequenzen für das Projekt noch nicht abgeschlossen. Deshalb kann das Folgende nur eine relativ sachliche Darstellung des Geschehens sein.

Der Ablauf

Am Abend des 30.4.2000 fand in Hamburg eine "Reclaim The Streets"-Demonstration mit ca. 500 TeilnehmerInnen statt. Im Anschluß an die Demo wurden im Schanzenviertel die Scheiben einiger Banken und u. a. einer Kneipe, deren Betreiber in jüngster Zeit gegen DrogenkonsumentInnen und Dealer gehetzt hatte, eingeworfen. Es kam zu einzelnen Rangeleien zwischen TeilnehmerInnen und der Politzei und auch zu ersten Festnahmen. Auf dem Schulterblatt, der Straße direkt vor dem Haus, wurden Barrikaden errichtet.
Zeitgleich hatte in der Roten Flora der Einlaß für ein Konzert begonnen, das an dem Abend stattfinden sollte.
Nachdem die Politzei, die zunächst nicht genügend Kräfte vor Ort hatte, sich nach einzelnen Verstößen, Prügeleien und Festnahmen immer wieder zurückgezogen hatte, wurden gegen  0.00 Uhr die Barrikaden unter Einsatz eines Räumpanzers dreier Wasserwerfer und des Hamburgers MEKs geräumt. Es kam zu äußerst brutalen Knüppeleinsätze (nicht zum ersten Mal an diesem Abend gab es Verletzte). Tränengas wurde eingesetzt, auch die zahlreichen ZuschauerInnen und KonzertbesucherInnen waren von diesem Vorstoß betroffen.
In der Flora war das Konzert wegen der Ereignisse draußen mittlerweile abgebrochen worden. In einem provisorischen Saniraum wurden Verletzte, die ins Haus hatten fliehen können, versorgt. Nach einiger Zeit zog sich die Politzei, die zeitweise den Eingang der Flora blockiert hatte, zunächst zurück. Neu errichtete Barrikaden wurden gegen 2.00 Uhr wieder von der Polizei geräumt, die danach massiv auf dem Schulterblatt präsent blieb. Die Zugänge zur Flora wurden von Wasserwerfern der Polizei ausgeleuchtet, zwischen ca. 2.30 und 3.00 Uhr aber nicht abgeriegelt. So war es möglich das Haus zu betreten und zu verlassen, auch wenn die Situation von drinnen aus nur schwer einzuschätzen war.
Vorher waren die Türen zeitweise geschlossen worden, um ein Eindringen der Polizei, die auch am Eingangsbereich Leute abgriff und zusammenknüppelte, zu verhindern.
 Gegen 3.00 Uhr, als eigentlich die Einschätzung bestand, daß die Lage entspannt genug sei, um nach Hause zu gehen, zeigte sich, daß die Polizei in der Zwischenzeit damit begonnen hatte, von allen Personen, die das Haus verließen, die Personalien festzustellen. Daraufhin wurde entschieden die Türen zu schließen.
Die Polizei begann, die Erstürmung des Hauses vorzubereiten, eine SEK-Einheit aus Hannover war mittlerweile zur Verstärkung eingetroffen.
Versuche zweier AnwältInnen, mit der Einsatzleitung Kontakt aufzunehmen, wurden von dieser verweigert, was den Menschen im Haus die Brisanz der Lage nochmals vor Augen führte. Auch wenn nicht einzuschätzen war, wie brutal möglicherweise eine Erstürmung des Gebäudes in dieser Situation aussehen würde, wurde von den Anwesenden gemeinsam beschlossen, drinnen zu bleiben und erst einmal abzuwarten.
