Theaterstück zum Eröffnungsplenum des Grenzcamps "kein mensch ist illegal" in Lückendorf am 8.8.1999

SZENARIO:


Eröffnungsveranstaltung. Eine Podiumsdiskussion soll durchgeführt werden. Das Ziel ist es die beteiligten Schauspielerinnen eine verwirrende Reise zwischen privat und politisch, Grenze und Nichtgrenze, Politik, Nicht-Politik, Praxis und Theorie antreten zulassen. Das Ziel ist es, daß die einzelnen Spielerinnen alles das aussprechen sollen, was sonst öffentlich nicht gesagt werden soll oder darf, weil sonst das ganze Bündnis auseinanderfliegt. Die Leute sollen sich nach und nach von einem Gespräch in einen Streit verwickeln bis nach und nach alles auseinander geht. Es treten auf: Zunächst vier Personen, die von zwei weiteren kurz unterbrochen werden.


PERSONAE:


Moderator Bodo. (Trägt ein Basecap) Der organisiert dieses Camp und will die Sachen vernünftig und repräsentativ zusammen halten. Motto: "es war verdammt schwierig, das hier alles zu organisieren"

Autonomer Harry. (trägt Kapuze und Sonnenbrille) Der ist noch aus den 80er Jahren übrig und auch theoretisch dort stehen geblieben. Ist aber in der Praxis nach wie vor konfrontationsbereit. Motto: "Feuer und Flamme, mehr kann ich dazu hier nicht sagen, ihr wißt schon"

Antira Klara Ist eine gute und stets hilfsbereite humanitär engagierte Person. Sieht das Leid und hat Probleme mit "komplizierter Politik". Motto: "Ja und, was soll denn daran schlecht sein"

Postmoderne Intellektuelle Elisabeth., will euch in der Kampagne unterstützen und vor der Macht durch Analyse schützenì. Motto: "Vorsicht, die Macht lauert überall!"

Migrant Cengiz (Trainingsjacke) Vertreter der MigrantInnengruppen. Motto: "Ich bin hier der Alibi-Ausländer für die deutschen Antiras"

Feministin. Hat kein Interesse an einer gemischten Perspektive. Will klare Grenzen ziehen, um von dort aus die Konfrontation gegen den BGS und andere Männer voranzutreiben. Motto: Mackern ziehen wir klare Grenzen

Zwischenrufer macht bissige, zuweilen zynische Kommentare



Moderator (kommt auf die Bühne): Ja Hallo Leute. Es geht gleich los hier mit der Diskussionsveranstaltung. Also das letzte Camp war ja organisatorisch ein voller Erfolg, so viele Aktionen gegen die Grenze und den BGS, und dann mit den ganzen Fun-Aktionen und dem Rave zu Beginn, und dann gabs ja zwischendurch noch diesen Unfall mit den 7 toten Flüchtlingen aus, ja woher waren die nochmal, na und insgesamt wollen wir diesmal natürlich an die tolle Stimmung von letztem mal anknüpfen, aber eben auch inhaltlich, also inhaltlich hier an der Grenze was gegen die Flüchtlingspolitik machen. Und die Frage jetzt für das Podium wird sein - ach nee, erst nochmal besser was organisatorisches, sonst vergess ichs noch, also wir brauchen noch Leute für die Kinderbetreuung und für die Essensausgabe, also überlegts euch mal. Wo war ich? ach ja, also wir diskutieren jetzt über Kein Mensch ist illegal, das Motto unserer Kampagne, was heißt das eigentlich für jede und jeden von uns, also halt den Leuten, die wir fürs Podium eingeladen haben

Zwischenruf: ja, wo sind denn die Leute, oder redest du auch für die weiter?

Moderator: Nee, also wir haben uns echt um Vollständigkeit bemüht, aber leider haben wir eine Absage von dem, der hier als Vertreter von Westdeutschland auftreten sollte, und auch für die Kontakte zu den Leuten aus den Herkunftsländern, also den verschiedensten, wars leider wieder mal zu spät, es gab so viel zu tun... Dafür kommen jetzt gleich jemand aus dem "autonomen Spektrum", das ist der Harry jemand aus dem Antira-Bereich, das ist die Klara von den MigrantInnengruppen, der Cengiz und eine Theoretikerin, die Elisabeth die die Arbeit mit tollen Analysen unterstützt hat. (Guckt sich um) Soweit ich sehe, ist der Vertreter vom autonomen Spektrums noch nicht da. Wenn er kommt soll er sich hier melden. Wir haben auch versucht eine Frau aus der feministischen Bewegung einzuladen, aber das hat nicht geklappt ...

