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Die Wahl am 10. Oktober in Friedrichshain: Politisches Porträt - Spitzenkandidaten - Zahlen, Hintergründe

Zwischen Szene-Kiez und Bauboom
 
 

Von Heike Dietrich

Die Gegensätze sind krass in Friedrichshain: Einerseits werden in dem Bezirk Bauvorhaben in Milliardenhöhe - z. B. Ring-Center, Karl-Marx-Allee, Ostbahnhof - umgesetzt. Andrerseits gilt er als Stützpunkt einer unkonventionellen und finanzschwachen Szene. Zwei Extreme, zwischen denen Alteingesessene zerrieben werden könnten. Und zwischen denen die Kommunalpolitik auszugleichen sucht - ein Drahtseilakt.

So geriet Bürgermeister Helios Mendiburu (SPD) 1997 in die Kritik, als er zu Gunsten privater Bauinvestoren eine Wagenburg hinter der East-Side-Gallery an die Revaler Straße verlegte. Ohne dies mit den Anwohnern abzusprechen und gegen den Beschluss des Senats, keine Rollheimer in der Innenstadt zuzulassen.

Die CDU, «Anwalt» der Anwohner, war empört. Ihren Missbilligungsantrag schmetterte jedoch die geballte BVV-Mehrheit von PDS, SPD, Demokratischer Linker Liste (DLL) und Bündnis Friedrichshain (BüF) ab. Sie lobten den Bürgermeister für sein Engagement. Dass sein Stellvertreter, Kulturstadtrat Dieter Hildebrandt (PDS), indes einen sehr niedrigen Pachtzins für die Wagenburgler ausmachte, ärgerte wiederum Mendiburu.

Mit dem Abriss des Hauses Rigaer Straße 27 setzte sich Baustadträtin Martina Albinus-Kloss (für PDS) 1996 in die Nesseln: Ohne Genehmigung wurde das Wohnhaus für den Rathaus-Anbau abgerissen. Zerstörung preisgünstigen Wohnraums, schäumten die Verordneten. Mit der Amtsführung der Baudezernentin setzt sich die BVV oft kritisch auseinander - allein die PDS hält sich zurück.

Die allerdings musste sich mit sich selbst beschäftigen: Die Partei, in der viele junge Alternative im Bezirk eine politische Heimat zu erkennen glaubten, verlor sieben Mitglieder ihrer BVV-Fraktion. Claudia Nawrot und Birgit Marohn gründeten 1997 als Gegenmodell die DLL. Abweichende Meinungen hätten in der SED-Nachfolgepartei keinen Platz, so das Urteil der Abtrünnigen. Doch auch die SPD verlor einen Querdenker: Eckehart Ehrenberg trat nach 28 Jahren Parteizugehörigkeit zur DLL über.

Feste politische «Lager» existieren in der BVV kaum, die Mehrheiten wechseln. Das bekommen dann die Stadträte zu spüren: Frau Albinus-Kloss musste die Umbenennung der Strausberger in Ernst-Zinna-Straße zurückziehen, Kulturstadtrat Hildebrandt kassierte Schelte, weil mit dem Bau der für September versprochenen Hauptbibliothek noch nicht einmal begonnen wurde. Ex-Jugendstadtrat Dr. Frank Wilde (CDU) wurde kritisiert, er habe das geplante Familienzentrum Höchste Straße gefährdet. Kurz darauf trat er zurück - aus persönlichen Gründen. Einzig Sozialstadtrat Lorenz Postler (SPD) blieb unauffällig, aber weitgehend unangefochten.

MOPO 10.9.99