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Fegen für mehr Feinkost

Gefährliche Orte LVI: Konzertierte Aktion in Friedrichshain - Einzelhändler, Stadtreinigung, Bezirk und Senat wollen die Warschauer Straße aufpolieren 
14. April 1999Jungle World

Als Wahl-Friedrichshainer schätzen wir das spezielle Lokalkolorit des im Berliner Sozialatlas letztplazierten Bezirks: Auf dem Weg zur S-Bahn weht der Wind einem Dreck um die Ohren, auf dem Rückweg im Halbdunkel begegnen uns kleisterverschmierte Plakatierer, und die enorme Hundekotdichte trainiert die BewohnerInnen auf Schritt und Tritt für den Fetisch des spätkapitalistischen Arbeitsmarkts: Flexibilität. Doch nach dem Willen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz (Sensut) soll das zumindest in der Warschauer Straße bald ein Ende haben.

Friedrichshain, der vom Bezirksamt vierteljährlich kostenlos an alle Haushalte verteilten Zeitschrift für Stadterneuerung, war jüngst die Ankündigung zu entnehmen, daß "das Terrain für normale Bürger zurückgewonnen" und deren Bedrohung durch "rücksichtslose Minderheiten wie rasende Radfahrer, Umweltverschmutzer und Hundebesitzer" gestoppt werden soll.

Seinen wahren Antagonisten scheint der Normalbürger in "rücksichtslosen Stadtbildverschmutzern" zu finden, denen nach Ansicht des zuständigen City-Managers massiv Einhalt geboten werden müsse - dasselbe gilt für die um sich greifenden "Schmutzecken". Ausgestattet mit der Lizenz zum Putzen stünden fortan Green- bzw. City-Cops in vorderster Front im "Kampf für mehr Sauberkeit", der in der zweitwichtigsten Einkaufsstraße des Bezirks nicht nur für weniger Hundekot sorgen, sondern den BewohnerInnen als "Bestandteil einer quartiersnahen Stadtentwicklung (...) soziale Perspektiven in einem lebenswerten Umfeld geben soll". Friedrichshain wird besenrein.

Allerdings sieht City-Manager Thomas Lenkitsch von der Beratungsgesellschaft für Stadterneuerung und Modernisierung (BSM) die "Übel" weniger im Dreck, sondern vielmehr in der zunehmenden Verödung des Einzelhandels. Während der Wohnraum im Zuge der Sanierungen für die bisherigen BewohnerInnen zunehmend unbezahlbar wird, sieht Lenkitsch die "Rettung des Viertels in kleinen, exklusiveren Läden, wie Feinkost und Antiquitäten, die in die großen Einkaufszentren nicht reinpassen". "Friedrichshain hat zu achtzig Prozent Kleinhaushalte", so Lenkitsch weiter, "also sehr viele Studenten, das bringt zu viel Unruhe" - und zu wenig Kaufkraft.

Die gewienerten Straßen sollen vor allem neue Geschäftsleute anziehen, und in deren Gefolge finanzkräftige Kundschaft, die auch die steigenden Mieten zahlen kann. Da erleichtert es, daß Lenkitsch bislang kaum mehr als die Gründung der "IG Warschauer Straße" erreicht hat, die bislang mit so phantasievollen Aktionen wie dem "größten Adventskalender Berlins" auf sich aufmerksam machte und die sich mit ihrer jährlich ausgerichteten "Festmeile" konsequent am Billig-Flair des Marktes im polnischen Slubice orientiert.

In Anlehnung an entsprechende Projekte in der Neuköllner Hermannstraße und der Müllerstraße im Wedding unterzeichneten die in der IG zusammengeschlossenen EinzelhändlerInnen kürzlich einen "Stadtvertrag" mit der Berliner Stadtreinigung (BSR), dem Bezirksamt und der Sensut. Bisheriges Ergebnis: Die BSR putzt "häufiger", und montags greift der Einzelhandel selbst zum Besen, denn Fenster und Fronten sind laut Vertrag regelmäßig zu reinigen. Alle Beteiligten sind zudem angehalten, sich gegenseitig an die Einhaltung der Vereinbarungen zu erinnern. "Leider ist das Sauberkeitsbewußtsein in Berlin nicht so groß", bedauert Lenkitsch. Offenbar trifft das zumindest auf den Einzelhandel zu.

