Es kommt immer dicker:

Der Kampf der Kulturen!

Seit dem 11. September lässt sich in den Medien eine deutliche Stigmatisierung muslimischer Menschen ausmachen. Die Rede ist derzeit gern von barbarischen Bräuchen (Bartzwang) und menschenverachtenden Gewalttaten, begangen von fanatischen Unmenschen (Terrorbestie Atta), die es auszuräuchern gilt. Auf der visuellen Ebene werden diese Darstellungen verstärkt durch Bilder von wild aufgebrachten, ungeordneten Menschenmobs, die wie Irre auf brennende Puppen eindreschen, sich dabei in ihrer Ekstase womöglich noch die Finger verkokeln, mit komischen Hüten und barfüßig vor Höhlen kauern und seltsame Fladen mümmeln. Die Frauen, wahlweise verschleiert oder nicht, wahlweise kreischend oder stille schweigend, haben sowieso immer etliche Kinder im Schlepptau und sind lediglich als Opfer einer durchgeknallten Männerriege anzusehen. Steinzeit eben.

In der Berichterstattung werden diese beschriebenen Szenarien zwar selektiv benutzt (bevorzugt für Taliban-AnhängerInnen, Irakis und ägyptische Moslembrüder), die Wirkung solcher Bilder reicht aber über die konkrete Legitimation für die jeweilige oder zukünftige Kriegshandlungen hinaus; es stellt sich beim zivilisierten Betrachter eine seltsame Gemengelage diffuser Ängste und Faszination, aber auch eine zentrale Sicherheit ein: die sind einfach anders.

Kern von Rassismus ist stets die Postulierung eines „Anderen", nicht zuletzt um sich als das eigene Kollektiv erst definieren zu können. Dieser erste Schritt, die Selbstfindung durch Abgrenzung von Anderen wird dann im zweiten Schritt wertend ausgedeutet: Wir sind die Norm (Schnitzel essen) und die anderen sind die seltsame Abweichung (Knoblauch essen). Rassismus ist hierin eindeutig, die eigene Volksgruppe wird als die (wahlweise technisch, moralisch oder zivilisatorisch) überlegene gepriesen und als von der Minderwertigkeit der Anderen bedroht dargestellt. Die Fremden werden also als Negativfolie des Eigenen konstruiert. Diese Wirkung sehen wir in der derzeitigen Selbstvergewisserungs-Propaganda nicht nur in den USA. Je religiöser, fanatischer, rückständiger, bekopftuchter, steinzeitlicher und gefährlicher der Islam, desto vernünftiger, fortschrittlicher und humaner fühlt sich die westliche Wertegemeinschaft. Dabei wird dann gerne übersehen, dass sowohl der „Heilige Krieg" (Kreuzzug) als auch die Verehrung von Märtyrern originär christliche Ausgeburten sind.

Diese Rede vom „Anderen" hat sich indes gewandelt. Wir sprechen bei vielen dieser Klischees von rassistischen Stereotypen, doch greift eine solche Analyse nicht zu kurz? Welcher Politiker – außer vielleicht Silvio Berlusconi mit seinen Witzen über Kofi Annan – würde sich heute hinstellen und ernsthaft die „Minderwertigkeit" einer bestimmten Religionsgemeinschaft oder Ethnie behaupten? In der heutigen Debatte fällt auf, dass weniger direkt gegen die anderen, andere Länder, andere Fritten angegangen, aber stattdessen die Unvereinbarkeit der Kulturen betont wird. An dieser Stelle sei auf die besonders im englischsprachigen Raum derzeit erstaunlich viel beachteten und breit diskutierten Thesen Samuel Huntingtons aus seinem Aufsatz „The Clash of Civilizations" (auf deutsch: Kampf der Kulturen) verwiesen.

