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Wer Deutschland liebt, den können wir nur hassen.
Aufruf zur Demonstration am 1.Oktober 2005 in Kooperation mit
der Antifa-Jugendgruppe Leipzig und LEA

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3. Oktober – Tag der Einheit. Einheit mit Nazis.

3. Oktober 2005 – Deutschland bejubelt seine Wiedervereinigung. Am gleichen Tag werden Nazis in Leipzig auflaufen und wieder in Richtung Connewitz drängen. Während in den vorderen Reihen zahlreiche Antifas versuchen werden, die Route zu blockieren, werden große Teile der Zivilgesellschaft auf den hinten liegenden Plätzen im sicheren Abstand ihre Antinazi-Haltung demonstrieren.

15 Jahre deutsche Einheit geben Anlass, das Aktionsfeld des Antifaschismus, das in der Linken den kleinsten gemeinsamen Nenner bildet, zu rekapitulieren. Nüchtern muss festgestellt werden, dass weder die Linke noch die Zivilgesellschaft etwas an der Stärke der Nazis hat ausrichten können. Vielmehr verfestigte und konsolidierte sich die Naziszene trotz einiger Höhen und Tiefen seit 1989. Darüber hinaus durchliefen Nazi-Positionen weitestgehend einen Prozess der Integration und gehören nun zum Spektrum des als gesellschaftlich ‚normal’ Wahrgenommenen.

Entgegen dieser Bilanz klammert sich die Linke, nach einem Rückgang in Folge des staatlich verordneten Antifaschismus nach 2000, erneut mit Vehemenz an eine Antifaarbeit, die es allein auf Nazis abgesehen hat. Mit kleinen Unterschieden: Mittlerweile hat man sich an den Anblick der Zivilgesellschaft gewöhnt, die teilweise ihre eigenen Antinazi-Mobilisierungen durchführt und somit den Nazis und den dazugehörigen Gegenaktivitäten mediale Präsenz verschafft. Auch ist man nicht mehr erstaunt, hin und wieder »Autonome verhindern Naziaufmarsch« zu lesen, wo früher lediglich das Aufeinandertreffen radikaler Schlägerbanden suggeriert wurde. Ausgelöst wurde dieses Revival, an dem auch wir beteiligt sind, durch das offensichtliche Erstarken der Naziszene, die nicht nur über gut ausgebaute Strukturen verfügt und ganze Landstriche dominiert, sondern auch 2004 mit beträchtlichen Stimmenzahlen in das brandenburgische und sächsische Länderparlament einzog. Zusätzlich wurde deutlich, dass weder die Zivilgesellschaft noch die staatlichen Initiativen, die nun fast seit fünf Jahren agieren, nennenswerte Veränderungen erreichen konnten.

Besonders in Leipzig erfreut man sich bei den jeweiligen Naziaufmärschen seit 2004 wieder einer großen Protestkultur – hier ist es relativ einfach, den Nazis zu zeigen, wo ihre Grenzen liegen.
Ohne den punktuellen Erfolg und Notwendigkeit solcher Aktionen in Abrede stellen wollen, brauchen wir jedoch eine inhaltliche Auseinandersetzung über Hintergründe der nationalistischen und nationalsozialistischen Denkweise, deren Verankerung in der Bevölkerung sowie über die Bedingungen linken Handelns. Linke Aktionen können nur im Zusammenhang mit den aus dieser Analyse folgenden Erkenntnissen glaubhaft den Anspruch der Wirkungsmächtigkeit verfolgen.

So wollen wir mit dieser Demo am 3.Oktober auf die Relevanz der gesellschaftlichen Hintergründe verweisen und damit eine Diskussion um die Inhalte sowie um eine reflektierte Praxis anstoßen. Unsere Analyse versucht zu darzulegen, worauf die inhaltliche Zustimmung der Bevölkerung zur Nazibewegung beruht und intendiert ebenfalls ihr Wachstum -trotz einiger Schwankungen- auf lange Sicht zu erklären.
Es gilt aber auch, zu sehen, wo die Grenzen der Nazisympathien liegen und wie stark diese ausgeprägt sind. Und auch wenn die NPD in der Bundestagswahl voraussichtlich nicht über 5 Prozent Stimmenanteil kommen wird, bleibt zu deuten, wo denn all die Nazi-Wähler hin sind und warum sich ein gewisser Teil von ihnen für den Einzug der Linkspartei aussprechen wird.

