Aus CONTRASTE Nr. 181:

NEUWERKGENOSSENSCHAFT, KONSTANZ

Vom wildwüchsigen Biotop zum Kulturschutzgebiet genossenschaftlicher Gewerbehof sichert Arbeitsplätze

Bildende Künstler, Musiker und Theaterleute sind seit vielen Jahren im Künstler- und Handwerkergewerbehof NEUWERK in Konstanz tätig. Sie nutzen ein Drittel der nicht als Lager verwendeten Fläche als Ateliers und Proberäume. Diese gewachsene Struktur bleibt auch in Zukunft erhalten. Um das zu sichern, ist in die Satzung der in Gründung befindlichen NEUWERK-Genossenschaft eine flächenbezogene Aufteilungs-Formel "2/3 Gewerbe-1/3 Kultur" aufgenommen und durch den Zusatz "Gewerbe trägt Kultur" ergänzt.

Burghard Flieger, Red. Genossenschaften - Seit dem April dieses Jahres ist klar: Das NEUWERK, seit Jahren ein legendärer Standort der Konstanzer Handwerker- und Künstlerszene, kann und soll erhalten werden. Das eigenwillige "Biotop" war durch den Neubau der B 33 bedroht. Doch der Konstanzer Gemeinderat verabschiedete einstimmig ein von den derzeitigen Nutzern ausgearbeitetes Konzept. Erreicht wurde dies durch den NEUWERKBUND e.V., der in intensiver Detailarbeit Überlegungen formulierte, die bei allen auf Zustimmung stießen.

Nächste Etappenziel ist der Erwerb des Gebäudes vom Bundesvermögensamt durch die heutigen Mieter, die sich in der Geschäftsform einer Genossenschaft zusammenfinden. Für die Finanzierung, geplant ohne städtische Mittel, sind bereits erste Sondierungsgespräche mit Banken angelaufen. Nach dem Kauf steht eine Grundsanierung auf dem Plan, die in großem Umfang auf Eigenleistungen der Mitglieder basiert. Vorgesehen ist die Neuerschließung des Gebäudes von außen, eine Dach-und Fassadensanierung, eine moderne Heizanlage und vieles mehr. Die einzelnen Betriebe müssen auch während der Umbauphase weiterarbeiten. Deshalb soll die Sanierung abschnittweise über drei bis vier Jahre erfolgen.

Kurzer Rückblick

Das NEUWERK ist Anfang dieses Jahrhunderts erbaut worden. Zunächst war in dem zweigeschoßigen Fabrikgebäude das "Duro Plattenwerk" untergebracht. 1914 kaufte die Firma Stromeyer den Komplex. Bis in die dreißiger Jahre wurden Zelte und militärische Ausrüstungsgegenstände gefertigt. Danach verlagerte Stromeyer seine Produktion auf Kleidungsstücke. Ende der siebziger Jahre stellte das Unternehmen die Arbeit ein.

Aufgrund der Straßenplanung für die B 33 neu in Konstanz kaufte das Bundesvermögensamt das NEUWERK, um das Areal als Ausgleichsfläche zu verwenden. Nachdem es jahrelang leer stand, begann das BVA Mitte der achtziger Jahre die Lager-und Gewerbeflächen zu vermieten. Eine fehlende Zukunftsperspektive und die Planungsunsicherheit schreckte aber so genannte bodenständige Betriebe ab.

Günstige Grundmieten und die freie Gestaltung der Räumlichkeiten ermöglichten jedoch, Künstlern, Handwerkern und Musikern hier eine Existenz aufzubauen. Um so überraschender kam das plötzliche Aus: Am 27.8.1997 erhielten die ersten Betriebe im NEUWERK ihre Kündigung zum 31.12.98. Als Reaktion darauf formierte sich im Dezember 98 der NEUWERKBUND e.V. Vereinsziel ist der Erhalt des Standorts, an dem sich seit über zehn Jahren erfolgreich aus sich heraus eine Einzigartige "Oase" entwickelt hat.

