Aus CONTRASTE Nr. 190/191: Schwerpunktthema Teil 3
MARKTGENOSSENSCHAFT
Vom Biogetreidelieferanten zum Spezialisten für Ökoprodukte
Gegründet wurde die "Marktgemeinschaft der Naturland Bauern" als Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit beschränkter Haftung im Jahre 1991. Die 43 Mitglieder der Erzeugergemeinschaft starteten mit einer Einlage von 1.000 DM pro Beteiligtem. Bei nur einem Mitarbeiter erzielte die Gruppe in dieser Aufbauphase Umsatz in Höhe von 1,6 Mio. DM. Die Weiterentwicklung zur Genossenschaft erfolgte 1994. Eine Aufstockung der Genossenschaftsanteil auf 3.000 DM ermöglichte weiteres Wachstum. Mittlerweile erwirtschaften die 52 Mitglieder bei 19 Mitarbeitern einen Umsatz von 28 Mio. DM.
Franz Westhüs, Red. Genossenschaften - "Warum soll jeder von uns alleine loslaufen und den gleichen Abnehmern unser Öko-Getreide anbieten?" Diese Frage stellten sich 1991 viele Naturland Bauern in Nordrhein-Westfalen. Die Getreideernte war sehr gut ausgefallen. Auch hatten viele neue Bauern im Rahmen von Fördermaßnahmen ihren Hof auf ökologischen Landbau nach den Erzeugerrichtlinien von Naturland umgestellt. In den neuen Bundesländern waren zudem noch flächenstarke Ackerbaubetriebe umgestellt. Erstmalig wurden Öko-Getreide Weizen und Roggen reichlich angeboten.
Start als GbR
Also hieß es, eine Erzeugergemeinschaft ins Leben rufen. Im Herbst 1991 gründeten 43 Naturland Bauern die "Marktgemeinschaft der Naturland Bauern in NRW GbR mbH". Dies erwies sich für eine schnelle Gründung als einfachste Gesellschaftsform. Allerdings müssen immer einstimmige Beschlüsse gefaßt werden, weil jedes Mitglied sich auch selbst vertreten kann. Da jedoch die zügige Vermarktung des Getreides anstand, beschlossen die Mitglieder, zunächst in der Rechtsform der GbR mit beschränkter Haftung tätig zu sein.
Überlegt wurde auch schon in der Startphase die Gründung einer Genossenschaft. Nach Rücksprache mit dem Genossenschaftsverband sollten aber erst Plandaten erstellt und die wirtschaftlichen Voraussetzungen geprüft werden, bevor eine Aufnahme als Mitglied im Prüfverband in Frage kam. Nachdem die Marktgemeinschaft knapp vier Jahre gewirtschaftet hatte, konnte dem Genossenschaftsverband schließlich zur Prüfung für die Aufnahme genügend Material zur Verfügung gestellt werden. Alle Kriterien von der Organisation bis zur wirtschaftlichen Ebene wurden erfüllt und so 1996 die "Marktgenossenschaft der Naturland Bauern e.G." mit Sitz in Lippborg gegründet.
Von der Angebotsorientierung ...
Aufgabe des Geschäftsführers in der Aufbauphase war es, das Öko-Getreide der Naturland Bauern zu verkaufen. Zunächst wurden die verschiedenen Getreidepartien nach Standards zusammengefaßt und den bestehenden Mühlen, Verarbeitern und Bäckern angeboten, die bereits Öko-Getreide verarbeiten. Die Kunden waren zufrieden, nur einen Ansprechpartner für eine größere Menge Getreide zu haben und nicht mit jedem Bauern einzeln verhandeln zu müssen.
Jedes Mitglied meldete seine Getreidemenge der Erzeugergemeinschaft und sandte Proben zu. Den Kunden wurden entsprechende Partien angeboten und verkauft. Für die abgelieferten Mengen erhielt der Erzeuger eine Abschlagszahlung. Nach dem Verkauf der gesamten Ernte wurde aus der Summe der Einnahmen aller Verkäufe ein Pool gebildet und daraus Qualitätszuschläge, Lagervergütungen und der Restbetrag an die jeweiligen Mitglieder ausgeschüttet.
Neben den bestehenden Kunden, die natürlich vom Wettbewerb ebenso umworben werden, stand die Gewinnung neuer Kunden im Vordergrund. Die Entwicklung eines Konzepts für Bäckereien war hier ein Schwerpunkt. In diesem ging es darum, Kunden für das Naturland Brot mit dem Naturland-Zeichen zu gewinnen. Tatsächlich konnte durch die Arbeit der Erzeugergemeinschaft ein großer Teil des Getreides vermarktet werden. Der zunehmende Konkurrenz- und Preisdruck auf dem Öko-Getreidemarkt förderte allerdings auch die Suche nach alternativen Früchten im Anbau für die Mitglieder.
