.

 

.
['fai(e)r] - No tears for krauts
Aufruf des bundesweiten Bündnisses 12./13.Februar 2005

.

Wenn sich zu den diesjährigen »Trauerfestspielen« in Dresden das deutsche Volk die Seele aus dem Leib heult, ist das für uns – Antifas und GegnerInnen Deutschlands – ein Grund zur Freude. Die Bombardierung Dresdens steht für uns für die sich abzeichnende Niederlage Deutschlands, für die demoralisierende und somit kriegsverkürzende Wirkung innerhalb der deutschen Bevölkerung und damit auch für die Rettung der wenigen verblieben Jüdinnen und Juden.
Das Supergedenkjahr 2005 steht an und somit neben dem sechzigsten Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus auch die üblichen Rituale des »Gedächtnisortes« Dresden. Der Lauf der erinnerungskulturellen Dinge wird sich an beiden Daten nicht aufhalten lassen. Die Kontinuität der Erinnerungsabwehr, die in ihrer aktuellen modernisierten und weltoffenen Variante auch mit Schuldannahme jongliert, kann hingegen par excellance bebildert werden. Wieder wird vorrangig die Frage nach den deutschen Opfern gestellt, wieder werden unsägliche Parallelen gezogen werden, und wieder werden die Verbrechen des Nationalsozialismus eine untergeordnete Rolle spielen. Für uns wird die an diesem Tage wohl zu Hauf gestellte rhetorische Frage, »wem den die Erinnerung gehöre« bereits beantwortet sein. Wir gedenken der Jüdinnen und Juden, für die die Bomben der Royal Air Force zu spät kamen, der ZwangsarbeiterInnen, die sich bereits zu Tode geschuftet hatten und der abgeschossenen und abgestürzten Bomberpiloten. Angesichts der Shoa und des deutschen Vernichtungskrieges stellt sich für uns weder die Frage nach der Traumatisierung der »deutschen Zivilbevölkerung« noch interessieren uns deren »Leidensgeschichten«.

