Flugblatt zur Antifa-Aktion in Ostritz

Hallo, liebe Anwohnerinnen und Anwohner,

wie sie sich sicher denken können, sind wir heute nicht zufällig hier in Ostritz. Wir, das sind Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Anti-Grenze-Camps der Kampagne "Kein Mensch ist illegal" in Zittau.
Was aber ist nun der Grund für unser Kommen?
Unser Besuch gilt ganz speziell dem Hotel Neisseblick in der Bahnhofstrasse. Wiederholt fanden in diesem Hotel bundesweite Treffen von Rechtsextremisten statt.
Diese Treffen haben eine wichtige Funktion innerhalb der deutschen Naziszene, genauso wichtig ist die Aufklärung über deren Treiben. Bevor sich die Nazis Ostritz als Tagungsort aussuchten, trieben sie ihre Unwesen im niedersächsischen Hetendorf.

Die Vorgeschichte
Das "Heideheim" in Hetendorf bei Celle diente seit den 80er Jahren vielen rechtsextremistischen Organisationen als Schulungszentrum und Tagungsstätte. Mit den Verboten mehrerer dort ansässiger faschistischer Gruppen, genannt seien z.B die Wiking Jugend oder die Nationalistische Front (NF), ging die Bedeutung der
Hetendorfer Tagungswoche zurück. Sie behielt aber einen hohen Symbolwert für faschistische Gruppierungen aller Art. Auch die Hetendorfer Tagungswochen fanden weiterhin dort statt. Diese Veranstaltungen fanden seit 1991 jährlich auf dem Grundstück des 1984 gegründeten Vereins "Heide-Heim" e.V. unter Leitung des Neonazis und Rechtsanwaltes JÜRGEN RIEGER aus Hamburg statt. Im rechtsextremen Lager prominente Redner hielten dort Vorträge zu verschiedenen Themen. Einig sind sich Referenten und Zuhörer in ihrer rassistischen Grundeinstellung, bei der Leugnung von NS-Verbrechen, insbesondere der Ermordung der Juden während der nationalsozialistischen Herrschaft, sowie bei der Verherrlichung des Nationalsozialismus.
Trägerverein und Eigentümer des Schulungszentrums war der "Heide-Heim" e.V. mit Sitz in Hamburg. Am 12. Februar 1998 schliesslich wurden beide Vereine auf Druck von Antifas und Hetendorfer Bürgerinitiativen durch den Niedersächsischen Innenminister verboten.

Hetendorf heisst jetzt Ostritz
Der Nazi-Spuk hat damit leider kein Ende gefunden. Die Fortführung der Tagungswochen findet hier im Hotel Neisseblick in Ostritz statt. Im Juni 1998 fand die 1. Veranstaltung der Faschisten hier statt. Und auch in diesem Jahr waren RIEGER und seine ewiggestrigen Kameraden wieder im Neisseblick zugegen. Als Ausrichter der Veranstaltungen traten in beiden Fällen der wegen Volksverhetzung angeklagte Rechtsanwalt RIEGER und die von ihm geführten rechtsextremistischen Vereine auf. Diese haben so bezeichnende Namen wie "Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung" e. V. (GfbAEV), "Nordischer Ring" e. V. und "Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemässer Daseinsgestaltung" e.V. Die Veröffentlichung der 1962 unter dem Namen "Deutsche Gesellschaft für Erbgesundheitspflege" gegründeten "Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung" e. V. sind Dokumente für offenen Rassismus. Nach ihrem Verständnis begeht jeder Mann "biologischen Verrat", der eine Partnerin "fremder Rasse heiratet" und "Kinder anderer Rassen adoptiert und in unseren Lebensbereich bringt, so dass dadurch die Bastardisierung gefördert wird".
Die neugermanisch heidnische Artgemeinschaft vertritt ebenso wie die GfbAEV, unter Leitung von JÜRGEN RIEGER rassistische Thesen. In einer Flugschrift, für die Rieger verantwortlich zeichnet, wird das "Sittengesetz unserer Art" dargelegt. Er fordert unter anderem die Anerkennung des Führertums ("das Sittengesetz in uns bietet Gefolgschaft dem besseren Führer, mit Recht und Pflicht zu abweichendem Rat, nach bestem Wissen und Gewissen"). Der ebenfalls in der Veranstaltung hier in Ostritz beteiligte "Nordische Ring" e.V. propagiert in gleicher Weise rassistisches Gedankengut, er nennt es "Erhaltung und Pflege des nordischen Bluterbes". Das Ideal ist der "nordische Mensch", der auszusterben drohe. Um ihn vor diesem Schicksal zu bewahren, sei "Erbgesundheitspflege (Rassenhygiene, Eugenik)" nötig.
Die Kontinuität der Veranstaltung hier in Ostritz zu den Hetendorfer Tagungswochen manifestiert sich im übereinstimmenden Programmverlauf, in der Identität der veranstaltenden Vereine und der rechtsextremistischen Referenten, sowie dem Höhepunkt der ersten mitteldeutschen Vortragstage, der neuheidnischen Sonnenwendfeier in der Nacht zum 21. Juni.
Mit den von den beteiligten Organisationen als Erfolg gewerteten "Mitteldeutschen Vortragstagen" versucht RIEGER nach Schliessung des "Heideheims" die Hetendorfer Tagungswochen fortzusetzen. Die Bezeichnung der Gemeinschaftsveranstaltung ist dabei auch politisches Programm.