Was ist der »rechte Konsens«?
Um zu analysieren, worauf die Toleranz und Unterstützung von Nazis und deren Positionen beruht, wurde vor einigen Jahren der Begriff »rechter Konsens« gewählt. Dieser Konsens versammelt in sich all jene Elemente von Einstellungen, die mit der nationalsozialistischen Weltanschauung konform gehen, aber weit über die Naziszene hinaus in der Bevölkerung als Selbstverständlichkeiten gelten. Anders als in der Zeit des Nationalsozialismus sind die Elemente des rechten Konsenses jenseits der Naziszene nicht in einer einheitlichen politischen Vorstellung verankert, sondern existieren als alltägliche Überzeugungen mit- und nebeneinander. Sie können als Elemente sogar mit einer Grundhaltung koexistieren, die den Nationalsozialismus und die aktuellen Nazis politisch ablehnt.
Um eine fassbare Beschreibung des Begriffes rechter Konsens zu ermöglichen, lassen sich seine Elemente grob in drei Gruppen einteilen. Das sind zum einen Vorstellungen vom Staat und dem Verhältnis der Einzelnen zu ihm, als nächstes die am Volk orientierte Eigenwahrnehmung und schließlich die Konstruktionen der Volksfremden.

Mit dem rechten Konsens geht ein grundsätzlich autoritäres Staatsverständnis einher. Den Anweisungen staatlicher Behörden ist nicht nur grundsätzlich Folge zu leisten, auch werden individuelle Rechte abgetreten. Im Gegenzug obliegt dem Staat die Lösung gesellschaftlicher Probleme. Das heißt nicht, dass im rechten Konsens Konflikte mit der Staatsgewalt ausgeschlossen sind. Jedoch wird im rechten Konsens nie eine Staatskritik formuliert, sondern es herrscht eine Kritik an der politischen Klasse, die sich gegenwärtig des Staates bemächtigt hat, die trotz ihrer Autorität nicht in der Lage zu sein scheint, Probleme erfolgreich zu lösen. Die nationalsozialistische Problemlösungsstrategie, des »starken Mannes« und »Führers«, der sich den Staat als Instrument zu Eigen macht und ihn so wieder zu seinem eigentlichen Zweck einsetzt, sind im autoritären Staatsverständnis des rechten Konsenses bereits angelegt. Die Identifikation des Einzelnen mit dem Staat basiert stark auf der Vorstellung des Gebens und Nehmens von Arbeit. Während vom Staat und seinen Repräsentanten immer wieder Arbeit eingefordert wird, herrscht immer noch die Vorstellung von Arbeit als einzig legitime Grundlage der Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum und Leben. Nur arbeitend können sich die Einzelnen in ihrer Existenz gegenüber der Gemeinschaft rechtfertigen. Kampagnen gegen so genannte Sozialschmarotzer verdeutlichen die Breite des rechten Konsenses in dieser Frage.

Darüber hinaus versteht sich die Masse der Deutschen alle politischen Spektren überschreitend als Volk. Die politischen Debatten darüber, was als Deutsch zu verstehen sei, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es prinzipielle Übereinstimmungen darüber gibt, was das Deutsche vordergründig ausmacht. Es sind die viel zitierten deutschen Sekundärtugenden, auf die sich ein Großteil der Deutschen einigen kann, auf Ordnung, Disziplin, Pünktlichkeit, Strebsamkeit etc. Das deutsche Volk als Schicksalsgemeinschaft ist eine politische Bezugsgröße, auf die sich alle Deutschen in unterschiedlicher Intensität und teils mit unterschiedlichen Konnotationen berufen können.

