Völkerschlacht in Leipzig

    Die Mobilisierung von NPD und JN zum Deutschen 1. Mai nach Leipzig läuft "auf Hochtouren". Die Gegenseite bleibt nicht untätig

Noch sind die Karten in Leipzig nicht endgültig gemischt: Fest steht bisher nur, daß die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) im Mai vergangenen Jahres für den kommenden 1. Mai um 11 Uhr am Völkerschlachtdenkmal eine Großkundgebung mit anschließendem Aufmarsch durch den Stadtteil Stötteritz angemeldet hat und dafür seit Wochen mobilisiert. Und daß, angefangen mit dem SPD-Bundesvorsitzenden Oskar Lafontaine über Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU), dem sächsischen Arbeitgeberpräsident und den DGB-Vorsitzenden, Kirchenvertretern, den Bürgermeisterkandidaten aller Parteien, Künstlern und autonome Antifaschisten alle dazu aufrufen, diesen Naziaufmarsch zu verhindern, der einer der größten der deutschen Nachkriegsgeschichte werden könnte.

Die Einigkeit ist jedoch begrenzt. So rufen die autonomen und unabhängigen Antifaschisten dazu auf, die Nazi-Demonstration konsequent zu be- oder verhindern. Ein Sprecher des Leipziger Bündnisses gegen Rechts (BgR) erklärte, die bundesweite antifaschistische Mobilisierung werde trotz des Verbots des Aufmarsches durch das Ordnungsamt der Stadt Leipzig am 17. April weiter verstärkt. "Wir rechnen damit, daß das Verbot vom sächsischen Oberverwaltungsgericht Bautzen wieder aufgehoben wird. Daher wünschen wir uns, daß alle dort protestieren, wo die Nazis aufmarschieren werden", so Klaus Berger vom BgR.

Um zu garantieren, daß die Antifaschisten überhaupt nach Leipzig kommen, hat das neugegründete "Berliner Bündnis gegen Rechts" eine Patenschaftsinitiative gestartet: Prominente Künstler oder Schriftsteller übernehmen Patenschaften für die Busse der AntifaschistInnen, um möglicher polizeilicher Repression politisch entgegenzuwirken. Nach den Erfahrungen mit den Neonazi-Aufmärschen der letzten Monate haben AntifaschistInnen in Leipzig auf eine eigene Demonstration verzichtet. Statt dessen haben verschiedene Organisationen, die in einer "Initiative 1. Mai ohne Naziaufmarsch" zusammengeschlossen sind, mehrere Kundgebungen am Völkerschlachtdenkmal und entlang der Aufmarschroute der NPD angemeldet.

Beim DGB und den bürgerlichen Parteien will man den Nazis nicht ganz so nahe kommen, auch wenn der DGB "die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen" dazu aufruft, "gemeinsam den Anfängen zu wehren", "die Würde aller Menschen, ob Deutsche oder Ausländer, zu verteidigen" und "diesen freiheitsverachtenden Kräften entgegenzutreten". Unter dem Motto "Für Arbeit und soziale Gerechtigkeit - Leipzig zeigt Courage" hat der DGB schon am Vorabend des 1. Mai am Völkerschlachtdenkmal ein "Rock gegen Rechts"-Festival unter Beteiligung der Toten Hosen und einigen Mitgliedern der Prinzen gegen den Aufmarsch geplant und rund 500 Künstler zur Unterstützung bewegen können. Bands und Publikum sollen die Nacht am Völkerschlachtdenkmal verbringen. Für den 1. Mai selbst ist eine von Täve Schur angeführte Radtour gegen den Naziaufmarsch durch die Innenstadt geplant; SPD-, DGB- und Kirchenprominenz wollen ab 11 Uhr auf dem Rathausplatz eine Kundgebung veranstalten.