Facts and Fiction

»Niemand war ein Nazi [...] es hat vielleicht ein paar im nächsten Dorf gegeben [...] die nächste Stadt ist jedoch eine regelrechte Brutstätte des Nationalsozialismus.« Keiner wusste was und eigentlich waren auch alle dagegen. Dass im nationalsozialistischen Deutschland nur eine Minderheit der Bevölkerung »richtige« Nazis waren – das zumindest bekamen britische Nachkriegsberichterstatter ständig zu hören – lässt sich zum Glück heute unmissverständlich widerlegen. Gleichzeitig mit der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Kolportierung der Theorie, nach welcher der Nationalsozialismus Sache der Nazi-Führung und die Deutschen so unschuldig wie ihre Opfer waren, wurden die Geschichten vom Bombenkrieg zum aufpolierten Teil der deutschen Legendenbildung: Wie konnte dieses Deutschland, dass innerhalb weniger Wochen die halbe Welt unter seinen Helm gebracht hatte, den Krieg verlieren? Richtig, nur mit unfairen Mitteln: Brandbomben der Alliierten gegen die Zivilbevölkerung.
Bis heute hält sich der wahnhafte Mythos vom »unmenschlichen« Gegenschlag der alliierten Luftwaffe. Angesichts der enormen Verdrängungsleistung, die nicht nur den nationalsozialistischen Alltag der Stadt ausblendete, sondern stattdessen Dresden als barocke Insel, die »raum- und zeitlos in sich ruhte«, beschrieb, ist das ein an sich enormer Vorgang. Die unter dem Label »Bombenkrieg« geführten Scheindebatten – als wären die Luftangriffe in irgendeiner Weise aus dem historischen Kontext ausklammerbar – machen gerade am Beispiel des Erinnerungsortes Dresden deutlich, wie widerlich mit den Elementen von Entkontextualisierung, falscher Begriffsbezeichnung und politischer Funktionalisierung das wahnhafte Gebilde vom unschuldigen Dresden gezeichnet ist. Der kollektive Opfertaumel geht dabei sogar soweit, selbst die Bomberverbände als »Mordkommandos« zu bezeichnen. Damit werden BefreierInnen und TäterInnen auf eine Ebene gestellt.
Angesichts solcher »interpretatorischer Freiräume« gilt es die Notwendigkeit des alliierten Angriffs auf Dresden stark zu machen. Dem Begriff der militärischen »Sinnlosigkeit« ist die Richtigkeit auch flächendeckender Bombardements entgegenzuhalten, denn sie symbolisieren das Ausschöpfen aller Möglichkeiten, dem Nationalsozialismus ein Ende zu bereiten. »Zynisch, menschenverachtend und inhuman« sind im Zusammenhang mit den Bombardements vom 13./14. Februar 1945 durchaus angebrachte Attribute – für die Dresdner Bevölkerung, ihre Unwilligkeit um die Opfer des Nationalsozialismus zu trauen und für die neudeutsche Erinnerungskultur, die es schafft, Dresden, Auschwitz und Zivilisationsbruch in einem Satz zu sagen, ohne rot zu werden.
In der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 griff die Royal Air Force die Elbestadt Dresden an. Neben wichtiger infrastruktureller Anlagen in den Bereichen Verwaltung, Transport und Kommunikation befanden sich in Dresden insbesondere militärische Ziele, Waffenproduktionsstätten sowie starke Truppenstationierungen. Dresden galt als Knotenpunkt der die Rote Armee bekämpfenden deutschen Divisionen. Wie andere deutsche Städte auch war Dresden Sammelpunkt für Transporte von Jüdinnen und Juden in verschiedene Vernichtungslager. In zwei Angriffswellen warfen britische Maschinen ihre Bomben ab und zerstörten große Teile der Dresdner Innenstadt. Ungefähr 25-30.000 Menschen kamen dabei ums Leben. Ein dritter Angriff, diesmal von der amerikanischen Air Force, erfolgte am darauffolgenden Mittag.
Das Motiv des Bomber Command unter Leitung von Luftmarschall Arthur Harris galt in erster Linie der empfindlichen Schwächung der Fähigkeit Deutschlands, Krieg zu führen. »Das Kriegspotential des Feindes zu zerstören« sei die sicherste Methode um den Krieg zu gewinnen. Getroffen werden sollte die vielbeschworene Heimatfront. Dass er damit neben der Schwächung der Rüstungswirtschaft der deutschen Bevölkerung auch ein demoralisierendes Kollektiverlebnis beibrachte, sollte sich für den Kriegsverlauf nicht nachteilig auswirken.
Den Zeitzeugenberichte der modernen Oral HistoryForschung sei Dank, häufen sich bis heute die Legenden und Mythen um den »Bomben- und Feuersturm« über Dresden. Jenseits der Totenarithmetik, die die Opferzahlen gerne auf das zehnfache herauftreibt, sind es vor allem die Geschichten von den Tieffliegern, die die Flüchtenden auf den Elbwiesen entlang trieben und zusammenschossen. Die »fliegenden Terroristen« hätten wahre »Luftmassaker« veranstaltet, sind allerdings sowohl militärtechnisch, meteorologisch sowie physikalisch-technisch hierzu nicht einmal ansatzweise in der Lage gewesen. Die »authentische« Zeitzeugengeschichte lebt jedoch weiter: »[...] Wieder erschienen 1000 Bomber, diesmal im Tiefflug, und dann schossen sie mit Bordwaffen in die sich windende Menschheit.«
Die Dämonisierung der Angriffe, der Wahn der Verfolgungssituation und die eingebundene Erinnerungstradierung beruht auf einem schlichten Prinzip. Der Ausfall von Mitgefühl für die Opfer des Nationalsozialismus, sowie die vitale Vergesslichkeit verbinden sich zu einem Ressentiment voller Projektionen gegen die Befreier von einst und führt neben der klassischen Erinnerungsabwehr selbst zu abwehraggressiven Verhalten. Weder existiert die Einsicht noch ein Fetzen von Überlegung hinsichtlich einer historischen Einbettung. Dabei ist die Erinnerungsabwehr nicht nur gesamtgesellschaftlich sondern auch generationsübergreifend: Das Alltagsgespräch mit Dresdner Enkeln wird neben der Reproduktion von Opfererzählungen vor allem einen konturlosen und diffusen Gegenstand offenbaren: »Coventry ist eben die im Krieg zerstörte Partnerstadt Dresdens« – kein Grund, so dermaßen – wie im Falle Dresdens – überzureagieren.