Die Thesen des Samuel Huntington

Samuel Huntington prophezeit, dass nach den Konflikten zwischen den Nationalstaaten (19. Jahrhundert) und denen zwischen den (kapitalistischen, marxistischen, autoritären) Ideologien (20. Jahrhundert) die Auseinandersetzungen des 21. Jahrhunderts aus dem Aufeinandertreffen unvereinbarer Kulturen resultieren werden. Unbestreitbar verringert sich unter den Bedingungen der Globalisierung mit der ökonomischen Steuerungsfähigkeit auch die identifikatorische Bindungskraft der nationalen Bezugssysteme. Laut Huntington kann das frei werdende Identifikationsbedürfnis nun auf andere soziale Bezugssysteme umgelenkt werden. Staaten werden in dieser Sichtweise zwar die mächtigsten Akteure bleiben, aber die entscheidenden Konflikte werden zwischen (Staaten-) Gruppen unterschiedlicher Zivilisationen entstehen. Zivilisationen werden von Huntington als größtmögliche kulturelle Einheiten mit einer bestimmten handlungsleitend wirksamen Identität definiert. Eine Zivilisation steht also nach ethnologischer Definition oberhalb „Ethnie" und unterhalb der „Menschheit". Huntington beschreibt derer acht, die Unterscheidungskriterien sind derartig hanebüchen, dass wir uns auf die beiden wichtigsten konzentrieren wollen: die des Westens (vor allem USA und Europa) und die islamische. Die Gründe für die zunehmende Konflikthaftigkeit ihres Verhältnisses sind laut Huntington zusammengefasst folgende:

An dieser Stelle soll auf eine detaillierte Kritik verzichtet werden, zu offensichtlich sind die Irrungen: Nationalismen z.B. haben offensichtlich Hochkonjunktur und die Darstellung von Gesellschaften als statisch-geschlossene Behälter mutet wirklichkeitsfern an. Die Behauptung eines stets vorhandenen, also natürlichen Gruppen-Identifikationsbedürfnisses ist genau so lächerlich wie Huntingtons irrationale Angst vor anti-westlichen Kooperationen (besonders die islamisch-konfuzianische Achse soll uns laut Huntington zukünftig das Fürchten lehren).

Umso erstaunlicher ist die gewaltige Resonanz auf die Aufsätze Huntingtons in der Öffentlichkeit. Nach dem Niedergang des Marxismus-Leninismus wurde von einigen Autoren euphorisch das Ende der Geschichte konstatiert, es nahe das Zeitalter der universellen Durchsetzung von freiem Handel und Menschenrechten. Diese Vorstellung zu relativieren war ein Beitrag Huntingtons, er warnte vor „Kulturimperialismus" und „Universalismus". Was vordergründig klingt wie berechtigte Kritik an westlich-chauvinistischem Sendungsbewusstsein, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung jedoch als das genaue Gegenteil: als der Versuch grundlegende kulturelle Gegensätze zu beschwören und festzuschreiben.

Vom Rassismus zum Kulturalismus

Das erklärt vielleicht, weshalb der Aufsatz ein derartiger Verkaufsschlager wurde und besonders jetzt, nach dem 11. September, zu einem solchen Renner avancierte, dass die Verlage mit dem Druck überhaupt nicht mehr nach kommen. Mittlerweile gibt es kaum noch eine wissenschaftliche Veröffentlichung zum Themenkomplex, die ihn nicht mindestens miterwähnt. Aufschluss über die Wirkung solchen Denkens gibt z.B. Azzedine Laraki, Generalsekretär der Organisation Islamischer Staaten (OIC). Er beklagt, Huntingtons These vom „Kampf der Kulturen" hätte für den Westen das Feindbild Kommunismus durch das Feindbild Islam ersetzt und das Verhältnis nachhaltig belastet (taz, 6.7.2000). Vor allem hierin liegt wahrscheinlich die größte Problematik: Das, woran die sogenannte Neue Rechte seit zwei Jahrzehnten arbeitet, nämlich an der Modernisierung eines tumben Rassismus hin zu einem sozialwissenschaftlichem Kulturalismus, der die Gleichwertigkeit verschiedener Kulturen formal anerkennt, zu ihrem Schutz aber ihre strikte Trennung fordert, ist nun erfolgreich wissenschaftlich aufgewertet und zum Allgemeinwissen geadelt worden. Hierin ist dann die eigentliche rassistische Tat gut kaschiert: die Behauptung von Unvereinbarkeit, die Behauptung von geschlossenen, abgrenzbaren Kulturen.

