[Quelle: Antifaschistische Zeitung - April 2000]

Widerstand gegen Nazi-Aufmarsch!

Am 1. Mai wollen die Nazis in Berlin-Hellersdorf aufmarschieren - über ein Verbot des Nazi-Aufmarsches wird bei Polizei und Innensenat derzeit nicht nachgedacht. Die geplanten 11 antifaschistischen Gegenkundgebungen sind von der Polizei verboten. Die PDS will dagegen vor dem Verwaltungsgericht klagen.
Die NPD/JN hat für den 1. Mai 2000 im gesamten Bundesgebiet 30-40 Kundgebungen und Aufmärsche angemeldet. Hintergrund dafür ist wohl ihr letztjähriges Desaster in Bremen. Dort wurde der bundesweite Aufmarsch in letzter Minute verboten und die NPD/JN-Führungsspitze in ihrer Bremer Zentrale von der Polizei festgesetzt. Ausserdem waren durch eine breite Mobilisierung Antifas und andere Linke sowie viele Bremer BürgerInnen relativ gut vorbereitet, um den Nazis einen schlechten Tag zu bereiten.
In Berlin schwebt die NPD/JN zur Zeit im siebten Himmel, wegen ihrer, trotz "Verbotshickhack", erfolgreich durchgeführten Aufmärsche vom 29. Januar und 12. März. Das bewog den Berliner NPD-Führer Andreas Storr dann auch dazu, umgehend einen Nazi-Aufmarsch für den 1. Mai in Berlin-Hellersdorf anzumelden. Trotz der anderen bundesweiten Anmeldungen spricht vieles dafür, dass die Berliner NPD/JN den Aufmarsch in Hellersdorf durchführen wird: Zum einen haben sie mit der Verlegung ihrer Bundeszentrale nach Berlin-Köpenick die politische Eroberung der Hauptstadt angekündigt. Was liegt da näher, als jeden Anlass zu nutzen, um sich mit Veranstaltungen wie Kundgebungen und Aufmärschen öffentlich zu präsentieren.

Zum anderen ist der Bezirk Hellersdorf in Berlin eine NPD-Hochburg. Bei den letzten Wahlen hat sich das im Ergebnis ziemlich deutlich widergespiegelt. Zudem wird das Strassenbild von rechten, deutschen Jugendlichen geprägt, die in ihrer Freizeit gezielt Angriffe auf Nichtdeutsche, linke Jugendliche, auf alle, die nicht in ihr dumpfdeutsches eingeschränktes Weltbild passen, planen und ausführen. Ihre potentiellen Opfer müssen sich schon lange überlegen, in welchen Jugendklub sie noch gehen können, wie sie sicher nach Hause kommen, was sie sich anziehen sollen und wann sie den Mund halten müssen. Die "Jungen Nationaldemokraten" (JN) beackern diesen Bezirk denn auch verstärkt, um diese unorganisierten "Faschokids" enger an sich zu binden. Sie werden von JNlern regelmässig mit Propagandamaterial versorgt, in dem ihnen Argumente für ihre Handlungen geliefert werden. 

Zur Situation in Hellersdorf 

"Linksextremismus! Politischer Klassenkampf - oder sinnlose Gewalt? Stoppt die Saat der radikalen Linken! Für ein freiheitlich-nationales Deutschland". Diese Zeilen waren vor einigen Monaten auf Plakaten der "Kameradschaft Germania" an fast jeder Schule in Hellersdorf zu lesen. Hiermit zeigt sich wieder einmal deutlich, dass sich die Randbezirke Berlins in den letzten Jahren zu Hochburgen für rechte Parteien, neofaschistisches Gedankengut und organisierte Stiefelfaschos entwickelt haben. Es grenzt an Ironie, dass obwohl immerhin 40% der Hellersdorfer Bevölkerung PDS wählt, das Strassenbild vorwiegend von eingeschränkter brauner Kultur geprägt ist. Sowohl alternative Jugendliche, als auch AusländerInnen, aber auch "normale" BürgerInnen fühlen sich hier schon lange nicht mehr sicher, und das aus gutem Grunde. Die NPD und ihre Jugendorganisation JN gewinnen immer mehr Sympathisanten. Sie stellen eine Gefahr für linke Jugendklubs ("Das Haus"), AntifaschistInnen und linke Projekte dar. Z.B. wurde das von der Frieko Hellersdorf angelegte Peace-Zeichen im Rohrbruchpark inzwischen zehnmal mutwillig zerstört oder zu einem Eisernen Kreuz umgebaut.

Aufgrund der Aggressionen und der steigenden Gewalt "gegenüber allem, was nicht rechts ist", gründete sich im November letzten Jahres das "Bündnis gegen Rechts Hellersdorf/Marzahn". Das Ziel des Bündnisses war und ist es, mit fantasievollen Aktionen sowohl dem Naziterror ein Ende zu machen, als auch ein Zeichen für "Toleranz, Antifaschismus und Völkerverständigung" zu setzen. Am 29.1.2000 veranstaltete das Bündnis mit ca. 100 Linken eine Kundgebung vor der Alice-Salomon-Fachhochschule in Helle Mitte (Haupttreffpunkt der Jung-Nazis). Die für diesen Tag geplante Demonstration für ein multikulturelles und antifaschistisches Hellersdorf/Marzahn wurde auf den 8. April verschoben. 