Kreative Nutzung

Ohne jede öffentliche Förderung gelang eine bemerkenswerte Integration von Kunst und Gewerbe, von Handwerk und Kultur. Verschiedenste Kunstausstellungen, Theaterproduktionen, Kabarettveranstaltungen, Seminare der Fachhochschule Konstanz, Jugenddiscos ohne kommerziellen Hintergrund, "Schnupperlehren" in verschiedensten Berufszweigen, Handwerkerausstellungen, Familienfeiern, Musikveranstaltungen, zahlreiche Workshops und Tanzveranstaltungen sind ein Ausschnitt der angebotenen Vielfalt. Vor diesem Hintergrund wird die hohe Motivation der Nutzer verständlich, auch zukünftig das Gebäude in Eigeninitiative verantwortlich zu gestalten.

Die im Aufbau befindliche Genossenschaft soll als reine Gebäudeverwaltungsgesellschaft fungieren. Ihren Mitgliedern überläßt sie die Räume und Flächen gegen Miete zur Nutzung. Scheidet ein Genossenschaftler aus, fallen seine Räume und Anteile an die Genossenschaft zurück und können neu vergeben werden, womit ein sinnvoller Wechsel der Nutzer bei gleich bleibenden Strukturen über lange Zeiträume gewährleistet ist.

Problemfeld Finanzierung

Die Genossenschaft Neuwerk muß die geplanten Umbaumaßnahmen von ungefähr 5.000.000 DM finanzieren. Tilgung und Rückzahlung erfolgt zum größten Teil über die Mieteinahmen von 450.000 DM im Jahr und ein Genossenschaftsvermögen von rund 300.000 DM. Im Moment wird eine Vorbelegung von etwa 90% erreicht, obgleich zahlreiche Anfragen nicht berücksichtigt werden konnten. Zum Kauf des Neuwerks liegt bereits die Vorfinanzierungszusage einer Bank vor. Außerdem ist geplant der Stadt Konstanz eine Bürgschaft vorzulegen, die sichert, daß die geplanten Renovierungsmaßnahmen binnen drei bis vier Jahren durchgeführt und abgeschlossen werden können.

Um die Umsetzung der geplanten und notwendigen Eigenleistungen sinnvoll zu strukturieren, ist die Gründung einer Bauhütte geplant. Hier werden durch die entstehende Genossenschaft für die Zeit der Renovierung voraussichtlich fünf Arbeitsplätze eingerichtet. Darüber hinaus entstehen durch die Verwaltung der Genossenschaft weitere Dauerarbeitsplätze.

Zu sichernde Arbeitsplätze

Momentan arbeiten im gewerblichen Bereich 30 Personen auf etwa 3.500 qm. Als Folge der geplanten Sanierungsmaßnahmen kann hier von den einzelnen Betrieben, bedingt durch den gesicherten Standort, ohne Bedenken zusätzlich investiert werden. Allein in den bisher ansäßigen Betrieben werden so durch die räumlichen Veränderungen sechs neue Arbeitsplätze entstehen. Hinzu kommen weitere dreizehn Arbeitsplätze durch die Umwandlung von Lager - und Verkehrsfläche in Gewerberaum. Nach Beendigung der Umbaumaßnahmen werden zusätzlich 1.500 qm zur Verfügung stehen. Diese Flächen können zukünftig bisherige Fördermitglieder und Existenzgründer im gewerblichen Bereich nutzen. Außerdem werden zu den bereits bestehenden zwei Ausbildungsplätzen sechs weitere zur Verfügung gestellt. Als schwieriger erweist es sich, die Arbeitsplätze bei den Musikern im Neuwerk genauer zu benennen. Nicht nur die Fluktuation ist hier relativ hoch, sondern auch der Übergang vom Hobby zur Profession fließend. In den acht Proberäumen musizieren 16 Bands. Bei einer durchschnittlichen Bandbesetzung von vier Personen zeigt sich, daß mehr als 60 Musiker vom Erhalt des Neuwerks profitieren. Von einem Anteil von zwei bis drei Berufsmusikern kann als Richtwert für die arbeitsplatzsichernde Funktion des Neuwerks im Bereich Musik auch in Zukunft ausgegangen werden. Außerdem haben acht derzeit Kulturschaffende ihre Ateliers bzw. Studios im Neuwerk. Nur diejenigen werden dabei berücksichtigt, die professionell arbeiten, indem sie den größten Teil ihres Einkommens durch künstlerische Arbeit erwirtschaften. Zukünftig sind zusätzlich vier neue Ateliers, davon ein Gastatelier, vorgesehen und für zukünftige Mitglieder konkret verplant. Grundsätzlich ist im Hinblick auf den Wirtschaftsfaktor "Kultur" anzumerken: Jedes Atelier, jeder Proberaum, der in der Region bleibt oder entsteht, bilden eine Randbereich, von dem ebenfalls - indirekt aber relevant - Arbeitsplätze abhängen.

