Aus CONTRASTE Nr. 176: Schwerpunkt Teil 5
FINKENBURG
Wir wohnen vor'm Deich
Der nächste Nachbar lebt einen Kilometer entfernt.
Soweit das Auge reicht sind nur Wiesen, Wasser
und Wolken zu sehen. In der Höhe von Achim-Uesen,
auf der linken Weserseite liegt ziemlich
abgeschieden die Finkenburg. Die Hofstelle existiert
bereits seit 1590 und der damalige Bewohner
Finkenborg gab ihr seinen Namen.
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Redaktion Bremen / Birgit Ahlswe
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Arche Noah
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Erst in den 60er Jahren wurde der Deich gebaut, was erklärt,
warum der Hof sozusagen auf der "falschen" Seite,
nämlich vor und nicht hinter dem Deich liegt. Etwa alle
zwei bis Fünf Jahre beschert diese Tatsache den Bewohnern ein
außergewöhnliches Erlebnis. Dann ist "Land
unter" und die Finkenburg verwandelt sich in eine Hallig. Bei
extremem Hochwasser ist das Gebäude nur noch
per Boot zu erreichen. Andreas Meier, der bereits seit
neun Jahren auf dem Hof lebt, hat das in dieser Zeit
mindestens dreimal erlebt. In der Rolle als Fährmann ist er
da schon mal an die 20 Kilometer gepaddelt. "Das ist
sehr spannend, weil man von einer völlig veränderten
Landschaft umgeben ist", sagt er.
Einmal retteten sich in dieser Zeit Tiere auf die höher
gelegene Warft. Plötzlich gab es da noch ein Fasanenpärchen,
einen riesengroßen Hasen, zahlreiche Igel und
noch zahlreichere Mäuse. "Die Katzen fraßen nur noch
die Filetstücke", schildert Uwe Ciesla diese Zustände
anschaulich. Nach ein bis zwei Wochen fließt das Wasser in
der Regel wieder ab, und der Betrieb nimmt seinen gewohnten
Gang.
Die Finkenburg wurde Ende 1989 von sechs Studenten
ersteigert. Ihr Anliegen war es, dort über das gemeinsame
Wohnen hinaus eine Lebensgemeinschaft zu führen. Sie
gründeten eine Kommune mit einer gemeinsamen Kasse
und gemeinsamen Arbeitsprojekten, also gemeinsamer
Ökonomie. Das Gebäude bietet fünfzehn Wohnzimmer,
zwei Küchen und Fünf Bäder. Dazu kommen diverse große Flure
als Gemeinschaftsräume. Zum Wohngebäude
kommen drei Nebengebäude und 3/4 ha zugepachtetes
Land, das als Pferdeweide genutzt wird.
Die Grundidee des Lebens in einer Kommune stammt
aus der 68er Bewegung. "Heute ist sie jedoch weniger
provokant und mehr langfristiger angelegt", erläutert Uwe.
Andreas schildert die interne Entwicklung: "Früher waren wir
noch sehr dogmatisch, mit bestimmten Ansprüchen. Heute ist
die erste Priorität gut miteinander zu leben!" So war das
Zusammenleben immer in Bewegung.
Zwischenzeitlich waren ein Teil der Bewohner auch als
reine Wohngemeinschaft organisiert, und momentan befindet
sich die Gemeinschaft wieder im Umbruch, weil
Platz für mehrere neue Mitbewohner frei ist.
Gleichberechtigte Strukturen und Entscheidungen im Konsens
sind nach wie vor wichtig, und die Finkenburg soll auf jeden
Fall ein Gemeinschaftsprojekt des Hausvereins bleiben.
Neueinsteiger sollen aber auch Zeit und Gelegenheit
haben, sich einzubringen.
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Viele Arbeits- und Bauprojekte
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Finanziert wird das Projekt durch die Mieten und eine
einmalige Krediteinlage der Mieter, die bei Auszug wieder
ausgezahlt wird. Einige Bewohner sind an einer externen
Windkraftanlage beteiligt. Und auch Arbeitsprojekte, wie
die vor sieben Jahren gegründete Mosterei, tragen einen
Teil zur Finanzierung bei. In der Mosterei werden vorwiegend
Äpfel, Holunder oder Quitten zu Saft verarbeitet.
Hier Können Leute ihre Früchte nach Terminabsprache
auf den Hof bringen, und innerhalb von rund einer Stunde den
Saft ihres eigenen Obstes wieder mitnehmen. Etwa
einmal im Jahr steht ein größeres Bauprojekt auf der
Finkenburg an. So haben die Bewohner schon seit vielen Jahren
ihre eigene Pflanzenkläranlage. Das warme Wasser
wird von Mai bis September durch eine Solaranlage produziert
und eine Diele wurde saniert und von Schadstoffen befreit.
Außerdem wird mit Lehmbau experimentiert,
und es entstand ein Ofen für 40 Brote. - Projekte ganz
anderer Art waren die Hausgeburten. Im Laufe der neun Jahre
kamen vier Mädchen auf der Finkenburg zur Welt:
Ronja, Laura, Marie und Truus.