Montag, 9. August 99, auf dem Zittauer Marktplatz

Rede zur Einweihung des Denkmals für die unbekannten FluchthelferInnen

Liebe Anwesende und Interessierte!

Ich möchte Sie alle ganz herzlich, auch im Namen der Gesellschaft für freies Fluten (GfF), zu unserer heutigen Veranstaltung begrüßen. Auf dem Programm steht die Einweihung eines Denkmals zum Gedenken an die vielen Flüchtlinge und ihre HelfershelferInnen weltweit und hier an der deutschen Grenze. Die Aktion findet im Rahmen des antirassistischen Grenzcamps in Zittau 1999 statt.

Bevor wir aber zur Tat schreiten, lassen Sie mich ein paar persönliche Worte an Sie richten.

Haben Sie einem Flüchtling schon einmal konkret Hilfestellung geleistet? Ihm Kleingeld für ein Telefonat zur Verfügung gestellt? Oder ihn zum Wochenendtarif der Deutschen Bundesbahn an Ihrer Gruppenreise teilhaben lassen? Bestimmt, aber unwissentlich, da Sie sich in der Hektik und im Stress Ihres Alltags nicht von jedem den Personalausweis vorlegen lassen. Kompliment, doch aufgepaßt, das ist verboten. Falls Sie, liebe Anwesende oder Interessierte, hier im Grenzgebiet gar einen Imbiß oder einen Taxibetrieb betreiben, sind Sie auf dem besten Weg in Teufels Küche zu geraten.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle einen kleinen Gedankensprung. In weltanschaulichen Fragen greife ich immer gerne auf den Duden zurück. Den grünen, zu Redewendungen und sprichwörtlichen Redensarten der deutschen Sprache. Unter dem Stichwort "in Teufels Küche kommen" ist dort folgende Erklärung zu finden (Zitat): "Auch ein angesehener Wissenschaftler kann in Teufels Küche kommen, wenn er seine Aufenthaltsgenehmigung nicht ordnungsgemäß verlängern läßt." Sie sehen, der Duden beweist nüchterne Analysefähigkeit und besitzt einen scharfen Realitätssinn; und können Sie, liebe Anwesende und Interessierte, etwa eine angesehene wissenschaftliche Tätigkeit vorweisen?

Doch lassen Sie mich zurückkommen zu unserem Taxiunternehmer und Würstchenbuden-Besitzer. Die beiden müssen höllisch aufpassen, wem sie ihre Pommes verabreichen, oder wen sie in ihr Auto steigen lassen. Denn praktisch stehen sie damit schon mit einem Bein im Knast. Sie glauben ja garnicht, liebe Anwesende und Interessierte, wie schnell und wie nachhaltig Sie sich an der stabilen Wand unserer Zivilgesellschaft den Kopf einrennen können, dermaßen, daß er Ihnen nur so schwirrt. Sie schütteln mit dem Kopf, dann nehmen Sie doch wieder den Duden zur Hand. Schlagen auf, Seite 402, und sehen selbst nach, Stichwort "mir schwirrt der Kopf" (Zitat): "Ihr schwirrte der Kopf vor lauter Paragraphen und Bestimmungen." Dem Taxiunternehmer hier im Grenzgebiet geschah gleiches. Als Boß einer Schleuserbande tituliert, fand er sich im Gefängnis wieder. Aber ich frage Sie, liebe Anwesende und Interessierte, ist es nicht besser, sicherer und bequemer Flüchtlinge an ihr Fahrtziel zu befördern, als sie auf unseren lebensgefährlich gewordenen Straßen stehen zu lassen? Sie, liebe Anwesende und Interessierte, werden jetzt natürlich entsetzt fragen: Wie konnte dies mit dem Taxifahrer nur passieren? Und auch wir von der Gesellschaft für freies Fluten haben nach einer sachlichen Antwort gesucht.

Immer war und ist eine erhebliche Anzahl von Menschen mobil. Und dies nicht aus Gründen des Fernwehs oder zum Zwecke der Erholung, aus Abenteuerlust oder gar Horizonterweiterung, wie Sie, liebe Anwesende und Interessierte, annehmen könnten. Nein, diese Menschen befinden sich auf der Flucht, zwangsmobilisiert, bedroht von Armut, Ausbeutung, Verfolgung und Krieg. Aber immer hat es auch andere Menschen gegeben, manchmal nur sehr wenige, die den Flüchtlingen in ihrem berechtigten Anliegen behilflich waren. Das ist gut so und soll auch so bleiben.

Natürlich würden wir von der Gesellschaft für freies Fluten lieber heute als morgen die Ursachen beseitigen, die so viele Menschen in Zuzugszwang bringt. Doch bleiben wir realistisch und sprechen derweil den vielen unbekannten FluchthelferInnen unseren Dank aus. Garnicht zufrieden sind wir hingegen mit dem deutschen Grenzregime. Auf der einen Seite wird eine Politik betrieben, die einen Zuwachs von Mobilität geradezu zwingend vorsieht, zum Beispiel durch Waffenlieferungen an die Türkei. Gleichzeitig wird die eigene Grenze hermetisch abgeriegelt. Wir meinen: Wer A sagt, muß auch B sagen. Im grünen Buch ist dazu vermerkt (Zitat): "Jetzt können Sie keinen Rückzieher mehr machen." Stattdessen werden unvermindert weiter Waffen geliefert, KurdInnen abgeschoben und die Grenzbefestigungsanlagen weiter ausgebaut. Es kann aber doch nicht sein, liebe Anwesnende und Interessierte, daß das deutsche Kapital in aller Welt investiert und fusioniert, während wir in unserem heimischen Mief unter uns bleiben müssen. Der Duden, den ich auch in Fragen zur Befindlichkeit gerne zu Rate ziehe, schreibt zum Mief hierzulande (Zitat): "Wir lassen trotz der schlechten Luft im Zimmer das Fenster lieber geschlossen."