Zwischenruf von der Feministin aus dem Publikum: Was heißt das, "hat nicht geklappt"!

Moderator: Es gab da einen Streit um angeblich fortwährende Grenzüberschreitungen, also das ließ sich in der Vorbereitung nicht klären, vielleicht könnte man das später nochmal im kleinen Kreis besprechen, für die, die das interessiert. So. Ich darf kurz die Leute bitten jetzt für die Diskussion hierher zu kommen. Stellt euch doch bitte einmal kurz vor.

Antira Klara: Ich heiße Klara und arbeite seit 8 Jahren in der Flüchtlingsunterstützung. Wir machen da so verschiedene Sachen. Angefangen von der Rechtsberatung, Gang mit auf die Ämter und versuchen für die Flüchtlinge das Nötige zu organisieren. Letztens als die Behörden Borungo Swinga nach Togo abschieben wollten, haben wir eine Kampagne, also mit Protestfaxen und so gemacht, um diese Abschiebung zu verhindern. Als sie Borungo abschieben wollten hat er sich total gewehrt, so daß sich der Flugkapitän geweigert hat, ihn mitzunehmen. Er sitzt jetzt im Abschiebeknast und wir fordern seine bedingungslose Freilassung. Also für mich wird das immer ganz konkret in solchen Fällen, wenn ich mitmache bei Kein Mensch ist illegal!

PI Elisabeth: Mein Name ist Elisabeth und ich arbeite zu Themen, die für die Kampagne von Bedeutung sind. Einige meiner Veröffentlichungen sind in direktem Zusammenhang mit der Kampagne entstanden. Dabei geht es mir vor allem um die Klärung der Komplexität multikultureller Segmentations- und Migrationsbewegungen in der Globalisierungsfalle. Das interessiert natürlich auch die Gegenseite. Das ist der Widerspruch aller subversiven Theoriearbeit, die sich nicht avantgardistisch versteht und revoltierenden Bewegungen öffentliche Reflexion liefert. Meine Ergebnisse stehen definitiv euch und der Kampagne zur Verfügung. Für mich stellt die Forderung "kein Mensch ist illegal" sowohl eine Paradoxie als auch eine Provokation dar. Es gehört zu den Antinomien des Politischen ...

Autonomer Harry (kommt aus dem Publikum auf die Bühne): Hey, du, also Theorie ist ja echt wichtig, keine Frage, aber wir wollen hier im Grenzgebiet doch auch auf die normalen Leute zugehen, und das gerade, also Anti und dann irgendwas, versteh ja ich noch nicht mal. Machs nochmal, Elisabeth, aber nicht so anstrengend...

Zwischenrufer: Dann geh' doch an den Tresen, wenn du dich nicht anstrengen willst ...

Moderator Bodo: Ey, also um das erst mal klarzustellen: auf diesem Camp gibt es während der Diskussionen keinen Alk. Und ihr auf dem Podium, macht euch bitte nicht an, es war verdammt schwierig, das hier alles zu organisieren, und tut mir also den Gefallen, und geht immer erst auf das bei anderen ein, was euch gefällt, dann ergibt sich am Ende der Konsenes ganz von selbst. Das gilt übrigens auch für euch aus dem Publikum nachher! Ich finde wir sollten uns hier ein wenig konzentrieren und die Referenten erst mal aussprechen lassen. Elisabeth, kannst du vielleicht mal kurz erklären, was du darunter verstehst "Antinomien des Politischen", hab` ich nämlich auch noch nie gehört.

PI Elisabeth: Ja Danke. Unter Antinomien des Politischen kann man den Widerspruch einer gesellschaftlichen Tatsache in sich verstehen. Und das liegt ja wohl hier vor: Von "illegalen Menschen" zu sprechen, da kreuzen sich doch zwei diskursive Ordnungen, denn ein Mensch ist ein Mensch, ist einfach und damit erstmal weder legal noch illegal. Das ist eine echte Antinomie, aber die Sprache des Politischen ist ja dermaßen entleert, von den Politikleuten hört ja keiner mehr den Widerspruch. Es ist kein Wunder, daß es ein Dichter gewesen ist, Elie Wiesel, der den Satz geschrieben hat, der zur Parole der Kampagne wurde ...

