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Ausschlafen gegen rechts?[1]
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Als das Bündnis gegen Rechts (BGR) aus Leipzig im November 2001 das erste Mal nicht gegen einen Naziaufmarsch in der eigenen Stadt mobilisierte, sondern die Parole "Ausschlafen gegen rechts!" ausgab, war das Unverständnis groß.[2] Nach drei Jahren Schlaf[3] hat sich – trotz des NPD-Wahlerfolgs in Sachsen – beim BGR nicht viel geändert. Bis auf die Tatsache, dass zur Eigenbezeichnung nur noch die Abkürzung verwendet wird.
Das Geschrei ob des Einzug der NPD in den sächsischen Landtag war schon vor dem 19. September 2004 groß. Antifa-Gruppen wittern nun Morgenluft, die Zivilgesellschaft ist entsetzt, die Wirtschaft besorgt, die Jusos bangen um die Arbeitsplätze im Osten[4], die Medien erteilen Nachhilfeunterricht in Sachen Demokratie und deutscher Geschichte und die Parteien weisen sich gegenseitig die Schuld zu[5]. Die inszenierte Empörung[6] wird allerdings so schnell wieder abebben, wie sie begonnen hat. Nur die unerschrockenen Antifas wollen am Ball bleiben. Der Leitartikel der Antifaschistischen Nachrichten (23.9.2004) gibt die Linie vor: "Hartz IV ... hat die armen Leute regelrecht in die Fänge der rechten Demagogie getrieben. ... Der rechte Sumpf kann aber nur trocken gelegt werden, wenn alle demokratischen Kräfte daran arbeiten. Das wollen die bürgerlichen Kräfte aber nicht, wenn sie die rechten Parteien und die PDS auf eine Stufe stellen. Darüber muss die Diskussion und Auseinandersetzung mit den bürgerlichen Kräften gesucht werden. Ohne linke, sozialistische Kritik entwickelt sich keine Front gegen Rechts."
Das ist zwar als Schnellschuß etwas vulgär formuliert, doch das Antifaschistische Infoblatt wird dann Monate später in einem wissenschaftlicheren Duktus, aber mit der gleichen Stoßrichtung, nachlegen. An dieser Analyse ist so gut wie alles falsch. Eine Widerlegung erübrigt sich schon angesichts der logischen Inkonsistenz der Argumentation: Die Demokraten treiben die "armen Leute" in "die Fänge" der Rechten und die gleichen Demokraten werden die "armen Leute", angetrieben von den sozialistischen Volksfrontkräften, vereint mit der PDS, wieder herausholen?
Dagegen bleibt festzuhalten: Nicht der Wahlerfolg der NPD ist das Problem, sondern die rechte Gesinnung, die der gemeine PDS-Wähler mit der CDU-Sympathisantin teilt. Nicht Hartz IV treibt die armen Menschen zur NPD, sondern die fehlende Überzeugungskraft der rechten Parolen der als nicht-rechts geltenden Parteien. Und: Der rechte Sumpf lässt sich nicht trocken legen, in dem man die völkischen Kräfte auf dem morastigen Boden der FDGO gegen die bodenlosen völkischen Kräfte verteidigt.
Die Frage wäre also: Was soll eine Antifa, die ihrem Namen gerecht werden will, mit der PDS anfangen, die in Sachsen Wahlkampf betrieb mit der Losung: "Ungerecht. Jeder Zweite schläft auch werktags aus. Ungerecht!"? Wie soll ein Bündnis mit den demokratischen Kräften funktionieren, wenn selbst die Linke lieber mit den Nazis gegen Hartz IV auf die Straße geht als gegen die Nazis und die ganzen anderen MontagsdemonstrantInnen?
[7] Was soll die pathetische Aufladung des Antifaschismus mit revolutionären Hoffnungen, wenn es im Grunde genommen nur um den reibungslosen Ablauf des kapitalistischen Normalbetriebs geht, der durch ein Zuviel an "Rechtsradikalismus" gestört werden könnte?
Antifaschismus besitzt trotz all dieser Einwände eine konkrete Berechtigung – allerdings nicht in dem Sinne, wie die meisten Antifa-Gruppen ihn noch nach dem von der Bundesregierung proklamierten Staats-Antifa-Sommer praktizieren. Die Berechtigung besteht darin, sich einerseits gegen Angriffe zur Wehr zu setzen.[8] Andererseits – und dies wird meist vernachlässigt – die bürgerliche Gesellschaft (und nicht etwa den Staat oder das Kapital)[9] als den Nährboden für faschistische Ressentiments zu bekämpfen, ohne dabei beides in eins zu setzen[10] oder gar selbst in die Falle der Gegenaufklärung zu tappen[11]. Darüber hinaus hätten sich AntifaschistInnen in Deutschland mit dem Dritten Reich und den postnazistischen Kontinuitäten zu beschäftigen[12].
Dass dies in breiten Teilen der Linken nicht einmal ansatzweise geschieht, offenbaren die folgenden Sätze, die in der aktuellen Ausgabe[13] der Leipziger Anarcho-Zeitschrift Feierabend erschienen sind und in fast jede andere linke Zeitschrift[14] gepasst hätten: "In einigen Städten rufen eher rechte Gruppierungen zu den Demos auf ... Alles in Allem sind es einfach nur Leute, die auf die Strasse gehen. ... Die etablierten Parteien können hier aber sicherlich nicht punkten. Wenn von der Bühne gegen das Parteiensystem oder den Kapitalismus gewettert wird, ist der Applaus groß. Offensichtlich braucht mensch keine drei linken Szenezeitschriften abonniert haben, um irgendwann festzustellen, dass der Fehler im System liegt." Was die einen, nämlich die sich antipolitische gebende und antiintellektuelle Idylle mit den Nazis, als den Vorabend der Revolution ansehen, ist für alle, die die Geschichte nicht verdrängt haben, ein Symptom für die Volksgemeinschaft in nationalsozialistischer Tradition.
Es gilt also weiterhin: Manchmal[15] ausschlafen gegen Rechts und öfter wachsam sein gegenüber dem Rest der Gesellschaft! Und: Mit drei oder mehr linken Zeitschriften erkennt auch noch der letzte Antifa, dass der Fehler im linken Antifaschismusverständnis liegt – und nicht nur im System!