Obwohl viele der Anwesenden Angst vor möglichen Exzessen der Polizei hatten, verlief die Diskussion wie fast die ganze Nacht über ausgesprochen ruhig und konstruktiv. Daß dies mit einer so großen und zufällig zusammengesetzten Gruppe unter solchen Umständen möglich war, gehört zu den wenigen positiven Erfahrungen der Nacht. Als erster Versuch, vom Haus aus die Initiative zu ergreifen, wurde über Megaphon nach draußen vermittelt, daß alle gemeinsam und ohne Aktionen das Haus verlassen würden, wenn die Einsatzleitung der Polizei ihre Kräfte zurückziehen würde. Darauf gab es erwartungsgemäß keine Reaktion. Die Bedingungen der Einsatzleitung wurden im Haus bekannt, als gegen 5.00 Uhr zwei von der Flora als Vermittler eingeschaltete Bürgerschaftsabgeordnete das Haus betreten konnten: Von allen Anwesenden sollten Personalien festgestellt werden, das Gebäude sollte durchsucht werden. Mutmaßliche "Gewalttäter" sollten ED-behandelt  werden. Auf die Forderungen konnten und wollten sich die Anwesenden nicht einlassen, es hätte bedeutet, willkürlichen Festnahmen auch noch selbst zuzustimmen. Im Gegenzug war die Forderung an die Polizei, die Flora-AnwältInnen ins Haus zu lassen, bevor über ein "freiwilliges" Verlassen geredet werden könnte. Auch diese anwaltliche Beratung wurde von der Polizei abgelehnt. Statt dessen kam einer der Vermittler gegen 6.30 Uhr mit der Nachricht zurück, daß nur wenige Minuten bis zur Erstürmung blieben, um die Flora doch noch "freiwillig" zu verlassen. Fast zeitgleich begann die Polizei draußen damit, die Tür aufzubrechen. Über Lautsprecher kamen die ersten zwei Aufforderungen. In dieser extrem angespannten Situation, die für eine größere Anzahl der Menschen im Haus nicht mehr erträglich war, fiel die Entscheidung, die Flora zusammen zu verlassen. Das sollte unter folgenden Bedingungen geschehen:
1. Alle verlassen das Gebäude gemeinsam und geschlossen.
2. Feststellung der Personalien vor Ort.
3. Begehung der Flora durch nur zwei Beamte in Begleitung der beiden Bürgerschaftsabgeordneten und einem Delegierten der Flora.
Verlassen des Gebäudes sofort nach erfolgter Begehung.
Entgegen den ausgehandelten Bedingungen mußten alle das Haus einzeln durch ein MEK-Spalier verlassen und wurden dabei gefilmt. Die Personalien wurden nicht sofort festgestellt, sondern alle wurden vorläufig festgenommen und in Bussen des HVV (Hamburger Verkehrsbetriebe) zu einer Polizeiwache in der Nähe (Sedanstraße) gefahren. Dort wurde von allen Polaroidphotos gemacht. Danach kamen alle relativ schnell wieder raus.
Einzig Punkt 3 der Absprachen hielt die Polizei weitgehend ein. Auf der Suche nach möglicherweise versteckten Menschen wurden 4 Türen aufgebrochen, für die der Floravertreter keine Schlüssel hatte. Danach verließen sie das Haus, ohne zu fotographieren oder etwas mitzunehmen.

