Aufruf des Leipziger Bündnisses gegen Rechts zum 1. Mai

Zum ersten Mal seit Bestehen des BgR Leipzig als Zusammenschluss von linksradikalen Antifaschistinnen und Antifaschisten mobilisieren wir für zwei Ereignisse an einem Tag - einmal gegen einen oder mehrere bundesweit versuchte Naziaufmärsche und zum anderen für die traditionelle linksradikale Demonstration in Berlin. Beide Ereignisse haben für uns den gleichen Stellenwert. Jedoch nicht etwa, weil wir unbedingt den 1. Mai als traditionellen Tag der Arbeiterklasse mit seiner Geschichte fortsetzen und gegen die Nazis verteidigen wollen, sondern weil wir es für notwendig erachten, weiter zu gehen, als im reinen Anti-Nazi-Kampf zu verharren.

    antifaschistisch handeln!

Auch in diesem Jahr werden die Nazis versuchen, am 1. Mai aufzumarschieren. Ob sie dies zentral oder an mehreren Orten Deutschlands gleichzeitig tun, stand bis zum Druck dieses Aufrufes noch nicht fest (Stand: Ende März). Die Notwendigkeit jedoch, jeden Versuch eines Aufmarsches auf allen möglichen Ebenen zu verhindern, stellt sich genau so wie in den Vorjahren.

    Nur dort, wo die Nazis sind, kann verhindert werden!

Es hat sich als falsch und ineffektiv erwiesen, nicht genau dort zu protestieren, wo die Nazis ihre Aufmärsche versuchen. Selbst wenn es nicht gelingen sollte, die Nazis am Aufmarschieren in Gänze zu hindern, so beweisen doch Ereignisse wie am 1. Mai 1998 in Leipzig, wo mehrere tausend Antifaschistinnen und Antifaschisten gegen die Nazis vorgehen wollten und nur durch die Polizei daran gehindert wurden, welche effektive Wirkung von einem entschlossenen Protest vor Ort ausgeht: So ist es vor zwei Jahren in Leipzig den Nazis unmöglich gemacht worden zu marschieren bzw. überhaupt erst zu ihrem Kundgebungsplatz im quasi antifaschistischen Kessel vorzudringen.

    Gemeinsam vorgehen!

Die Verhinderung von Nazi-Aufmärschen als Ziel, dürfen die gesellschaftlichen Realitäten nicht vernachlässigt werden: Es ist ein Trugschluß, auf die anti-nazistische Wehrhaftigkeit der demokratischen Zivilgesellschaft zu vertrauen. Eine linksliberale bzw. liberale Öffentlichkeit, die sich explizit gegen die Nazis ausspricht, muß - mangels Existenz - in aller Regel erst von linksradikalen Antifaschistinnen und Antifaschisten initiiert werden, wenn sie denn überhaupt zu Stande kommt. Zu betonen ist in diesem Zusammenhang ausdrücklich, daß wir bereit sind, mit allen Kräften gemeinsam gegen die Nazis vorzugehen, die unseren Anspruch akzeptieren wie wir den ihren.

    Die Nazideologie - verbrecherisch und menschenverachtend

Gerade am 1. Mai wollen sich die Nazis als "Systemopposition" darstellen. Ganz bewußt verstehen sie sich dabei in der Tradition des von den Nationalsozialisten 1933 geschaffenen "Tag der nationalen Arbeit" als explizit antisemitische deutsche Variante eines Arbeitsbegriffes, der den Kapitalismus als Verschwörung begreift. Der Ideologie der Nazis von heute wie der von damals ist es immanent, "die Juden" als Sündenböcke für die Gesellschaftsformation des Kapitalismus zu begreifen. Die Weltsicht der Nazis trägt einen ungebrochenen Vernichtungswillen in sich. Was dieser bewirkt, haben sie mit den schrecklichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte bewiesen.

    Die gesellschaftliche Rolle der Nazis

Eine der derzeitigen gesellschaftlichen Funktionen der Nazis in Deutschland besteht darin, daß sie bewußt für die Einschränkungen von Grundrechten instrumentalisiert werden. Das wissen wir spätestens seit den Anschlägen und Pogromen der Nazis und dem Jubel ihrer Sympathisantinnen und Sympathisanten in der Bevölkerung. Damals, Anfang der 90er, ließ man die Nazis und ihren Anhang bewußt gewähren, um sich demokratisch ummantelt dem angeblichen "Druck von der Straße" beugen zu müssen - das Grundrecht auf Asyl wurde faktisch ausgehöhlt und damit zur menschenverachtenden Farce.

Eine andere gesellschaftliche Rolle, die die Nazis im verstärktem Maße seit den 70ern spielten und spielen, besteht in ihrer Funktion als Stichwortgeber. Insbesondere bei der so genannten Vergangenheitsbewältigung gelingt es ihnen, die Stichworte für deutsche Diskurse der Gegenwart abzuliefern. Ist ihnen das geglückt, werden sie allerdings gesellschaftlich geschnitten. Dadurch haben wir in Deutschland folgende Situation, die sich an einem Beispiel gut darstellen läßt: Eines der Aushängeschilder deutscher Schriftstellerei, Herr Martin Walser, redet gleichlautend der Nazipropaganda, die durch den offen ausgebrochenen deutschen Nationalismus endgültig salonfähig geworden ist. Walser meinte Ende 1998 in einer Rede in Frankfurt/Main vor den politischen und geistigen Repräsentanten Deutschlands dasselbe wie die Nazis: er sagte, er könne von Auschwitz nichts mehr hören. Dafür heimste er stehende Ovationen ein. Hätte ein bekannter Nazi dasselbe gesagt - alle hätten ihn verteufelt und sich von ihm abgegrenzt.

