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Zweite offene Erklärung der Autonomen Antifa (M)
über den Umgang mit der Tat eines ehemaligen Mitglieds
 

Vor einem Monat haben wir die linke Öffentlichkeit mit einer offenen Erklärung über den derzeitigen Stand des Umgangs mit dem Vorwurf der Vergewaltigung gegen ein damaliges Mitglied der Autonomen Anifta (M) informiert.

1. Die Diskussion, die der Erklärung vorausging hat einige Zeit beansprucht und es lange vielen unmöglich gemacht, unsere Sichtweise kennenzulernen und unser Verhalten zu beurteilen. Die Veröffentlichung der Erklärung hat dann neben Ablehnung auch Zustimmung und sachliche Kritik hervorgerufen und so unsere Auseinandersetzung um einiges bereichert.
Unser Anspruch im Umgang mit Vorwürfen jeglichen sexistischen Verhaltens gegen. Mitglieder unserer Gruppe ist, grundsätzlich der Darstellung der betroffenen Frau Glauben zu schenken. Wir halten dies für die einzig mögliche Konsequenz aus der Realität einer patriarchalen Gesellschaft. Diesem Anspruch sind wir im konkretem Vorwurf nicht gerecht geworden. Wir halten ein differenziertes Vorgehen nach wie vor für notwendig, doch Inzwischen sehn wir es als einen Fehler an, die Auseinandersetzung mit der Tat geführt zu haben, solange der Täter noch In der Gruppe war. In Zukunft wird unser erster Schritt sein, den Täter aus der Gruppe auszuschließen. Dieser Schritt ist Ausdruck unserer inneren Überzeugung, den Täter als Täter zu betrachten und nicht als Opfer, was eine Umkehrung des grundlegenden Verhältnisses von Täter und Opfer wäre.
Eine eventuelle Wiederaufnahme ist abhängig von seiner Bereitschaft, den Forderungen der Betroffenen nachzukommen, von der Bewertung der Tat durch die Frauen der Autonomen Antifa (M) und von deutlichen Signalen der Weiterentwicklung des Täters an seiner Tat im besonderen und Sexisrnus im allgemeinen.
Diesen Schrift haben wir nun nachgeholt:
Wir haben den Täter aus unserer Gruppe ausgeschlossen. Für unsere abschließende Bewertung erhoffen wir uns weitere Klärung durch einen erneuten Austausch mit Unterstützennnen der betroffenen Frau.

2. Im folgenden beschreiben wir unser bisheriges Vorgehen
genauer, einschließlich der Resultate , besonders der Fehler
und der Konsequenzen, die wir daraus gezogen haben.
Als der Vorwurf bekannt wurde, war un-sere erste Reaktion, jede der Forderungen der betroffenen Frau zu unterstützen, um ihr so weit wie möglich entgegenzukommen. In-haltt ihrer Forderungen war, daß der Täter sich von ihr fernhält - egal wo sie sich befindet. Das beinhaltete für den Täter auch das Verlassen von Demos und allen anderen öffentlichen
Veranstaltungen, sobald er von ihrer Anwesenheit erfuhr. Von unserer Seite aus beschlossen wir, daß der Täter solange nicht für die Gruppe öffentlich auftritt, bis eine Klärung erreicht ist. Außerdem erwarteten wir die schon erwähnten deutlichen Signale seiner Weiterentwicklung.
Zu keinem Zeitpunkt forderte die Frau einen Ausschluß des Täters aus unserer Gruppe. Des-halb sahen wir damals die Möglichkeit seiner Duldung für die Dauer der Klärunung, um die Auseinandersetzung mit ihm zu erleichtern.
3. Unser nun folgendes Vorgehen orientierte sich an bestimmten Schritten für unseren Umgang mit Sexismus in der Gruppe, auf die wir uns Anfang 1994 geeinigt ha-ben. Eine grobe Richtschnur halten wir für sinnvoll, da sie die Beeinflussung einer Diskussion durch aktuelle Faktoren wIe äußeren Druck, Gruppenstimmung oder sozialer Sta-tus des Täters vermindern hilft.
Hintergrund ist unsere bewußte Entscheidung für eine gemischte Organisierung. Selbstverständlich ist unsere Gruppe nicht frei von Sexismus. Frauen wie Männer können ihre geschlechtsspezifische Sozialisation nicht von heute auf morgen ablegen, wobei Männer als alltägliche Nutznießer eine besondere Verantwortung für ihre persönliche Weiterentwicklung tragen. Folglich sind wir zwangsläufig - wie jede andere gemischte Gruppe auch – immer wieder verpflichtet, einen verantwortungsvollen Umgang mit Sexismus in der Gruppe zu finden.
Vor diesem Hintergrund erschien es uns sinnvoll, neben der Anerkennung der Forderun-gen der betroffenen Frau eine Definition für un-seren eigenen Umgang zu entwickeln, die uns als Grundlage für unsere Bewertung dienen kann. Im Zuge des Diskussionsprozesses erar-beiteten die Frauen der Autonomen Antifa (M) die folgende Definition als Orientierung:
Vergewaltigung ist für uns der Zwang zu ei-ner sexuellen Handlung gegen den verbal oder nonverbal ausgedrückten Willen einer Frau, die ihre körperliche Integrität verletzt Das schließt sexuelle HandIungen in einer durch physischen oder psychischen Druck geschaffene Atmosphäre ein, ohne daß sie ihre Ablehnung gegen einen einzelnen Übergriff ausdrückt.
Vergewaltigung ist einer der krassesten Ausdrucke des Patriarchats und steht jeder revolutionären Perspektive unvereinbar gegenüber. Eine Zusammenarbeit mit einem Vergewaltiger ist für uns unter keinen Umständen vorstellbar. Auch ein anderes sexistisches Verhalten kann genügen, um eine weitere Zusammenarbeit mit dem Täter auszuschließen.
 