Antira Klara: Ja und? Was soll denn daran schlecht sein? Ich finde Dichtung erstmal nichts schlechtes, und wenn die dazu nützt, ganz konkret Flüchtlingen zu helfen, dann ist das hundertmal besser, so stringente Dichtung, als wenn man ein beschissene Politik macht und Leute zu Illegalen abstempelt ...

PI Elisabeth: Ja, aber um nochmal auf meinen Begriff zu kommen, der nächste Widerspruch, der diese ganze Antinomie gleichsam doppelt, ist ja, daß ausgerechnet die staatskritischen Linken sich mit dem Motto auf das Prinzip von Legalität positiv beziehen, während der Staat gegenüber Flüchtlingen nach dem Motto verfährt legal, illegal, scheißegal, welches bekanntermaßen früher doch von den ...

Autonomer (ruft laut): Legal, illegal, scheißegal? Das hat doch nichts mit'm Staat zu tun, das war doch immer mein Stichwort!

Moderator Bodo: Ah, endlich aber auch für dich gilt: Kannst du dich bitte kurz vorstellen?

Autonomer: Ich bin der Genosse Harry. Ich spreche hier für eine Gruppe, die in autonomen Strukturen organisiert ist, Feuer und Flamme, mehr kann ich dazu hier nicht sagen, ihr wißt schon. Also wir beteiligen uns an der Kampagne "Kein Mensch ist illegal", weil wir damit eine klare Politik verfolgen. (Spricht im Stakkato) Wir kämpfen nicht pauschal für Flüchtlinge, sondern gegen ein System der kapitalistisch-imperialistischen Ausbeutung. Und das geht nach wie vor von den Metropolen aus. Und wir leben ja nicht in den Herkunftsländern, sondern nunmal hier, im Herzen der Bestie, darin liegt unsere Verantwortung gegenüber den Ausgebeuteten der Welt, obwohl also hier gibts natürlich auch verschärft Ausgebeutete, mehr kann ich dazu hier nicht sagen, ihr wißt schon . Es geht den Schweinen um Machtkonzentration und Profitmaximierung. Beides bedient sich eiskalt auch der rassistischen Ausgrenzung. natürlich auch der sexistischen, deshalb finden wir es auch echt bedauerlich, daß es dieses Jahr als Auftakt zum gemischten nicht wieder ein FrauenLesben Camp gegeben hat. Wenn wir hier am Camp teilnehmen, dann geht es für uns nicht darum, sich hier als selbstlose Gutmenschen darzustellen. Wir lehnen die Gründung einer Autonomen Flüchtlings-Caritas ab. Für uns ist der Kampf gegen Grenzen kein abstrakter Selbstzweck, sondern ein Teil des ganz konkreten Kampfes gegen das herrschende System, gegen den Imperialismus in unserem Alltag, aus dem heraus sich die Rassismus verursachenden Strukturen entwickeln, gegen die wir politisch und deshalb organisiert vorgehen müssen und ...

Antira Klara: Bla bla bla bla. Kapitalismus, Imperialismus, Rassismus, Faschismus ...

Autonomer Harry: Das hab' ich alles gar nicht gesagt ...

Antira Klara: Ja genau, vielleicht hast du wirklich überhaupt nichts gesagt. Du wählst dir den Ausschnitt so verdammt groß. Je größer du den Gegner machst, um so stärker fühlst du dich wohl. na denn mal los, dann kämpf doch gegen die Bullen los mach mal...

Autonomer Harry: Wieso machst du mich denn jetzt so an. ich hab` dir doch gar nichts getan. Wenn du dich dafür entscheidest, Autonomen-Caritas zu machen, dann ist das für dich doch vielleicht völlig o.k. Ich wollte doch nur sagen, daß es mir einfach nicht reicht nur etwas gegen die Erscheinungen von Rassismus zu machen, ohne das ganze System umzuwerfen ...

Antira Klara: ja und dabei uns als "Gutmenschen" denunzieren und mir hier den Schwester Clara-Orden zu verleihen, tolle Politik. Werd doch lieber Priester, die haben so ein ähnliches Verhältnis zu ihren Schäfchen wie du zu deinen Genossen

Migrant Cengiz: Vor lauter Streiten vergessen die Deutschen Antiras mal wieder zum hundertsten Mal uns zu Wort kommen zulassen. Das werd` ich mir aber jetzt nehmen: Hallo ich bin der Cengiz. Und für euch Deutsche soll ich hier jetzt die Rolle des Alibiausländers spielen. Jetzt guckt ihr, was? Ihr kriegt ja sowieso das Maul nicht auf, wenn wir uns mit unseren Forderungen zu Wort melden; eure Kinder sollen wir sein, ja, die sich von euch beschützen lassen sollen. Vielen Dank an euch, ihr seid einfach immer sehr großzügig ...

