Aus CONTRASTE Nr. 171, Schwerpunktthema
TAUSCHRINGE INTERNATIONAL, Teil 2
USA - NEW YORK: Lokalgeld: "Ithaca hour"
In Ithaca im Staate New York akzeptieren etwa 1.500 Läden und Betriebe "Ithaca hours", eine
Währung, die es ermöglicht, lokal hergestellte Produkte und Dienste zu tauschen, ein Weg, um die
Ökonomie menschlich und ökologisch zu gestalten.
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von Joelle Delvaux, Lyon -
Die "Ithaca hours" sind das Beste, was in unserer Stadt seit der Erfindung von Brot in
Scheiben passiert ist, teilt jüngst der Grafiker Michael dem Journalisten des "Nouvel Observarteur", Jean-Paul Dubois auf Reportage in Ithaca mit. Der Plattenhändler Joe fügte
hinzu, es spiegelt unsere Philosophie wieder, fördert unsere Landwirtschaft, unser Kunsthandwerk
und gibt uns die Verantwortung für unser Leben zurück.
Auch andere bezeugten mit Enthusiasmus die vielfältigen
positiven Aspekte der "Ithaca hours". "Dank diesem
Lokalgeld bleibt unser Geld hier und wir helfen uns
gegenseitig anstatt die Multis zu bereichern", sagte der
Elektriker Danny. "Diese Parallelorganisation schafft ein
Band der Solidarität und gibt insbesondere den Erwerbslosen
die Möglichkeit eine Beschäftigung zu finden", fügt
der Wirtschaftsprofessor hinzu. "Diese Form von Tauschhandel
erlaubt meiner Frau und mir, häufiger im Restaurant zu
essen", erläutert Charlie, Trommelhersteller. Die
Gemüsehändler, Bill und Cris erklären begeistert: "dank
dieses Lokalgeldes kaufen die Leute regionale Produkte.
Wir verkaufen mehr und bieten gegenseitig ab jetzt kleine
Luxusprodukte an, die wir nie in Dollar hätten bezahlen können".
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Ein nicht-spekulatives Geld
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Alles hatte im Kopf von Paul Glover angefangen, vormals
Verleger und Journalist mit einem Diplom in
Verwaltungsfragen. 1991 untersuchte er die Geldbewegungen in
seiner Stadt, Ithaca. Er bemerkt die klassischen Schäden
des Kapitalismus: die großen multinationalen Gesellschaften
und Ladenketten dringen in den Markt ein, saugen das lokale
Kapital auf, investieren es woanders und
bedrohen dadurch die lokale Produktion und Beschäftigung.
Paul Glover, überzeugter Ökologe, hält viel von einer neuen
Wirtschaftsordnung, die auf dem Tausch innerhalb der
Nachbarschaft basiert und zieht den Schluss,
dass die einzige Möglichkeit für die lokale Ökonomie Nutzen
aus lokal vorhandener Finanzkraft zu ziehen, den Abfluss von
Kapital und die Spekulation zu verhindern, darin besteht,
eine monetäre Einheit zu schaffen, die man
nur in der Stadt verdienen und ausgeben kann. Nach dieser
Erkenntnis schreitet er zur Tat und druckt Geldscheine, deren einziger Wert die "Ithaca hour" ist.
Allmählich begreifen die 30.000 Einwohner der Stadt und die 40.000 Studenten der naheliegenden Universität
das besondere an diesem System. Anfangs akzeptieren nur wenige Dutzend Geschäfte die neue Währung. Heute
ist ihre Zahl um das 15fache gewachsen. Deren Adressen werden in eine Publikation aufgenommen, die alle zwei Monate aktualisiert wird.
Paul Glover erklärt, wie es funktioniert: "Die Basis-Note, eine "Ithaca hour" (Ithaca-Stunde) ist 10 Dollar,
dem durchschnittlichen Stundenlohn in Ithaca, wert. Nehmen wir nun einen Bauern, der für 20 Dollar Käse verkauft.
Anstelle der offiziellen Währung erhält er zwei zusätzliche Arbeitsstunden. Mit diesem kleinen Kapital
kann er z.B. die Leistung eines Tischlers kaufen, der wiederum den Dienst eines Mechanikers in Anspruch nehmen, der
mit seinen Stunden, den Chiropraktiker bezahlt, der damit 4 Kinokarten kauft, etc. Das ist ein System ohne Ende, das aus
sich selbst insgeheim eine nachhaltige Ökonomie schafft, abseits vom Dollar und wo die wirklich aufgewendete Arbeitszeit abstrakte Liquiditätsmittel ersetzt". In Ithaca kann man sich nun tatsächlich fast alles verschaffen: medizinische Leistungen,unterschiedliche Dienste, Kulturdarbietungen, Essen, Möbel, etc.
