Die Schill-Partei:
Autoritärer Neoliberalismus
Mit den knapp zwanzig Prozent für die "Partei Rechtsstaatliche Offensive" des Amtsrichters Schill gelang der CDU unter Ole von Beust im Herbst 2001 der Regierungswechsel in Hamburg. In Sachsen-Anhalt scheiterte die Schill-Partei vor wenigen Wochen an der 5%-Regelung. Und die Teilnahme an der Bundestagswahl im September wird nicht von Schill wegen ungesicherter Erfolgsaussichten abgelehnt, sondern scheint nach der Entscheidungsunfähigkeit beim 2. Bundeskongress der Schill-Partei vor wenigen Tagen in Hamburg auch organisatorisch nicht mehr zu schaffen.
Mag
also die bundespolitische Bedeutung der PRO derzeit weniger bedeutsam sein, so
wird Schill mit CDU und FDP die politische und soziale Situation in Hamburg doch
erheblich verändern – und so möglicherweise mittelfristig auch auf
Bundesebene wieder Bedeutung gewinnen. Immerhin elf Prozent der wahlberechtigten
BundesbürgerInnen würden nach einer aktuellen Umfrage von Anfang Mai der
Schill-Partei und ihrem autoritären Neoliberalismus bei der Bundestagswahl ihre
Stimme geben. In Worten und Taten der in Hamburg regierenden Parteienkombination
kommt ein autoritärer Neoliberalismus zum Ausdruck, d.h. ein scharf
marktliberales Profil, das weit über den Bereich des unmittelbar Ökonomischen
hinausgeht, und dies mit einer durchgreifenden und viele Bereiche berührenden
Einschränkung demokratischer Rechte verbindet.
So wird denn auch im Sozialbereich gekürzt und gestrichen. Bereits in diesem Jahr sollen fünf Frauenberatungsstellen auf knapp 40 Prozent ihrer Mittel verzichten. Damit wird erneut deutlich das Hilfsangebot für Opfer sexualisierter Gewalt und für Frauen, die sich aus einer gewalttätigen Beziehung lösen wollen, eingeschränkt. Auch dem Frauenbildungszentrum Denk(t)räume wurde (von der FDP-geführten Behörde für Bildung und Sport) das Geld für politische Bildung gestrichen. Aufgrund dieser 40%igen Kürzung muss das Projekt nach 19 Jahren die Seminar- und Veranstaltungsaktivitäten einstellen. Per Fax erhielt der Verein Amnesty for Women von der Sozialbehörde (geleitet von Birgit Schnieder-Jastram/CDU) die Mitteilung, dass die Förderung mit sofortiger Wirkung um 50% auf 60.000 Euro verringert werde. Auch der Druck auf Arbeitslose und Sozialhilfe-BezieherInnen soll verstärkt werden, damit sie jede angebotene Arbeit annehmen. Das entsprechende Stichwort zu entsprechenden Maßnahmen des Arbeitszwange lieferte Mitte April die Springer-Presse mit ihrer Schlagzeile: „Hamburg ist die Hochburg der Drückeberger".
Die im Wahlkampf aufgeheizten Law-and-Order-Phantasien bedient jetzt vor allem Justizsenator Roger Kusch. Er streicht Plätze im offenen Strafvollzug, wettert gegen den angeblichen Luxus in den Gefängnissen, oder er nimmt den drogenabhängigen Inhaftierten die Möglichkeit, sich saubere Spritzen zu besorgen und sich so vor lebensgefährlichen Krankheiten wie Aids zu schützen. Eine Abstimmung mit dem ebenfalls der Schill-Partei angehörenden Gesundheitssenator Rehaag hält Kusch für überflüssig: "Da gab es nichts zu koordinieren". Auch die Besuche der Strafgefangenen sollen in Zukunft noch schärfer kontrolliert werden. Und für jugendliche Straftäter soll es nun in Hamburg wieder geschlossene Heime geben. Die Polizei wird nicht nur personell aufgestockt, sondern erhält auch politische Rückendeckung. So sind die Tage der sog. Polizeikommission (Poko) gezählt. Offizielle Aufgabe der Poko war es nicht nur, Beschwerden aus der Bevölkerung über polizeiliches Fehlverhalten wie Beleidigungen, Körperverletzungen bis hin zu irrtümlichen Erschießungen aufzuarbeiten, sondern auch ‘strukturelle Fehlentwicklungen‘ zu erkennen. Obwohl das Gremium faktisch zahn- und bedeutungslos war, ist schon die reine Existenz dem Law-and-order-Senat ein Dorn im Auge. Zur Aufrüstung der Polizei gehört auch der jüngste Entwurf Schills für die Verschärfung des "Sicherheits- und Ordnungsgesetzes". Danach soll das Polizeigewahrsam, d.h. die Inhaftierung ohne richterliche Anordnung, von derzeit 48 Stunden auf bis zu zehn Tage verlängert werden. Personenkontrollen sollen jederzeit und an jedem Ort ohne Verdacht möglich sein und Platzverweise für die ganze Stadt gelten. Schon jetzt gibt der harte Kurs des Innensenators jenen rassistischen Beamten in der Polizei Rückendeckung, die für ein noch schärferes Auftreten gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund eintreten. So wurden in den letzten Monaten vermehrt MigrantInnen ‘irrtümlich‘ Opfer polizeilicher Gewalt.
