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Ausschlafen gegen rechts?
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Als das Bündnis gegen Rechts (BGR) aus Leipzig im November 2001 das erste Mal nicht gegen einen Naziaufmarsch in der eigenen Stadt mobilisierte, sondern die Parole "Ausschlafen gegen rechts!" ausgab, war das Unverständnis groß. Nach drei Jahren Schlaf hat sich – trotz des NPD-Wahlerfolgs in Sachsen – beim BGR nicht viel geändert. Bis auf die Tatsache, dass zur Eigenbezeichnung nur noch die Abkürzung verwendet wird.
Das Geschrei ob des Einzug der NPD in den sächsischen Landtag war schon vor dem 19. September 2004 groß. Antifa-Gruppen wittern nun Morgenluft, die Zivilgesellschaft ist entsetzt, die Wirtschaft besorgt, die Jusos bangen um die Arbeitsplätze im Osten, die Medien erteilen Nachhilfeunterricht in Sachen Demokratie und deutscher Geschichte und die Parteien weisen sich gegenseitig die Schuld zu. Die inszenierte Empörung wird allerdings so schnell wieder abebben, wie sie begonnen hat. Nur die unerschrockenen Antifas wollen am Ball bleiben. Der Leitartikel der Antifaschistischen Nachrichten (23.9.2004) gibt die Linie vor: "Hartz IV ... hat die armen Leute regelrecht in die Fänge der rechten Demagogie getrieben. ... Der rechte Sumpf kann aber nur trocken gelegt werden, wenn alle demokratischen Kräfte daran arbeiten. Das wollen die bürgerlichen Kräfte aber nicht, wenn sie die rechten Parteien und die PDS auf eine Stufe stellen. Darüber muss die Diskussion und Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Kräften gesucht werden. Ohne linke, sozialistische Kritik entwickelt sich keine Front gegen Rechts."
Das ist zwar als Schnellschuß etwas vulgär formuliert, doch das Antifaschistische Infoblatt wird dann Monate später in einem wissenschaftlicheren Duktus, aber mit der gleichen Stoßrichtung, nachlegen. An dieser Analyse ist so gut wie alles falsch. Eine Widerlegung erübrigt sich schon angesichts der logischen Inkonsistenz der Argumentation: Die Demokraten treiben die "armen Leute" in "die Fänge" der Rechten und die gleichen Demokraten werden sie da, angetrieben von den sozialistischen Volksfrontkräften, vereint mit der PDS, wieder herausholen?
Dagegen bleibt festzuhalten: Nicht der Wahlerfolg der NPD ist das Problem, sondern die rechte Gesinnung, die der gemeine PDS-Wähler mit der CDU-Sympathisantin teilt. Nicht Hartz IV treibt die armen Menschen zur NPD, sondern die fehlende Überzeugungskraft der rechten Parolen der als nicht-rechts geltenden Parteien. Und: Der rechte Sumpf lässt sich nicht trocken legen, in dem man die völkischen Kräfte auf dem morastigen Boden der FDGO gegen die bodenlosen völkischen Kräfte verteidigt.
Die Frage wäre also: Was soll eine Antifa, die ihrem Namen gerecht werden will, mit der PDS anfangen, die in Sachsen Wahlkampf betrieb mit der Losung: "Jeder Zweite schläft auch werktags aus. Ungerecht!"? Wie soll ein Bündnis mit den demokratischen Kräften funktionieren, wenn selbst die Linke lieber mit den Nazis gegen Hartz IV auf die Straße geht als gegen die Nazis und die ganzen anderen MontagsdemonstrantInnen? Was soll die pathetische Aufladung des Antifaschismus mit revolutionären Hoffnungen, wenn es im Grunde genommen nur um den reibungslosen Ablauf des kapitalistischen Normalbetriebs geht, der durch ein Zuviel an "Rechtsradikalismus" gestört werden könnte?
Antifaschismus besitzt trotz all dieser Einwände eine konkrete Berechtigung – allerdings nicht in dem Sinne, wie die meisten Antifa-Gruppen ihn noch nach dem von der Bundesregierung proklamierten Staats-Antifa-Sommer praktizieren. Die Berechtigung besteht darin, sich einerseits gegen Angriffe zur Wehr zu setzen. Andererseits – und dies wird meist vernachlässigt – die bürgerliche Gesellschaft (und nicht etwa den Staat oder das Kapital) als den Nährboden für faschistische Ressentiments zu bekämpfen, ohne dabei beides in eins zu setzen oder gar selbst in die Falle der Gegenaufklärung zu tappen. Darüber hinaus hätten sich AntifaschistInnen in Deutschland mit dem Dritten Reich und den postnazistischen Kontinuitäten zu beschäftigen.
Dass dies in breiten Teilen der Linken nicht einmal ansatzweise geschieht, offenbaren die folgenden Sätze, die in der aktuellen Ausgabe der Leipziger Anarcho-Zeitschrift Feierabend erschienen sind und in fast jede andere linke Zeitschrift gepasst hätten: "In einigen Städten rufen eher rechte Gruppierungen zu den Demos auf ... Alles in Allem sind es einfach nur Leute, die auf die Strasse gehen. ... Die etablierten Parteien können hier aber sicherlich nicht punkten. Wenn von der Bühne gegen das Parteiensystem oder den Kapitalismus gewettert wird, ist der Applaus groß. Offensichtlich braucht mensch keine drei linken Szenezeitschriften abonniert haben, um irgendwann festzustellen, dass der Fehler im System liegt." Was die einen, nämlich die sich antipolitische gebende Idylle mit den Nazis, als den Vorabend der Revolution ansehen, ist für alle, die die Geschichte nicht verdrängt haben, ein Symptom für die Volksgemeinschaft in nationalsozialistischer Tradition.
Es gilt also weiterhin: Ausschlafen gegen Rechts und wachsam sein gegenüber dem Rest der Gesellschaft! Und: Mit drei oder mehr linken Zeitschriften erkennt auch noch der letzte Antifa, dass der Fehler im linken Antifaschismusverständnis liegt – und nicht im System!

Mark Schneider

Der Autor ist Mitglied im BGR (www.nadir.org/bgr)

 

subpage last updated: 17. Oktober 2004