NPD/JN fühlt sich stark 

Kurz vor dem 1. Mai scheint sich abzuzeichnen, dass die NPD diesmal in drei oder vier Städten gleichzeitig Aufmärsche durchführen will. Im Gespräch sind hauptsächlich Wetzlar (als Redner sind angekündigt: der Nazianwalt Horst Mahler und der NPD-Chef Udo Voigt), Weimar und Berlin-Hellersdorf.

Die Berliner NPD/JN fühlt sich mittlerweile stark genug, auch ohne bundesweite Mobilisierung mehrere hundert organisierte Neonazis aus dem sogenannten "Nationalen Widerstand" auf die Strasse zu bringen. Zudem rechnen sie auch mit den unorganisierten Faschokids, die in zahlreichen Cliquen in Hellersdorf, Marzahn, Hohenschönhausen, Kaulsdorf, Mahlsdorf, aber auch in Treptow und Köpenick anzutreffen sind. Zudem gibt es in den genannten Stadtteilen auch noch "Freie Kameradschaften". Auch die äusserst gewalttätigen Nazi-Skins von "Blood & Honour" (einem internationalen Neonazi-Netzwerk) werden sich mit einem eigenen Block an dem NPD/JN-Aufmarsch beteiligen. Bis zum Dezember 1999 befand sich das Clubhaus von "Blood & Honour" in Hellersdorf, Anfang des Jahres zogen sie ins benachbarte Marzahn um. 

Aktionen gegen den Nazi-Aufmarsch 

Im Vorfeld zum 1. Mai ist nun in Hellersdorf einiges in Bewegung geraten, und das ist gut so. Neben dem BgR Hellersdorf/Marzahn hat sich auf Initiative des Bezirksbürgermeisters Uwe Klett (PDS) ein bürgerliches Bündnis zusammengefunden. Darin sind die Rathaus-Parteien von PDS, SPD, Grüne bis zur CDU vertreten, aber auch die Wohnungsbaugenossenschaft Hellersdorf (WoGeHe) und der grösste Investor im Bezirk, die MEGA-AG. Ferner wurde in diesem "Bündnis" auf eine Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei gesetzt, die dann auch erstmal mit am Tisch saß. Die Wohnungsbaugenossenschaft und die MEGA-AG wollten in Absprache mit der Polizei ein für den Alice-Salomon-Platz (direkt an der Naziroute) ab 11 Uhr geplantes Kulturfest auf 17 Uhr verschieben, um ein Aufeinandertreffen von Nazis mit ihren GegnerInnen zu verhindern. Das war der Mehrheit in dem Rathaus-Bündnis dann aber doch zuviel, denn es ist doch eher eine Farce, wenn Anti-Nazi-Protest erst läuft, wenn der Aufmarsch vorbei ist. Und somit haben sich WoGeHe und MEGA erstmal aus dem Bündnis verabschiedet, das den Willen bekundet hat, das Kulturfest ab 11 Uhr auf dem Alice-Salomon-Platz stattfinden zu lassen, um somit in Sichtweite zu den Nazis "ein Zeichen gegen rechte Demagogie und für ein friedliches multikulturelles Miteinander" zu setzen. Derzeit ist davon auszugehen, dass das Kulturfest wie geplant stattfinden wird. Die Vorbereitungen laufen jetzt auf Hochtouren. Es gibt Bemühungen, bekanntere KünstlerInnen und Musikgruppen dort auftreten zu lassen etc. Die PDS-Kreisverbände der umliegenden Bezirke, inklusive LIchtenberg, wollen ihre Mai-Feste absagen und sich komplett auf das Hellersdorfer Kulturfest orientieren. Die Antifaschistische Aktion Berlin plant eine Kurz-Demo ab 11 Uhr vom Cottbusser Platz nach "Helle Mitte".

Das "Berliner Bündnis gegen Rechts" und andere unabhängige Antifagruppen wollen an die Erfahrungen dezentraler Konzepte anknüpfen. Den Protest lautstark und sichtbar den Nazis genau da entgegenschleudern, wo sie marschieren und ihnen einen verdammt schlechten Tag bereiten. Am 12. März ist es durch massive Proteste zumindest gelungen, dass die Nazis nicht wie geplant durch den Bezirk Kreuzberg marschieren konnten. Auf ihrer verkürzten Route waren sie dann ständig von antifaschistischem Protest eingerahmt. Diesem Protest schlossen sich dann auch empörte BürgerInnen an, die nicht der engagierten Antifa zuzurechnen sind. In Köln konnten die Nazis am 22. Mai 1999 gerade mal hundert Meter marschieren, dann war Schluss - es wurde blockiert. Durch dezentrales Agieren wurde direkter Kontakt mit den Nazis hergestellt und sie wurden mit allem eingedeckt, was der Einkaufsbeutel hergab. Für die Nazis war dieser Tag in Köln regelrecht "versaut".

Elf Gegenkundgebungen, die von der PDS Hellersdorf auf der Naziroute angemeldet waren, sind von der Polizei verboten worden. Die PDS BErlin will dagegen den Klageweg vor dem Verwaltungsgericht beschreiten. Das Berliner BgR plant aber trotzdem ausserhalb des Kulturfestes in "Helle Mitte" wenigstens eine Kundgebung in der Nähe des NPD-Aufmarsches anzumelden. Näheres wird auf einer Info-Veranstaltung am 25. April um 19 Uhr in der Alice-Salomon-Fachhochschule (ASFH) bekannt werden. 

Stoppen wir gemeinsam Antisemiten, Rassisten und Faschisten - den Nazis einen schlechten Tag bereiten. 

Die "Antifaschistische Zeitung" wird von unabhängigen antifaschistischen Gruppen in Berlin herausgegeben.

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