Mark Schneider

Der Autor ist Mitglied im BGR (www.nadir.org/bgr)

[1] Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um die ungekürzte und mit einigen Anmerkungen versehene Version eines Disko-Beitrags, der am 29.09.2004 in der Jungle World (S. 19, http://jungle-world.com/seiten/2004/40/4053.php) erschien. Der Ort des Erscheinens, die Disko-Seite, die konträre Positionen selbst da präsentieren soll, wo sie nicht auf der Hand liegen, erklärt die polemische Argumentation – und macht an dieser Stelle die Ergänzungen notwendig.

[2] Die damalige Begründung des BGR findet sich unter http://www.conne-island.de/nf/83/26.html. In dem Papier wird nicht dem Antifaschismus generell die Absage erteilt, sondern vor dem Hintergrund des staatlichen Antifa-Sommers im Jahre 2000 und der damit einher gehenden Marginalisierung der Nazis erklärt, dass man erstens nicht jedem kleinen Naziaufmarsch hinterher rennen will und zweitens sich Antifaschismus mit der Mitte der Gesellschaft und der staatlichen Politik zu beschäftigen habe. Es handelte sich damit um eine historisch bedingte Akzentverschiebung der BGR-Politik, die vor dem Hintergrund, dass das BGR schon immer den "rechten Konsens" – und nicht etwa das Treiben einzelner Nazis – in den Mittelpunkt seiner Kritik gestellt hat, gar nicht mal so bedeutend war, auch wenn sie für viel Verunsicherung in der Leipziger Szene sorgte. Allein schon die Tatsache, dass das damalige BGR-Papier als Flugblatt bei den Antifa-Gegenaktivitäten am 03.11.2004 verteilt wurde, zeigt, dass in der Praxis sich das BGR natürlich weiterhin an antifaschistischen Aktionen beteiligt hat. Eine generelle Absage an den Antifaschismus erfolgte damals von Seiten wertkritischer und antideutscher AutorInnen. Siehe dazu http://www.conne-island.de/nf/80/23.html, http://www.conne-island.de/nf/79/18.html, http://www.conne-island.de/nf/76/24.html sowie die Links am Ende dieser Texte. Die Kritik des BGR an dieser Position findet sich unter: http://www.conne-island.de/nf/78/23.html.