Überwachungsapparate und Patriotismuskampagnen dienen der Aktivierung der Gemeinschaft von innen heraus; dauerhaft effektiv ist der rechte Konsens in der Formierung der Gemeinschaft aber durch die Identifizierung ganz bestimmter äußerer Feinde. Der Antiamerikanismus nimmt hier in der Gegenwart eine besondere Stellung ein, weil er es vermag, über den klassischen rechten Konsens hinaus, Brücken in jene Teile der Gesellschaft zu schlagen, die die Zukunft Deutschlands in einer europäischen Perspektive sehen. Wie im Antisemitismus – dessen Anwachsen in all seinen Formen in den letzten Jahren immer wieder festgestellt werden musste – ist auch der Antiamerikanismus eine Projektion der Probleme und Widersprüche der deutschen Gesellschaftsordnung in eine äußere Kraft, die am Zustand der Welt und seiner Wirkung auf Deutschland bzw. Europa schuld sein soll. Analog dazu geht einer Kritik am Kapitalismus nicht eine Analyse zuvor, die ihn als umfassendes und überall herrschendes System begreift, sondern wird, übergreifend über alle politischen Spektren, verkürzt formuliert. So wird die USA als Herd des Kapitalismus angeklagt ohne die gleichen Funktionsweisen im eigenen Land anerkennen zu wollen.
In dieser Funktion haben Antiamerikanismus und Antisemitismus gegenwärtig den Rassismus abgelöst, um den sich die Problembeschreibungen des rechten Konsenses noch in den neunziger Jahren gruppierten. Das heißt aber nicht, dass der Rassismus verschwunden wäre oder auch nur nachgelassen hätte. Ihm kommt aber eine nicht mehr so hohe Kampagnenmächtigkeit und breite Mobilisierungsmöglichkeit zu. Vielmehr existiert er in ausdifferenzierter Form weiter. Primär umgesetzt in einer verschärften Asylpolitik, die Einwanderung und Staatsbürgerschaft von immensen Leistungen abhängig macht, genauso lebhaft als Multikultirassismus in den (west-)deutschen Großstädten sowie immer noch unübersehbar in traditioneller Form des Alltagsrassismus in den mittlerweile ausländerfreien Zonen im Osten.

»Man muss doch mal sagen dürfen...«
Da der rechte Konsens aus einzelnen Elementen zusammengesetzt ist, die unabhängig voneinander Bestand haben können, sind einzelne der Elemente politisch unterschiedlich stark verankert und abhängig von politischen Kampagnen unterschiedlich wirkungsmächtig. Nicht jede Konjunktur von Elementen des rechten Konsenses nützt dabei den Nazis. Die Bedingungen, unter denen aus dem rechten Konsens ein Erstarken der Nazibewegung folgt, lassen sich an Beispielen aus den letzten Jahren aufzeigen. Vom Antiamerikanismus der Friedensbewegung, der geschichtspolitischen Debatte um den 60. Jahrestag der Bombardierung Dresdens und den Protesten gegen Hartz IV mündete nur die letzte Aktivierung des rechten Konsens in einer spürbaren Konjunktur für die Nazis. In den anderen Kontexten waren sie zwar mit ihren Positionen weitgehend im gesellschaftlichen Konsens verankert, kamen aber nicht dazu, sich innerhalb dieses Konsenses als politische Kraft zu profilieren.
Im Rahmen der Friedensbewegung lag das daran, dass die Nazis mit ihrer Definition des Problems in den internationalen Beziehungen der Beschreibung der Regierung unterlegen waren. Der Mangel an nationaler Öffnung und das Verharren im Bezugsmodell Deutschland sind es, die den Antiamerikanismus der Nazis in dieser Frage trotz des gemeinsamen Hasses auf den US-Imperialismus antiquiert erscheinen lassen.
Anders sah es bei den Hartz-IV-Protesten aus. Auf einem Terrain, auf dem das staatliche Handeln nur Zumutungen zu bieten hat, ohne dass die im Kapitalismus notwendig als Krise auftretende Arbeitslosigkeit auch nur aufhörte zu steigen, erscheint die Gesellschaftsvorstellung der Nazis als echte Alternative. Die unmittelbar bei der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft entliehene Rezeptur aus Arbeitszwang und Teilhabe an der Gemeinschaft ist genau die soziale Diktatur, die Sicherheit verspricht. Gerade weil sie aus den marktliberalen Schemata ausbricht und in der sozialen Frage die Rolle der Arbeit und das autoritäre Staatsverständnis zusammenkommen, während die neoliberale Politik nur von einer gescheiterten Initiative zur nächsten Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von arm nach reich eilen kann, ist die Problemdefinition und Problemlösung im völkischen Modell so überzeugend.
Wer pragmatisch folgert, dass die Nazis durch eine Umsetzung der Forderung im Bereich der Sozialpolitik durch die Regierungspartei marginalisiert werden könnten, verkennt aber die Aktualisierung und Verfestigung des rechten Konsenses durch solche Entwicklungen. Auch nach der Änderung der Asylgesetzgebung 1993 nahmen zwar die Pogrome ab, jedoch nicht die Stärke der Nazibewegung, die nur auf neue Themen wartete, an denen sich ihre Kampagnen entzünden konnten. Das inhaltliche Schweigen der anderen Parteien ist bezeichnend, schließlich greifen sie für ihre Initiativen selbst auf Elemente des im Wahlvolk wirksamen rechten Konsenses zurück. Die mittlerweile unverblümten Anleihen aus dem völkischen Angebot der NPD ist deren langfristig wirksamer Erfolg.