Genossenschaftliche Kulturförderung

Die Arbeitsplätze im Kulturbereich zu erhalten, wird letztlich nur möglich über die gezielte, politisch gewollte Kulturförderung durch die Genossenschaft. Diese erfolgt auf vielfältige Art: Die Flächenaufteilung ist intern mit 1/3 Kultur und 2/3 Gewerbe festgelegt. Der Mietpreis pro qm für Künstlerateliers liegt um 20% niedriger als der vergleichbarer Gewerberäume eine Entscheidung, die in einer Vollversammlung des Vereins in geheimer Abstimmung mit überwältigender Mehrheit gefällt wurde. Der NEUWERKBUND e.V. besteht als gemeinnütziger Verein weiter - jeder Genossenschaftler ist auch zur Vereinsmitgliedschaft verpflichtet - und wird sich künftig ausschließlich um die kulturellen Belange im NEUWERK kümmern. Der Verein wird sich weiterhin mit ungewöhnlichen und neuwerk-typischen Veranstaltungen profilieren, die sonst in der Region keinen Raum fänden. Die Genossenschaft fördert den Verein durch die kostenfreie Bereitstellung des so genannten Multifunktionsraumes für Ausstellungen, Konzert- und Theaterveranstaltungen. Einnahmen aus dessen Vermietung an Externe fließen dem Kunst- und Kultursponsoring zu.

Realistisches Zukunftsmusik

Diese Pläne stellen keine frei erfundene Zukunftsmusik dar. Sie fussen vielmehr auf der über zehnjährigen Tradition funktionierender Kunst-, Theater- und Konzertveranstaltungen im NEUWERK. Einige dieser Events wurden geradezu Legende, beispielsweise die allererste Aktion des Pyrotechnik-Künstlers und späteren Konstanzer-Kunstpreis-Trägers Roman Signer im Jahr 1989.

Gerade viele Künstler sind als notorische Individualisten auf Rahmenbedingungen angewiesen, die nicht nur finanziell, sondern auch atmosphärisch stimmen. Eine "Ansammlung" so vieler Kulturschaffender zeigt insofern: "Hier stimmt die Chemie. Dieser Standort hat kreative Ausstrahlung." Deshalb bleibt festzuhalten: NEUWERK ist der Kulturlandschaft der Stadt Konstanz zugewachsen wie ein wunderbares illegitimes Kind. Sie war bereit dies annehmen, zumal sie diese Adoption nichts kostete außer ein stadtplanerisches Ja! Vor diesem Hintergrund bestehen gegenwärtig gute Chancen die dort gewachsenen Arbeitsstätten durch genossenschaftliche Eigeninitiative nicht nur zu erhalten, sondern sogar auszubauen. Daten und Fakten

Nutzfläche: ca. 9.000 qm

Genossenschafter: 60

Gewerbebetriebe: 27

Künstlerateliers: 10

Hobbyräume: 12

Musikproberäume: 6

Existenzgründer: 4

Kunstschule: 1

Finanzierungsplan NEUWERK

Ausgaben:

Kauf von Grund und Boden 1.000.000,00 DM

Baunebenkosten (Planungsleistung, Statik, etc.) 400.000,00 DM

Kostenschätzung Sanierung 3.600.000,00 DM

Finanzierungsbedarf insgesamt: 5.000.000,00 DM

Laufende Kosten - jährlich 125.120,00 DM

Einnahmen:

Einnahmen nach der Sanierung - jährlich 448.620,00 DM

Zur Verfügung stehende Kredit-Zins und Tilgungssumme pro Jahr 323.500,00 DM