Rechts um!
KritikerInnen in der SPD haben sich brav zum Schweigen bringen lassen, bei den GRÜNEN dürfen sie als „pazifistische Minderheit" weiter existieren, allerdings auf die Funktion eines linken Feigenblatts reduziert. Die Illusion vom „rot-grünen Reformprojekt" sollte spätestens jetzt aufgegeben werden.
Dass beinahe zeitgleich vom Kriegsschauplatz Massenerschießungen von Gefangenen und Verwundeten bekannt werden, die von den neuen westlichen Verbündeten der Nordallianz begangen wurden, stört im gegenwärtig kaum jemanden. Die Forderung von amnesty international und der UN-Menschenrechtsbeauftragten Robinson, die Vorgänge bei der Niederschlagung eines Gefangenenaufstandes in Mazar-i-Sharif zu untersuchen (unabhängige Berichte sprechen von einem Massaker) und die Verantwortlichen zumindest von jeder zukünftigen Regierungsbeteiligung auszuschließen, findet US-Verteidigungsminister Rumsfeld „befremdlich".
Die Siegesmeldungen vom Rückzug der Taliban und dem Vorrücken der Nordallianz und anderer aufständischer Gruppen haben die öffentliche Aufmerksamkeit von der humanitären Lage in Afghanistan abgelenkt. Doch noch immer sind hunderttausende auf der Flucht, ja die noch immer anhaltenden Kämpfe und Flächenbombardements erhöhen die Zahl der Flüchtlinge täglich. Angesichts des beginnenden Winters wird eine Versorgung der Hilfsbedürftigen - insbesondere derer, die sich in abgelegenen Berggegenden befinden, kaum möglich sein. Die Gesamtzahl der Opfer des „Krieges gegen den Terror" wird wahrscheinlich erst in einigen Monaten zu schätzen sein, genau kennen werden wir sie nie.
Die Rechtfertigungen für den Krieg sind längst beliebig geworden. Sollte es anfangs noch darum gehen, die mutmaßlichen Verantwortlichen für die Terroranschläge von New York und Washington dingfest zu machen, wurde bald darauf der Sturz der Taliban-Regierung das Hauptziel. Nachdem dies nun in greifbarer Nähe scheint, beginnt in den USA die Diskussion, wo als nächstes bombardiert werden könnte. Vielleicht in Somalia oder im Irak?
Die genauen Ziele, Mittel und Begleitumstände dieser Kampagne interessieren in der Debatte um die deutsche Kriegsbeteiligung kaum. Streubomben und Massenexekutionen, Spekulationen über eine Ausweitung des Krieges oder über Militärgerichte für „Terroristen" - wen interessiert’s, wenn das Motto für die deutsche Politik heißt „Dabeisein ist alles" ?
Ob die Mehrheit der Delegierten auf den Parteitagen von SPD und Grünen sich die Rechtfertigungsideologie des neuen deutschen Imperialismus („wir können uns der internationalen Verantwortung nicht entziehen...") tatsächlich zu eigen gemacht hat oder aus blankem Opportunismus („wenn wir nicht regieren, nützt dies nur der politischen Konkurrenz") gehandelt hat, ist letztlich unerheblich. Hinter den Scheindebatten, ob die Solidarität mit den USA nun „uneingeschränkt" oder „kritisch" sein solle, hat sich das nationale Interesse an der Ausweitung der militärischen Handlungsmöglichkeiten durchgesetzt.
Die überraschend hohe Kriegszustimmung bei den GRÜNEN hat gezeigt, wie weit die Metamorphose von einer linken Protestpartei zu einem neoliberalen Wahlverein mit Öko-Image bereits fortgeschritten ist. Nur der erste Verrat an den eigenen Überzeugungen ist wirklich schwer. Daher war die Zustimmung zum Afghanistan-Krieg nach der Kosovo-Entscheidung zwei Jahre zuvor nur folgerichtig. Der Weg in den Überwachungs- und Sicherheitsstaat wurde bei dieser Gelegenheit gleich mit abgesegnet. Darüber können auch die geringen Zugeständnisse Otto Schilys an grüne Vorbehalte nicht hinwegtäuschen. Der Weg ist einmal beschritten und wie die Grünen ihn wieder umkehren sollten (wenn sie es denn
ernsthaft wollten) ist nicht zu erkennen.Wenn jetzt wiederum viele Grüne (und einige SozialdemokratInnen) ihre Parteien verlassen, so ist dies ein konsequenter und begrüßenswerter Schritt. Die Tragik der aktuellen Austrittswelle wird - wiederum - sein, dass sich die meisten Ex-Grünen und Ex-SPDler in die politische Bedeutungslosigkeit verabschieden werden. Eine Neu- oder Wiedergründung der „ursprünglichen" Grünen, z.B. unter dem Label „Regenbogen", hat zur Zeit wenig Aussicht auf Erfolg.
Alle diejenigen, die am Anspruch festhalten, diese Gesellschaft tatsächlich in Richtung auf Ausweitung demokratischer Grundrechte, friedlicher Außenpolitik und sozialer Gerechtigkeit verändern zu wollen, müssen sich die Frage noch viel grundsätzlicher stellen. Wie die Durchsetzung von Macht- und Kapitalinteressen unter den Bedingungen einer bürgerlichen Demokratie funktioniert, dafür war das Vorgehen Schröder und Fischers (die beide auf ihre Art die „Vertrauensfrage" als Druckmittel benutzt haben) ein mustergültiges Beispiel. Widerstand gegen solche Erpressungsmanöver kann eine politische Organisation nur dann leisten, wenn sie erstens - wenigstens in Grundzügen - ein gemeinsames theoretisches Konzept von der Funktionsweise bürgerlicher Herrschaft besitzt und zweitens ihre Stärke nicht aus Parlamentssitzen, sondern aus einer außerparlamentarischen Bewegung bezieht. (Diese Anmerkungen - da sollten wir uns keine Illusionen machen - gelten auch für die PDS. Auch hier ist zu beobachten, wie das Bemühen um die Sicherung um die Ausweitung und Verteidigung von Posten und Mandaten die Überhand über politische Grundsätze gewinnt.)
Die Umsetzung dieser Erkenntnis wird hauptsächlich davon behindert, dass die gegenwärtige außerparlamentarische und/oder revolutionäre Linke wenig attraktive Alternativen anzubieten hat. An dieser Lage wird sich - allen Bemühungen einzelner Gruppierungen zum Trotz - kurzfristig nur wenig ändern lassen.
An die Adresse derer, die jetzt ihre Parteien enttäuscht und wütend verlassen, heißt das: Eine Organisation vergleichbarer Größe, öffentlicher Anerkennung und Wahrnehmung, mit Aussicht auf Wahlerfolge usw. werdet ihr nicht finden. Euch bleibt die Wahl, entweder zu resignieren oder aber mit dem sprichwörtlichen „langen Atem" am Aufbau einer außerparlamentarischen Gegenmacht mitzuwirken.