NS-Tabu
Es ist schon aus der Beschreibung des rechten Konsenses als Nebeneinander von Elementen der nationalsozialistischen Weltanschauung deutlich geworden, dass der rechte Konsens der Bevölkerung und Volksgemeinschaft zwar miteinander verbunden, aber nicht dasselbe sind. Von einer Volksgemeinschaft – durchaus nicht nur im historischen Sinn – kann erst gesprochen werden, wenn sich der rechte Konsens in ein politisches Programm umsetzt und kontinuierlich realisiert wird.
Was aber der Durchsetzung der Volksgemeinschaft über die Nazilandstriche hinaus im Wege steht, ist die in der deutschen Gesellschaft herrschende Tabuisierung positiver Bezüge auf den Nationalsozialismus und seine zentrale Ideologie, den Rassenantisemitismus, der Juden und Jüdinnen als eigene Rasse einstuft.
Auch wenn es bei jedem antisemitischen Vorfall vernehmbare Zweifel in der Öffentlichkeit gibt, ob es sich tatsächlich um Antisemitismus handle. Wenn jedoch der Vorwurf als berechtigt angesehen wird oder eine positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus anklingt, führt dies zum Ausschluss aus dem etablierten öffentlichen und politischen Leben. Das haben die Beispiele Möllemann und Hohmann in den letzten Jahren gezeigt. Das NS-Tabu wird dabei weder als äußerer Zwang noch als Ausdruck einer political correctness gewertet. Es ist vielmehr eine Selbstverständlichkeit, die von den auf das Grundgesetz und die von ihm beschriebene freiheitlich-demokratische Grundordnung verpflichteten politischen Eliten als antifaschistischer Gründungskonsens der BRD angesehen wird.
Bis heute ist die Transformation des Nationalsozialismus in das System der BRD nur unzureichend erfasst und eine fehlende tief greifende Auseinandersetzung mit jener Zeit und den verknüpften Ideologien wird allzu deutlich. Kennzeichnend dafür beschränkt sich eine Haltung, die gegen Nazis Stellung bezieht, häufig nur auf die Erhaltung dieser Tabus und reicht nicht darüber hinaus.
Der fehlende Blick macht eine konsequente Antinaziarbeit der staatlichen oder offiziellen Organe unmöglich, wie an den Reaktionen auf die 9,2 Prozent Stimmanteil der NPD bei der sächsischen Landtagswahl am 19. September 2004 abzulesen ist. Zwar wurde immer wieder von allen Seiten einhellig eine inhaltliche Auseinandersetzung eingefordert, doch außer den Landtag zu verlassen, oder aufzuweisen, dass ein Konzept der NPD nicht finanzierbar wäre, gibt es keine vernehmbaren Antworten. Dieser von gelähmter Unfähigkeit gekennzeichnete Ansatz mit rechten Positionen umzugehen gerät um so mehr ins Schlingern, wenn sich die traditionelle Rechte aufweicht und ein deutsches Pendant zu Haider auftritt, welcher geradezu symbolisch die moderne Verbindung von Neoliberalismus und faschistischem Denken verkörpert.