Zwischenrufer: Was ist denn schlecht an Großzügigkeit?

Migrant Cengiz: Nichts ist schlecht daran, wenn eure Toleranz nicht immer so penetrant gutmütig wie verlogen wäre. "Den Mut von Flüchtlingen bewundern", was, aber selber den Arsch in der warmen Stube haben. Nee, für mich bedeutet Kein Mensch ist illegal erst mal, daß ich mich hier von niemanden anlabern lasse und mich keiner zu "beschützten braucht". Kein Mensch ist illegal heißt für mich: Du hast Respekt vor mir, klar ?

Moderator: Ich glaube wir fangen an, und daß das jetzt gerade von dir, Cengiz, ausgeht, ärgert mich richtig, hier gerade eine sehr unsachliche Debatte zu führen, die anfängt persönlich zu werden und ...

PI Elisabeth: Aber das ist erstmal gar nichts schlechtes daran, wenn die Leute anfangen "persönlich" zu werden. Die meisten sozialen Bewegungen, wenn ich das mal kurz erwähnen darf, haben so angefangen. Den Leuten scheint es doch hier endlich mal wieder um etwas zu gehen. Für mich ist das alles sehr spannend, wunderbares Material für eine Theoriebildung des Politischen.

Zwischenrufer: Was willst du hier eigentlich?

PI Elisabeth: Kann ja sein, daß Du Dich im Kopf nicht bewegen willst. Aber auch Du könntest hinterher zum Beispiel schlauer von hier weggehen als du gekommen bist!

Autonomer Harry: Genau (zeigt auf Elisabeth und auf sich): ihre Schlauheit und unsere Politik...!

PI Elisabeth zu allen: Nun, danke, aber es geht hier nicht um mich. Es geht um das, was mit Bewegungen wie dieser passieren kann, wenn sie bewußtlos bleiben ... Deshalb solltet Ihr Euch wirklich einmal anhören, was passieren kann: Die Analyse der sozialen Bewegungen zeigt zum Beispiel folgende Phasenbildung: In der zweiten Phase kommt es zur Machtentfaltung, mehr und mehr Leute kommen hinzu, nicht alle aus Betroffenheit, manche auch, einfach weil hier halt was los ist...

Autonomer Harry: Genau, also damals, wißt ihr, 80/81 war voll viel los, Freiraum und so, in den besetzten Häusern...

PI Elisabeth: Auf diese Phase beziehen sich auch die meisten Legenden und Mythen, doch dazu später. Als nächstes erfolgt nämlich erst die Konsolidierung, in dieser Phase kommt es zu den verschiedensten Grenzziehungen: manche dürfen noch dazugehören, manche schon nicht mehr, es bildet sich eine Identität.

Zwischenrufer: Buh, ich weiß schon, worauf das jetzt wieder rausläuft: Auf den backlash gegen die feministische Bewegung! Dabei haben die doch gar nicht angefangen mit der Identitätsgeschichte, die herrschenden Verhältnisse und darin die dominanten Männer haben doch die Grenzen gezogen und Frauen immer wieder an den Rand gedrängt!

Auftritt Feministin: Danke, Herr Zwischrufer, aber das mit der feministischen Bewegung kann vielleicht ich hier mal klarstellen: gegenüber bestimmten Typen haben wir die Grenzen gezogen und werden das auch weiterhin tun. Im Kampf mit patriarchalen Strukturen und konkreten Mackern wird das eine Form unserer Politik bleiben. Und theoretisch sind wir ja längst einen Schritt weiter: Die feministische Debatte ist schließlich der Hauptdiskurs, indem die Debatte über die Auflösung von Identitäten betrieben wird. Ich kann nur sagen: Lebt und lest Butler!
Cengiz (zu sich): komisch, früher hieß das bei uns noch: wenn du eine Festanstellung willst: werde Butler!

Moderator Bodo: Nochmal zu dir, ich stell dich jetzt mal vor, Sabine: Du sagst "klare Grenzen setzen", aber wir sind hier doch eigentlich auf einem Anti-Grenzen-Camp . ...