[3] Dass BGR hat natürlich in der Zeit nicht geschlafen. Vielmehr ist die linke Szene in Leipzig sanft entschlummert, so daß sich an den BGR-Aktionen immer weniger Menschen beteiligen. Ein Überblick über die Kampagnen der letzten Jahre findet sich unter: http://www.nadir.org/bgr

[4] Entsprechendes plakatierten die Jusos sogar schon vor der Wahl und riefen sogar zu einer Antifa-Demo auf.

[5] Vor allem CDU und PDS beschuldigen sich gegenseitig. Die Auswertung der WählerInnenwanderung ergibt eindeutig, dass die NPD die meisten Stimmen von der CDU (d.h. ehemaligen CDU-WählerInnen) und einige Stimmen von der SPD erhielt. Dahingegen hat die NPD an die PDS, FDP und die Grünen sogar Stimmen abgeben müssen (LVZ 22.09.2004, S. 5). Inwieweit alle Parteien mit ihrem nationalistischen Wahlkampf am NPD-Wahlerfolg Schuld tragen, ist natürlich eine andere Frage bzw. gar keine Frage. (Vgl. CEE IEH #114, http://www.conne-island.de/nf/114/3.html)

[6] Viele wollten sich natürlich gar nicht erst empören, sondern lieber Entwarnung geben. So hält der Bundespräsident Horst Köhler den NPD-Wahlerfolg für einen Beweis für die leistungsfähige und stabile deutsche Demokratie, vermeintliche Rechtsextremismusexperten bescheinigen der NPD keine rosige Zukunft, die JournalistInnen sprechen fast gleichlautend von einer "Protestwahl" und die in- sowie ausländische Wirtschaft versichert, trotzdem an dem hervorragenden Standort Sachsen festhalten zu wollen; der Vertreter der amerikanischen Wirtschaft gibt zusätzlich noch den guten Tipp, die arbeitslosen Ossis sollten nicht jammern und auf den Staat vertrauen, sondern endlich ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. (Vgl. z.B. LVZ 21.09.2004)

[7] Jede Montagsdemonstration in Leipzig war ein – selbst im klassischen Sinne – größerer Naziaufmarsch als der geplante am 03.10.2004, der tausende erboste AntifaschistInnen auf die Straße trieb. Im "klassischen Sinne" deswegen, weil ohne die zwar richtige Denunzation fast aller MontagsdemonstrantInnen als eklige Volksgemeinschaft trotzdem zu erkennen gewesen wäre, dass nicht nur die zehn bis 40 Nazis mit Glatze und Bomberjacke als solche zu bezeichnen sind, sondern auch die mehreren Hunderten BüSo-AnhängerInnen. Die BüSo nämlich wird in jedem Antifa-Nachschlagewerk als rechtsextreme Sekte erwähnt.

Am Wochenende frönt mensch also der guten Gesinnung, was nur dann funktioniert, wenn sich die Nazis auch als solche zu erkennen geben. In der Woche hingegen, vor allem am Montag, stört es weite Teile der Szene nicht, wenn der völkische Mob inklusive seiner Nazis für mehr Arbeit demonstriert; ganz zu schweigen von den Punkern, die sich mit der Parole "Deutschland geht baden" montags mit einreihten und für den Standort Deutschland demonstrierten.

[8] Insofern erklärt sich auch die Mobilisierung des BGR für den 03.10.2004. Die Nazis wollten mit ihrem Aufmarsch nach Connewitz gezielt den Boden für rechte Angriffe auf die alternativen und linken Projekte im Leipziger Süden bereiten. Nicht abgestritten werden soll, dass ganz praktische Antifa-Politik vor allem auch in weiten Teilen Sachsens unabdingbare Voraussetzung für jedwedes weitere politische Engagement ist. 

[9] Das ist ein bedeutender Unterschied. Während die Parole "Antifa ist der Kampf ums Ganze" früher meist zwischen hohlen Revolutionsforderungen und der Propagierung von Angriffen auf die Deutsche Bank oder die Staatsgewalt oszillierte, d.h. bestimmte Kapitalfraktionen oder politische Akteure des Staates für die Existenz der Nazis verantwortlich machte, ist die Analyse heute nicht unbedingt viel weiter: Die Wertkritischen Kommunisten Leipzig (WKL, http://www.wertkom.org/) haben die finale Krise des Kapitalismus als wichtigste Ursache ausgemacht, die jedoch auch viel emanzipatorisches Potential in sich berge, z.B. die Montagsdemonstrationen. Für einige antideutschen Kreise sind nun genau jene nichts anderes als nationalsozialistische Aufmärsche. Während die einen also das Primat der Ökonomie verabsolutieren, gerät den anderen außer Ideologie und Diskursen nichts anderes ins Blickfeld – und dass dann auch noch unscharf, denn anders läßt sich die postulierte Gleichheit zu nationalsozialistischen Epoche nicht erklären.