... zum bedarfsbesimmten Anbau
Im Jahre 1993 organisierte die Marktgemeinschaft erstmalig im Rahmen eines Anbau- und Vermarktungsprojektes den Anbau von 280 ha Öko-Zuckerrüben. Sowohl für die Fruchtfolge als auch ökonomisch stellen die Öko-Zuckerrüben eine Alternative zum Getreideanbau dar. Die Fläche der eigenen Mitgliedsbetriebe reichte aber für die Öko-Zuckerrübenproduktion nicht aus. Deshalb stiegen auch Erzeuger anderer Anbauverbände in die Produktion mit ein.
Jeder Erzeuger erhielt einen Anbau- und Liefervertrag. Auch hier war es für die Zuckerrübenfabrik wichtig, nur einen Ansprechpartner zu haben, der den gesamten Ablauf organisiert. Der Anbau der Öko-Zuckerrüben wurde ebenfalls 1994 erfolgreich durchgeführt. Der Markt erwies sich in dieser Zeit jedoch noch nicht als besonders aufnahmebereit für "weißen Öko-Zucker". Insofern wurde dieses Projekt wegen des schleppenden Abverkaufes nicht weiter geführt.
Einstieg in den Frischemarkt
Vereinzelt hatten Mitglieder für die eigene Vermarktung ab Hof oder an den Naturkostfachhandel bereits Erfahrungen mit dem Anbau von Kartoffeln und Gemüse gewonnen. Als dann der konventionelle Lebensmitteleinzelhandel (LEH) Interesse an Öko-Kartoffeln und Öko-Gemüse bekundete, gab dies den Anstoß für die Marktgemeinschaft, den Anbau von Kartoffeln und Gemüse zu forcieren. 1993 konnten erste Verträge mit dem Handel über Kartoffeln, Zwiebeln, Möhren und Kohl geschlossen werden.
Aufgabe war es nun, einen qualitäts- und preisorientierten Anbau von Kartoffeln und Gemüse für den LEH und die Verarbeitungsindustrie zu organisieren. Schritt für Schritt wurden die notwendigen Voraussetzungen durch Beratung, Qualitätssicherung und Vertrieb von der Marktgemeinschaft geschaffen. Dies erforderte eine Reihe von Investitionen für die Lagerung und Aufbereitung von Gemüse. 1996 errichtete die Marktgemeinschaft eine Lagerhalle und eine Wasch-, Sortier-und Abpacklinie für Möhren. Die Lager- und Aufbereitungskapazität von Möhren und anderen Gemüsearten wurde in den folgenden Jahren noch erweitert. Täglich können bis ca. 50 t Möhren gewaschen, sortiert und abgepackt werden. Die Gesamtinvestitionen der letzten Jahre belaufen sich auf ca. 4 Mio. DM.
Partnerschaft für die Logistik
Die Belieferung des Lebensmitteleinzelhandels setzt neben dem professionellen Anbau und der marktfähigen Aufbereitung von Kartoffeln und Gemüse eine entsprechende Logistik für eine zuverlässige Belieferung voraus. Um die Zufriedenheit des Kunden zu gewährleisten, wurde deshalb 1995 mit der Agrata GmbH in Beelen die Öko-Farm Vertriebsgesellschaft mbH zu jeweils 50% gegründet. Die Marktgenossenschaft auf der einen Seite liefert komplett die Rohware und bereitet Möhren und anderes Gemüse auf. Ergänzend verpackt die Agrata die Kartoffeln und Zwiebeln und liefert sämtliche Produkte über die eigene Logistik an alle Zentralläger des Handels in Deutschland aus.
Mit dem Slogan "aus der Region - für die Region" begann 1997 die Zusammenarbeit mit dem Handelsunternehmen Bremke & Hörster in Arnsberg. Die Verantwortlichen wollten Produkte aus der Region in den eigenen Märkten famila und combi vertreiben. Der zweite Aspekt einer ökologischen Wirtschaftsweise für die Herkunft der Produkte paßte ebenfalls in das Konzept. Der Vereinbarung entsprechend belieferte die Marktgenossenschaft Bremke & Hörster ursprünglich nur mit Öko-Kartoffeln und Öko-Gemüse aus der Region. Sobald die heimischen Produkte nicht mehr zur Verfügung standen, wurde dies den Kunden mitgeteilt. Einige Wochen gab es dann keine Öko-Kartoffeln oder kein Öko-Gemüse zu kaufen. Erst mit der neuen Ernte standen wieder alle Produkte zur Verfügung.
Kontinuierliche Erweiterung
Viele Kunden äußerten jedoch den Wunsch, auch außerhalb der Saison entsprechende ökologische Produkte zu beziehen. Daraufhin wurde die ökologische Herkunft der Produkte in den Vordergrund gerückt und auch ganzjährig das Standardsortiment geliefert. Gleichzeitig werden nun neben Kartoffeln, Obst und Gemüse von der Marktgenossenschaft Schritt für Schritt Produkte aus anderen Bereichen angeboten. Dieses Zusatzsortiment umfaßt mittlerweile über 70 Produkte. Unter anderem gehören Trockensortiment (Müsli, Cerealien, etc.), Milchprodukte, Tiefkühlgemüse und Eier dazu. Der Wandel vom Öko-Getreidelieferanten zum Spezialisten für Öko-Produkte ist damit erfolgreich in die Wege geleitet.