Feministin: Wenn ihr in eurem Aufruf schreibt: Grenzen sind dazu da überschritten zu werden" so werden Typen das auch als eine klare Aufforderung lesen, die Grenzen die ihnen Frauen setzen, zu überschreiten. Das werden wir uns nicht gefallen lassen. Zwar gilt: Kein Mensch ist illegal, aber es gilt nicht: Kein Mann ist unerwünscht

Autonomer Harry: Also ich finde das wichtig, was die Genossin da gerade gesagt hat ...

Feministin: Für dich bin ich keine Genossin!

Autonomer Harry: Nu warte doch mal ab: Für uns als Typen, die wir die Macker in uns haben, sind solche Zaunpfahl-Denkzettel ganz wichtig- und wenn wir uns mit den Bullen prügeln, dann fressen wir die Gewalt, da sind dann so ganz sadistische Sachen in uns drin, für uns stellt sich in den Auseinandersetzungen einfach die Frage, wie wir auf die andere Seite der Barrikade kommen: Zu den Frauen und Kindern. Das ist eine existentielle Sache von uns als Genossen mit also ganz klar mit emotionalen Defiziten, als Revolutionäre, die noch einen langen Weg vor sich haben ...

PI Elisabeth: Also in der Phase vier der Herausbildung der modernen Nationalstaaten, ach nee, der sozialen Bewegungen, wenn die Bewegung etabliert und konsolidiert ist, erfolgt zum einen, weil aktuell ja nicht mehr so viel los ist, die Legendenbildung bezüglich der Vergangenheit, und der Diskurs über die Zukunft wird zur allgemeinen Phraserei von den Mühen der Ebene, dem langen Weg, den die Revolution noch vor sich hat usw...

Antira Klara: Ich fühle mich hier echt von dir denunziert. Du unterstellst mir hier mit deiner abstrakten Analyse, ich würde mich hier genauso im weltweiten Getümmel von gangs und gangstern bewegen, nur um mir irgendwelche Mittel unter den Nagel zu reißen und dann möglichst meinen kleine Staat aufzubauen. Das hat mit unserer konkreten Politik nichts zu tun, ein Beispiel: Die medizinische Versorgung von illegalisierten Flüchtlingen ist einerseits unerläßlich geworden, andererseits frißt sie die Zeit und das Engagement von vielen engagierten Leuten auf, sie arbeiten und beraten bis zum Umfallen, für Politik bleibt nichts mehr...

Cengiz: Oh, ich wußte gar nicht, daß ich erst von euch gesundberaten werden muß, bevor euch politisch nichts mehr einfällt.

Antira Klara: Es geht hier doch nicht um dich, sondern um Illegale. Du bist doch bestimmt legal hier, Illegale sollten doch besser erst gar nicht hier auf das Camp kommen,

Cengiz: Na, wenn es nicht um mich geht, sondern um Illegale, andererseits aber kein Mensch illegal ist, geht es hier ja um nichts!

Moderator Bodo: Wenn ich hier nochmal gegen diese Polemik einschreiten kann: Wir alle hier wollen uns an diesem Platz gegen das Grenzregime engagieren. Wenn ich die Aufrufe, für die ich hier alles organisert habe, mit anderen zusammen natürlich, richtig verstanden habe, sind wir ein großes Bündnis unterschiedlichster Leute: Hacking the borderline heißt das Motto, bei dem hier Polit- und MedienaktivistInnen, Radio- und Video-Piraten, MusikerInnen, DJs, KünstlerInnen, antirassistische und antifaschistische Gruppen, Menschen aus allen Teilen Europas und vielleicht sogar aus dieser Gegend hier zusammen kommen.

Cengiz: Sisters and Brothers! Yeah!

Feministin: Sisters: No Fraternization!

Moderator: Doch, wir müssen zusammenkommen, We all come togehter, we share the taste, Borders, BGS, fuck off!.

PI Elisabeth: Also in der fünften Phase wendet sich die etablierte Führung der Bewegung mit einigen der altbekannten Parolen an die konkurrierenden Machtbündnisse, um Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. Man hat sich schließlich im jahrelangen Kampf zum Experten geschult und sieht jetzt Möglichkeiten, dies in langfristige Lebensperspektiven umzusetzen. Ein möglicher Verlauf wäre zum Beispiel, daß die Experten der medizinischen Betreuung von illegalen Flüchtlingen sich mit der Ausländerbeauftragten eines Bundeslandes treffen, die Spielräume ausloten und dann mittels ABM-Geldern, Projekten der Caritas und der Arbeiterwohlfahrt und als Sahnehäubchen auch noch einigen Forschungsprojekten, also da hab ich gerade auch meine Erfahrungen gemacht, versuchen, Gelder abzuzocken, natürlich nicht für sich, sondern zu Gunsten der besseren Versorgung der Flüchtlinge

Antira Klara zu Moderator: Woher weiß der das, dazu wollen wir doch nachher erst unsere AG ankündigen!