Während es diesem Antinazi-Bündnis explizit um die Wahrung des "Ansehens der Stadt Leipzig" geht, befürchten Antifaschisten, daß ein ungestörter Massenaufmarsch eine Signalwirkung für die kommenden Monate haben würde. Darin sind sie sich mit dem Verfassungsschutz einig: Seit dem Aufmarsch von über 1 000 Neonazis gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-44" des Hamburger Instituts für Sozialforschung im Januar dieses Jahres in Dresden läuft die Mobilisierung der NPD, ihrer Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) und der militanten Neonaziszene auf Hochtouren. Die NPD/JN und die mit ihr verbundenen Kameradschaften gehen in die Offensive: Per Internet, über diverse "Nationale Infotelefone", mit Flugblatt-Aktionen am Rande von Arbeitslosenprotesten und vor Arbeitsämtern, mit Info-Tischen in den Einkaufszonen und durch Plakate soll das noch unentschlossene rechte Klientel geworben und die Selbstverständlichkeit neonazistischer Parolen im Straßenbild demonstriert werden.

Für den Aufmarsch am 1. Mai verläßt sich die NPD auf ihren Status als Wahlpartei, da sie zu den Bundestagswahlen im Oktober antreten wird. So wurde der Aufmarsch am 1. Mai auch als "Wahlkampfveranstaltung" deklariert, um ein Verbot unmöglich zu machen - mit der Drohung, ansonsten die Bundestagswahl vor dem Verfassungsgericht anfechten zu wollen. Dabei gibt sich die sächsische NPD-Führungsriege betont legalistisch: Neonazikader wie der stellvertretende sächsische NPD-Vorsitzende Oliver Händel, der bei einer Wahlkampfveranstaltung der Deutschen Liga für Volk und Heimat vor einigen Jahren in Köln noch mit gezogener Gaspistole auf AntifaschistInnen losging, laden bürgerliche JournalistInnen zum Mittagessen ein und versuchen, sich als Interessenvertreter der "sozial Deklassierten in Ostdeutschland" zu präsentieren.

Dennoch hat das Ordnungsamt der Stadt Leipzig mittlerweile eine Verbotsverfügung gegen den NPD-Aufmarsch erlassen. Ordnungsamtsleiter Günther Wassermann erklärte, nach einem Gespräch mit den Anmeldern von der NPD habe sich das Ordnungsamt der Stadt zu einem Verbot entschlossen: "Wir sehen uns nicht in der Lage, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten." Das Verbot sei wegen zu erwartender Unruhen und der zahlreichen antifaschistischen Gegenveranstaltungen erfolgt. Argumentationshilfe erhielt das Ordnungsamt dabei vom sächsischen Verfassungsschutz, dessen Vizepräsident Reinhard Boos gegenüber Jungle World betonte, daß die NPD vor allem "aus strategischen Gründen" nicht zu Gewalt aufrufe, jedoch ein eindeutig rechtsextremistisches und gewaltbereites Spektrum rekrutiere. Allerdings hatte die NPD schon im vergangenen Jahr erfolgreich vor dem sächsischen Oberverwaltungsgericht in Bautzen gegen ein Verbot des Ordnungsamtes für ihren 1. Mai-Aufmarsch im vergangenen Jahr geklagt. Das Oberverwaltungsgericht Bautzen ist für seine einschlägigen Urteile bekannt: Anfang April bestätigten die dortigen Richter das städtische Verbot einer antifaschistischen Bündnisdemonstration in Leisnig, nachdem das NPD- Bundesvorstandsmitglied Frank Schwerdt in letzter Minute einen fiktiven Neonazi-Aufmarsch angemeldet hatte.

Am 1. Mai 1997 hatte die Stadt Leipzig wegen "neuer Erkenntnisse zur Sicherheitslage" kurzerhand ein Aufmarschverbot für die Rechten ausgesprochen und es auch mit einem großen Polizeieinsatz durchgesetzt. Wegen der Deklarierung als "Wahlkampfveranstaltung" der NPD für den Bundestagswahlkampf dürfte sich das in diesem Jahr nicht wiederholen lassen.

Jungle World

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