Beitrag zum Thema: Grenze-Wohlstand-Armut

Beg to Differ

Die Linke in Deutschland sollte sich nichts vormachen: 1997 wurden 68,2% des Bruttoinlandsprodukts als Löhne und Gehälter verteilt und 57,2% für den privaten Verbrauch verwendet. 34 Millionen Menschen waren 1997 in Deutschland erwerbstätig. Gäbe es keine Arbeitslosigkeit (die offizielle und inoffizielle) dann wären es über 40 Millionen Erwerbstätige. Lohn- und Gehaltsempfänger und Konsumenten haben gewiß einen Einfluß auf die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse insbesondere auf die Verteilung des erwirtschafteten Surplus.
Die deutsche Nation weist noch immer ein wesntliches Merkmal auf. Trotz der Globalisierung erfüllt sie ihren historischen Auftrag: soziale Kämpfe können noch immer vom Staat durch Klassenintegration (oder: Interessengruppenintegration) unter dem Banner der Nation gelöst werden. D. h. Deutschland ist noch in der Lage, abweichend von dem sich weltweit ausbreitenden einheitlichen durchschnittlichen Preis für die Arbeitskraft ein nationales Wertgesetz durchzusetzen. Dieser deutsche Lohn schwankt zwischen dem Bedürfnis eine verbesserte Wettbewerbsposition auf dem Weltmarkt zu erreichen (Weltmarktpenetration) und der Notwendigkeit soziale Konflikte zu entschärfen. Die Kontrolle über die Reproduktionskosten der Arbeitskraft ist neben der Kontrolle über natürliche Ressourcen, lokale Märkte, finanzielle Ströme und die aktuellste Technologie eins der Instrumente um das Programm der kapitalistischen Expansion fortzuführen. Der Nationalstaat tut was er kann, die Surplusempfänger danken es ihm. Auch durch ein Lächeln auf dem Gesicht der Linken, die morgens durch einen günstigen Orangensaft ihren Vitaminbedarf decken.

Nord Süd West Ost

An der Peripherie ist der Versuch es den großen Nationalstaaten nachzumachen gescheitert. Das Scheitern, und die dann folgenden Krisen, haben aber andere Ursachen als die aktuelle Bedrohung für das nationale Wertgesetz in den Zentren. Hier ist es das Vordringen transnationaler Konzerne, die sich weltweit verteilen und durch Produktionsexplosionen das nationale Wertgesetz ins Wanken bringen. Ebenso bedrohlich sind die ausländischen Arbeitskräfte, welche die Botschaft in die Zentren tragen, daß es einen anderen als den deutschen Lohnsatz geben könnte.

Die Peripheriestaaten sind, auch wenn ihre Außenbeziehungen nicht unmittelbar von den Zentralstaaten zum Zweck der autozentrierten Akkumulation geregelt werden, nicht in der Lage ihrerseits die Außenwirtschaft nach ihren Bedürfnissen zu formen oder zumindest zu verhindern von außen geformt zu werden. Sie können kein nationales Wertgesetz mehr durchsetzen. In den Zentren, also auch in Deutschland, bestimmen die sozialen Beziehungen und Auseinandersetzungen über die Frage was und wieviel für wen wie wo und wann produziert werden soll die Dynamik der kapitalistischen Expansion und wegen der schwachen Peripheriestaaten auch die wirtschaftliche Entwicklung in eben diesen Grenzstaaten inklusive der Verteilung des dort produzierten Surplus.
Die sozialen Kämpfe in den Peripherien können nur noch in den Zentren entschieden werden, und sie werden dort auch gelöst, mittels Politik oder Krieg. Deutschland hätte auch täglich 50 Millionen Greenbacks über dem Kosovo abwerfen können, wenn dies nicht dem deutschen Wertgesetz geschadet hätte.

Nach der Diskussion ist vor der Diskussion

Die größte Bedrohung für das deutsche Wertgesetz sind neben den transnationalen Konzernen die ausländischen Arbeitskräfte, die aus verständlichen, ökonomischen Gründen in die Zentren kommen. Auch wenn sich manches kinderlose Ehepaar wünschen sollte, irgendjemand möge in Zukunft für ihre jetzt gebildeten Vermögenswerte schuften, und seien es Kanacken, den deutschen Lohn- und Gehaltsempfängern ist dies gar nicht egal. Kohls in Erinnerung bleibender Satz war, daß der Erfolg der europäischen Einigung eine Frage über Krieg und Frieden in Europa sei. Schröder hat es noch nicht ausgesprochen, aber seine Politik läuft darauf hinaus: Das Bündnis für Arbeit wird zur Entscheidung über Krieg und Frieden in Europa. Zu hoffen ist, dass die Transnationalen das deutsche Wertgesetz endlich brechen.



(Literatur: Samir Amin, "nationalism" in: The New Palgrave Dictionary of Economics, London 1998)

A. Carrillo (Ökologische Linke, Ffm) 12. 8. 1999

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