Aus CONTRASTE Nr. 195:

 

"Geschäftliche und persönliche Pleiten"

"Ohne Liebe ... 2. Teil"

 

tribute to Rebecca

Hilda ist weg - schrieb eine Freiburger Stadtzeitung im September 2000, "Einer der ältesten Bioläden Freiburgs hat zugemacht". Wenigstens also hat man es bemerkt, wenigstens ist ein über zwanzigjährigen Projekt in Freiburg nicht so sang- und klanglos aus dem Dasein entschwunden, zwar war einiges nicht ganz zutreffend, was nach dem Interview geschrieben wurde, aber Rebecca freute sich doch, es ist als wär noch etwas anderes geblieben als nur Schulden.

Herrmann Cropp, Osnabrück - Vor 23 Jahren fing "ein Haufen Leute" an, sich mit "alternativen Lebensformen auseinanderzusetzen", so stand es in der Freiburger Stadtzeitung vom November 1977, damals wurde "nach drei Wochen Renovierungsarbeit am 15. Oktober in der Hildastraße 33 unser Lebensmittelladen mit Teestube eröffnet." Wahrscheinlich weiß das keiner mehr, oder man macht sich auch nicht die Mühe, nun da der Laden geschlossen wurde, sich die guten Absichten und Pläne vor Augen zu halten, die immerhin ein Lebenswerk von 23 Jahren begründet haben. Genau das möchte ich aber, um zu zeigen, daß innere, ideele Kräfte und nicht Marktchancen und Geldgier diese Naturkost hervorgebracht haben, an deren jetziger materialistischer Ausrichtung man sonst verzweifeln könnte. Von den Gründern übriggeblieben ist nur Rebecca, aber es war wie gesagt ein "Haufen Leute", und Rebecca hat sich dem ursprünglichen Ansatz alternativer Lebensformen, auch wenn sich seither viel verändert hat, immer verpflichtet gefühlt.

Die Gründer damals waren entschlossen nicht länger an einer Entwicklung teilzunehmen, wo das Leben durch Sachzwänge (Beruf, Familie, Politik) bestimmt und die Freiheit immer mehr eingeengt wird. Sie wollten blinden Konsum durch eigene schöpferische Tätigkeit ersetzen, indem man sich selbst und seine Umwelt bewußter wahrnimmt, sie wollten das bestehende nicht einfach ablehnen sondern es besser machen, sie wollten der Vereinzelung durch intensive Kommunikation entgegen wirken und waren überzeugt, daß so das Leben viel mehr Spaß mache. "Im Aufbau des Hildaladens sehen wir den ersten Schritt in diesem Lernprozeß. Wir verkaufen in jeder gewünschten Menge Grundnahrungsmittel, biologisch angebautes Gemüse, das wir direkt von einem Bauern im Kaiserstuhl erhalten, ... Außerdem freuen wir uns über jeden, der mal in unsere gemütliche Teestube mit den vielen Sofas und Kerzen reinschaut. Dort kann man palavern, diskutieren, spielen ... Musik machen, Töpfern, Brot backen, basteln, weben ... Wie gesagt, dies ist erst der Anfang ..."

Mit der Zeit wurde der Haufen Leute, die den Laden machten, ein kleiner Haufen Leute, weil viele gingen und was anderes machten. Als auch der kleine Haufen sich dezimierte und schließlich vier Frauen übrig blieben, gründeten diese eine GbR, (vorher war es ein Verein) und später machten sie eine GmbH, weil es in dieser Rechtsform möglich war zugleich Inhaber und Angestellte zu sein. Aber auch von diesen verließen drei den Laden, bis nur Rebecca übrig war und im großen und ganzen das Projekt ja auch weiterführen konnte. Aber es ist schon seltsam, wie sich sowas im Laufe der Jahre entwickelt, auch wenn jeder einzelne Schritt für sich logisch und nachvollziehbar ist. "Manchmal hatte ich das Gefühle, so später allein im Laden, sieht mich eigentlich hier noch jemand? Nimmt mich eigentlich noch jemand wahr, wie ich hier im Laden stehe?" Es ist die Verselbständigung, das Gewohnheitsmäßige, das Schicksal aller Tätigkeiten, die auf Dauerhaftigkeit angelegt sind, und auch alternative Projekte sind davor nicht gefeit, auch die menschenfreundlichste Tat wird irgendwann zur Gewohnheit, zumal wenn man sich bemüht, einen reibungslosen Ablauf und Routine dahinein zu bringen.