Revisionisten im Vormarsch
Die Wahl des Veranstaltungsortes fiel nicht zufällig auf Ostritz. Im Zuge der EU-Erweiterung nach dem Zusammenbruch des Ostblocks wittern gerade auch jene Morgenluft, die die Kriegsschuld Deutschlands und die damit verbundene Oder-Neisse-Grenze nie akzeptiert haben. Vor diesem Hintergrund muss der Versuch der Nazis gewertet werden, hier in der Grenzregion Fuss zu fassen. Auf ihrem Programm standen dann auch Besuche in den "verlorenen Gebieten", d.h. in Polen. Wie befremdlich das Auftauchen solch obskurer Gestalten wie RIEGER und anderer Germanen jenseits der Neisse auf unsere polnischen Nachbarn wirken mag, muss hier nicht weiter ausgeführt werden.

Leichtes Spiel für Rieger & Co
Der Landkreis Löbau-Zittau (Sachsen), auf dessen Gebiet die "Mitteldeutschen Vortragstage" ausgerichtet wurden, hatte die Durchführung der Veranstaltung in 1998 nach dem Versammlungsgesetz verboten und die sofortige Vollziehung dieses Verbotes angeordnet.Die Verbotsverfügung enthielt die Feststellung: "Nach gesicherten Erkenntnissen kann davon ausgegangen werden, dass die 'Mitteldeutschen Vortragstage' eine Fortsetzung der 'Hetendorfer Tagungswoche' darstellen, da Inhalte, Programme und auch zum grossen Teil die in der Programmübersicht enthaltenen Vortragenden dieselben wie in Hetendorf sind."
Da das Verwaltungsgericht Dresden die aufschiebende Wirkung des Widerspruches wiederherstellte, konnte Rechtsanwalt RIEGER die Veranstaltung wie geplant durchführen.In diesem Jahr wurde ein Verbot durch öffentliche Stellen gar nicht erst versucht. Die Teilnehmer, sowohl junge als auch alte Nazis verschiedener rechtsextremer Strömungen fühlen sich in Ostritz wohl und haben angekündigt, im nächsten Jahr wiederzukommen. Nennenswerten Widerstand der Anwohnerinnen und Anwohner hier in Ostritz hatten die Nazis nicht zu befürchten. Zu erwähnen ist weiterhin die Anwesenheit von NPD-Kadern aus der Region auf den Veranstaltungen.
Das alles spricht für eine schleichende Etablierung dieser Veranstaltung. Eine problemlose Abwicklung von Veranstaltungen der Nazi-Szene mit bundesweiter Bedeutung ist nicht an allen Orten in diesem Land möglich. Umso mehr reiben sich die Organisatoren die Hände, wenn sie auf Bedingungen wie hier in Ostritz treffen.
Was bleibt zu tun?
Wir fordern den Betreiber des Hotels auf, den rechten Mummenschanz für's nächste Jahr auszuladen. Andernfalls weisen wir vornehm darauf hin, dass wir im nächsten Jahr wieder hier sind. Heute tanzen wir nur auf dem Marktplatz, das nächste mal geht der Sturm der Entrüstung in Form einer Antifa-Polonaise durch alle Zimmer des Hotels.
Den Menschen hier vor Ort möchten wir noch einmal sagen, dass es möglich ist, sich gegen rechtsextreme Umtriebe zur Wehr zu setzen. Das Beispiel Hetendorf zeigt, dass es sich lohnt, wenn sich engagierte Bürgerinnen und Bürger zusammenschliessen und öffentlichen Druck aufbauen. Denn das können die Nazis am aller wenigsten leiden. Antifas aus Görlitz bieten hiermit schon mal Unterstützung an.
Es gibt verschiedenen Motive gegen Nazis vorzugehen: Unser Engagement gegen die braunen Gesellen entspringt unserem linken Selbstverständnis. Wir treten für eine Gesellschaft ein, in der sich Menschen ungeachtet von Hautfarbe, Herkunft oder Geschlecht frei bewegen können. Weder nationalstaatliche Grenzen und rassistische Diskriminierung, noch die Zwänge der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft sollen ihnen dabei im Wege stehen.

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