Festgenommen wurden in der Nacht und am Morgen etwa 125 Menschen, davon über 100, die in der Flora waren. Unseres Wissens blieb keineR länger in Haft. Es gab etwa 25 zum Teil schwer Verletzte. Grausamer Höhepunkt des Polizeieinsatzes ist die schwere Mißhandlung eines Menschen, der gegen morgen in der Nähe der Flora festgenommen worden war ( offenbar gezielt aus einer ZuschauerInnenmenge heraus) auf der Lerchenwache (Wache 16)

Am Abend des ersten Mai gab es eine Solidaritätsdemonstration mit rund 500 TeilnehmerInnen.

Weitere Infos werden folgen.
 
 

Einige Menschen aus der Roten Flora, Hamburg, 7.5.00






Erklärung der Menschen, die in der Nacht vom 30.4 auf den 1.5 mehrere Stunden in der Roten Flora eingekesselt wurden
 

Am Abend des 30.4. sollte in der Roten Flora ein Konzert stattfinden. Zeitgleich fand in Hamburg eine "Reclaim The Street"-Demo mit ca. 500 TeilnehmerInnen statt. Die sich im Anschluß daran gebildete Spontandemonstration wurde im Schulterblatt aufgelöst, danach gab es auf dem Schulterblatt und in den umliegenden Straßen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nach mehreren heftigen Polizeieinsätzen mußten zahlreiche Verletzte und Schwerverletzte (unter anderem mit Schädelbruch) in der Flora von SanitäterInnen versorgt bzw. ins Krankenhaus gebracht werden.
Inzwischen war das geplante Konzert abgebrochen worden, die Flora blieb offen. Zu dieser Zeit befanden sich unter anderem KonzertbesucherInnen, Verletzte und Menschen, die sich von der Polizei bedroht fühlten, in der Roten Flora.
Für uns war es in der Zeit schwierig, die Situation draußen einzuschätzen als gegen drei Uhr die Polizei mit Wasserwerfern, Räumpanzer, Bagger und Spezialeinheiten das Gebäude umstellte und abriegelte. Ab diesem Zeitpunkt waren wir in der Flora eingekesselt.
Für uns war schnell klar, daß die Polizei von allen noch in der Flora befindlichen Menschen die Personalien feststellen wollte und dies auch möglicherweise mit einer Erstürmung durchsetzen würde. Wir entschlossen uns, freien Abzug zu fordern und so lange gemeinsam in der Flora zu bleiben.
Eine rechtliche Beratung oder Vermittlung durch AnwältInnen war unmöglich, da ihnen die Einsatzleitung der Polizei jeglichen direkten Kontakt mit uns verwehrt hat (und sie nicht als VerhandlungspartnerInnen akzeptierte). Schließlich gelangten je ein Bürgerschaftsabgeordneter der GAL und der Regenbogen-Fraktion ins Haus und übermittelten die Forderungen der Polizei. Es wurde sehr schnell deutlich, daß es für uns keinen Verhandlungsspielraum gab, sondern im Gegenteil ein bedingungsloses Ultimatum gestellt wurde: Alle sollten die Personalien abgeben, und die Polizei behielt sich vor, Leute festzunehmen.
Während wir uns noch in einer Verhandlungssituation glaubten, wurde uns mitgeteilt, daß eine Räumung unmittelbar bevorstand. In der eskalierten Situation konnten sich einige nicht vorstellen, länger in der Flora zu bleiben. Deshalb entschieden wir uns, gemeinsam das Haus zu verlassen.
Ganz im Gegensatz zu der übermittelten Ansage der Polizei blieb es nicht bei einer einfachen Personalienfeststellung vor Ort. Wir wurden zu einer langwierigen Prozedur in bereitgestellte HVV-Busse verfrachtet, durchsucht und zur Wache 17, Sedanstraße, gebracht. Wir sind ohne Ausnahme fotografiert worden. Einer Schwerverletzten ist konsequent ärztliche Versorgung verweigert worden. Erst gegen Mittag konnten die letzten von uns die Wache verlassen.
Die Tatsache, sich mehrere Stunden nach einer Auseinandersetzung auf dem Schulterblatt in der Roten Flora aufzuhalten, hat in der Logik der Polizei genügt, um uns stundenlang in der Flora festzuhalten und zu schikanieren. Offenbar mußten wir als Masse für die Festnahme-Statistik herhalten.
Sowohl der Einsatz als auch die Verweigerung der Kontaktaufnahme mit AnwältInnen hatte keinerlei rechtliche Grundlage.
Die Flora ist ein Ort von linker Politik und Kultur, und war deswegen Ziel der Polizei-Aktion.

Unsere Solidarität gilt allen Verletzten und Festgenommenen dieser Nacht!
Mai 2000