In der Schulpolitik gibt es neben der auch anderorts angestrebten 12-Jahre-bis-zum-Abitur-Variante die Ansage, Kindern ohne hinreichende Deutschkenntnisse künftig die Einschulung zu versagen. Die Gewerkschaft der LehrerInnen GEW sieht darin die Einschränkung auf Bildung für MigrantInnenkinder. Die im Wahlkampf großspurig angekündigte Einstellung zusätzlicher LehrerInnen verkehrt sich nun ins Gegenteil. Geht es nach dem FDP‘ler Rudolf Lange, der sich "Bildungssenator" nennen darf, so sollen die LehrerInnen durchschnittlich eine Stunde pro Woche mehr arbeiten. Und ab Mitte 2003 will der regierende Senat nur noch jede zweite Lehrerstelle, die frei wird, wieder besetzen. Das absehbare Ergebnis: grössere Klassen und schlechtere Ausbildung.
PRO-Fraktionschef Norbert Frühauf will die mittelständische Wirtschaft stärken. Dazu sollen die Kapitalisten noch weiter von Abgaben und Steuern befreit werden; Vorschriften und „schikanöse Regelungen" (Frühauf) müssten verschwinden. Zur wirtschaftsfreundlichen Linie gehört denn auch die Rücknahme des Verbandsklagerechts, das es Umweltschutzorganisationen ermöglicht hat, gegen Investitionspläne zu klagen. Geld gibt es aber für den Straßenbau. Ein 50 Mio. Euro schweres Investitionsprogramm für Straßenarbeiten und Instandsetzungen im Hafen freut die lokale Wirtschaft. Und auf der besonders symbolträchtigen Stresemannstrasse, wo es wegen der besonders von schweren LKW wiederholt verursachten Unfällen mit Todesfolge immer wieder zu Protesten von AnwohnerInnen gekommen war, hat der Bausenator Mario Mettbach durch die Aufhebung der Busspur wieder vierspuriges Fahren möglich gemacht. Zum angekündigten Rückzug der Stadt auf Kernaufgaben gehört auch der Vorschlag, bisher kommunal-öffentlich durchgeführte Arbeiten nun von Ehrenamtlichen machen zu lassen: „Man muss sich überlegen, ob man eine ehrliche Politik machen möchte, die dem Bürger deutlich sagt, dass es für bestimmte öffentliche Aufgaben kein Personal mehr gibt." Frühauf hat dabei vor allem die Bereiche Grünpflege und Sauberkeit vor Augen. Für diese könnten ‘Patenschaften‘ vergeben werden, so dass dann Privatpersonen unentgeltlich für deren Sauberkeit sorgen. In dieselbe Richtung geht auch der Vorschlag zur Bildung von Bürgerwehren, die – so Polizeipräsident Nagel – als „wandelnde Notrufsäulen" abends in den Stadtvierteln unterwegs sein sollen. Auch PRO-Mann Bauer sprach von einer „Sicherheitswacht" nach bayerischem Vorbild. Prompt riefen Hamburger Neonazis dazu auf, sich an diesen Bürgerwehren zu beteiligen.
Auch auf die offene Drogenszene hat der Senat den Druck erhöht (während die Rauschmittel-KonsumentInnen der oberen Schichten einem Aktenvermerk zufolge in Ruhe gelassen werden sollen) und berichtet stolz von einer stark steigenden Zahl von Haftbefehlen, die gegen Dealer haben erwirkt werden können. Dies hat ihm bereits anerkennende Worte der extrem rechten Wochenzeitung Junge Freiheit eingetragen. Tatsächlich jedoch haben diese Aktionen das Elend der Drogenkranken nicht verringert, die vorhergesagte Ausweichbewegung in andere Teile der Stadt hat bereits eingesetzt. Nun fordert der innenpolitische Sprecher der Schill-Partei Frank-Michael Bauer, nicht nur die Verfolgung des Handels mit Kleinstmengen, sondern auch die Inhaftierung von Drogenhändlern in „Haftanstalten mit minimalistischer Ausstattung". Für minderjährige Drogenkranke, die Sozialhilfe beziehen, im Strafvollzug seien, ihre Sucht durch Prostitution oder Beschaffungskriminalität finanzieren, fordert die Schill-Fraktion den Zwangsentzug. Von anderen Unterstützungsmaßnahmen hält Bauer nichts. Auch hier betätigt sich die PRO als Sprachrohr sozialdarwinistischer Ressentiments.