[10] Eine typische linke Argumentationsfigur setzt Nationalsozialismus und Kapitalismus gleich. Diese diente in der BRD vor allem der Entlastung gegenüber der eigenen Geschichte. Hinzu kommt die Denkfaulheit: Warum sich intensiv mit dem Kapitalismus auseinandersetzen, wenn er mit Verweis auf den Faschismus so leicht zu denunzieren ist.

[11] Dies passiert z.B. genau dann, wenn mensch – wie die WKL – meint, ohne die Werte der Aufklärung auskommen zu können. Problematisch war auch schon immer die Personalisierung gesellschaftlicher Zusammenhänge, wenn z.B. die Antifa das Erstarken von Nazis hauptsächlich mit dem Agieren bestimmter PolitikerInnen oder der bösen Konzerne erklären wollte.

[12] Praktisch würde dies z.B. bedeuten, den Antiamerikanismus der Friedensbewegung und die nationalistischen und arbeitsfetischistischen Argumente der Montagsdemonstrationen genauer zu analysieren, die Kontiunitäten dieser Denkfiguren seit dem Dritten Reich und davor zu untersuchen sowie deren derzeitige Relevanz und Durchsetzungschancen einzuschätzen. Das bedeutet, dass weder eine Gleichheit behauptet werden kann, wie es die Antideutsche kommunistische Gruppe Leipzig (AKG, http://www.akg-leipzig.info/) lediglich mit dem Verweis auf einige Parolen dieser Bewegungen getan hat, noch dass die offensichtlichen Ähnlichkeiten pauschal geleugnet werden können, wie es große Teile der alternativen Szene taten, um sich in die Massen einreihen zu können. Dieser Analyse hat sich u.a. die Zeitschrift Phase 2 verschrieben (http://www.phase-zwei.org).

[13] Nr. 14/2004, http://www.feierabend.net.tc

[14] Die Euphorie über die Montagsdemonstrationen eint wirklich fast alle Spektren der Linken. Von den operaistischen KlassenkämpferInnen der Wildcat und den TraditionsmarxistInnen der diversen K-Gruppen, über die postmoderne Arranca! und die altautonome Analyse & Kritik bis hin zur linkstheoretische Zeitschrift Das Argument oder dem Blatt des organisierten Antiintellekts, der Interim.

[15] Über die momentane Relevanz klassischer Antifa-Arbeit wird gerade innerhalb des BGR diskutiert. Fakt ist, dass sich gegenüber der Situation im Jahre 2001 einiges verändert hat. Die Aufmärsche der Nazis sind mit mehreren tausend TeilnehmerInnen nicht mehr als klein zu bezeichnen, darüber sollten die 150 Nazis am 03.10.2004 in Leipzig nicht hinweg täuschen. Auch der Wahlerfolg der NPD ist als Zäsur zu bezeichnen. Die DVU und Republikaner, die in anderen Landtagsparlamenten saßen oder sitzen, gelten nicht ganz zu Unrecht als demokratische Parteien rechts von der CDU. Die NPD hingegen ist eine nationalsozialistische Partei mit einschlägigem Programm, deutlichen Parolen und engen Verknüpfungen zur rechtsmilitanten und -terroristischen Szene. Dies weiß jede/r Deutsche spätestens seit den Verbotsdiskussionen. Hinzu kommt – und das ist wohl entscheidender – die wachsende Hegemonie rechter Strukturen in vielen Regionen, die oft als Subkultur daher kommt. Diese bedrohliche Entwicklung geht einher mit dem stillen Begräbnis des staatlichen Antifaschismus in den letzten Jahren – er hat seine Schuldigkeit getan. Gerade die Montags- und Friedensdemonstrationen haben gezeigt, dass es auch wieder genügend gesellschaftliche Themen gibt, bei denen Nazis und Mob zusammenfinden und dass die Nazis eben nicht mehr – neben Kinderschändern und Kampfhundehaltern – das Feindbild Nr. 1 der Nation sind.

 

subpage last updated: 17. Oktober 2004