 

Die Einsamkeit im Projekt

Alle paar Jahre bin ich für ein paar Tage in Freiburg und finde Aufnahme bei Rebecca und ihrer Dreierbande, das sind die Drillinge, deren ältere Geschwister schon aus dem Haus sind, und der Jüngste war noch nicht geboren, außer wo ich zuletzt da war. Der älteste der Dreierbande - ohja, die marginalen Altersunterschiede von Drillingen sind der Motor ihres Bandenwesens - überläßt mir für die Zeit sein Hochbett, was nicht nötig wär, denn nicht daß ich mich dadurch verpflichtet fühle, vielmehr wärs mir peinlich, mich zu beliebt zu machen, und Kinder können so tief enttäuscht sein, wenn sie sich an jemand hängen und der dann verduftet, aber es macht schon Spaß wochenends mit den Jungs oben im Schwarzwald was zu unternehmen, und während ich mich sonst auf meinen Wanderungen mehr mit Bäumen oder der entfernten Horinzontlinie beschäftige, ist es ein Abenteuer für sich diese drei mothers's finest zu studieren. Oder abends, wenn in der Küche Ruhe ist, versuchen wir aus dem Patchwork unserer alternativen Biografien - sie hat einen Bioladen, ich hab ein Auto voll Bücher (zu verkaufen), sie wollte Alternativen schaffen und den Menschen zeigen, daß es anders geht, ich wollte die Köpfe umkrempeln und alle rebellisch machen, sie hat einen Stall voll Kinder, ich hätte gerne, sie kocht Tee, ich trinke ihn, mitten in der Unterhaltung kommt plitsch platsch ein kleines Gespenst barfuß in die Küche und hat "Durst Mama", in Wirklichkeit war er von den andern vorgeschickt um zu spionieren, wonach wir fortfahren das Flickwerk unserer alternativen Biografien zu betrachten um - darum tun wirs doch, oder? - dem ganzen einen geheimen Sinn abzugewinnen. Ich glaub, früher war ich anders, da hatte ich ziemlich programmatische Vorstellungen vom alternativen Leben (Projekte aufbauen, Leute organisieren, Veranstaltungen, Kommune gründen, Kloputzplan, Infos drucken, überall rumschrauben, z.B. Schrottautos), glücklicherweise steigen die Ansprüche und damit die Bereitschaft zur Ungewißheit, die Bereitschaft sich auf neue Themen einzulassen, neue Ideen, neue Bücher, z.B. Marques' hundert Jahre Einsamkeit. Das hat Rebecca schon vor zehn Jahren gelesen, und ich komm mir vor wie ein Schuljunge, doch da fällt mir ein, vielleicht ist es der Autor, der einsam ist und statt Gefühlen Grotesken vorführt. Nun will sie es vielleicht nochmal lesen.

"Wenn man diesen Laden soviele Jahre macht und nach und nach verlassen einen alle, ist das auch sowas, zwanzig Jahre Einsamkeit, auf eine Art schon."

"Mütter wie du leben doch durch ihre Kinder, ich kann dich mir gar nicht anders als eine Vielheit vorstellen, hundertarmig."

 

"Shiva!" lacht Rebecca.

"Hm, nein, das östliche Denken hilft hier bei uns nicht weiter," entschuldige ich mich für die hundertarmige Andeutung.

"Außerdem irrst du dich, denn wenn die Kinder groß werden, merkt man, daß auch das Viele sich aus Einzelnen zusammensetzt, das ist die Einsamkeit der Mütter."

"Marques meinte allerdings die Einsamkeit der Männer."

"Ja, und wie sie die ganze Gesellschaft mit ihrer Asozialität prägen, bis hin zu den Bürgerkriegen, das hat schon auch mit unserer Kultur hier zu tun."

"Siehst du, irgendwie sind wir nicht so nützlich für das Leben, ich krieg manchmal Stimmungen, da überkommt mich eine selbstverachtende Manie, wo ich meine Existenz vernachlässige, und meine Erfolge und alles was ich tu, scheint mir ein Nichts, in dem ich mich verliere."

