Nazis und Bevölkerung - eine deutsche Suppe ...

Wenn wir heute wieder einmal hier in Wurzen demonstrieren, dann tun wir dies nicht zuletzt deshalb, wie es auch dem Aufruf zu entnehmen ist, weil sich hier "wohl am besten neonazistische Strukturen mit dem Stadtklima verbinden konnten und können, ... eine Dominanz von Nazis auf der Straße und in den Clubs existiert und sich eine Nazi-Szene mit bundesweiter Bedeutung entwickelt hat."

Denn wir finden gerade hier in Wurzen, daß es keine Thematisierung einer Nazi-Szene geben sollte, ohne daß nicht gleichzeitig auf das gesellschaftliche Klima hingewiesen wird, indem Nazistrukturen aufblühen können. Dann erscheinen die Nazis nämlich auf einmal nicht mehr als eine Randgruppe, die so gut wie gar nichts mit dem Rest der deutschen Gesellschaft zu tun hat, wie ständig zu hören ist, sondern es zeigen sich verbindende Elemente, die weniger zufällig sind, als vielmehr konstitutiv für die gesamte deutsche Gesellschaft gelten. Für uns entsteht ein Bild von einer deutschen Suppe, in der Nazis, Bevölkerung und PolitikerInnen gemeinsam schwimmen. Und dieses Bild ist kaum nur noch bezeichnend für Wurzen, sondern zieht sich quer durch die deutsche Gesellschaft, die sich schon immer als deutsche Gemeinschaft verstanden hat. Die Grundlage dieser deutschen Gemeinschaft sind gleiche Wertevorstellung und eine gemeinschaftlich konstruierte Identität, die sich auf das gemeinsame "Deutsch-Sein" bezieht und durch eine völkische "Blut-und-Boden"-Ideologie bestimmt wird. Diese Ideologie, wie sie immer noch im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht definiert ist, bildet den Kern der völkischen Gemeinschaft. Sollte sie einmal abgelöst werden, können wir uns sicher sein, daß kulturalistische und andere Argumente zeigen sollen, daß eine Einbindung von MigrantInnen in gesellschaftliches Leben in Deutschland unmöglich ist. Dazu stützt sich die gemeinsame deutsche Identität auf typische deutsche "Sekundärtugenden" von Ordnung, Fleiß, Sauberkeit und Disziplin, einen deutschen Arbeitsfetischismus sowie auf einen ebenso typisch deutschen Opfermythos. Ergebnis dieser gemeinschaftlichen Identität ist ein gesellschaftlich rechter Konsens, auf dessen Grundlage Nazis morden können, rassistische Bürgerinitiativen aktiv werden, staatliche Veranstaltungen in Gedenken der Opfer des Bombenabwurfs auf Dresden genauso stattfinden und Martin Walser seine antisemitische Paulskirchenrede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buches halten kann.

Eine Differenzierung der Deutschen scheint häufig nur in der Art und Weise des Vorgehens der einzelnen Akteure möglich. Gerade deshalb werden sich zwar immer große Teile der Bevölkerung von den Gewalttaten der Nazis distanzieren, aber immer schon eine entschuldigende Erklärung in der Tasche parat haben, weil sie die Motive der Nazis teilen und deren Inhalten häufig in nichts nachstehen.

Immer dann, wenn eine allgemeine Bedrohung konstruiert wird, können die Grenzen sehr leicht verschwimmen und die deutsche Gemeinschaft rückt noch enger zusammen. Meist äußert sich dies nur auf lokaler Ebene. Wenn irgendwo in Deutschland Flüchtlinge untergebracht werden sollen, schmiedet sich eine Volksfront, die sich den Schutz der Gemeinschaft zum Ziel gemacht hat. In der praktischen Aufgabenverteilung äußert sich das ganze folgendermaßen. Die lokalen PolitikerInnen signalisieren, daß die Ortschaft der Einbindung von so vielen Fremden nicht gewachsen ist, in der Bevölkerung werden entweder Bürgerinitiativen gegründet, Unterschriftenaktionen angeleiert oder anderweitige Pläne zur Abwehr geschmiedet und die lokalen Nazis tun durch rassistisch militante Aktionen auf der Straße ihr übriges. So funktionierte es in Dolgenbrodt, in Gollwitz und wird überall wieder passieren, wenn "Gefahr in Verzug" scheint.

Auf bundesweiter Ebene ist dieses Szenario gerade an Hand der Diskussion um die doppelte Staatsbügerschaft zu verfolgen. Bei allen gesellschaftlichen Kräften herrscht ein ähnliches Problembewußtsein. Die Diskussion handelt lediglich darum, ob und wie dem deutschen Volk Fremde integriert werden können, gewissermaßen, ob und wieviel Fremde die deutsche Gemeinschaft "aushält". Wieviel die Deutschen "aushalten" wollen, machten die Nazis bei einer Hetzjagd auf einen algerischen Flüchtling, die tödlich endete, am 12. Februar in Guben deutlich. Doch zurück zu Wurzen. Hier hat sich eine deutsche Front anderer Art gebildet und zwar eine Abwehrfront gegen unsere heutige Demonstration. Diese zieht sich quer durch das Parteienspektrum, erhält durch die lokale PDS ihre Stichworte und machte es sich zur Aufgabe, alles dafür zu tun, daß unsere Demonstration nicht stattfinden kann. Unser Erscheinen wurde als Eindringen von außerhalb verstanden, daß dem Ruf der Stadt schaden und die städtische Ruhe und Ordnung gefährden könnte. Nicht die Dominanz der Nazis in Wurzen, sondern unsere Demonstration wird als Problem gesehen. Das ist hier Konsens. Das Wissen über den rechten Konsens in der deutschen Gesellschaft bedeutet für uns als Antifas, sich inhaltlich nicht nur auf die Nazis konzentrieren zu können. Für uns gilt es, antifaschistische Politik als antideutsche Politik zu begreifen. Das heißt für uns, staatlichen Rassismus anzugreifen, den deutschen Mob an seinen rassistischen, antisemitischen und nationalistischen Plänen zu hindern und uns selbst von deutschen Wertvorstellungen in unserem Engagement abzugrenzen. Wir wollen kein Teil irgendeiner Gemeinschaft und schon gar nicht dieser mörderischen deutschen sein, sondern lieber unsere eigene Kreativität und Spontaneität gegen sie verwenden.

In diesem Sinne - Nie wieder Deutschland!


Bündnis gegen Rechts Leipzig

Seitenanfang Startseite