Nun will sich die Linkspartei aufopfern, einen Großteil der Wähler der NPD zurück zu gewinnen. Einfach von einem zum anderen Ufer zu wechseln ist nur durch eine Vielzahl von Überschneidungen der Positionen und Argumentationsweisen möglich, die in der Linkspartei ebenfalls auf den in der Bevölkerung herrschenden rechten Konsens fußen. Symbolisch für dieses Phänomen steht zunächst die Rede Lafontaines von den »Fremdarbeitern«, in der Ressentiments in der Bevölkerung bedient und mobilisiert werden. Weitere Ähnlichkeiten treten im gemeinsamen Antiamerikanismus oder im eingeräumten Stellenwert der Arbeit zu Tage, was exemplarisch die kaum zu unterscheidenden Wahlslogans beweisen.
Zivilgesellschaft als aktive Größe
Alle Formen der öffentlichen und offensichtlich oberflächlichen Auseinandersetzung mit Nazipositionen kratzten keineswegs am Fundament des rechten Konsenses und konnten somit wenig erfolgreich im Zurückdrängen der Naziszene sein.
Das Scheitern des, in Folge des Bombenanschlags auf jüdische EinwanderInnen im Sommer 2000, aktivierten Projekts zivilgesellschaftlicher Reaktion, des »Aufstands der Anständigen«, das bis heute mit Geldern des Bundes und der Länder unterstützt wird, verdeutlicht die gesamtgesellschaftliche Dimension des Naziproblems.
Während die gegen Nazis gerichteten Demonstrationen für Deutschland immer noch erfolgreich durchführbar sind, wie zuletzt der von Antifa bis CSU von Gewerkschaften bis Verband der deutschen Industrie in Szene gesetzte »Tag für Demokratie« am 8. Mai bewies, ist der »Aufstand der Anständigen« samt seiner institutionellen Ausformungen in den Naziprovinzen ohne Wirkung geblieben. Die Ergebnisse sind nach knapp fünf Jahren ernüchternd. Über die Aufklärungsarbeit, was eigentlich Nazis sind, und die gelegentliche Veranstaltung von Multikultifesten oder nazifreien Diskos gehen die Aktivitäten faktisch nicht hinaus. Die notwendige Skandalisierung des rechten Konsenses kann von den zivilgesellschaftlichen Initiativen nicht erreicht werden, noch weniger gelingt es ihnen, erkennbaren Druck auf Kommunen oder Verantwortliche auf Landesebene aufzubauen. Stattdessen organisiert sich das an den Fördertöpfen hängende Spektrum von Initiativen und AktivistInnen in Kreisen wie dem »Bündnis tolerantes Sachsen«, wo das Hauptaugenmerk neben der Imagepflege auf dem Kampf gegen »Gewalt« und »Extremismus« liegt. Damit wird auf der Ebene des inhaltlich maßgeblichen Netzwerks das Naziproblem bereits entnannt. Die Mitte der Gesellschaft, aus der es – wie seit im Sommer 2000 breit anerkannt wurde – stammt, wird dort zum erhaltenswerten Kern, der gegen den »Extremismus« zu verteidigen sei.