German history lessons

Es ist nicht verwunderlich sondern nur folgerichtig, dass dem renommierten Historiker Jörg Friedrich – früher eher auffallend durch historisch klare Analysen zu Shoa und NS – die »Erzählkompetenz« zugesprochen wird, den »Holocaust des alliierten Bombenterrors« zu formulieren. »Der Brand«, mit dem Friedrich Winston Churchill als Kriegsverbrecher anklagen wollte, hat mittlerweile jedes noch so kleine deutsche Pissnest für seine Dorfchronik adaptiert, publiziert und jeden barocke Stein und jede verkohlte Leiche aufgerechnet. Neben der Tatsache, dass »Der Brand« eine kriegshistorische Einmaligkeit suggeriert, die es nie gegeben hat, ist es vor allem die Art der Darstellung von Leid, die so pervers erscheint. Die Toten des Luftkrieges von Dresden erscheinen als »Ausgerottete«, brennende Luftschutzkeller firmieren als »Krematorien« und die alliierten Bomberflotten werden zu nationalsozialistischen »Einsatzgruppen« gemacht. Die Projektion shoaspezifischer Opfer-Kategorien auf das TäterInnen-Kollektiv und die damit einhergehende Auflösung klassischer Gegenüberstellungen prägt diese Darstellung. Die hierin entdeckte »reinigende« Wirkung – die Teilhabe an einer »kollektiven Sühne« verbunden mit gleichzeitiger »Befreiung« von der Auseinandersetzung – soll die Lösung aller deutschen Kollektiv-Probleme sein. Der Selbstzweck erscheint klar. Wenn schon Schuld am »wir« haftet, dann sollen die anderen nicht besser davon kommen.
Innerhalb der Diskussion um Friedrichs Buch fällt weiterhin der inszenierte Tabubruch auf. Als typisches Element suggeriert er, obwohl es nichts dagegen einzuwenden gäbe, den Bombenkrieg im Nationalsozialismus zu erforschen sei etwas Verbotenes und Unterdrücktes. Die »Viktimisierung« lässt sich auch in diesem Kontext als Hintergrund vermuten. Ähnlich funktionierte in den sechziger Jahren die Debatte um die Kollektivschuld der Deutschen. Auch sie diente als gekünstelter Aufhänger und Scheindebatte, um von der eigenen Schuld abzulenken und die Unschuldsvermutung geltend zu machen. Niemand außer die Deutschen hatte die These ernsthaft formuliert. Ihre Funktion emotionsgeladener Abwehr – da durch den kollektiven Vorwurf kein Raum für Schuldanerkennung bliebe – erfüllte sie mit Bravour.
Friedrich hat mit seiner als Tabubruch inszenierten Darstellung des Bombenkrieges zur Inbesitznahme der Erinnerung durch die TäterInnengeneration beigetragen deren manifeste Präsentation in Mahnmalen und Museen heute zum normalsten der Welt gehört. Die Feststellung, dass die »Deutschen nicht nur Täter, sondern auch Opfer waren« gehört mittlerweile zum guten Ton. Wenn ein liberales Dresdner Aktionsbündnis zum 13. Februar einen »Rahmen des Erinnerns« feststeckt, dann mag man dahinter eine TäterInnen-Anmaßung vermuten. Insofern sind wir in der Realität angekommen. Wenn darüber hinaus durch das Bündnis erklärt wird, »wir erinnern, weil die Generation der Zeitzeugen wertvolle Erfahrungen weitergeben kann, so ihre Friedenssehnsucht, die Hoffnung und die Lebenskraft des Wiederaufbaus«, dann kann nur von Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus gesprochen werden.