    Die unmögliche Doppelrolle einer "Mitte der Gesellschaft"

Wovon linksradikale Antifaschistinnen und Antifaschisten seit Jahren reden, hat sich mittlerweile in gesellschaftlich breiten Kreisen durchgesetzt: Die Nazis - im allgemeinen nachkriegsdeutschen Sprachgebrauch als "Rechtsextremisten" bezeichnet - kommen aus "der Mitte der Gesellschaft". Was das jedoch bedeutet und praktisch nach sich zieht, heißt in aller Regel nicht mehr als ein Plädoyer für "gelebte Demokratie", die sich in Zivilcourage - insbesondere "gegen Gewalt" - ausdrücken soll. Die Schizophrenie dabei: dieselben Kreise, die als Mitte der Gesellschaft als Verantwortliche für die Existenz einer Nazi-Bewegung ausgemacht werden, sollen auch die sein, die gegen die Nazis vorgehen. Unfreiwillig wird an Hand dieses Widerspruches die deutsche Realität sichtbar: aktiver Antifaschismus - der Kampf gegen Nazis - ist gestern wie heute eine Randerscheinung!

    Entschieden gegen Nazis!

Nicht zuletzt aus diesem Grund müssen linke und linksradikale Antifaschistinnen und Antifaschisten mit aller Entschiedenheit gegen die Nazis vorgehen: Denn die spezifisch deutsche Geschichte belegt im Zusammenspiel mit kapitalistischen Krisenbewältigungsmechanismen, daß der Faschismus - insbesondere seine grausamste Form der deutsche Nationalsozialismus - eine stets präsente und längerfristig abrufbare Option ist. Gesagt ist damit allerdings nicht, daß es einen Automatismus gäbe, nach dem unwiderruflich auf die kapitalistische Krise der Faschismus folgt.

Jeden Naziaufmarsch am 1. Mai und immer konsequent verhindern!

    linksradikal demonstrieren

Eine Selbstkritik unserer linksradikalen Antifa-Politik der letzten Jahre ist die zu starke Fokussierung unserer Aktivitäten auf vorgegebene Ereignisse und Tatsachen durch die Nazis. Dadurch ist es uns immer schlechter gelungen, unserer eigenen Analyse von der Bedeutung der gesellschaftlichen Verhältnisse gerecht zu werden. So wurde eine Gesellschaftskritik in zu starkem Maße über die Nazis reflektiert.

    Warum in Berlin demonstrieren?

Wir haben uns nach langer Diskussion für einen Aufruf zur traditionellen linksradikalen 1. Mai-Demonstration nach Berlin entschlossen, weil wir es für nötig halten, linker Politik in der Öffentlichkeit Kontur zu geben. Auch wenn sicherlich Demonstrationen, insbesondere die linke 1. Mai-Demo mit ihrem ausdrücklichen Event-Charakter, immer nur eine beschränkte symbolische Wirkung und inhaltliche Vermittlung ermöglichen, bleiben sie doch ein Mittel.

    Der 1.Mai - ein Kampftag wie früher?

Unser historisches Verständnis vom 1. Mai als Kampftag der organisierten Arbeiterbewegung macht es nicht möglich, uns ungebrochen in diese Tradition zu stellen. Wir können uns mit einer geschichtlichen Kontinuität, in der wir so automatisch stehen würden, aus Gründen unseres eigenen Selbstverständnisses nicht identifizieren. Wir fahren deshalb nicht wegen, sondern trotz des historischen 1. Mai nach Berlin. Das heißt nicht, daß wir als Linksradikale uns nicht auf historischen Widerstand und geschichtliche Ereignisse beziehen können. Unser Motiv der Beteiligung liegt in der reflektierten Notwendigkeit linksradikaler gesellschaftlicher Wahrnehmung.

    Der Kapitalismus ist ein Problem!

Der weltweite gesellschaftliche Status Quo drückt sich nicht zuletzt in der Anerkennung des Kapitalismus als "Ende der Geschichte" aus. Das Verständnis vom Kapitalismus als Ursache der Menschheitsprobleme ist global marginalisiert und kanalisiert sich - nicht zuletzt durch Abwesenheit linker Kapitalismuskritik - in der Hinwendung zu Religion, Esoterik und Okkultismus.
Überall wird der Kapitalismus zum Maß aller Dinge erhoben. Wenn wir also dazu aufrufen, am 1. Mai linksradikal zusammen mit vielen tausend anderen in Berlin zu demonstrieren, dann nicht zuletzt deshalb, weil wir ganz klar deutlich machen wollen, daß wir uns nicht von einem Kampf für eine herrschaftfreie Gesellschaft weltweit, ohne Ausbeutung und Unterdrückung, verabschieden wollen und abhalten lassen! Unsere Antwort auf den Kapitalismus ist linker Widerstand! Das wollen wir am 1. Mai in Berlin verdeutlichen!

Kapitalismus abschaffen!
Linksradikale Demonstration, ab 18 Uhr Berlin-Kreuzberg, Oranienplatz


Bündnis gegen Rechts Leipzig

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