Autonomer Harry: Ja. ja, er hat doch ganz recht ! Wehr sich nicht gegen die Marktmechanismen wehrt, kommt darin um. Sonst wird alles immer ein riesiges Geschäft sein. Mit Rassismus werden Geschäfte gemacht, mit dem Antirassismus aber auch. Deshalb muß es doch hier nicht um Hacking the borderline sondern um eine Neubestimmung revolutionärer Politik gehen. Und das ist eine total praktische Sache, die zusammengehen muß mit konkreten Aktionen hier gegen bekennende Denunzianten, gegen Firmen, die am Grenzregime und der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen Profit machen, mit Angriffen auf BGS-Büttel und andere Schergen, die Parole "Grenzen auf für alle" muß praktisch umgesetzt werden, also "militant" darf ich ja hier öffentlich nicht sagen, aber ihr wißt schon was ich meine!

PI Elisabeth: Später, wenn das Finanzielle geregelt ist, ergibt sich dann überraschend, daß man schon immer mehr Ähnlichkeiten hatte, als man dachte. Überall tun sich Anschlußmöglichkeiten auf, die gleichzeitig Möglichkeiten sind, sich völlig zu integrieren, ein Platz im staatlich alimentierten Institutionengefüge ist nun sicher. So könnte der Vertreter des Bundes der Vertrieben davon erzählen, daß auch sie hier an der polnischen Grenze immer für die Grenzüberwindung eingetreten sind, der BGS erinnert daran, daß in der Zusammenarbeit mit den polnischen Grenzern die deutsch-polnische Grenze schon längst überwunden wurde, und zum Schirmherren der Stiftung Deutschlands Grenzen überwinden wird Ex.Außenminister Genscher gewählt wegen seiner Verdienste um die Grenzänderungen im ehemaligen Jugoslawien...

Antira Klara (guckt genervt, macht einfach weiter) Ich finde, du bist hier mittlerweile auf der falschen Veranstaltung. Nochmal zu Harry: ich hab' ja gar nichts dagegen, wenn andere Leute hier vom Camp den Bundesgrenzschutz angreifen wollen. Und was dann? Einmal im Jahr den Dicken machen, und dann wieder zurück in die großen Städte an die tollen alternativen Arbeitsplätze und die schönen Studienplätze. Unsere Aufgabe muß doch vor allem auch darin bestehen, hier an einem exemplarischen Ort Überzeugungsarbeit gegen den in der Bevölkerung verankerten Rassismus zu betreiben. der BGS schwimmt doch nur wie ein Fettauge in der ganzen teuflischen Suppe des Rassismus der Bevölkerung

Zwischenrufer: Willst wohl hier Bevölkerungsbekehrung machen, wa, ich stell mich schon mal an!

Antira Klara: ja klar, wenn ich die Chance dazu habe., mache ich das, welche Chance habe ich denn sonst ...

PI Elisabeth: ... politisch denken!

Autonomer Harry: ... praktisch kämpfen!

Moderator: vielfältig zusammenkommen!

Migrant Cengiz: ... sich Respekt verschaffen!

Feministin Sabine: sich auf die eigene Kraft verlassen!

Antira Klara: Aber der Weg muß auch schon das Ziel sein. Deshalb stehen die Menschen bei meiner Arbeit im Mittelpunkt. Und wenn ich für die Geld organisiere, ist das keine Geschäftemacherei, das ist eine Unterstellung.

Moderator: gegen die sich niemand verteidigen kann ...

Antira Klara:... und mit der man im Feuilleton mindestens soviel Geld verdienen kann, wie mit dem Rassismus ...

