» Selbstkritik wäre angebracht «

Joachim Kolb sprach mit Viktor Neuss (Antifa M Göttingen), Jana Rudisleben (BgR Leipzig) und Maren Wilke (Antifaschistische Aktion Berlin) über den Verlauf und die Perspektiven des Kongresses.

ak: Hat der Kongress Eure Erwartungen erfüllt?

Viktor: Nicht so ganz! Unsere Hoffnung war ja, ähnlich wie schon beim Antifa-Camp 1998, alle aktiven Gruppen noch mal an einen Tisch zu kriegen, um den Neuorganisierungsprozess weiter voranzutreiben. Leider hat sich jedoch gezeigt, dass sich viele Gruppen hauptsächlich regional verorten und kein großes Interesse haben, sich zu diesem Organisierungsprozess zu äußern.

Jana: Dass über 600 Leute kamen, zeigt ja schon, dass es grundsätzlich ein großes Interesse an linksradikaler Politik gibt. Schade war allerdings, dass die TeilnehmerInnen mit ihren Diskussionsbeiträgen meist nur als Einzelpersonen aufgetreten sind. Man hatte überhaupt nicht den Eindruck, an dem Kongress nehmen politische Gruppen teil, die sich im Vorfeld auch inhaltlich mit den Themen auseinandergesetzt und dazu eigene Positionen ausgearbeitet haben, die sie auch präsentieren könnten.

Maren: Das lag aber zum Teil auch an der unglücklichen Konzeption. Der Kongress sollte gleich drei Funktionen auf einmal erfüllen: Zum Ersten alle Leute, die an Antifa-Politik interessiert sind, zusammenbringen, also ein möglichst breites Forum bieten, zum Zweiten über neue Inhalte linksradikaler antifaschistischer Politik diskutieren und zum Dritten die Neuorganisierung der systemoppositionellen Linken initiieren. Auf dem Kongress war zu beobachten, dass wirklich alle, die sich als linksradikal begreifen, sich nunmehr der Antifa zurechnen. Antifa gilt inzwischen als der Politikbereich, in dem sich für radikale Linke noch etwas ausrichten lässt. Da kamen dann eben eingefleischte Klassenkampf-Apologeten genauso wie überzeugte Antiimps, die sich noch immer hauptsächlich an den nationalen Befreiungsbewegungen orientieren. Mit einem derart breiten Spektrum war jedoch ein einheitliches Diskussionsniveau von vorne herein nicht möglich, die Diskussion blieb oft schon bei der Debatte um Begrifflichkeiten, z.B. dem jeweiligen Staatsverständnis hängen.
Ein anderer Kritikpunkt war - und da müssen wir uns als VeranstalterInnen auch an die eigene Nase packen: Mit der Auflösung der AA/BO wäre eine selbstkritische Auswertung angebracht gewesen. Stattdessen wurde auf dem Kongress einfach noch mal ihre Geschichte referiert.


ak: Der Kongress war bestimmt von Referaten Eurer Gruppen. Diese Vortragsstruktur ließ den TeilnehmerInnen wenig Möglichkeiten für eigene Beiträge.

Jana: Es stimmt, die Referate waren zu lang, dadurch gab es zu wenig Raum für Diskussionen. Die Workshops sollten eigentlich diesen Raum bieten, was aber nur bei einem Teil gelungen ist.

Maren: Das Problem war, dass es keine wirkliche inhaltliche Schwerpunktsetzung gab. In dem Fall wäre es möglich gewesen, den anderen Antifa-Gruppen entsprechendes Material zukommen zu lassen, damit sich alle schon im Vorfeld auf den gleichen Diskussionsstand bringen können. Der Kongress war also von vorneherein mehr auf breite Vermittlung, als auf Diskussion angelegt.

Viktor: Aber wir wollten ja gerade, dass sich möglichst alle Interessierten und nicht nur ausgewählte Gruppen am Kongress beteiligen können. Bei über 600 TeilnehmerInnen ist ein konstruktiver Diskussionsprozess ohne ausgearbeitete Vorträge einfach kaum möglich. Wichtig ist jetzt, wie es weiter geht. Der Kongress soll ja nur der Auftakt und nicht das Ende der Diskussionen über eine Neubestimmung linksradikaler Politik sein.

ak: Ein Schwerpunkt des Kongresses sollte der Neuorganisierungsprozess der radikalen Linken sein. Auf dem Kongress war davon wenig zu merken. Gibt es derzeit überhaupt genügend Interesse an einer bundesweiten Organisierung?

Maren: Wenn man allein die auf dem Kongress vertretenen Gruppen zum Maßstab nimmt, ist es in der Tat schwierig, einen dafür ausreichenden Resonanzboden auszumachen. Insofern finden wir es wirklich fraglich, ob es sinnvoll ist, so viel Gewicht auf diesen Organisierungsprozess zu legen.

Viktor: Der Kongress war ja nur der Auftakt für den Neuorganisierungsprozess, und die Auflösung der BO war diesbezüglich ein deutliches Angebot an alle linksradikalen Gruppen. Aber ein Kongress, auf dem unterschiedliche Themen vor einem großen Publikum diskutiert werden, kann und sollte auch kein Gründungstreffen sein. Das hätte bedeutet, den Kongress unzulässig zu instrumentalisieren.

