/
Friedrichshainwww.infoladen-daneben.de  //start/archiv/fhain/2000-04

 

Gekocht wird, was auf den Tisch kommt - und eine Prise Gesinnung ist immer dabei

Volksküchen ohne Stammgäste? Undenkbar. Und wenn sie kein Geld haben? Nicht so schlimm - an Gewinn denken die Betreiber nicht. Was übrig bleibt, fließt in politisch wertvolle Projekte

Esther Kogelboom
"Ich könnte euch Kartoffelsuppe warm machen. Dauert aber." Ullus schmeißt donnerstags den Fischladen in der Rigaer Straße. Dann gibt es Volksküche light - nur kleine Speisen. Am Nebentisch kleckern drei Männer mit einem Tetra Pak "Domkellerstolz". Ullus eilt sofort herbei und wischt den Tisch sauber. Er schreibt noch schnell "Kartoffelsuppe 2 Mark 50" auf die Tafel. "Koch doch selber", steht da eigentlich deutlich.

 Heute ist Anarcho-Syndikalisten-Stammtisch, aber von Propaganda oder Diskussion keine Spur. Der Fischladen ist bis auf den letzten Platz besetzt, die Leute trinken und rauchen. Ein paar Straßenköter fegen durch die Kneipe. Nur die Vitrine in der Ecke erinnert entfernt an Lenins gläsernen Sarg. Als man am Nebentisch zu Omas Glühwein, ebenfalls aus der Pappe, übergeht, brüllt Ullus einmal beherzt "Suppä!!" durch die dicke Luft. Der Ofen bollert in der Ecke, und die Suppe macht jedem Sternerestaurant Konkurrenz: Lecker würzig mit ein bisschen Kümmel und Thymian drin.

 "Bald sieht es hier aus wie in der Cocktailbar da drüben", meint ein Krankenpfleger und deutet auf die andere Straßenseite. Noch sitzen die Gäste im Fischladen allerdings auf Sperrmüll und können sich ihre Dröhnung selbst mitbringen. Der Nachbartisch kümmert sich inzwischen um mehrere Milchtüten voller Lotto d'Oro. Die Mitglieder der Freien ArbeiterInnen Union hinter der Bar verkaufen Bier und Tabak zum Freundschaftspreis. Einen Gewinn erwirtschaften Ullus und seine Mitstreiter damit nicht. "Wir sind donnerstags da, um den Leuten die Möglichkeit zu geben, uns anzuquatschen", sagt der Schnurrbartträger.

 Auch Jamal kocht politisch: Über seinem Herd mit den drei offenen Flammen hängt ein Foto vom brennenden Kaiser's am Teutoburger Platz. Jamal beim Kochen zu stören ist Sünde, das gibt er seinen Gästen gleich mit auf den Weg zum Tisch.

 Szenenwechsel: Volksküche in Mitte. Durch zwei Hinterhöfe, über eine morsche Kellertreppe und durch einen Vorhang zieht der süßlich-köstliche Duft Bangladeshs. Wer eine Nase hat, der findet auch jeden Sonnabend Jamal. Auf zwei Ebenen sitzen Menschen vor riesigen, dampfenden, randvollen Tellern mit scharf gebratenen Hähnchenflügeln, fritiertem Gemüse, Gewürzpasten und Reis frisch vom Herd. Hot Chicken, Pakora-Spießchen, Samocha, Linsensuppe und dazu ein Mango-Cocktail. Fünf Mark kostet die exotische Spezialität, und von einem Teller voll Jamal-Platte können zwei satt werden. Nur sieht man sein Gegenüber durch die Dampfwaben kaum, die aus der Garküche dringen. Lecker ist es trotzdem. "Ich habe ein System entwickelt, mit dem ich einfach die Trinkwasserbrunnen in Bangladesh entgiften kann", sagt Jamal, der Entwicklungshelfer. Im neuen Jahr fliegt er wieder für einige Monate in seine Heimat, um dort Arsen aus dem Wasser zu filtern. Einen Teil des dringend notwendigen Geldes erbrutzelt sich der Pumpen-Experte in Mitte. Die vielen hungrigen Gäste schlucken das Konzept. "Anfangs wollten wir nur für uns und für das Haus kochen, aber dann kamen immer mehr Leute. Inzwischen haben wir 70 Prozent Stammkunden", erzählt Jamal. "Ich koche, wie ich es bei meiner Mutter gelernt habe: einfach." Die Hausbewohner helfen ihm dabei.

 Wie bei Muttern schmeckt's auch bei der Kiez-Cuisine im Thomas-Weißbecker-Haus am Montag. "Einer fährt morgens an die Ostsee und kommt am nächsten Tag mit Fisch zurück", erzählt Thimo, einer der acht Köche. Sein Leibgericht? "Fleisch und Sachen, die man nachher schön auf den Teller packen kann." Schön bürgerlich also. So wie heute, da steht Spießrollbraten mit Kartoffeln und Rotkohl auf dem Programm. Seit sieben Jahren schwingt Thimo die Messer - und sein Braten ist ein Gedicht. Wieder eine riesige Platte für sechs Mark, auf Wunsch werden auch halbe Portionen serviert. Treber, die im Haus untergekommen sind, bekommen ihre Ration Essen umsonst. "Auf Vorbestellung können auch 20 Mann hier essen." Im Thomas-Weißbecker-Haus hat der Koch nicht nur die Macht über die Töpfe, sondern auch über Musik und Fernsehprogramm. Für die wenigen Fahrradkuriere, die von der Arbeit, Rollbraten und Bier geschwächt sind, kommt die Stefan-Raab-Show gerade recht. Wie zu Hause.

Der Tagesspiegel
vom 4. Januar 2000