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Deutschland hassen.
Kurzaufruf des bgr Leipzig zur Demonstration am 3.10.04 in Erfurt
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Zum nunmehr vierzehnten Mal wiederholt sich am 3. Oktober das alljährliche Zurschaustellen gleichermaßen nationaler Borniertheit wie neuen deutschen Selbstbewusstseins im Rahmen der Einheitsfeierlichkeiten des wiedervereinigten Deutschland. Die Stadt Erfurt richtet zu diesem Zweck das offizielle „Deutschlandfest“ aus, zu dessen Störung der nachfolgende Kurzaufruf einladen soll.

„Ein Sieg für Deutschland“

Als vor nur wenigen Monaten im Juni der deutsche Kanzler Schröder bei den Gedenkfeiern anlässlich der Landung der Alliierten in der Normandie und angesichts der Opfer der deutschen Verbrechensgeschichte nicht einmal mehr den Blick zu senken gedachte, sondern „erhobenen Hauptes“ (Schröder) über die Gräber der alliierten Soldaten schritt, war dies nur einer von vielen – wenn auch ein besonders symbolträchtiger - Anlass endlich die deutsche Opfergeschichte erzählen und das neue geläuterte Deutschland präsentieren zu können. Leider konnte der Kanzler seinem Volk, dessen Stimme beispielsweise durch den parlamentarischen Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe Ramsauer oder den so genannten FDP-Verteidigungsexperten Nolting sprach, nicht jeden Wunsch erfüllen. Die Niederlegung der Ehrenkränze für die Gefallenen der Waffen-SS musste noch verschoben werden. Die Mörder der Wehrmacht dagegen sind heute sogar für die rot-grünen GeschichtspolitikerInnen betrauerbar. „Deutsche Soldaten fielen, weil sie in einen mörderischen
Feldzug zur Unterdrückung Europas geschickt wurden.
Doch in ihrem Tod waren alle Soldaten über die Fronten hinweg verbunden.“ (Schröder) Die so von ihren Opfern nicht mehr zu Unterscheidenden, bilden zusammen mit den „unrechtmäßig“ Vertriebenen, den „bösartig“ und „sinnlos“ Bombardierten oder einfach allgemein „bemitleidenswerten“ Kriegsverlierern die deutsche Opfermasse. Die Auflösung der Opfer-Täter Unterscheidung im Rahmen der Europäisierung der deutschen Geschichte ist in vollem Gange. Die Anthropologisierung des Leidens – bisher der Familiengeschichte des gemeinen Naziopas vorbehalten - macht neuerdings selbst vor den höchsten Ebenen der nationalsozialistischen Diktatur nicht halt. Noch dem Führer selbst wird „Mitleid, das sich angesichts der Tragödie aufdrängt“ (Tagesspiegel) zuteil. Mit der bevorstehenden Uraufführung eines Films über die letzten Tage des „von seinen Getreuen verratenen“ Adolf Hitler im Führerbunker gelangt die deutsche Opferperspektive auf eine neue Ebene - und dies ohne jeden Zweifel für ein Millionenpublikum. Die Produktion „Der Untergang“ empfiehlt – staatlich gefördert - „Einfühlung in den Führer" (Berliner Zeitung). Schon fragt sich die deutsche Presse „Wird man diesen deutschen Diktator in 200 Jahren nicht ebenso anerkennend betrachten wie Friedrich den Großen, dessen Gemälde im Bunker hinter Hitlers Schreibtisch hängt?“ (Tagesspiegel) Zu befürchten ist es. Von Befreiung jedenfalls wird in Deutschland im Angesicht des leidvollen „Untergangs“ des Nationalsozialismus nur abstrakt gesprochen.

Zahlreiche deutsche NGOs, namentlich der Bund der Vertriebenen oder die so genannte Preußische Treuhand GmbH, betreiben unvermindert und maßgeblich beflügelt von neuer deutsch-europäischer Geschichtsumwidmung eine schleichende Revision des Potsdamer Abkommens. Ein „Zentrum gegen Vertreibung“ in Berlin soll sich vor allem mit deutschen Opfern beschäftigen. Der designierte Bundespräsident Rau beklagte die Vertreibung aus Mittel- und Osteuropa bereits im Februar dieses Jahres als „furchtbares Unrecht“. Die Preußische Treuhand begann dementsprechend pünktlich mit dem Datum des polnischen EU-Beitritts am 1. Mai 2004 den Rechtsweg bis hin zum Europäischen Gerichtshof in Luxemburg einzuschlagen, um endlich die „deutsche Leidensgeschichte“ zu sühnen. Der polnische Staatspräsident Kwasniewski – längst in der Defensive – sah sich schon vor einem Jahr veranlasst, einen „Appell zur Wahrung des geschichtlichen Zusammenhangs" zu publizieren, in dem er sich gegen die von den Deutschen betriebene Umwertung der Geschichte wandte. Diese Umwertung allerdings ist jedoch integraler Teil des laufenden Identitätsfindungsprozesses der Deutschen vor allem auf europäischer Ebene. Wird auch im Einheitstaumel der Feierlichkeiten in Erfurt aller Wahrscheinlichkeit nach die nationale Identität als Deutscher bzw. als Teil des deutschen Kollektivs im Vordergrund stehen, so entwickelt sich doch gerade auch in der Linken zunehmend eine Identität als EuropäerIn. Die nationale und die europäische Identität stehen sich dabei nicht entgegenstehen, sondern befördern sich durchaus gegenseitig. Als gleichberechtigtes Opfer europäischer Leidensgeschichte, sowie gleichermaßen moralisch Amerika und Israel als „Friedensmacht Europa“ weit überlegen, lässt es sich umso unverkrampfter deutsch sein. Und so feiern sich die deutschen EuropäerInnen - moralisch aufgerüstet und bezüglich ihrer Angriffskriege ein wenig vergesslich - auch in Erfurt auf Ausstellungen über „15 Jahre Frieden und Freiheit in Europa“.   