Migrant Cengiz (aggressiv): ... ja genau und auf die Plakate für die Soliparties gegen die Repression, da kommt dann die dicke schwarze Mama rauf, die so Musik im Blut hat, Da zieht ihr euch dann die exotischen Tänze aus der Karibik `rein. Und im Urlaub gehts in die Länder, wo so Ethno- Musik läuft, aber nur, wenn's auch ein bißchen mit Pop gemixt ist. Oder schön revolutionär verkitscht, weil der linke Deutsche hört Kitsch ja nur, wenn er die Texte nicht versteht . Ich würd euch Deutschen am liebsten den ganzen Tag den Marsch blasen.

Moderator: Das Stichwort nehm ich jetzt mal auf um die Diskussion wieder in geordnete Bahnen zu lenken: Vielleicht machen wir jetzt mal ne Runde, wo alle hier oben sagen, worum es ihnen eigentlich geht:

Migrant Cengiz: Für mich geht es nicht um die Geschlechterfrage, sondern allgemeiner um die Identitätsfrage ....Wir sind hier, um mit den Identitäten, die wir von euch bekamen, gegen die Identitäten zu kämpfen, die wir noch nicht haben.

Feministin Sabine: [Längere Ausführung, sinngemäß]: Kein Mensch ist illegal bedeutet vor allem, daß die Voraussetzungen für Flucht und Migration bekämpft werden müssen. Es ist ganz klar, daß wenn die Männer die Reproduktionsarbeit übernehmen und sich um die Kinder kümmern, dann gibt es keine Kriege mehr usw. usw. ...

Migrant Cengiz: Hab ich jetzt schon wieder irgendwelche Grenzen überschritten? Manchmal benimmst du dich ja grenzschutzmäßig wie der BGS!

Feministin Sabine: Diese Diskussion tu ich mir nicht an. Die ist mir einfach zu blöd und verlogen. Entweder stellen sich die Typen nicht, wenn man sie ankachelt, dann fangen sie entweder damit an, sich selbst zu bekleckern, oder versuchen sie einem auch noch nach dem Mund zu sabbeln. Das ist ja ekelhaft. Ich werd' mich jedenfalls nicht mehr an diesen Typen abarbeiten. Wir können hier in diesem Camp maximal ein Bündnis machen, aber nicht mehr: Auch wir unterschreiben "Kein Mensch ist illegal". Und lassen uns dabei nicht von ewiggestrigen stören.

Cengiz: Wenn ich jetzt hier die Identität eines Unerwünschten bekommen sollte, kann ich nur antworten: Kein Störer ist illegal!

Moderator: Aber nicht doch, du bist doch nicht unerwünscht, aber nicht doch...

Autonomer Harry: Das mit dem Stören ist schon mal nicht schlecht, also auf der Basis ließe sich vielleicht das neue weltweite Bündnis zusammen erkämpfen: Kein Störer ist illegal, ja, das hat was, da ist Musik drin: Ob auf dem Sozialamt oder anderswo, wirf deine Identity ins Klo oder so

PI Elisabeth: Wir sind jetzt mitten drin in dem Identitätsaspekt und damit natürlich auch im Transgender bzw. Gender-Crossing. Eine komplexe Angelegenheit, die uns selber als historisch überformte Individuen transformiert. Einerseits eröffnen wir uns damit eine Chance, im Kontext sexualisierter Gewalt gesellschaftlich normierte formalrassistische Zwangsidentitäten abzustreifen. Das fordert viel von uns! Wir dürfen gleichsam nicht mehr objektiv oder fest werden wollen, keine Individuen sondern Dividuen, dann erst werden wir zu Zellen der Revolte, der Aufhebung fester Grenzen....Wenn das ganze hier aus meiner Sicht überhaupt `ne Perspektive haben soll, dann besteht die darin, aus der Widersinnigkeit und Irregularität der gesamten Anordnung, den Prozeß des begriffslosen Objektivismus umzukehren in die Emanzipation des zu emanzipierenden Subjektes, welches sich dazu in die Lage versetzt, sich dem Zynismus der Institutionenmilieus in Guerilla-Mentalität zu verweigern ... Also meine Rolle in diesem Prozeß ist jedenfalls ganz klar.

Antira Klara: Wenn ich das schon höre: Identitätsfrage? Die findest du spätestens dann, wenn du den Löffel abgegeben hast, in der Kiste liegst und die Mäuse dich zernagen. Auf so 'ne Freund-Feind- Auseinandersetzung hier auf dem Camp hab' ich nicht den geringsten Bock. Das kennen wir doch schon alles. Da haben alle am Schluß so für sich so recht, sind allein, und nicht mehr politisch handlungsfähig. Die Debatte "Pro oder contra Grenze" finde ich überflüssig. Die von diesem Staat gesetzten lehnen wir ab, und die anderen, die wir zwischen uns manchmal brauchen, handeln wir aus. Und die gegenüber der Normalobevölkerung müssen wir überwinden. Ich werd' mich hier anstrengen, daß das Camp nicht auseinanderfällt. Wenn es gut läuft, kann das für die nächste Zeit ein wichtiges politisches Symbol gegen den Rassismus und Abschiebungen werden.