Europäische Dynamik

Auf europäischer Ebene sollen die Antike oder die christliche Entfaltungsgeschichte heute die Säulen einer europäischen Identität bilden. Kurz hinter dem Lob auf das solidarische Miteinander der »Völker Europas« rangiert vielmehr auch die Shoa als gesamteuropäische Erfahrung in der Charta der europäischen Verfassung. Die Ermordung der Jüdinnen und Juden soll zum »Schlüsselereignis« einer neuen auf Verständigung und Dialog setzenden Vergangenheitsbetrachtung werden und bildet darüber hinaus die Herausforderung einer neuen »Schicksalsgemeinschaft.«
Nun hat die Shoa mitnichten etwas mit Schicksal zu tun, sondern mit organisiertem antisemitischen Wahn und einer akribisch genau ausgeführten Umsetzung im Zuge derer über sechs Millionen Jüdinnen und Juden vernichtet wurden. Innerhalb einer wissenschaftlich ambitionierten Diskussion um die »Europäisierung« der Erinnerung an den Nationalsozialismus und die Shoa wird in letzter Zeit vermehrt die Entortung und das Verlassen der »nationalen Container« konstatiert. Nach Kaltem Krieg und dem damit verbundenen Aufbrechen insbesondere vieler osteuropäischer Gedächtnisse sei eine Entwicklung, die sich über die der eigenen heroischen Nation hinwegsetzt und nicht mehr den Rückgriff auf die Vergangenheit einer nationalen Kontinuität wegen zelebriert, ein unaufhaltsamer Trend. Nationale Identitäten wären per se im Auflösungsstadium begriffen. Dahinter angelegt ist die Wunschvorstellung einer europäischen Erinnerung, die sich naturalisierten Begriffskategorien, wie denen der Nation, verweigert und stattdessen einen universellen Begriff von Moral anstellt. Die Shoa wird aus ihren speziellen Kontexten gelöst und als neuer globaler Imperativ aufgestellt. Sie vermag somit ein Präzedenzfall-Modell anzudeuten, dass unter bewusster Einbeziehung des »Leids des Anderen« eine europäische Erinnerung von Vergangenheit konstruiert. Diese Exterritorialisierung ist seit Jahren durchaus gängige – wenn auch vereinzelt kritisierte – Praxis im erinnerungspolitischen Kontext.
Im Land der TäterInnen nimmt man sich dieser euro-erinnerungspolitischen Entwicklung mit Freude an, verspricht doch das Ende der Ausgrenzung und die damit verbundene Einführung in den universellen Kreis eine weitestgehende Auflösung der Fragen nach Kontext und Differenz: »Alle Opfer sind Menschen.« Ihre Leidenserfahrung ist das wichtigste Element, sie steht im Zentrum der Darstellung, die Darstellung historischer Verläufe und Begründungen fällt dahinter ab.
Hatte die Friedenbewegung der achtziger Jahre noch Mühe, die Scharnierfunktion zwischen Dresden, Hiroshima und tagesaktuellen Kriegsschauplätzen über Stichworte wie Sinnlosigkeit und Völkermord herzustellen, gelang ihr das innerhalb der Golfkriegsdiskussion umso besser. Bereits 1991 zog sie »Dresden« als solidarische Metapher gegen die angloamerikanischen Luftangriffe auf Bagdad heran. Dass auch im vergangenem Jahr neben Pace-Fahnen weiße Betttücher aus den Fenstern der Stadt gehangen wurden, somit die Bombenangriffe auf Bagdad eine sonderliche Verbindung zu denen auf Dresden im kollektiven Gedächtnis auslösten, unterstreicht, wie stabilisiert mittlerweile die Opferrolle ist. Nicht nur klassischer Antiamerikanismus – an sich schlimm genug – macht hier den konstitutiven Charakter aus, sondern die moralische Aufrechnungslogik der mittlerweile dritten Generation, deren Vermögen zur Derealisierung den Großvätern und Großmüttern in nichts nachsteht. Die politische Funktionalisierung dieses »doppelten Opfertums«, das schlussendlich auf die Kontinuität angloamerikanischer Aggressionspolitik hinausläuft, macht sich die rot-grüne Bundesregierung nicht zuletzt auf außenpolitischem Terrain zu Nutzen. In dieser Hinsicht geben die geschichtspolitischen StichwortgeberInnen der antiamerikanischen Gegenmacht-Position Deutschlands gegenüber den Vereinigten Staaten weitere Rückendeckung.
Das realpolitische Ergebnis lässt nicht nur britische Veteranenverbände erschrecken. Denen war zumindest die Teilnahme Gerhard Schröders an den diesjährigen Feierlichkeiten anlässlich der Landung der Alliierten in der Normandie gründlich zuwider. War dies für die Regierung Kohl zehn Jahre zuvor noch kein Thema, erlangte den derzeitigen Kanzler neben einer französischen Einladungskarte die Gnade der späten Geburt. Ein Regierungssprecher kommentierte dies mit den Worten »dass sich die Zeiten tatsächlich geändert haben.« Wie wahr; neben der Befreiung vom Nationalsozialismus, für die die Landung der Alliierten ein wichtiger Schritt war, stellte der Festakt im Juni für den deutschen Kanzler eine Befreiung ganz anderer Art dar: Spätestens hier kann das Ankommen Deutschlands in der Normalität der europäischen Staatengemeinschaft festgemacht werden.
Dass das kürzlich im Zuge eines Besuchs von Queen Elisabeth eingeforderte »sorry about Dresden« nicht zustande kam, hat daher vermutlich auch eher etwas mit aristokratischer Etikette zu tun als mit den Überesten der gesunden britischen Verachtung gegenüber den »Krauts.« Die ist zwar noch als Relikt in britischen Schulbüchern vorhanden, wie neulich ein europäisches Bildungsgremium erschreckt zur Kenntnis gab, das offizielle außenpolitische Verhältnis zwischen Deutschland und der Insel erscheint jedoch bestens. Sollte Tony Blair im Februar nach Dresden kommen, um an den öffentlichen Gedenkfeiern rund um der Frauenkirche teilzunehmen, wäre das nicht nur ein punktueller Sieg für die derzeitige deutsche Taktik in Sachen Erinnerung.

