"Antifa in der Provinz"

Liebe Demoteilnehmerinnen und Demoteilnehmer,

wir haben heute hier in Wurzen gegen Neofaschismus und Rassismus demonstriert. Gerade das Beispiel Wurzen zeigt, daß antifaschistische Politik nicht nur auf Städte beschränkt bleiben darf, sondern überall für alle Menschen konkret erfahrbar sein muß. Doch die Praxis der Antifa-Arbeit in Großstädten kann kaum auf ländliche Strukturen übertragen werden. Diese Erfahrung mußten wir auch in Nierstein machen. Nierstein ist eine Gemeinde mit ca. 7000 EinwohnerInnen in Rheinland-Pfalz und liegt 20 km südlich von Mainz. Als wir uns vor 4 Jahren, nach den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen gründeten, war uns noch nicht klar, was Antifa-Arbeit in der Provinz bedeutet. Zunächst war unser politisches Handeln durch Konfrontation bestimmt. Ein sogenanntes linksradikales Flugblatt, das in Mainz verteilt, kaum weiter für Aufsehen gesorgt hätte, wurde über eine Woche zum Aufmacher in der Lokalpresse. Dies hatte aber auch zur Folge, daß es keine Gruppierung mehr in Nierstein gab, die sich nicht von uns distanzierte. Somit hatte unser erstes öffentliches Auftreten, gleichzeitig unsere völlige Isolation zur Folge. Für uns bedeutete dies ein Hinterfragen und ein Neudefinieren unserer Praxis. Isoliert und in eine Ecke gedrängt, wäre es uns nicht möglich gewesen, Leute zu mobilisieren und unsere Positionen und Forderungen in breitere gesellschaftliche Schichten hineinzutragen. Um dies zu erreichen, konnten wir nicht auf Bündnisse mit bürgerlich-progressiven Gruppen wie Grüne, Welt-Laden, Arbeitskreis Asyl, sowie Teilen der SPD verzichten. Konfrontation sollte daher nur dann gewählt werden, wenn es unbedingt notwendig ist, während bündnisfähige und vermittelbare Politik Priorität genießen sollte. Doch selbst uns geht diese Integration manchmal zu weit, so zum Beispiel, wenn wir eingeladen werden an Umzügen zur Dörflichen Brauchtumspflege mit unserem Vereinsbanner teilzunehmen. Ein weiterer Faktor, der immer wieder in unsere Überlegungen einfließen muß, ist das Fehlen der Anonymität in einer so kleinen Ortschaft. Die unmittelbare Resonanz auf unser Handeln zeigt uns dann sehr schnell, ob unsere Strategie erfolgreich war oder nicht. Zentral für unsere Antifaarbeit ist und bleibt die Politik, mit der wir möglichst viele Menschen erreichen, denn nur ein breiter antifaschistischer Konsens kann verhindern, daß es zu solchen Verhältnissen wie hier in Wurzen kommen kann. Insofern sind Konzepte, die auf eine bundesweite Relevanz abzielen, auf Erfahrungen der Gruppen aus der Provinz angewiesen.

Antifa Nierstein

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