Rebecca kennt diese Neigung zur Selbstdestruktion an mir und sagt nichts, stattdessen beschließen wir ins Theater zu gehen, in ein Stück von Ibsen, den ich nicht mag, weil ich Strindberg vorziehe, und Vorurteile wollen gefestigt werden. Danach im Foyer ein Drink, ein bißchen Edelbohéme, ein Geschmack von Freiburger Esprit auf der Zungenspitze, was wohl von der Nähe zu Frankreich kommt, Freiburg hat ähnlich wie das Rheinland eine Neigung zum Separatismus und ähnlich wie Göttingen einen hohen Intelligenzquotienten, das muß man wissen, denn wenn sowas zusammenkommt, hat das förderliche Auswirkungen auf die alternative Kultur. Immerhin gab es in Freiburg einen der ersten deutschen Bioläden, den dritten um genau zu sein, und zwar Natural-Food-Store von Michael Dämisch (seit 1973 bis heute!), der in der ersten Zeit noch mehr ein Headshop oder ein Diggerladen war. Inzwischen gibt es über zwanzig Bioläden in Freiburg, relativ viele, und es lohnt sich nun für das große Kapital mit einem Biosupermarkt einzusteigen, das macht es für kleine Läden allerdings nicht leichter.

 

Das Ende war schwer

Wenn ein Bioladen fast eine Generation lang im Stadtteil besteht, ist er zwar einerseits fest verankert und Bestandteil des sozialen Lebens, zumal wenn er dies aktiv mitgestaltet, aber er wird auch zu einer Selbstverständlichkeit wie eine Schwerkraft, es ist nicht mehr leicht die einmal gefaßten Erwartungen und Umgangsformen zu verändern, weil sie quasi institutionalisiert sind. Doch wäre es auch ungerecht zuviel von der lokalen Solidarität zu erwarten, wenn gewisse Strukturen gerade darauf angelegt sind, diese auszubeuten. Die Solidarität der Mitmenschen kann auf Dauer keine Probleme ausgleichen, die anderswo gelöst werden müssen, obwohl der Laden durch seine nachbarschaftliche Arbeit diesen menschlichen Zusammenhalt erst hervorbrachte, wie es ja auch die Absicht war.

Das Problem ist, daß die Bioläden, und zwar die Läden mit geringem Eigenkapital die Branche zwar in zwanzig Jahren aufgebaut haben, aber wirtschaftlich stehen sie auf der niedrigsten Stufe, sie werden von den andern, die viel Geld haben und erst viel später in die Branche eingestiegen sind (oder die es verstanden haben von Anfang an abzusahnen), ausgebeutet und dann noch verhöhnt wegen ihrer schlechten Finanzlage. Der Hohn kommt genauso von Herstellern und Großhandel wie vom BNN: "wachsen oder weichen" (Elke Röder), und Ronald Steinmeyer von Schrot & Korn findet, Naturkost im Supermarkt "ist doch eine Goldgrube!" Steinmeyer, Röder und wie sie heißen, sind dabei, wenns Gold gibt, aber die, denen es um die Sache geht und nicht ums Geld, weil sie sowieso keins haben, die werden marktbereinigt.

So erging es zum Beispiel Birgit aus Burscheid mit ihrem Regenbogenladen, vorher hatte sie schon den Septemberweizen in Solingen gemacht, aber was bei ihr 100.000 Mark Schulden sind, wird bei anderen gutgeschrieben. Der Cösfelder Großhändler Weiling hatte ihr nur noch mit einem Tag Zahlungsziel geliefert, per Abbuchung. Und Burkhard aus Mechernich, auch ein Weiling-Kunde, stand letztes Jahr in seinem halbverwaisten Laden, sauer und enttäuscht, "50.000 Miese" und konnte nicht vor und zurück. Seit '91 hat er den Laden fern in der Eifel gemacht, natürlich aus Überzeugung, und jetzt wo er endlich daraus ist, arbeitet er wenigstens auf einem Biohof, aber der Laden war trotz aller Mühe sein Unglück, denn verdienen tun in dem Geschäft grundsätzlich nicht die Kleinen.