Das System ist gut etabliert. Die Bibliothek "Autumn
Leaves" übernimmt die Funktion der Zentralbank. Dort
können die Leute ihre Dollar in "Ithaca hour" umtauschen.
Umgekehrt ist das jedoch nicht möglich, um die
Spekulation und Inflation prinzipiell zu verhindern. Die
"Bank" emittiert im Bedarfsfall neue Scheine und ersetzt
diejenigen, die beschädigt sind. Weitere Scheine sind
dazu gekommen: Zwei-Stunden-Noten, Halbe-Stunden-Noten,
Viertelstunden-Noten, Achtel-Stunden-Noten.
Schließlich hat die Druckerei, um der Fälschung vorzubeugen,
eine Tinte aufgedruckt, die beim Reiben die Farbe wechselt.
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Ermutigung und Nachahmung
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So erstaunlich es erscheinen mag, das System der "Ithaca
hours" scheint keinen Widerstand seitens der politischen
Entscheidungsträger hervorgerufen zu haben. Im
Gegenteil, die Stadtverwaltung und die Handelskammer
unterstützen das System und selbst eine große Bank bezahlt
einige ihrer Verpflichtungen und Aufwendungen in
"Ithaca hours"! Darüber hinaus hat der für den Landkreis
zuständige Staatsanwalt kürzlich verkündet, dass
die Fälschung von "Ithaca hours" genauso streng bestraft
würde wie das Fälschen von Dollars! Man glaubt zu träumen!
Einige Multis und große Einkaufszentren haben bereits
begriffen, dass sie von den Bewohnern Ithacas nicht
mehr profitieren können. Mac Donalds mußte seine
Hamburger wegräumen und seine Leuchtreklame im
Stadtzentrum löschen, da sich die Kundschaft nebenan
in einer kleinen Imbissbude drängte, die "Ithaca hours"
annimmt. Sandwichs nach althergebrachter Art haben
das Fastfood ersetzt.... sehr zur Freude derjenigen, die den
Geschmack am Guten wiedergefunden haben und das zu einem akzeptablen Preis.
In Ithaca nimmt man an, dass "Ithaca hours" im
Wert von zwei Millionen Dollar in der Stadt kursieren.
Offensichtlich ist der Erfolg des Systems auf die Bewohner
zurückzuführen, die es geschaffen haben. Gegenüber einem
solchen Erfolg ist man sprachlos. Ja, in den USA, im
Land der Leitwährung haben Bürgergruppen ein ökonomisches
System und eine wirklich alternative Bank installiert.
Zweifellos hat die überstürzte Entwicklung der
materialistischen Gesellschaft das Fass zum überlaufen
gebracht. Paul Glover beschreibt dies so: "Ithaca hour" ist
ein wirkliches Verrechnungssystem, dessen Gegenwert
die greifbare Arbeit von existierenden Menschen darstellt.
Der Dollar dagegen ist Monopolgeld, von jeglicher
Stofflichkeit entkleidet. Er hat kein Gegenwert - selbst
keinen Metallwert. Er repräsentiert nur nationale Schulden in
Höhe von 5.200 Milliarden Dollar. In Amerika ist der Staat der größte Geldfälscher!"
Ithaca ist sicherlich nur ein Fall, aber nicht der einzige.
Diese Lokalgeld-Systeme entstehen auch in anderen
Städten der USA (insgesamt 25, darunter Santa Fe u.
Kingston) und verbreiten sich von dort auf dem Kontinent.
Seit Paul Glover die Zapatisten getroffen hat, die
eine neue Form der Ökonomie entwickeln und aus der
klassischen Zirkulation des Geldes aussteigen wollen....,
wird eine Vorstadt von Mexico bald dieses Abenteuer wagen.
Andere Experimente werden folgen, insbesondere in
Afrika. "Diese Art von Austausch ist auch sehr interessant
für die armen Länder", bestätigt Paul Glover, zufrieden
darüber, wie sich sein Modell auf den Kontinenten ausbreitet.
Quelle: S.E.L. Pour changer, 'changeons, Lyon 1998 Aus dem Französischen übersetzt von Ricarda Buch
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