Bei
näherem Hinsehen entpuppen sich die Vorschläge zur Kriminalitätsbekämpfung
als das Verlangen nach bedingungsloser Unterordnung und Anpassung: Die Angriffe
richten sich gegen die Armen und nicht gegen die Armut, gegen die
Drogenabhängigen und nicht gegen die unmenschlichen Umstände des
Drogenkonsums, gegen straffällige Jugendliche und nicht gegen die sozialen
Ursachen von Kriminalität. Die Programmatik der PRO richtet sich durchgehend
gegen all die, die ‘ganz unten‘ in dieser Gesellschaft stehen. Positiv
bezieht sich Schill auf den einstigen ‘Obrigkeitsstaat‘ und steht
konsequenterweise auf der Seite der Gutverdiener. Verklammert wird das Ganze
durch das Schüren der Angst vor Kriminalität. Nur so gelingt es, um die
Schill-Partei sowohl ArbeiterInnen und Arbeitslose als auch auf der anderen
Seite der gesellschaftlichen Hierarchien ansässige Manager und Unternehmer zu
sammeln. Die bisher erkennbare Linie der PRO-Partei wird freilich von der
gesamten Regierungskoalition getragen.
Auch in Sachsen-Anhalt trat die PRO mit einem Programm an, das neoliberale Wirtschaftskonzepte mit rassistischen Ressentiments und einer Politik des starken Staates verband. Entsprechend trat die PRO im Wahlkampf in Sachsen-Anhalt mit Parolen wie "Drogendealer sofort einsperren" und "Gnadenlos gegen Scheinasylanten" auf und behauptete einen hohen Anteil von AsylbewerberInnen bei Straftaten. Geht es nach der PRO in Sachsen-Anhalt, so soll die Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre gesenkt und Jugendliche zur Abschreckung in Einzelzellen gesperrt werden. Mit solchen Forderungen werden nicht nur WählerInnen angesprochen, die in der Vergangenheit neofaschistischen Parteien ihre Stimme gegeben haben, sondern auch jenen in der CDU, denen die CDU nicht scharf genug im Sozialabbau, bei der Bevorzugung von Deutschen gegenüber MigrantInnen und Flüchtlingen sowie bei der inneren Aufrüstung ist. Ein Teil dieses Spektrums hat sich der PRO bereits angeschlossen. Und die Parteiführung wird ein entsprechend scharfes rechtes Profil weiter ausbilden müssen, wenn sie dauerhaft neben der CDU als Partei existieren will. Schills Vorhaben, über 2500 Menschen aus Afrika dorthin abzuschieben und – weil deren Staatsangehörigkeit nicht feststeht – dies durch die Zahlung von Geld an afrikanische Staaten zu erkaufen, weisen diese Tendenz aus. Die von ihm betriebene polizeiliche Aufrüstung, die Ausweitung polizeilicher Befugnisse und die Entfesselung der Polizeigewalt sind wesensgemäße Bestandteile neoliberaler Politikkonzepte. Schon für die Erfinder des Neoliberalismus gehörten "autoritäre Regime" zu den anerkannten Möglichkeiten zur Sicherung und Stabilisierung der Grundlagen kapitalistischen Wirtschaftens nach dem Gesichtspunkt der Profitmaximierung.
Der hohe Stellenwert, den nun in Hamburg die als "Innere Sicherheit" bezeichnete Aufrüstung von Polizei und die Ausgrenzung von Flüchtlingen und Drogenabhängigen hat, hat schon vor der Wahl zu einer verstärkten Berücksichtigung dieser Tendenz auch bei der SPD geführt. Erst jüngst hatte die SPD unter Federführung von Michael Neumann ein sogenanntes "sicherheitspolitisches Thesenpapier" veröffentlicht, in dem auch die SPD eine Kurswende hin zu Ruhe und Ordnung verkündete. Darin findet sich auch die Forderung nach der Einrichtung geschlossener Heime für Jugendliche. Kein Zufall also, dass die Hardliner von CDU und PRO der SPD zu diesem Papier gratulierten, gleichwohl aber die Urheberschaft der darin vertretenen Positionen reklamierten. Solche Entwicklungen sind insbesondere der Schill-Partei auch deshalb willkommen, weil das Aufgreifen ihrer Forderungen durch andere Parteien dazu beiträgt, die PRO vollends akzeptabel zu machen und damit manche derzeit noch skeptische WählerInnen zu beruhigen. Dies mag sich bei zukünftigen Wahlen zugunsten der PRO auch in Stimmen auszahlen.