AZADI infodienst nr. 32
juli 2005


Migrationspolitik

Taylan Sarigül aus Abschiebehaft entlassen

Wie in unserem infodienst Nr. 31 berichtet, war Taylan Sarigül unmittelbar nach Urteilsverkündung durch das OLG Koblenz am 16. Juni wegen "Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung" (Gebietsleiter der PKK von September 2003 bis November 2004) in Abschiebehaft genommen. In der "Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige" in Ingelheim begann der Kurde am folgenden Tag mit einem Hungerstreik. Am 23. Juni wurde er zwecks Ausstellung von Ausreisedokumenten zwangsweise dem türkischen Konsulat vorgeführt, doch hatte sich Taylan Sarigül geweigert, die Papiere zu unterschreiben. Der Kurde wurde am 8. Juli 2005 aus der Abschiebehaft entlassen. Über das Asylfolgeverfahren ist noch nicht entschieden.

(Azadî)

«Alles läuft nach Recht und Ordnung»

70 Kurden gewaltsam in die Türkei abgeschoben

In einer Nacht- und Nebelaktion wurden am frühen Morgen des 28. Juni etwa 70 Kurden aus allen Teilen Nordrhein-Westfalens vom Flughafen Düsseldorf nach Istanbul abgeschoben. Unter ihnen befand sich auch ein Mandant der Bochumer Rechtsanwältin Neslihan Celik, zu dem sie am Flughafen jedoch keinen Kontakt mehr aufnehmen konnte. In einem Gespräch mit der jungen welt berichtete sie, dass die Menschen "zum Teil wie Gepäckstücke aus den Autos gezogen" worden seien und die Männer "allesamt mit Handschellen gefesselt" waren. Ihr Mandant habe "zusätzlich noch Fußschellen" getragen und sei "blau im Gesicht" gewesen. Außerdem seien die Kinder "von den Eltern getrennt worden" und die erwachsenen Asylbewerber hätten "Psychopharmaka bekommen". Nachbarn hätten ihr später erzählt, dass die Frau ihres Mandanten noch in der Wohnung "eine Beruhigungsspritze in den Oberschenkel bekommen" hätte. Die Mehrzahl der Abgeschobenen seien "politische Flüchtlinge aus der Türkei" gewesen, "die zum Teil schon seit Jahren in Deutschland sind". Ein Beamter habe ihr erklärt, die Abschiebung "verlaufe nach Recht und Ordnung". Es müsse befürchtet werden, "dass sie von den türkischen Behörden verfolgt werden, sie müssen mit Gefängnis und sogar mit Folter rechnen", so Neslihan Celik. Sie habe sich umgehend mit der Rechtsanwaltskammer in Istanbul in Verbindung gesetzt. Die Behörden hätten zunächst die Ankunft von Abgeschobenen geleugnet, später aber zynisch bemerkt, es sei ein "Paket" mit 70 Personen angekommen.

(Azadî/jw, 30.6.2005)

Ahmet Karakus: Abgeschoben, verurteilt, gefoltert und zur Kasse gebeten

Rechtsanwältin: Vorgehen «geradezu zynisch»

Der vor acht Jahren mit seiner Familie in die Türkei abgeschobene Kurde Ahmet Karakus erhielt nach seiner kürzlich erneuten Flucht in die Bundesrepublik einen Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe: Darin wird er aufgefordert, die damals angefallenen Abschiebekosten von 4.393,16 Euro - davon 4.039,93 Euro für die Begleitung der Abgeschobenen von Stuttgart nach Izmir durch zwei BGS-Beamte - zu zahlen.
Die Abschiebung der 9-köpfigen Familie hatte seinerzeit in der Öffentlichkeit für Aufsehen erregt: Die Beamten hatten gegen den Willen der Familie in der Wohnung der Kurden gefundene politische Dokumente an die türkische Polizei übergeben. Das führte dazu, dass der Familienvater vom Staatssicherheitsgericht Izmir wegen Unterstützung der verbotenen PKK zu 3 Jahren und 9 Monaten Haft verurteilt worden war, von denen er mehr als 2 Jahre in der Türkei absitzen musste. Karakus ist während der Verhöre gefoltert worden und hatte in der Haftzeit schwere gesundheitliche Schäden erlitten.
Über seine Karlsruher Anwältin Brigitte Kiechle hat Karakus nun Antrag auf Widerruf des Kostenbescheides gestellt. Sie nennt das Vorgehen des Regierungspräsidiums "geradezu zynisch", weil das "unverantwortliche Verhalten der Beamten" für seine Gefängnisstrafe mitverantwortlich seien.

(Azadî/ND/jw, 2.7.2005)

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Geldstrafe für Online-Demo gegen Abschiebegeschäft der Lufthansa

Vogel: Aktion war "elektronischer ziviler Ungehorsam"

Das Amtsgericht Frankfurt/M. hat Andreas Thomas Vogel am 1. Juli wegen "Nötigung" zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen á 10 Euro verurteilt. Der Anmelder der Internet-Domains www.sooderso.de und www.libertad.de hatte gemeinsam mit anderen im März 2001 zu einer Online-Demonstration gegen die Lufthansa und deren Geschäft mit Abschiebungen mobilisiert, die am 20. Juni, dem Tag der Hauptversammlung der Lufthansa AG in Köln, gestartet wurde und an der sich über 13.000 Personen beteiligten. Andreas Thomas Vogel bezeichnete in seinem Schlusswort die Aktion "elektronischen zivilen Ungehorsam".
Er kündigte Revision an.