 

4. Wir begannen unsere interne Auseina-dersetzung mit getrennten Diskussionen in einem Frauen- und einem Männerple-num. In beiden Gruppen erörterten wir die Tat und kamen zu einer vorläufigen Bewertung. Die Grundlage für die Diskussion im Frauenplenum sollte in erster Linie die Darstellung der betroffe-nen Frau sein, die auch über eine Dritte erfolgen konnte. Bei der Darstellung ging es uns nicht um Details, sondern um eine grobe Erläuterung der Tat. Das MännerpIenum sollte die Darstellung der Betroffenen über das Frauenplenum erhalten, wobei die Integritätsgrenzen der Frau auf kei-nen Fall überschritten werden darf. Darüberhin-aus halten wir es für notwendig, daß der Täter vor beiden Plena Rede und Antwort steht
Bei dieser Überlegung haften wir nicht berücksichtigt, daß die betroffene Frau nicht bereit ist, eine grobe Erläuterung der Tat zu geben. Obwohl ihre Äußerung eine große Hilfe für uns gewesen wäre, respektieren wir ihre Entscheidung.
Da die Konsequenz des politischen und sozialen Ausschlusses die härteste Sanktion ist, die wir als Gruppe fällen können, halten wir eine grobe Erläuterung der Tat nach wie vor für unerläßlich. Konsequenzen, die für den Täter über den Gruppenbeschluß hinausgehen sind darüberhinaus vorstellbar.
Die grundsätzliche Entscheidung über den Verbleib eines Genossen in der Gruppe liegt bei den Frauen der Autonomen Antifa (M), da Frauen unmittelbar von einem Sexisten betroff sind. Die Frauen entschieden sich, unsere Bewertung nur auf die Darstellung des Täters stützen, obwohl uns klar war, daß seine Sichtweise bestenfalls seine eigene Wahrnehmung widerspiegeln kann. Dieser Informationsstand rechtfertigte daher weder die Bezeichnung Vergewaltigung noch einen Ausschluß aus Gruppe. Auch damals war uns klar, daß dieser Informationsstand völlig unzureichend war und ist. Heute heißt das für uns, daß diese Bewertung nur eine vorläufige gewesen sein kann, und eine endgültige Bewertung uns noch bevorsteht

Darüberhinaus hat unsere Erfahrung gezeigt, daß eine versuchsweise Duldung des Täters in unseren Reihen eine sachliche Diskussion in der Öffentlichkeit unmöglich macht Es sind Stimmen laut geworden, die nach einfachen Lösungen rufen und sogar versuchen unsere öffentliche Meinungsäußerung zu behindern, ohne die Gründe für unser Vorgehen zur Kenntnis zu nehmen. Wer sich nicht für den Verbleib des Täters interessiert und Auseinandersetzung mit ihm, nur weil sie innerhalb der Gruppe stattfindet, plakativ zum Täterschutz erklärt, spielt den Ausschluß gegen die Auseinandersetzung aus und begünstigt einen bequemen Umgang: Der sofortige Ausschluß eines Täters birgt die Gefahr, daß danach überhaupt keine Auseinandersetzung mehr stattfindet, da sie sich nun scheinbar erledigt hat.
Auf einem völlig anderen Blatt steht die tatsächliche Erschwernis, die eine versuchsweise Duldung des Täters während der internen Klärung mit sich brachte: Die ständige Präsenz des Täters und die gleichzeitige Anonymisierung der betroffenen Frau offenbarte die Schwierigkeit, dem grundlegenden Verhältnis von Täterr und Opfer und unsere Inneren Überzeugung - in erster Linie der Betroffenen Glauben zu schenken - Im Auge zu behalten.
Der Vorteil der leichteren Auseinanderstzung mit dem Täter
während der vorläufig Duldung wird durch die beschriebenen
Nachteile überwogen. Deswegen haben wir unser Vorgehen
entscheidend verändert, indem wir den umgehenden
Ausschluß des Täters zum ersten Schritt erklärt haben.
Für den Umgang mit Sexismus gibt es kein Patentrezept. Unser Versuch ist Ergebnis aus einer gründlichen Auseinandersetzung und ist weiterhin offen für Verbesserungen. Pauschale Schuldzuweisungen erschweren eine sachliche Diskussion erheblich und zeugen nach unser Erfahrung von wenig eigener Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Sexismus.
Wir stehen nach wie vor zu jedem einzelnen
unserer Schritte und sind auch bereit, dafür Kritik hinzunehmen. Praktisches Handeln ist nie
völlig fehlerfrei, aber doch Voraussetzung, um
anhand von unerwünschten Folgen das Vorgehen weiter zu verbessern.

Autonome Antifa (M)
15. Dezember 1995