Wenn der Hildaladen nach 23 Jahren Aufbauarbeit die gefestigte finanzielle Situation gehabt hätte, die ihm zustünde, sollte es durchaus möglich sein, daß eine Mutter für ihre Kinder, besonders wenn sie krank sind, mehr Zeit erübrigen kann. Zumindest stünde dem Bioladen doch zu an dem finanziellen Erfolg und der Kapitalisierung der Branche seinen Anteil zu haben. Aber kassiert wird auf höherer Ebene - so ist das!!! Überarbeitet und weder den privaten noch geschäftlichen Verpflichtungen gerecht werdend, hoffte Rebecca eine zeitlang auf jemand, der den Laden übernähme oder gar, daß erneut ein Verein gegründet würde, denn dann wären alle Schulden gedeckt gewesen. Es ist gar nicht unglaublich, sondern die Regel, daß an einer so verzweifelten Lage alle andern noch verdienen wollen - unglaublich ist jedoch, daß in diesem Fall die meisten Gläubiger teilweise und ganz verzichtet haben - zu Rebeccas großem Glück!

Nun ist Hilda weg - so stands im Stadtblatt - Ende! sie gehört nicht mehr dazu, ein Nachmieter ist schnell gefunden, es bleibt keine Lücke, es bleibt nur das unangenehme Gefühl gar nicht mehr wichtig gewesen zu sein, als hätte einen eigentlich keiner gewollt, und keiner fragt mehr nach einem. Ist der Versuch, "Lebensformen zu finden und zu leben, die den Bedürfnissen von Mensch und Natur mehr entsprechen, als dies in unserm derzeitigen Industriesystem der Fall ist", nicht nur gescheitert sondern schon nicht mehr der Rede wert? Im allgemeinen gehen solche Projekte sehr unwürdig unter, die nicht realisierbaren guten Ideen reduzieren sich auf demoralisierende Schulden, und der Rest ist enttäuschendes Vergessen, mit Schulden wird man allein gelassen, und keiner fragt, was wolltest du denn eigentlich, als du noch keine Schulden hattest? "Ich wollte für euch arbeiten, ich wollte euch ermutigen, nicht weiter an einer Entwicklung teilzunehmen, die unser Leben mehr und mehr durch Sachzwänge bestimmt und unsere Freiräume immer mehr einengt."

Wenn dies nach dem Ende des Hildaladens zur Kenntnis genommen wird, bedeutet das für Rebecca, daß doch noch etwas anderes geblieben ist als nur die Schulden.

 

Geschäftliche Pleiten

Aus den Pleiten der andern lernen wollte Detlef Stoffel, Inhaber des Ostwestfalen-Lippeschen Regionalgroßhandels Löwenzahn, er findet solches "Geld kaputtmachen" unmoralisch, denn er ist einer dieser Gawrilas von Dostojewski, der nicht mit ansehen konnte, wie die früh geschändete und von allen bewunderte Schönheit Nastaßja eine Million im Kamin verbrannte. Sie befahl ihm auf allen Vieren zum Feuer zu kriechen und das Geld herauszuziehen, dann gehöre es ihm, aber er fällt nur in Ohnmacht, deshalb wirft Nastaßja ihm das angekokelte Geld hinterher.

Hintergrund der Firmenschließung des Löwenzahn war eine Kündigung der Lagerräume in Bielefeld zum Jahresende und die Schwierigkeit einen neuen Standort zu finden samt aller dann notwendig werdenden Neuinvestitionen. Löwenzahn war ein regionaler Naturkostgroßhändler, entstanden im Trend der ökologisch motivierten Regionalisierung von 1984 (bzw davor), die vor allem von den Genossenschaften initiiert und vielleicht sogar erzwungen wurde. Die Regionalisierung der Naturkost ist inzwischen leider wieder am umkippen, denn ihre wichtigsten Stützen, die Genossenschaften, sind gescheitert, und die Schließung von Löwenzahn hilft erneut dabei mit. Wie ehrenhaft sich doch unsere Geldleute über ihre größte Leidenschaft verbreiten können, D. Stoffel: "... mir alles andere als leicht gefallene Entscheidung ... Mischung großer Traurigkeit und gleichzeitiger Überzeugung ... Richtigkeit meiner Entscheidung ... nach langem und für mich persönlich wirklich nicht leichtem Abwägen entschieden (für) ... die Firma Weiling". Außenstehende, Mitarbeiter und langjährige Kunden werden an diesem langen Prozeß von Traurigkeit und Abwägen allerdings nicht beteiligt, sondern am 6.10.00 eine Woche vor Geschäftsaufgabe am 13.10.00 "über meine Entscheidung informiert." (D. Stoffel)

