Save the Resistance!

Gemeinsamer Aufruf zur Demonstration gegen Überwachungsgesellschaft und Sicherheitswahn am Samstag, den 14. Oktober 2000 in Leipzig

Seit Jahren ist die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland durch eine zunehmende Entdemokratisierung gekennzeichnet. Anzeichen dafür sind die Aushöhlung oder faktische Abschaffung einst verfassungsmäßig garantierter Rechte, wie beispielsweise das Asylrecht oder das Recht auf informelle Selbstbestimmung. Ob die Änderung des Artikel 16 GG, die Legalisierung des Großen Lauschangriffes, die Einführung immer schärferer Länderpolizeigesetze; die Liste wächst und wächst. Die Darstellung der bürgerlichen Demokratie als Ort dauerhaft formal verbriefter Rechte und Freiheiten erweist sich mehr und mehr als Illusion, für deren Verteidigung es heute kaum noch gesellschaftliche Kräfte zu geben scheint.
Der Rückzug der VerteidigerInnen demokratischer Grundrechte macht die Situation für die wenigen Menschen, die in der Gesellschaft politische Opposition ausüben oder als gesellschaftliche Randgruppen definiert werden um so bedrohlicher, denn die Grundlage für Widerspruch und kritische Intervention wird Stück für Stück beschnitten.
Auch im Bewußtsein der Bevölkerungsmehrheit findet sich kein Widerstand gegen die Beschränkung von Freiheiten und politischen Handlungsmöglichkeiten. Im Gegenteil, es ist der Ruf nach mehr Ruhe, Ordnung und Sicherheit der als Begründung für jede Verschärfung dient. Zwar wird dieser Ruf im konkreten Fall von Medien und Politik mitunter mehr gehört als gerufen, die Tendenz einer breiten Zustimmung für mehr Repression ist jedoch nicht zu leugnen. Während Analysen jenseits der Repressionslogik zunehmend aus dem Blickfeld geraten, gerät die Gesellschaft in den Zustand eines fortgesetzten Sicherheitswahns, da schon allein die massive Präsenz von Sicherheitsdiensten und Polizei in der Öffentlichkeit neue Bedrohungsängste schürt. Die konzentrierte Thematisierung durch die Medien und die gewachsene Aufmerksamkeit durch die Medien schlägt sich in populistischen politischen Entscheidungen nieder, die in ihrer Wirkung aber das Gefühl der Unsicherheit verstärken.
Probleme der Gesellschaft werden innerhalb dieser Logik individualisiert und dies trägt zur Entpolitisierung und Nichtwahrnehmbarkeit der Konflikte, zum Beispiel im sozialen Bereich bei. Ein weiteres Ergebnis davon ist die sich immer weiter radikalisierende Ordnungspolitik. Das repressive Law and Order der Polizeibehörden hat diese in den Ruf gebracht, am erfolgreichsten auf die Sicherheitsbedürfnisse und vielfältigen Bedrohungsängste zu reagieren. In einer Zeit, in der die Polizei von allen Institutionen das größte Vertrauen genießt, wird die polizeiliche Logik zur mächtigen Ideologie. Um effektiver zu sein, werden die gesetzlichen Bestimmungen zunehmend an den Bedürfnissen der Polizeibehörden ausgerichtet. Dazu gehört die Ausweitung der Praxis vor allem in Richtung verdachtsunabhängigen Handelns, Zero Tolerance, Video- und Telefonüberwachung, allgemeines Kontrollrecht, Vorbeugegewahrsam und vieles mehr. Die in diesem Zusammenhang immer wieder formulierte Forderung nach "Waffengleichheit" für die Polizei im Kampf gegen die "Kriminellen" bedeutet in letzter Konsequenz eine Absage an Rechtsstaatlichkeit überhaupt.
Und doch ist es nicht Orwells Vision des Großen Bruders, der Tag und Nacht seine Untertanen kontrolliert, die sich heute verwirklicht. Heute wachen immer häufiger "kleine Brüder" über die Menschen, so daß nicht mehr nur von einem Überwachungsstaat gesprochen werden kann, sondern der Begriff der Überwachungsgesellschaft viel treffender die Zustände bezeichnet. LadenbesitzerInnen filmen KassiererInnen und KundInnen, AdresshändlerInnen fotografieren jedes Haus in den Großstädten und speichern KonsumentInneneninformationen, hunderttausende Kameras blicken auf Bahnhöfe, in Straßenbahnen und Supermärkte, auf Tankstellen, Büros, in Wohnzimmer und auf öffentliche Plätze. Erste Leidtragende dieser schier grenzenlosen Entwicklung sind sozial Schwache, Obdachlose, DrogenkonsumentInnen, MigrantInnen aber auch jugendliche Subkulturen, z.B. SkateborderInnen, die aus öffentlichen Räumen ausgegrenzt werden. Sie gelten insbesondere in den Zonen des Konsums als Störfaktoren oder werden anderweitig vom grassierenden Sicherheitswahn als Bedrohung inszeniert.
Neben der schier unstillbaren Lust auf Ordnung und Sicherheit stehen also besonders auch kommerzielle Motive im Hintergrund der allgegenwärtigen Überwachung.
Weit mehr noch als das Machtstreben sorgt das Gewinnstreben dafür, daß aus der Privatsphäre und öffentlichen Räumen ein Objekt der Begierde für große Augen und Ohren wird. Die Überwachungsgesellschaft verwirklicht die Ziele des Überwachungsstaates als Nebenerzeugnis. So werden zum Beispiel die Überwachungsdaten, die von der privatisierten Deutschen Bahn durch die Überwachung der Bahnhöfe gewonnen werden auch vom Bundesgrenzschutz und den Sozialämtern in Anspruch genommen.
Der gläserne Mensch als Zielobjekt staatlicher und ökonomischer Interessen, wird deshalb von Tag zu Tag mehr Wirklichkeit. Sollte diese gefährliche Tendenz nicht gestoppt werden, so fallen ihr all jene zum Opfer, die Widerspruch und Widerstand gegen die fortschreitende Entdemokratisierung leisten und es wagen, für eine emanzipatorische Gesellschaft einzutreten. Um diese Entwicklung zurückzudrängen, rufen wir dazu auf, den gesellschaftlichen Widerstand vor seiner Abschaffung und Ächtung zu schützen und zu verteidigen.

Organisiert den Widerstand gegen den Konsens der Überwachungslogik!
Keine Toleranz für Abschiebung, Überwachung und Ausgrenzung!
Gegen die Kriminalisierung gesellschaftlicher Konflikte!

Save the Resistance!

Unterstützt die Demonstration gegen die Überwachungsgesellschaft und den Sicherheitswahn.


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