Doch obwohl Lenkitsch fest daran glaubt, in Sachen Sauberkeit sei ein "pädagogischer Prozeß vonnöten", wird das in Neukölln und Wedding bereits erprobte City-Cop-Konzept in Friedrichshain vorerst noch auf sich warten lassen. Denn der Bezirk hat seine Finanzierungszusage für die entsprechenden ABM-Stellen wieder zurückgezogen. Und die Sensut hat mittlerweile gar den Vertrag mit Lenkitsch gekündigt, kurz nachdem sie im Rahmen eines Aufbau-Ost-Wettbewerbs noch ein sattes Preisgeld für das "Modellprojekt City-Management" eingesteckt hatte.

Möglicherweise werden die City-Cops nun über das kürzlich ausgeschriebene Quartiersmanagement des angrenzenden "Sanierungsgebiets Boxhagener Platz" finanziert. Doch während sich dort ein breites Bündnis gegen die Senatspläne formiert, tauchte in der Warschauer Straße bislang nur ein mit "Oskar aus der Mülltonne" unterschriebenes Flugblatt auf, das neben "Zero Tolerance für Green Cops" auch "Schmutz, Schande und Gesindel für die Warschauer" ankündigte.

Der Lust am Frühjahrsputz scheint das jedoch keinen Abbruch zu tun, steht doch die Kampagne "Saubere Warschauer Straße" in der Nachfolge der Sensut-Aktion "Berlin - Es ist Eure Stadt". Eine Art Fortführung des Diskurses um die Innere Sicherheit mit anderen Symbolen, die sich der Logik des Berliner CDU-Fraktionschefs Klaus Rüdiger Landowsky bedient, der schon vor Jahren "Dreck", "Ratten" und "Gesindel" direkt miteinander verknüpfte.

Daß man die Bestrebungen um eine saubere Hauptstadt mit noch älteren Konzepten von "Sozialhygiene" vergleichen kann, zeigt auch ein Blick nach Düsseldorf, der Stadt, in der das Konzept der öffentlichen Anprangerung von "Stadtbildverschmutzern" seine Premiere hatte. Mit einer Plakataktion wollte man dort "die Verursacher diskriminieren (...), die, die unseren Ärger durch Gedankenlosigkeit oder gar Böswilligkeit verursachen, werden personifiziert", so die Düsseldorfer Oberbürgermeisterin Marlies Smeets. Ein Sprecher der Vereinigung von Gewerbetreibenden, die die Aktion initiiert hatte, wird da schon deutlicher: "Obdachlose sind ebenso wie Grafitti und Taubenkot kein Anblick, der zur Steigerung der Attraktivität und Kaufkraft beiträgt."

Im Gegensatz zu den Düsseldorfer KollegInnen, die gleich noch ein Großreinemachen anberaumten, bei dem jede Stadtrats-Partei ein Objekt ihrer Wahl schrubbte, hält man sich in Berlin an arbeitsteilige Modelle: Als Stadtentwicklungssenator und SPD-Landes-Chef Peter Strieder Anfang März die Aktion "Saubere Warschauer Straße" eröffnete, appellierte er zwar an das Verantwortungsgefühl der BürgerInnen, schob aber angesichts des angebotenen Besens schnell die Hände in die Taschen: "Dafür werde ich nicht bezahlt - das macht die BSR."

Die wirbt derweil mit zwei frisch gemangelten Saubermännern und nährt die Hoffnungen der Sensut auf eine saubere Stadt. Die orange bekittelten "Ordnungshüter" halten den Besen bei Fuß und verkünden von allen Plakatsäulen: "Wir bringen das in Ordnung!" Auf den ersten Blick ergänzen sich hier zwar großstädtischer Reinlichkeitsdrang und Imagepolitur der Stadtreiniger, aber bei genauerer Betrachtung der betriebswirschaftlichen Zusammenhänge erschließt sich, daß die BSR doch von nichts anderem lebt als dem Dreck.

So rückt der stadtpolitische Diskurs um Ordnung und Sauberkeit stetig nach rechts und gleichzeitig bleibt die Geschäftsgrundlage der landeseigenen BSR dank halbherziger Umsetzung der angedrohten Maßnahmen erhalten. Denn der Song, mit dem der Sesamstraßen-Star Oskar einst berühmt wurde, könnte ebensogut zum Slogan der nächsten BSR-Werbekampagne werden: "Ich mag Müll."

     Julia Mahnkopf / Oliver Geden