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Das Staudammprojekt von Itoiz

Einige Daten

Das Staudammprojekt von Itoiz befindet sich im Nordosten Euskal Herrias (Baskenland) in der Provinz Navarra, 30 km von Iruña (Pamplona) entfernt. Der geplante Stausee wird von den Flüssen Irati und Urrobi gespeist, seine Staukapazität beträgt 418 Kubikhektometer. Die Hauptstaumauer ist 135 m hoch, die Gesamtlänge beträgt 35 km, 1100 Hektar Land sollen überflutet werden.

Ein Attentat gegen Natur und Mensch

Sollte der Stausee von Itoiz gefüllt werden, verschwänden neun Dörfer in den Tälern Artze, Longida und Irati, weitere sechs wären partiell betroffen. Damit würden auch historische Bauten und Kulturgüter von unermeßlichem Wert verschwinden, ebenso wie traditionelle Lebens- und Produktionsweisen, die dort noch praktiziert werden und auf dem Respekt vor "Amalurra" (baskisch: Mutter Erde) gründen.
Außerdem würden drei Naturschutzgebiete (Txintxurrenea, Gaztelu und Iñarbe) mit den dazugehörigen Schutzstreifen, sowie zwei Vogelschutzgebiete, die von der EWG gegründet wurden, überflutet. Die Existenz dieser gesetzlichen Schutzmaßnahmen verschafft einen Eindruck von der gefährdeten Vielfalt der Pflanzen- und Tierarten in dieser Gegend am Übergang zwischen Pyrenäen- und Mittelmeerraum. Schmutzgeier, Weißkopfgeier, Steinadler, Uhu, Pyrenäen-Bisamspitzmaus sind vom Aussterben bedroht, der Fischotter ("Nutria") ist seit Beginn der Bauarbeiten verschwunden.

Falsche Argumente für den Bau

Bewässerung

Mit der Bewässerung von 57.000 Hektar Land in der Mitte und im Süden Navarras wird versucht, das Projekt zu rechtfertigen; dafür müßte ein 177 km langer Kanal, der "Canal de Navarra" gegraben werden, der bis zum heutigen Tag nicht einmal geplant ist. Die Tendenz in der Agrarpolitik (EU, GATT/WTO) ist aber, den landwirtschaftlichen Überschuß und die Anbauflächen zu reduzieren und nicht etwa die Anlage von neuen Bewässerungsflächen zu fördern.
Hinzu kommt, daß der kürzlich genehmigte staatliche Bewässerungsplan keinen einzigen Bewässerungshektar, der aus diesem Projekt hervorgehen würde, einbezieht. In einer Studie von anerkannten Wissenschaftlern über die Rentabilität des Projekts wird von dieser Investition aufgrund ihres übertrieben hohen Preises stark abgeraten.
Das ältere umstrittene Projekt von Riaño ist ein ähnlicher Betrug: Fünfzehn Jahre nach dem Bau ist von den vielen, die damals versprochen wurden, noch kein einziger Bewässerungshektar entstanden.

Nutzen für die Stadt und Stromerzeugung

Eine weitere Begründung für den Bau ist der Trinkwasserbedarf der Hauptstadt und ihrer Umgebung. Nach den Zahlen der Wasserbehörde CHE (Confederación Hidrográfica del Ebro) stünden Iruña dann 1430 Liter pro Kopf und Tag zur Verfügung - drei bis viermal so viel als in jeder Großstadt verbraucht wird. Außerdem ist unklar, wie das Wasser in die Stadt geleitet werden soll.
Die Stromerzeugung ist ein beliebtes Argument. Dafür ist ein Kraftwerk geplant, das 52 MWh erzeugen soll. Der Stausee würde vier kleinere Kraftwerke im Lauf des Irati-Flusses überfluten, die bereits 34,6 MWh erzeugen. Deren Stillegung müßte mit ca. 60 Millionen DM entschädigt werden.

Die wirklichen Interessen an dem Bau

Zweifellos sind die echten Interessen an der Realisierung des Stausees die Versorgung der dicht besiedelten Mittelmeerküste (Spekulation auf "Entwicklung" z.B. der Tourismusbranche) mit Wasser aus den Pyrenäen. Dieser Entwicklungswahn bedeutet Vertreibung und Umweltzerstörung. Das hat nichts mit vernünftiger Politik zu tun. Der Stausee von Itoiz spielt eine Schlüsselrolle in den größenwahnsinnigen und verschwenderischen Wasserumleitungsplänen, die in der Franco-Ära entwickelt und von den Nachfolgeregierungen fortgesetzt worden sind.