Heute, vier Jahre nach dem Antifasommer, steht man prinzipiell immer noch vor dem Problem, jenes Paradoxon, dass sich linke Interventionen in reine Antinaziarbeit und die Thematisierung gesellschaftlicher Ursachen aufspalten, nicht überwunden zu haben. Dabei gilt es anzuerkennen, dass ein Antifaschismus nur wirksam werden kann und somit auch erst dann seinen Namen verdient, wenn er eine Analyse und Kritik der gesellschaftlichen Zustände, aus denen nationalistisches Denken hervorgeht, mit umfasst. Das heißt bezogen auf die Nazis immer noch, nicht den einzelnen organisatorischen Nazizusammenhang oder gar einzelne Nazis ins Zentrum des Interesses zu rücken, sondern die gesellschaftliche Situation anzugreifen, in der sich Nazipositionen ins allgemeine Meinungsbild einfügen, Nazipositionen nicht inhaltlich widersprochen werden kann und Nazistrukturen als Bestandteil der gesellschaftlichen Ordnung akzeptiert sind. Darüber hinaus sollte das Naziproblem nicht nur als gesellschaftliches benannt, sondern auch als ein solches behandelt werden.

Ohne die Anlässe, bei denen es darum geht sich gegen herrschende Nazihegemonien oder eine konkrete Bedrohung zu wehren, zu vernachlässigen, sollten die Reaktionen, um nicht völlig ins Leere zu gehen, die gesellschaftliche Situation thematisieren und auf ihre Veränderung drängen, damit wenigstens die unmittelbare Unterstützung der gewalttätigen Nazicliquen unterbrochen wird. Nur so kommt es zur bürgerlichen Abgrenzung von der »ganz normalen« Nazijugend, zur Schließung von Nazitreffpunkten etc.
Problematischer ist allerdings die strategische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Grundlagen der Nazihegemonie selbst. Für diese Auseinandersetzung bedürfte es einer Diskussion, die seit 2001 vollständig zum Erliegen gekommen ist. Stattdessen wird bei der Verhinderung von Naziaufmärschen, bei der Aufdeckung von Nazistrukturen und dem Versuch, sie zu bekämpfen auf Konzepte aus der Mitte der neunziger Jahre zurückgegriffen. Jedoch hatten sich die Weiterentwicklungen dieser Konzepte bereits 2000 als untauglich erwiesen, um im Fall einer alltäglichen Nazikultur, erfolgreich intervenieren zu können. Die Etablierung beispielsweise von alternativen Jugendzentren in den sächsischen Provinzen um der Nazihegemonie und dem alltäglich herrschenden Straßenterror etwas entgegen zu setzen, scheiterte neben diversen anderen noch zu erforschenden Gründen an der fehlenden Unterstützung lokaler PDSler. Im Ernstfall orientierten sie sich in ihren Forderungen und Verhalten an potenzielle Wähler und wollten sich nicht durch unpopuläre Entscheidungen bei diesen unbeliebt machen. Nur in den Orten, in denen schon vor langer Zeit selbstständig ein Zentrum entstanden ist, konnte ein Anlauf und Schutzpunkt für linke Jugendliche erhalten werden. Die Skandalisierung des Nazitums, die bis dahin das Mittel der Wahl war, um durch äußeren Druck eine lokale Veränderung zu bewirken, erwies sich nur als bedingt tauglich. Zum einen, weil die Skandalisierungen nie dazu führten, dass über den lokal thematisierten Punkt hinaus ein gesellschaftlicher Veränderungsprozess eingesetzt hätte, zum anderen, weil die durch die Skandalisierung erreichten Veränderungen keine dauerhafte Wirkung entfalten konnten, so dass sich in der Regel rasch eine Verlagerung des Naziproblems zeigte. Für eine breitere Wirkung der Skandalisierungen wäre es nötig gewesen, dass sich die mit ihnen verbundene gesellschaftliche Analyse tiefer durchgesetzt hätte, als es in der nicht mit Inhalt gefüllten Formulierung vom »Naziproblem aus der Mitte der Gesellschaft« erfolgte.

Bei der Einschätzung der Erfolge der Antifaarbeit der letzten 10 Jahre, der auch wir uns leidenschaftlich widmeten, bleibt natürlich der eigene Maßstab diskussionswürdig. Dass eine gesamtgesellschaftliche Veränderung nicht stattgefunden hat, ist nicht zu übersehen. Doch sind auch die kleinen Fortschritte nicht so wirkungsvoll, dass man eine Weiterführung jener Ansätze ernsthaft und vor allem motivationsvoll vertreten kann.
Anlässlich des Nationalfeiertags wollen wir mit dem Motto unserer Demonstration »Wer Deutschland liebt, den können wir nur hassen« an den antideutschen Standard der Linken erinnern. Damit soll auf das Problem, dass nun auch ehemals antinationale Reste, bzw. welche, denen Deutschland zumindest egal war, durch die vollzogene ›Modernisierung‹ Deutschlands einem Nationalisierungswahn unterlegen sind, hingewiesen werden. Nicht nur die Renationalisierung der Grünen, sondern auch diejenige des deutschen Pops sind dafür markante Beispiele. Um auch nicht noch bei Antinazimobilisierungen für ein besseres Deutschland vereinnahmt zu werden oder gar unter Anti-»Extremismus«- und Anti-»Gewalt« - Bündnissen gefasst zu werden, bedarf es einer offensiven Abgrenzung zu diesen Aktivitäten.
Langfristig kann man sich auf der Suche nach einer geeigneten Lösung dieses Dilemmas der hoffnungslosen Situation stellen, in dem man anhand von Diskussionen diverser Themenbereiche, die z.B. einzelne Elemente des rechten Konsenses problematisieren, eine Praxis entwickelt.
Wer am 3.Oktober nicht im zivilgesellschaftlichen und staatstragenden Brei untergehen möchte, die/der ist zu unserer Demonstration eingeladen.

subpage last updated: 23. März 2003