Dresdener Legenden

Dresden ist im Zusammenhang mit der Konstruktion eines deutschen Opfermythos über die Jahre hinweg zum Symbol geworden. Die Gründe dafür sind historisch bedingt und recht vielfältig. Bereits in den letzten Kriegsmonaten wurde die oft kolportierte Legende geprägt, Dresden sei eine »wehrlose« Kulturstadt die, da weitgehend intakt, mit »Flüchtlingen« überfüllt war und keinerlei militärische Bedeutung besaß. In den fünfziger Jahren – nach Gründung der DDR – wurden hingegen andere Schwerpunkte gesetzt und vorrangig Propaganda gegen die Westalliierten betrieben. Bis zum Ende der siebziger Jahre flaute die Gedenkfreudigkeit weitgehend ab.
Ausschlaggebend für eine Wiederbelebung des Gedenkens und dessen Etablierung bis heute war eine Friedenskundgebung der DDR-Opposition an der zerstörten Frauenkirche 1982. An dieser Veranstaltung nahmen damals mehrere tausend Menschen teil. Die pazifistische Ausrichtung der Kundgebungen in den folgenden Jahren ermöglichte ein widerspruchsfreies Gedenken an den 13. Februar 1945 und damit verbunden eine modernisierte Interpretation der deutschen Opfererzählung. Das Ende der DDR und die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglichten die gesamtgesellschaftliche Etablierung des deutschen Erinnerns. Mit einer Ansprache des Bundespräsidenten zum 50. Jahrestag wurde das Gedenken zum Staatsakt und damit die bundesweite symbolische Bedeutung Dresdens im deutschen Opferdiskurs weiter betont. In den folgenden Jahren erlebte die deutsche Erinnerungskultur am 13. Februar unterschiedliche Highlights. Hervorzuheben ist etwa die teilweise als Versöhnung interpretierte Übergabe des Kuppelkreuzes der Frauenkirche durch den Herzog von Kent im Jahre 2000.
Bis heute hat sich eine Gedenkkultur entwickelt und verfestigt, die vor allem durch die Initiative von Einzelpersonen und Vereinen getragen wird. Von verschiedenen Motivationen getragen und unterschiedlichen politischen Spektren entstammend ist jedoch allen der Bezug auf das den Deutschen »widerfahrene Leid« gemein. Dieser gemeinsame Blickwinkel auf die Erinnerung - das German Gedächtnis - ist es auch, der den DresdnerInnen und den Deutschen im Allgemeinen Identität stiftet. Verbunden durch das »tragische Moment« wird kulturell und politisch immer wieder Bezug auf den 13. Februar genommen.
Und so finden auch in diesem Jahr verschiedenste Veranstaltungen und Aktionen unterschiedlichster Gruppierungen statt - von den Nationalsozialisten bis hin zu linksliberalen Kreisen. Am frühen Morgen eröffnet die offizielle Kranzniederlegung an der Gedenkstätte auf dem Heidefriedhof der Stadt Dresden den Trauermarathon. Hierbei nahmen verständlicherweise in den letzten Jahren auch immer Neonazis teil, die nach den offiziellen VertreterInnen der Stadt, des Landes, des Bundes und wahlweise geladenen Gästen ihre Kränze niederlegten. Im Jahre 2005 werden sie daran zum ersten Mal offiziell teilnehmen dürfen. Während in den letzten Jahren allenfalls der Schein einer Abgrenzung zu den Nazis gewahrt wurde, wird ihnen dieses Mal eine offizielle Teilnahme nicht verwehrt bleiben, da sie aufgrund ihrer Stadtrats- und Landtagsmandate nicht ausgeschlossen werden dürfen.
Den bürgerlichen Trauermob wird auch in diesem Jahr ein überregionaler Großaufmarsch der Nazis flankieren, bei dem wie 2004 etwa 2000 TeilnehmerInnen zu erwarten sind.