Korruption rund um das Projekt

Dieses Projekt ist von Anfang an von Korruption charakterisiert. Die Ausschreibung und Auftragsvergabe an die Baufirmen war betrügerisch.
Antonio Aragón, ehemaliges Vorstandsmitglied der Baubehörde von Navarra und ehemaliger CHE-Präsident, bekam zwischen 3 und 5 Millionen DM Schmiergeld für die Auftragsvergabe. Sowohl er als auch Gabriel Urralburu (ehemaliger Ministerpräsident von Navarra) sind wegen dieses und anderer Korruptionsfälle im Gefängnis gelandet. Der darauffolgende Ministerpräsident Javier Otano mußte aus denselben Gründen zurücktreten und wartet noch auf sein Gerichtsverfahren. Außerdem war der Sicherheitsbeauftragte für den Bau, Leoncio Castro, einer der Anführer des GAL (eine von der spanischen Regierung ins Leben gerufene paramilitärische "Anti-Terror-Gruppe", die für über 30 Morde verantwortlich ist).
Ohne Angabe von Gründen ist der Kostenvoranschlag für das Projekt von anfänglichen 180 Millionen DM auf 350 Millionen DM gestiegen.

Illegalität des Projekts

Die technische Planung für den Staudamm ist vom Nationalgericht für nichtig erklärt worden (29.9.1995) - dieses Urteil wurde vom Obersten Gerichtshof bestätigt (14.7.1997). Trotzdem war keine dieser gerichtlichen Instanzen in der Lage, die Bauarbeiten zu stoppen.
Heute ist die Hauptstaumauer schon fertig gebaut und die Umgehungsstraße, die die aktuelle ersetzen soll, wenn sie überflutet wird ist eröffnet. Nun können sie die alte Straße unbenutzbar machen und mit dem Bau der zweiten Staumauer beginnen.
1994 legte die Coordinadora de Itoiz (ein Bündnis von GegnerInnen und Betroffenen) eine Beschwerde bei der Europäischen Umweltkommission ein, die zurückgewiesen wurde. Die schnelle Einstellung des Beschwerdeverfahrens ist laut Rechtsgutachten eines EU-internen Kontrollorgans ungerechtfertigt und stellt einen Fall von "schlechter Verwaltung" dar. Es ist einleuchtend, daß der politische Druck der Regierungen Spaniens und Navarras zu dieser Einstellung geführt hat.
Der Gipfel ist, daß die Regierung Navarras die mafiöse Firma Burson-Marsteller (international erfahrene Image-Aufpolierer) mit der Öffentlichkeitsarbeit in Sachen Itoiz beauftragt hat. Diese Firma hat schon verschiedene Diktaturen und umweltverschmutzende Konzerne bei ihren Akzeptanzkampagnen beraten.

Absolute Sicherheitsmängel

Eine unlängst veröffentlichte Studie von Antonio Casas (Prof. für Geodynamik an der Universität Zaragoza) macht auf große Stabilitätsprobleme eines der Berghänge, auf den sich die Hauptstaumauer stützt, aufmerksam. Casas spricht von möglichen "katastrophalen Konsequenzen". Das Füllen und Leeren des Stausees oder seismische Bewegungen können das Abrutschen von drei Millionen Kubikmetern Erde zur Folge haben. Die Abflüsse würden verstopfen, der Stausee könnte überlaufen (was schon 1963 in Vaiont, Italien, 2000 Menschen das Leben gekostet hat). Sogar den Bruch der Staumauer kann Casas nicht ausschließen. Im spanischen Tous forderte ein gebrochener Staudamm mehrere Dutzend Menschenleben.
Eine Studie des spanischen Umweltministeriums stuft den Staudamm von Itoiz als "höchst gefährlich" ein. Sowohl die Regierung von Navarra als auch die Madrider haben bis heute absichtlich alle Studien, die über die Gefährlichkeit des Stausees durchgeführt worden sind, verheimlicht.

Militarisierung des Gebiets

Voraussetzung für die Baumaßnahmen war die totale Militarisierung des Gebiets. Am Fuß des Staudamms wurde eine Kaserne der Guardia Civil (kasernierte Polizeikorps) errichtet, wo ca. 60 Beamte wohnen. Zu ihnen muß man noch die über 30 Wächter von privaten Sicherheitsfirmen zählen. In der Nähe der Baustelle befinden sich noch drei Kasernen der Guardia Civil - Itoiz ist damit eines der am stärksten militarisierten Gebiete Europas.
Dies hat zur Folge, daß die Bevölkerung dem ständigen Druck der Polizei ausgesetzt ist: Fast tägliche Verkehrs- und Personenkontrollen, Drohungen und mehr als verdächtige Brandstiftungen an Versammlungsorten und Privatfahrzeugen.