Autonomer Harry: Aber Symbole reichen doch nicht, dann könnten wir ja einfach alles mit Schwarzroten Sternen zusprühen.

Moderator: Halt, bloß nicht, daß wurde von der Campleitung mit der Stadtverwaltung so nicht besprochen...

Autonomer: Das Camp soll dazu da sein, den rassistischen nationalen Konsens hier im Land zu bekämpfen. Unsere Perspektive ist die des freien Flutens. Und die Orientierung muß an den ausgebeuteten im Trikont erfolgen, dann aber hier in den Metropolen entschlossen umgesetzt werden. Für die Sao Paulosierung der Verhältnisse!

Zwischenrufer (singt laut): Lalalala (brasilianischer Sound) und ich warte schon auf die erste autonome Telenovela!

Autonomer Harry: Das ist doch Quatsch. Aber wenn wir es nicht lernen unsere eigenen Bequemlichkeiten und Sicherheit in Frage zu stellen, werden wir hier nie eine Umwälzung der kapitalistischen Verhältnisse hinbekommen. Und dieser ganze Reformismus von Einwanderungsquoten, Regulationen, Steuerung von Wanderungsströme dient doch nur dazu, es sich als dicke Katze auf einem Regierungssessel bequem zu machen. Na, den werden wir auch noch vom Sofa helfen. Kompromißloser Kampf gegen die deutschen Zustände. Für die weltweite soziale Revolution. Bleiberecht überall! Kein Mensch ist illegal! Kein Störer darf legal handeln!

Zwischenrufer: Auch Migranten wollen ihren Ledersessel! Nichts ist erstmal schlecht daran, wenn etwas bequem ist. Regierungssessel für alle!

Moderator Bodo: Jetzt fühl ich mich auf meinem Moderatorensessel ein wenig unwohl.... Und ratlos: Für den einen bedeutet "Kein Mensch ist illegal" die Vernetzung konkreter Menschen in einer Kampagne, wo das Motto ja fast egal zu sein scheint, die anderen wollen sich "Respekt verschaffen", für die andere ist ein politisches Symbol eines brüchigen Bündnisses, dann wieder eine bloß andere Parole für die weltweite Revolution. Die einen wollen Grenzen haben, aber selbstbestimmte, die anderen wollen Grenzen überwinden, aber auch selbstbestimmt. Die Bundeswehr macht mittlerweile in Albanien auch Anti-grenz-Camps, Flüchtlinge werden zu Vertriebenen und spielen die Identitästkarte gegen andere, die das Pech hatten, zum falschen Zeitpunkt aus den falschen Ländern zu fliehen. Und am Schluß weiß keiner, wo alles Enden soll. Also ich halt solche undefinierten Situationen immer nicht aus Wer soll denn bitte schön vor lauter Politik, Bier und Spaß denn nun das Camp organisieren, die Dixieklos saubermachen und dafür sorgen, daß Strom und Wasser da sind. Uff, allein schaff' ich das einfach nicht. Leute, wenn wir uns hier nicht alle an den Riemen reißen, geht das Camp in die Grütze, und wir stehen schon morgen früh ohne Wasser da.. Ihr lacht vielleicht, aber ich finde das echt nicht witzig wenn ich jetzt sage: Die Campgesetze sind voll legal. Unsortierter Müll ist illegal Keinem Hausmeister ist sowas scheißegal.

Zwischenrufer (stürmt auf die Bühne): Verdammt! Die Scheiß-Nazis stehen draußen vor dem Camp! Wir müssen etwas tun!

Moderator Bodo: Was ist los?! Auch du Scheiße! (schnappt sich das Mega) Leute jetzt keine Panik. Alle achten jetzt auf ihre Nebeneleute. Wir sammeln uns dort in der Mitte vom Zelt, nehmt euch uns zum Beispiel, Einigkeit macht stark: (Zeigt immer wieder auf die Mitte / Die anderen rufen laut durcheinander, rennen hin und her)

- Fin -

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