Menschenhandel ist hierzulande verboten, aber seine Kunden darf Herr Stoffel durchaus an Weiling verkaufen, und da diese sich in Wochenfrist schwerlich jemand anders suchen können, der ihnen das Vollsortiment vor die Tür fährt, kann man es einen gelungenen Handstreich nennen. Wie versteht es ein Unternehmer doch sich in seiner Selbstlosigkeit und Vernunft zu sonnen, wenn er seine Firma mit Gewinn verkauft, wenn er kein "Geld kaputtmacht", wenn "Löwenzahn niemandem etwas schuldig bleibt", "daß Löwenzahn nicht als Trümmerhaufen sondern mit Würde seine Haupttätigkeit einstellt", daß er "eine lückenlose und professionelle Belieferung" von Weiling "anbiete", nein, er legt noch drauf, er wolle "meinen Kundinnen und Kunden dringend empfehlen, dieses Angebot (von Weiling) anzunehmen!" um schließlich "für die bisherige Zusammenarbeit ganz herzlich" zu danken.

Nur das künftige Schicksal seiner Mitarbeiter erwähnt er nicht, angeblich durften sie sich bei Weiling bewerben, und einer sei schon übernommen worden. Auch erwähnt er nicht, wieviel Kohle er von Weiling kassiert, denn dann stünde zur Debatte, ob das Kopfgeld pro Bioladen nicht den Bioläden selbst zu Gute kommen sollte, statt in Stoffels Taschen zu fließen, aber Stoffel hat etwas von einem Dichter, sein sechßeitiger Abschiedsbrief incl. Anhang hinterläßt, nachdem man sich hindurchgelesen hat, wahrscheinlich schon wegen der Länge ein Gefühl der Erleichterung, außerdem hat er als Schwuler schon immer den Betroffenheitston in seinem Waffenarsenal, und dann fühlt man sich auch von seiner dauernden Rechtschaffenheit selber gewissermaßen ins Unrecht gesetzt, so man bei ihm etwas anderes als Gerechtigkeit vermutet. Bemerkenswert ist zudem der Umstand (den man nach 6 Seiten überliest), daß die Firma nicht wirklich aufgelöst wird, sondern nur die Großhandelstätigkeit einstellt, wir kennen den Vertrag Stoffel/Weiling nicht, aber bei des ersteren Umsicht ist anzunehmen, daß er sich jedes Komma hat bezahlen lassen, und vielleicht werden künftig Briefkastengeschäfte laufen, vielleicht werden wir davon noch hören.

 

Persönliche Pleiten

Herr Stoffel beabsichtigt auch gar nicht seine Erfolgsbiografie jetzt mit 50 zu beenden, sondern will nun Ehrenämter und Funktionärsposten (Vorstand BNN-Großhandel, Geschäftsführung MfN) übernehmen, was man so schön Honoratiorenjobs nennt, und ist so dreist, dies schon in seinem "Abschiedbrief" anzukündigen - hätte er doch für die Mitarbeiter genauso gesorgt, wie für seine Pöstchen! "... im Juli bin ich 50 geworden, in meinem Alter sind ja noch größere Veränderungen drin", und eine Zeile drüber: "vielleicht sogar außerhalb `meines' Landes" - sollen wir in rauslassen? echt?

Und Weiling? den Cösfelds Bürgermeister im August dieses Jahres beim Festakt 25 Jahre Weiling den "Bill Gates der Naturkost" titulierte? Günter Kreidl - manchen noch bekannt als Gründer der Kornkraft Genossenschaft Krefeld, in deren Folge sich der deutsche Naturkostgroßhandel erst in Richtung Regionalisierung entwickelte - denkt bei Weiling sofort daran: "Der hat mit den Getreideimporten aus Frankreich die Genossenschaften in die Knie gezwungen. Durch die profitable Konkurrenz zu den Genossenschaften, die ein Komplettsortiment mit entsprechend hohen Kosten führten, ist er doch erst groß geworden. So hat er das über die Jahre gemacht, die Schnäppchen rauspicken und billiger verkaufen. Bei den Läden, die nur ein paar Sack Getreide nehmen, macht das ja nichts, aber die Biobäckereien, die einen hohen Verbrauch haben, waren ein Problem." Und zu dem Bill-Gates-Vergleich fällt Günter ein, "das paßt sehr gut, aber nicht in dem Sinne, wie der bei uns dargestellt wird als kreativ und erfolgreich, sondern wie man das in Amerika versteht, da heißt es in einer Werbung: so intelligent wie Einstein und so rücksichtslos wie Bill Gates", wobei Rücksichstlosigkeit für die Amerikaner durchaus eine positive Eigenschaft ist.