Widerstand gegen den Staudamm von itoiz

Die "Coordinadora de itoiz"

Die Coordinadora wurde 1985 (als man anfing, über das Projekt zu reden) als Widerstandsorgan gegen den Staudamm gegründet. Ihre Hauptaufgaben sind die Öffentlichkeitsarbeit und technische Gutachten, die Mobilisierungskampagne (Kundgebungen, Demos, Camps) und die juristische Arbeit (einlegen von Beschwerden bei den diversen Justizbehörden).

Das Kollektiv solidari@s con itoiz

Im Februar 1995, als die Bauarbeiten des Staudammes schon über anderthalb Jahre andauerten, bildet sich das Kollektiv Solidari@s con Itoiz, um eine neue Kampffront aufzumachen: die der direkten Aktion, die öffentlich und gewaltfrei sein soll, im Rahmen einer Strategie des zivilen Ungehorsams zur Verteidigung der Erde.
In diesen fünf Jahren Aktivität haben wir über vierzig Aktionen durchgeführt, um die Irrationalität einiger Institutionen anzuzeigen, die trotz der Evidenz der Gründe zum Widerstand ihre umweltzerstörende und illegale Arbeit weiter treiben.
Diese Aktionen führen wir an den Sitzen der verantwortlichen Institutionen oder am Fuß der Baustelle durch.
Wenn die Aktionen zu Ende gehen, bleiben wir am Tatort, ohne bei der Festnahme Widerstand zu leisten, trotz der Mißhandlungen seitens verschiedener Polizeikorps oder privater Wachschützer.
Die Aktionen haben fünf Gerichtsverfahren verursacht, und abgesehen von den zwei Monaten Haft, die acht Mitglieder unserer Gruppe wegen des Kappens der Kabel absitzen mußten, verbüßte ein anderes Mitglied des Kollektivs eine Strafe von sechzehn Monaten Haft.

Das Kappen der Kabel

Im Sommer 1995 erklärte der Nationale Gerichtshof die Arbeiten am Staudamm für nichtig und illegal und forderte von der Klägerin, der Coordinadora, die Bezahlung von 23 Milliarden Peseten (ca. 290 Millionen DM) für das Stoppen der Bauarbeiten. Da sie aber anstatt gestoppt noch forciert wurden, entschied sich unser Kollektiv, diese durch eine gewagte Aktion zu "paralysieren".
So drangen am 6. April 1996 acht Mitglieder der Solidari@s con Itoiz, in Begleitung von fünf Journalisten, in das Baustellengelände ein. Zwei von ihnen hielten den Wachschutzmann fest, nahmen ihm die Waffe weg, um die Gefahr von Schüssen zu vermeiden, und fesselten ihn ca. fünf Minuten lang. Sie legten die Pistole auf das Dach des Kontrollhäuschens.
Die anderen sechs Solidari@s kappten mit Trennscheiben (Rotaflex) die 6 Stahlkabel der Seilbahn, die über 800 Meter den für den Bau notwendigen Zement förderte - das Herz der Baustelle. Auf diese Art und Wiese wurden die Bauarbeiten für ein Jahr zum Stillstand gebracht.
Wie bei allen anderen Aktionen der Gruppe blieben die Solidari@s, nachdem sie die Kabel gekappt hatten, am Ort, bis die Polizei und der Wachschutz kamen. Sie wurden mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt und gezwungen, sich auf den Bauch zu legen, wobei sie eine Stunde lang Prügel bezogen. Sie erlitten verschiedene Körperverletzungen: Trommelfell- und Sehnenriß, viele blaue Flecken etc...
In einem Gerichtsverfahren, das im Frühjahr 1999 stattgefunden hat, wurden zwei der Wachschützer dazu verurteilt, die Körperverletzungen mit einer Summe von ca. 12.000 DM zu entschädigen. Dieses Geld ist noch nicht bezahlt worden.
Auch die Journalisten wurden angegriffen und ihr Material unbrauchbar gemacht. Am Tag danach wurde die Abteilung der Tageszeitung, wo die Journalisten tätig waren, von der Polizei durchsucht, die auf der Suche nach belastendem Material war.
Die Solidari@s waren 8 Stunden lang in einem Polizeiwagen in einzelne 1 mal 1,50 Meter große Zellen unter einer stechenden Sonne eingesperrt. Sie waren an den Rücken gefesselt und durften nicht einmal Wasser trinken.
15 Tage lang gab es eine große Pressekampagne, die die Aktion als "Terrorismus" qualifizierte und dabei erfolglos versuchte, die Bevölkerung gegen die AktivistInnen aufzubringen. Diese wurden ins Gefängnis gesteckt, wo sie 2 Monate lang blieben und woraus sie dank des öffentlichen Drucks per einstweiliger Freilassung raus kamen. Ihr Gerichtsverfahren stand noch offen. Zwei Tage nach ihrer Freilassung fand eine große Demonstration gegen den Staudamm statt, wo ca. 15.000 Menschen teilnahmen (es war eine der größten in der Geschichte des Kampfes gegen den Staudamm).
Aufgrund dieser Aktion wurde eine große Solidaritätskampagne mit den Gefangenen gestartet, in der sich spontan mehrere Solidaritätsgruppen mit den Solidari@s bildeten und direkte Aktionen gegen den Staudamm durchführten.
Über 300 Gruppen solidarisierten sich öffentlich.