Ja, liebe Anwesende und Interessierte, "die Welt gerät aus den Fugen". Das dachte vor fast 60 Jahren die Antifaschistin Lisa Fittko, als sie prominente wie unbekannte Verfolgte des Naziregimes über die Pyrenäen ins Exil geleitete. Und die Welt gerät weiter, permanent auf unterschiedliche Art und Weise, aus den Fugen. Das globale Monopoly unter der Spielanweisung der G7 sieht vor, daß jeden Tag 20.000 Hungertote zu erbringen sind. Die Ereigniskarte für immer mehr Menschen lautet: nächste Runde aussetzen! Solche Spielregeln trüben natürlich die Spiellaune vieler TeilnehmerInnen und führen dazu, mal höflich beim Spielleiter vorbeizuschauen und anzuklopfen. Spiel des Jahres 1999 wurde KOSOVO. Strategie und Ziel ist es, die aufgestellten Spielregeln möglichst umfassend zu mißachten. Also Schummeln, Mogeln, Lügen, daß sich der Balkan biegt.

Ich merke, liebe Anwesende und Interessierte, Sie riechen den Festtagsbraten schon. Das Fluchthilfehandwerk hat goldenen Boden. Sie denken jetzt wahrscheinlich, was erzählt der da, nichts wie ab zur Grenze, selbst wenn ich Blut und Wasser schwitzen sollte. Doch Vorsicht, hiervor warnt der Duden ausdrücklich (Zitat): "Sie schwitzte Blut und Wasser, als die Polizei das Fahrzeug kontrollierte. Die beiden Mitreisenden versuchten den Zollbeamten in ein Gespräch zu verwickeln, aber der hatte den Braten schon gerochen." Sowas kann leicht ins Auge gehen (Zitat): "Der Richter wollte noch einmal ein Auge zudrücken und gab ihm drei Monate mit Bewährung. Die Polizei behielt ihn nach seiner Entlassung weiter im Auge."

Üble Geschichte, vorbei die Golden Sixties im Westen, als Tunnelveteranen noch Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit genossen und zudem das Recht besaßen, anfallende Honorare aus ihren Ausgrabungen an der innerdeutschen Grenze gerichtlich einzuklagen. Die Arbeitsbedingungen haben sich seit 89 massiv verschlechtert. Dabei ist es Fluchthilfeorganisationen dank ihres Produktmanagements gelungen, entscheidende Qualitätsverbesserungen auf dem Markt anzubieten, wie z.B. eine Einreisegarantie. Wir von der Gesellschaft für freies Fluten wollen niemandem in sein Handwerk pfuschen, aber dennoch ein paar Empfehlungen zu den Spielregeln abgeben. Wem genügend Zeit und Geld zur Verfügung stehen, der/die solltealle Tätigkeiten unentgeltlich verrichten. Aufwandentschädigungen gehen noch in Ordnung. Sich zu bereichern und eine Notlage auszunutzen lehnen wir ab. Wir wissen natürlich genau wie der Hase läuft und daß Empfehlungen immer die zum Besten geben, die wenig oder garnicht mit der Materie vertraut sind. (Wir dürfen das aber, schon allein aufgrund unserer notorischen milieubedingten Weltfremdheit.) Alles Peanuts, würde der Graf Lambsdorff oder der Herr Bangemann sagen.

Doch lassen Sie mich, liebe Anwesende und Interessierte, zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen zurückkehren, zu unserem Taxiunternehmer. Ich hoffe, daß meine ausgewogenen Ausführungen Ihnen, wenn schon keine zufriedenstellende Antwort, so doch zumindest eine Erklärung auf ihr Entsetzen geben konnte, wie das mit dem Taxi in den Knast nur passieren konnte. Doch wie geht es weiter vor Ort, mit der Angst, in Teufels Küche zu kommen, und ohne den Nachweis einer angesehenen wissenschaftlichen Tätigkeit erbringen zu können? Ganz einfach: Fahrgäste, die aufgrund irgendwelcher äußerlichen Merkmale ausländisch aussehen, werden erst garnicht mehr geladen. Da hätte selbst ein hochdotierter ausländischer Wissenschaftler keine Chance.

Was tun? Nehmen wir ein letztes Mal unser grünes Buch zur Hand, das Hilfestellung in allen Lebenslagen verspricht. Zu unhandlich und beschwerlich, werden jetzt einige von Ihnen denken. Doch wir meinen: Wer A sagt, muß auch B sagen, z.B. B wie Buchstabe, S. 134 (Zitat): "Nach dem Buchstaben des Gesetzes bin ich zu garnichts verpflichtet." Na bitte, denn, um den Bogen zu schließen, S. 122 (Zitat): "Mit diesem Vorgehen hat die Regierung den Bogen überspannt."

Kein Mensch ist illegal!
Offene Grenzen für Alle!
Abschaffung der Paragraphen 92a und b des Ausländergesetzes!

Lassen Sie mich nun, liebe Anwesende und Interessierte, auch im Namen der Gesellschaft für freies Fluten, zur Denkmalseinweihung für die vielen bekannten und unbekannten Flüchtlinge und ihre HelferInnen kommen...

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