Störenfriede

Für eine radikale Linke gibt es am 13. Februar einiges zu tun. Das nationale Erinnerungskollektiv beschränkt sich eben nicht nur auf ein paar durchgeknallte »Opa war kein Verbrecher«-Nazis, es schöpft die Kraft seiner Definitionsmacht – über das wie und was erinnert wird – aus Museen, Gedenkstätten und Erinnerungsstiftungen genauso wie aus publizistischen Debatten im Feuilleton, popkulturellem Diskurs und belletristischer Oral History.
Die richtige Erkenntnis, dass sich das aktuelle German Gedächtnis durchaus durch Schuldanerkennung, eingeschränkter Haftung und moralischer Verbindlichkeit auszeichnet – sich die deutsche Nachkriegsgesellschaft also auf den »Lehren der Vergangenheit« gründet -, darf nicht dazu verleiten, eine primär positive Entwicklung zuzugestehen. Im Gegenteil. In Verbindung mit den Mechanismen der Universalisierung und den Abdrängen der Schuldfrage in allgemeine und abstrakte Instanzen – dem Gerede um Versöhnung, seelischer Wiedergutmachung und der Ächtung von Gewalt an sich – hat etwas viel Dramatischeres stattgefunden, etwas was selbst tausend pöbelnde Nazis nicht hinbekommen hätten: Die wiederholte Enteignung der Opfer. Stahl das deutsche Kollektiv im Zuge der Ermordung von Millionen Menschen seit 1933 das Hab und Gut seiner Opfer und »arisierte« jüdische Besitztümer, so enteignet man heute die Geschichte der Opfer. Jüdische Opfererzählungen werden übertönt und durch die eigenen Schreckensgeschichten gleichgestellt. Die »Krematorien von Dresden« und die »vollgepferchten Güterwagons« mit Volksdeutschen sind dabei die infamsten Beispiele – in der Regel geschieht dies subtiler und uneindeutiger.
Es ist deshalb für uns wichtig die öffentlich Inbesitznahme der Erinnerung an Shoa und Nationalsozialismus durch ein liberal verbrämtes deutsches Kollektiv zu verhindern. Die Fragmentierung der Geschichte, in der sich die Deutschen selbst mit einem Holocaust-Mahnmal wohlfühlen können, ist unerträglich. Die interkulturelle Praxis des Gedenkens, die Auschwitz und Dresden nebeneinander formuliert und in der alle gesellschaftlichen und historischen Bedingungen der »Tat« verschwinden, gilt es zu kritisieren und anzugreifen. Dies anzugehen muss primäres Ziel am 13. Februar sein.

Deutsche Täter sind keine Opfer!
Wenn Deutschland, dann Dresden.

subpage last updated: 23. März 2003