Jana: Es hat sich sehr schnell gezeigt, dass es einen enormen Diskussionsbedarf zu den unterschiedlichen Themen gibt. In dieser Situation plötzlich die Organisierung in den Vordergrund zu stellen, hätte bedeutet, diese Diskussionen abzuwürgen. Das war ja gerade eine Kritik, die die BO nicht ganz zu Unrecht immer zu hören bekam. Immerhin haben insgesamt 25 Gruppen ihr Interesse am Nachbereitungstreffen zum Kongress am 14. Juli in Leipzig bekundet, auf dem die Organisierungsfrage auch weiter Thema sein wird.

Maren: In nächster Zeit muss vor allem geklärt werden, welchen Charakter die Organisation haben soll: Will man sich auf einige wenige inhaltliche Schwerpunkte konzentrieren, um bestimmte politische Themen wieder stärker öffentlich wahrnehmbar zu machen, oder soll eine bundesweite Organisation besser darauf ausgelegt sein, den beteiligten Gruppen praktische Angebote für eine stärker aktionistische Politik unterbreiten zu können, beispielsweise materielle oder logistische Unterstützung zu leisten?

ak: Eine Neuerung wird die ab Juni erscheinende Zeitschrift Phase 2 sein, die von einer gruppenübergreifenden Redaktion produziert wird. Sie soll Analysen liefern, Kampagnen unterstützen und Debatten anstoßen. Ein ähnliches Konzept verfolgen auch andere linke Zeitungen, wie z.B. Arranca! oder ak. Gibt es Bedarf an einer weiteren Zeitschrift?

Jana: Es ist tatsächlich so, dass Arranca! oder ak die beiden Publikationen sind, die uns von der Ausrichtung her am nächsten stehen. Phase 2 soll speziell die Diskussionen des Kongresses fortführen und den weiteren Organisierungsprozess institutionalisieren. Die Zeitschrift bietet dabei die ideale Plattform, um die unterschiedlichen Standpunkte der einzelnen Gruppen darstellen zu können. Zudem ist die Mobilisierungsfähigkeit der meisten Zeitungen eher gering, Jungle World oder konkret etwa verschließen sich dem ohnehin von vorne herein.

Maren: Eine Zeitschrift, die an eine politische Gruppe gekoppelt ist, ist einfach besser in der Lage, breite Diskussionen anzustoßen als eine Zeitung, die über keine solche Gruppenanbindung verfügt.

ak: Im Mittelpunkt des Kongresses stand die Neuorientierung der systemoppositionellen Antifa. Begründet wurde dies mit dem staatlichen Aktionismus gegen Rechts im Sommer 2000. Hat sich dadurch tatsächlich so viel geändert?

Maren: Der sogenannte Antifa-Sommer hat zumindest deutlich gemacht, dass sich die rot-grüne Koalition im Gegensatz zur vorherigen konservativen Bundesregierung um eine "Normalisierung" der deutschen Innen- und Außenpolitik, sprich Angleichung an westeuropäische Standards bemüht. Dabei können umherschlägernde Nazi-Horden nur stören.

Jana: Im Gegensatz zu Anfang der 90er Jahre sind die Neonazis heute keine Stichwortgeber für politische Diskurse mehr. Seit dem Antifa-Sommer 2000 gelten Menschen, die sich Neonazi-Aufmärschen in den Weg stellen, auch nicht mehr in jedem Fall als linksextreme Störenfriede, sondern als anständige Demokraten. Das kann sicherlich jederzeit wieder kippen. Die Grenze eines solchen zivilgesellschaftlichen Engagements hat sich ja schon zuletzt in der von der CDU angestoßenen Debatte um Nation und Patriotismus gezeigt. In dem Moment, als es gegen nationale Integrationsmuster ging, konnte sich die Zivilgesellschaft nicht mehr durchsetzen.

Viktor: Ob die nun angelaufenen Programme der Bundesregierung gegen Rechts auch dauerhaft finanziell abgesichert werden, bleibt sicherlich abzuwarten. Aber unabhängig davon sollten wir diese Veränderung im gesellschaftlichen Umgang mit Neonazismus als Chance begreifen, unsere bisher doch stark auf den direkten Anti-Nazi-Kampf reduzierte Politik wieder für andere Inhalte zu öffnen.

ak: Welche inhaltlichen Schwerpunkte setzen dabei Eure Gruppen?

Jana: Wir werden auf jeden Fall unsere Zusammenarbeit mit antirassistischen Gruppen fortsetzen, beispielsweise werden wir für das diesjährige Grenzcamp mitmobilisieren. Ein weiterer Schwerpunkt wird die Nationalstolzdebatte sein. So wie es aussieht, könnte dies im nächsten Jahr Wahlkampfthema werden. Darauf sollte man reagieren.

Viktor: Unser Schwerpunkt wird auch in Zukunft die Kapitalismuskritik bleiben, es wird zum Beispiel um die Frage gehen: Wie kann eine antikapitalistische Praxis aussehen? Ganz konkret stehen in nächster Zeit der EU-Gipfel in Göteborg und das G8-Treffen in Genua an, zu denen wir mobilisieren werden.

Maren: Auch in unserer politischen Praxis werden die so genannten Antiglobalisierungsproteste einen breiten Raum einnehmen. Ob wir damit aber wirklich einen Beitrag leisten können, eine nachhaltige antikapitalistische Bewegung aufzubauen, wird erst die Zukunft zeigen.

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