Dass sich MedienvertreterInnen und PolitikerInnen in der offenen Rede um die Differenziertheit bemühen, den guten, angepassten Moslem vom Fundamentalisten zu unterscheiden, ändert an der erzielten Gesamtwirkung gar nichts. Unsere muslimischen Bekannten und Freunde verweisen heute auf den enormen Anpassungsdruck, dem sie seit dem 11. 9. unterliegen. Wer weiterhin Käppi oder Kopftuch trägt, steht automatisch unter Generalverdacht. Bei aller theoretischer Differenziertheit wird von vielen Moslems in der „freien Welt" eine symbolische Distanzierung von ihrer religiösen Einstellung gefordert: völlige Assimilation als Eintrittskarte in die Arena der Zivilisierten.

Der Paradigmenwechsel , weg von einem latenten, aber tabuisierten Rassismus hin zu einem offenen und hegemonialen „Kulturalismus" bzw. „Ethnopluralismus", beschreibt, was heutzutage an Feinden wirklich gebraucht wird: die eingebildete unverrückbare Barriere der Kultur. Fundamentalismus, Drogenhandel, Menschenrechtsverletzungen usw. lassen sich damit barbarischen Despoten in außereuropäischen Kulturen zuschreiben. Entsprechende Meldungen, die über (immer geheim gehaltene) Atomwaffen, Raketenprojekte, Giftgasfabriken in Nordafrika oder dem Nahen Osten berichten, erwähnen in der Regel jedoch nicht, dass Material und Know-How für Waffen dieser Art meistens aus dem Westen kommt. Und bei „unserer Zivilisation" denken wir weiter an Goethe und Schiller statt an Auschwitz.

Um es noch einmal klar zu sagen: es geht hier nicht darum, fanatischen Blödsinn zu entschuldigen; im Gegenteil: erst wenn Kultur als etwas offenes, widersprüchliches und historisch variables begriffen wird, macht ja die berechtigte Kritik an bestimmten ihrer Facetten erst Sinn. Als überhistorisch feststehende, geographisch oder ethnisch bestimmbare Zuschreibung dient die Rede von „Kultur" allerdings meistens nur der arroganten und chauvinistischen Distanzierung von Fremden. Ihr Zweck ist es offensichtlich, sich aus der eigenen Verantwortung zu entlassen und nicht hingucken zu müssen, was denn genau das kritikwürdige Element ist und ob diese Kritik nicht auch an den Verhältnissen der eigenen Gesellschaft angebracht ist. Ob zum Beispiel bei der Ermordung von einem US-Gynäkologen (der Abtreibungen vornahm) seitens Aktivisten der „Pro-Life" Bewegung, ob bei „protestantischen" Steinwürfen auf katholische Kinder in Nordirland oder dem Frauenhass der Taliban: das Problem ist der religiös verbrämte, reaktionäre, aber konkretisierbare Schwachsinn. Und als solcher muss er auch benannt und kritisiert werden, statt auf moralische Mankos einer Kultur zu verweisen und diese somit komplett zu diffamieren.

Offene kulturelle Vielfalt ist entgegen den reaktionären Ansichten Huntingtons nicht nur ein Wert an sich. Der Kampf gegen die ethnorassistische Formierung ist vielmehr notwendiger Betsandteil jedes emanzipatorischen Ansatzes.