Strafrechtliche Folgen der Aktion

Zwei Jahre nach der Aktion wurde ein Gerichtsverfahren gegen die 8 Solidari@s beim Landgericht von Navarra durchgeführt. Gegen sie gab es 5 verschiedene Klageanträge, unter ihnen der von der Regierung Navarras, die 19 Jahre Haft pro Angeklagten forderte.
Schließlich lautete das Urteil auf 4 Jahre und 10 Monate Gefängnis je Angeklagter wegen der illegalen Festnahme (Freiheitsberaubung) des Wachmannes, und nur 3 Wochenenden wegen der Sabotage. Eine Geldstrafe als Entschädigung wurde auf ca. 2 Millionen DM festgelegt.
Das Kollektiv legte Widerspruch beim Obersten Gerichtshof ein, der im Oktober 1999 zurückgewiesen wurde. Das Urteil steht damit fest und verlangt den sofortigen Haftantritt.
Die Justiz kann eine solch saubere Aktion wie diese nicht tolerieren. Wegen der Sabotage konnte sie keine hohe Haftstrafe verhängen. Ihr hartes Urteil baut deshalb auf dem fünfminütigen Festhalten des Mannes auf. Sie machen daraus eine "illegale Festnahme" oder "Entführung", wobei sie auch noch älteren Gerichtsurteilen widerspricht. Die Dauer der angeblichen Entführung kann man dem Video entnehmen, das als Beweisstück benutzt worden ist und allen zur Verfügung steht.
Die vier Polizisten und Mitglieder des GAL (die neulich verurteilt worden sind), die Segundo Marey 10 Tage lang gefangen hielten, bekamen das gleiche Strafmaß für die Freiheitsberaubung. Das zeigt deutlich, daß die spanische Justiz mit zweierlei Maß mißt, je nach dem, wer gerade verurteilt wird. Hinzu kommt noch, daß wir sehr stark zweifeln, ob diese Polizisten jemals ihre Haft antreten werden, da ihre Chefs (Rafael Vera, ehemaliger Sekretär für Staatssicherheit und Jos‚ Barrionuevo, ehemaliger spanischer Innenminister) schon auf freiem Fuß sind. Sie sind nach kurzer Haft begnadigt worden.
Außerdem ist es klar, daß das fünfminütige Festhalten nicht Ziel der Aktion war sondern das Kappen der Kabel.
Der Oberste Gerichtshof beruft sich auf ein Urteil von 1874, um zu beweisen, daß dieses Festhalten eine "Entführung" sei.
In Euskal Herria sind solche Freiheitsberaubungen seitens der verschiedenen Polizeikorps Teil des Alltags, ohne daß diese als Straftaten verfolgt würden.
So sehen wir, wie sich einmal mehr die Justiz mit der Politik und der Wirtschaft verbündet, um die Irrationaliät, die Illegalität und die absolute Respektlosigkeit gegenüber der Erde zu verdecken, und wie sie dabei diejenige, die sie verteidigen, mit exemplarisch harten Strafen bestraft.
Die Parallele zwischen dem Urteil und dem allgemeinen Fall des Staudammes ist überdeutlich: Die Justiz ist nicht in der Lage, eine Baustelle zu stoppen, die sie selbst - und zwar mehrere Male - für illegal erklärt hat. So wird auch ihre Unterwerfung unter die führenden Kräfte in Politik und Wirtschaft deutlich:
Gleich nach der Festlegung des Urteils veröffentlichten sowohl die Coordinadora de Itoiz, Greenpeace als auch "Ecologistas en Acción" (Umweltschützer in Aktion, ein Dachverband von über 120 Umweltgruppen aus ganz Spanien) einen Antrag auf Begnadigung der acht Solidari@s. Diese Tatsache, zusammen mit der Unterstützung, die wir seitens der Mehrheit der Gewerkschaften, der Umwelt- und sozialen Bewegungen Euskal Herrias und des ganzen spanischen Staates bekommen, zeigt uns ganz deutlich, daß das Kollektiv Solidari@s con Itoiz nicht allein steht.