Die Abneigung gegen Weiling war früher überall die gleiche, er gehörte nicht dazu und das hat man ihn immer spüren lassen. Um so mehr genießt er es jetzt wahrscheinlich, sich endlich wirtschaftlich durchgesetzt zu haben. Barbara, auch früher bei der Kornkraft, bei einem Naturkost-Treffen vor etlichen Jahren bei Löwenzahn Bielefeld zu jemandem ganze leise über den gegenüber sitzenden Weiling "das ist der typische SS-Mann, der Siegertyp, ich will siegen!" An solche Resentiments zu erinnern mag unfair sein, aber es hat den Anschein als sei eben diese Differenz die Antriebskraft für den jahrelangen Kampf zwischen Weiling und den Genossenschaften sowie Regionalhändlern (übrigens weigert er sich bis jetzt Foodcoops zu beliefern und versucht sich mit dieser "Ideologie" zu profilieren). Hinzukommt das Mißtrauen gegenüber seinen esoterischen Neigungen, wenn er z.B. seine Mitarbeiter in einer scientologisch anmutenden Menschkonditionierung öffentlich sichtbar mit farbigen Zensuren für ihre positiven oder negativen Schwingungen prämiert, dh er macht es nicht selbst, zwei Hauspsychologen besorgen das.

Zweifellos hat die starke Ablehnung Weiling auch gekränkt, und es fragt sich heute, ob nicht noch etwas anderes möglich ist als dieser Kampf gegen ihn, zumal die genossenschaftlichen Initiativen so ziemlich erledigt sind. Teilweise ist er ja ganz beliebt und bemüht sich um Authenzität in der Naturkost, z.B. als Vertreter der Bioladen-Idee mit seiner Aktion "bioladen.de", gute persönliche Verhältnisse im geschäftlichen Umgang scheinen ihm wichtig zu sein, und vielleicht wird er das ganze erst mit Überzeugung vertreten können, wenn er keine Konkurrenten mehr hat. Vorerst genießt er jedoch den Ruf eines Bill Gates der Naturkost, gegen ihn sind Kornkraft, Grünes Netz, die nicht übernommene Löwenzahn-Belegschaft, Birgit aus Burscheid, Rebecca und Burghard klar die Verlierer und Pleitiérs, wenn man jedoch bedenkt, wie geschickt Stoffel/Löwenzahn seine geschäftliche Pleite vermieden hat, möchte man am ehesten hier von einer Pleite, und zwar von einer persönlichen Pleite sprechen.

Das "tribute to", mit dem ich dieses Kapitel Naturkost überschrieben habe, kommt eigentlich von einem neuen musikalischen Genre, das einige unbekannte gute Musiker erstmals für L. Cohen veranstalteten, seitdem vielleicht etwas wahllos praktiziert, doch in dem ursprünglichen Sinne will ich meinen Tribut Rebecca in Freiburg zollen, denn bei ihr ist auch ein Kunstwerk zu würdigen, ein soziales Kunstwerk. Bevor ich an dieser Stelle jedoch ein tribute to Stoffel oder Weiling ausbringen könnte, müßten diese mehr als nur als ökonomisch wachsen. Snäfridur Islandsonne in Laxneß' Roman sagt, ein Mann könne sie zwar verkaufen, aber sie würde sich nie von einem Mann kaufen lassen, und wer den Beifall der Günstlinge sucht, kennt nicht die wahre Liebe, worum es mir eigentlich in dem, was ich hier schreibe, geht. In vielen Jahren wird es mal heißen, Stoffel, was ist das für ein nobody? aber Rebecca wird nicht vergessen!

Dafür werde ich sorgen.