Gegen rechten Konsens in Saalfeld

    Polizei mit »Eskalationsstrategie« gegen Antifa-Demo

Die Straßen zu eng, die Brücken zu hoch, die Gebäude zu alt« - Roland Hahnemann, Thüringer PDS-Landtagsabgeordneter und Mitaufrufer der »Demonstration gegen jeden rechten Konsens«, war ein wenig gereizt von den fadenscheinigen Begründungen und dem Auflagenpoker der örtlichen Behörden. »Dann dürfte man hier in Saalfeld gar nicht demonstrieren«, schimpfte er mit Blick auf die seit Samstag morgen gerichtlich bestätigte Begründung, mit der den Demoaufrufern - einem breiten Bündnis von Antifa-Gruppen, Gewerkschaften, PDS und Teilen von Bündnis 90 / Die Grünen - eine Demoroute durch die Innenstadt verwehrt wurde. Demonstriert wurde trotzdem. Im Unterschied zum Oktober 1997, als rund 7000 Polizisten die Stadt hermetisch abriegelten und ein Demonstrationsverbot durchsetzten, waren diesmal rund 5000 Demonstranten in die Stadt gekommen und machten die Kundgebung zum antifaschistischen Volksfest - ohne Chaostage und Straßenschlachten.

Zunächst demonstrierte man jedoch nur in halber Stärke am Bahnhofsvorplatz. Notgedrungen! Denn rund eineinhalb Stunden vergingen, bevor die Demo offiziell beginnen konnte. Erst eine weitere Stunde später konnte der Demonstrationszug die vorgeschriebene Tour in Richtung Gorndorf einschlagen, einen als rechte Hochburg bekannten Vorort der Stadt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich im Gewerbegebiet die NPD-Gegendemonstration »gegen linken Terror« längst aufgelöst, deren 150 Teilnehmer sich im Pulk der rund 500 Polizisten verloren.

Grund für den verspäteten Demonstrationsbeginn: massive Behinderung der Antifas. Mit zeitraubenden Leibesvisitationen am abgesperrten Bahnhofsvorplatz, Umleitungen und Straßensperren versuchte die Polizei, die Demo zu behindern.

Bereits bei der Anfahrt waren 12 Busse aus Berlin und Leipzig von der Polizei auf der Bundesstraße 88 bei Zeutsch angehalten und mit Tränengas beschossen worden. Rund 120 Demonstranten wurden dabei in den eigens für die Demo reaktivierten Knast in Unterwellenborn in »Gewahrsam« genommen. Der Rest erhielt »Platzverweise« und wurde laut Polizei zurückgeschickt.

Noch während der Demonstration sprach ein Polizeisprecher von Bemühungen der Polizei, »gewaltbereite« Demonstranten nicht nach Saalfeld kommen zu lassen. Lediglich Personen, die per Computer als »Gewaltbereite« gespeichert seien, hätten Platzverweise erhalten. Neben den in »Gewahrsam« genommenen Demonstranten nahm die Polizei nach ersten eigenen Statistiken 11 linke und 34 rechte Demonstranten fest. Einen großen Teil davon in Gorndorf. Dort stand die antifaschistische Demo kurzzeitig am Rande der Eskalation. Auf den Balkonen der Plattenbauten und in unmittelbarer Nähe des Demonstrationszuges hatten sich neben zahlreichen Schaulustigen auch provokativ mehrere Nazis versammelt, die Demonstrationsteilnehmer fotografierten. Erst als diese gegen die Provokationen vorgehen wollten und aus dem Demonstrationszug vereinzelte Flaschen flogen, griff die Polizei ein.

Eine Eskalationsstrategie bis zum »Geht nicht mehr« vor und während der Demo warf denn auch die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete und Mitorganisatorin Anette Buntenbach den Behörden und der Polizei vor. Ständiges Filmen und Fotografieren durch Polizeibeamte waren an der Tagesordnung. Auch hätte die Polizei in Gorndorf die Provokationen der Nazis verhindern müssen. Die Polizei wiederum warf den Demonstranten vor, sie hätten die Auflagen nicht erfüllt, vor allem hätte sich die Demonstration länger hingezogen als zuvor genehmigt worden war. Trotz der Eskalationsstrategie der Polizei haben die Demonstranten eine außergewöhnliche Ruhe behalten, resümierte Buntenbach. Zu Ausschreitungen kam es nicht. Einen verletzten Polizeibeamten meldete die Behörde am Abend. Der hatte sich bei der Festsetzung der Busse vor Rudolstadt, als auch Polizeifahrzeuge beschädigt worden seien, einen Finger gebrochen. Unberührt blieben dagegen die zahlreichen unmittelbar an der Demostrecke plazierten Polizeiautos.

Insgesamt waren Polizeikräfte aus neun Bundesländern und der Bundesgrenzschutz in Saalfeld im Einsatz. Die Polizei sprach am Samstag abend von »gut 3000 Polizisten«. Erfahrungen vom Oktober lassen jedoch eher auf die doppelte Menge schließen.

Zu den Geschehnissen auf der B88 erklärte der PDS-Landtagsabgeordnete Steffen Dittes: »Die Polizei, allen voran der Saalfelder Polizeichef Kick, setzten eindeutig auf Provokation. Das mehrmalige Aufhalten von Bussen, die sich auf dem Weg zu einer genehmigten Demonstration befanden, war einzig mit dem Ziel verbunden, AntifaschistInnen zu behindern und die Anreise zu verzögern.« Dittes, der sich selbst im Konvoi befunden hatte, bezeichnete die Geschehnisse an der B 88 als Fortsetzung der Kriminalisierungsversuche von Antifaschisten, die bereits im Oktober vergangenen Jahres durch den damaligen Polizeieinsatz und die Äußerungen des Thüringer Innenministers Richard Dewes in Thüringen einen Höhepunkt darstellten.

Georg von Rothhausen
Junge Welt, 16.03.1998

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