(Azadî/FR, 2.7.2005)

EU startet mit «Konzentrationslagern» in Libyen

Auch gemeinsame Abschiebungen werden durchgeführt

"Erfreut" sei er - so Bundesinnenminister Otto Schily -, dass sein Vorstoß vom letzten Sommer, Auffanglager in Lybien zu errichten, nun "in konkrete Politik übergehe". Beim EU-Innenministertreffen in Luxemburg im Juni hatte Schily geäußert: "Es ist allemal weniger aufwändig, wenn wir die Probleme dort angehen, als wenn wir warten, bis sie bei uns ankommt." Diese Sicht habe sich nun in der EU durchgesetzt. Der ursprüngliche Kandidat für
das Amt des EU-Justizkommissars, Rocco Buttiglione, hatte im vergangenen Herbst vor dem Europaparlament von "Konzentrationslagern" in Nordafrika gesprochen.
Noch in der Sommerpause soll in der Flüchtlingspolitik die umstrittene Zusammenarbeit mit Libyen, das nicht einmal die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet hat, beginnen. Libyens Grenzpolizei wird hierfür ausgebildet und soll afrikanische Einwanderer abfangen, bevor diese sich auf ihre gefährliche Überfahrt in Richtung Europa begeben. Menschenrechtsorganisationen klagen über die schlechte Behandlung und darüber, dass Flüchtlinge von Libyen aus in Länder abgeschoben würden, in denen ihnen Folter droht.
Doch gehören auch in der EU Abschiebungen in Länder zur Tagesordnung, die auf den jährlichen Listen der Folterstaaten von UNO oder Europarat erscheinen. Problemlos wird in die Türkei, in Länder Afrikas oder Asiens abgeschoben. Wie Franco Frattini, EU-Justizkommissars erklärte, sollen nur Einwanderer nach Europa kommen, um den "Arbeitsmarkt aufzufüllen" und die "steigenden Kosten unseres Wohlfahrtssystems zu kompensieren".
Außerdem haben Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien am 5. Juli beschlossen, gemeinsame Abschiebungen "illegaler" Einwanderer durchzuführen. Diese sollen in einem Land "zusammengeführt" und mit Charterflugzeugen deportiert werden, teilte der französische Innenminister Sarkozy mit. Nach Angaben des italienischen Ministers Guiseppe Pisanu mit den ersten Flügen "in den kommenden Tagen" zu rechnen.

(Azadî/FR, 15.7.2005)

Schüler-Demo gegen Abschiebungen

Im Rahmen der Kampagne "Hier geblieben" demonstrierten am 14. Juli in Frankfurt/M. über 500 Menschen - zumeist Schülerinnen und Schüler - gegen die drohende Abschiebung von Mitschülern. Laut Hessischem Flüchtlingsrat sind allein in Frankfurt einige hundert Schüler von der Abschiebung bedroht. In Hessen leben etwa 15 000 geduldete Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde und die aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden können. Viele sind Kinder und Jugendliche, die sich integriert haben und oft besser deutsch als die Sprache des Landes ihrer Eltern sprechen. Die Forderung nach einem Bleiberecht haben in den letzten Wochen mehr als 8000 Menschen unterschrieben.

(Azadî/ND, 15.7.2005)

Abschiebeknäste abschaffen - Grenzen öffnen
AZADÎ: Widerstand fortsetzen

Etwa 250 Menschen, darunter vor allem Jugendliche, beteiligten sich am 16. Juli an einer Demonstration vor dem Abschiebegefängnis im rheinland-pfälzischen Ingelheim. „Grundsätzlich wollen wir zeigen, dass nicht alle Menschen damit einverstanden sind, wie hier mit Menschenrechten und Menschenleben umgegangen wird. Es darf nicht sein, dass die Grenzen für profitsuchendes Kapital immer weiter geöffnet werden und dass gleichzeitig Kriege, Folter und Vertreibung stärker als strategisches Mittel der Politik eingesetzt werden.“ Dies äußerte Andreas Geiger, Pressesprecher des „Vorbereitungsbündnis Ingelheim – Aktiv gegen Abschiebung“ gegenüber der jungen welt. Man wolle weiterhin die „Abschaffung aller Abschiebeknäste und die Öffnung der Grenzen für Menschen, die aus den verschiedensten Gründen hier Hilfe suchen müssen“ fordern und die Öffentlichkeit „auf die Situation in den Abschiebeknästen aufmerksam machen“. AZADÎ hat in einem Grußwort das „schmutzige Abschiebegeschäft“ im Namen der „Kapitalinteressen der BRD“ angeprangert und den Staat angeklagt, sich der „Menschen wie Ballast“ zu entledigen. Er lasse sie entsorgen „in die Armut, in Bürgerkriege, in die Hände von Folterern, in Knäste, in eine perspektivlose Zukunft.“ Konsequenz aus dieser „menschenverachtenden Politik“ könne nur sein, den Widerstand hiergegen fortzusetzen“.

(Azadî/jw, 18.7.2005)

 

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