Deutschland denken 2004

Dem Bedürfnis der Deutschen nach Schuldabwehr und einem ungebrochen positiven Bezug auf ihre Nation wird aktuell also bestens über die Europäisierung der deutschen Verbrechensgeschichte entsprochen. Über die Konstruktion einer gemeinsamen europäischen Geschichte und Kultur steht diesem Verlangen nach Gemeinschaft heute ein modernisiertes Identifikationsmodell – gewissermaßen eine neue Heimat - zur Seite. Im Dienste der europäischen Gegenwart kann so auch dem Tod alliierter als auch deutscher Soldaten nachträglich ein höherer historischer Sinn zugeschrieben werden. Der Nationalsozialismus fungiert dabei - umgewidmet zur „europäischen Katastrophe“ - als einer der Gründungsmythen Europas und Legitimation für die neuerlich wieder weltweit angelegte deutsche Einflussnahme. Ob mit Bomben auf Belgrad oder in vorderster Friedensfront und in kooperativem Dialog mit IslamistInnen gegen Amerika und Israel.

Gerade letztere dienen dem vereinigten Europa als Abgrenzungsmodell und Feindbild. Der tief in der Bevölkerung verankerte Antiamerikanismus und Antisemitismus bringt Hunderttausende auf die Straßen, auf denen „die Nation Europa geboren wurde“. Der Antisemitismus bleibt dabei ein jederzeit abrufbares Element deutscher Identität. Wenn auch gegenwärtig in seinen offensichtlichsten Formen in Deutschland politisch tabuisiert, so doch in seiner modernsten Form, dem Antizionismus, in ungekanntem Maße kultiviert.

Während die EU zunehmend den politischen Bezug verkörpert, findet die engere kulturelle Identifikation noch vornehmlich mit der „eigenen“ Nation statt. Die europäische Integration wird das Konstrukt des Nationalstaats demnach offensichtlich nicht zerschlagen, sondern ihm vielmehr ein Überdauern ermöglichen, wenn sich seine Funktionen auch transformieren. Der deutsche Nationalismus, wie er in Erfurt zelebriert werden wird, fügt sich so umstandslos in das europäische Selbstverständnis ein, mit all den Konsequenzen, die die Konstruktion einer homogenen Gemeinschaft für all diejenigen hat, die kategorisch nicht dazugehören können oder wollen. Für all jene, die zur Zielscheibe der antisemitischen und rassistischen Projektionen einer Gesellschaft werden, für deren wiedervereinigtes Erwachen die brennenden Häuser von Hoyerswerda, Mölln, Solingen und Rostock stehen. Für deren wiederkehrendes Selbstbewusstsein die wöchentlichen Schändungen jüdischer Friedhöfe ebenso stehen, wie die massenhaften antiamerikanischen Manifestationen der deutschen Friedensbewegung. Einer Nation, deren wachsender politischer Einfluss in und mit Europa in dem Maße zunimmt, mit dem die Europäisierung der deutschen Verbrechen die Grenzen zwischen Opfern und Tätern verschwimmen lässt. Wenn die Nation der Mörder von damals heute sowohl ihren Befreiern als auch ihren Opfern mit moralischer Überlegenheit Ratschläge erteilt, so gilt dieser Nation unsere uneingeschränkte Verachtung. Angesichts der fortwesenden deutschen Zustände drängt sich letztlich die Frage auf, wie die deutsche Harmonie auch in Erfurt effektiv gestört werden kann. Wir würden dies sehr begrüßen.


bgr Leipzig, September 2004


Treff in Leipzig: 3.10.04 / 9 Uhr am Connewitzer Kreuz
Beginn in Erfurt: 12 Uhr (www.antifanews.de)
Mehr Infos: www.nadir.org/bgr

 

subpage last updated: 28. September 2004