Auch Krieg ist Terror
Die Anschläge von New York und Washington waren terroristische Verbrechen. Kein Hinweis auf politische oder religiöse Motive, keine noch so zutreffende Kritik an der Politik der USA kann den ebenso maßlosen wie wahllosen Massenmord des 11. September 2001 rechtfertigen. Es bleibt nicht zufällig den Neonazis vorbehalten, das Inferno zur „Befreiungsaktion" zu erklären und damit ihre eigene, menschenverachtende Gesinnung unter Beweis zu stellen.
Die angemessene Reaktion auf ein Verbrechen – auch auf ein Verbrechen derartigen Ausmaßes wie der Anschläge auf Pentagon und World Trade Center – ist die Ermittlung und Festsetzung der Täter und ihrer Hintermänner, damit diese juristisch zur Verantwortung gezogen werden können.
Hierfür jedoch braucht es keine B-52 Bomber, keine Cruise Missiles, keine Invasionstruppen. Das sind nicht die Mittel für eine Polizeiaktion, sondern für einen Krieg. Die „Kollateralschäden" dieses neuen Krieges werden bereits jetzt sichtbar. Geschätzte 2 Millionen Menschen in Afghanistan sind aus Angst vor Bombenangriffen auf der Flucht, das Land nähert sich einer Hungerkatastrophe. Und wieder erzählen uns Politiker und Militärs das Märchen vom humanitären Krieg und den chirurgischen Schlägen ...
Wer die sofortige Beendigung des Krieges fordert, sieht sich sofort mit der Frage konfrontiert, ob etwa Untätigkeit die Antwort auf den Terrorismus sein soll. Diese Umkehrung der Beweislast muss zurückgewiesen werden. Ist es nicht vielmehr so, dass derjenige, der durch den Einsatz von Bomben und Raketen Millionen Menschen zur Flucht treibt und in Lebensgefahr bringt, nachweisen sollte, dass diese Maßnahmen wenigstens geeignet sind, die Gefahr zukünftiger Terroranschläge zu vermindern. Da dieser Nachweis nicht erbracht wird und nicht erbracht werden kann, hat auch der aktuelle Krieg nichts mit Gerechtigkeit und Humanität zu tun, sondern antwortet auf Terror mit noch mehr Terror.
Oft konzentriert sich die Kritik an der Bundesregierung auf die Formel von der „unbedingten Solidarität", die Kanzler Schröder gebetsmühlenartig wiederholt. Die Solidarität mit den Vereinigten Staaten könne doch nicht so weit gehen, widerspruchslos alles mitzumachen, was George Bush beschließt. Nach unserer Auffassung geht diese Kritik jedoch an der tatsächlichen Situation vorbei und verwendet nationalistische Argumente.
Tatsächlich nutzen Schröder und Fischer die Situation planmäßig, um die militärische Handlungsfähigkeit Deutschlands auszuweiten. Aus zahlreichen Stellungnahmen wird deutlich, dass die deutsche Regierung nur auf eine Anforderung zu direkter Beteiligung an Kampfeinsätzen wartet. Natürlich ist die Vorstellung absolut lächerlich, dass die USA militärischen Beistand benötigen würden, um sich gegen drohende Anschläge zu verteidigen. Es ging und geht der Bundesregierung vielmehr darum, die Bevölkerung an den Gedanken von Bundeswehr Kampf- und Kriegseinsätzen zu gewöhnen. Und so ist es alles andere als ein Zufall, dass gerade jetzt der erste NATO-Einsatz unter deutscher Führung in Mazedonien – ohne nennenswerte Diskussion oder Proteste – beschlossen worden ist. Deutschland will wieder zur militärischen Grossmacht werden. Diese Agenda wird von Schröder und Fischer planmäßig umgesetzt.
Im Innern nutzt Otto Schily die Tragödie in den USA zur ideologischen Mobilisierung gegen Nicht-Deutsche sowie gegen demokratische Grundrechte. Die Aushöhlung des Datenschutzes, die Rasterfahndung, die Ausspähung von EinwanderInnen durch die Geheimdienste, Fingerabdrücke in Pässen und Visa, Gesetzesverschärfungen – beinahe täglich kommen neue reaktionäre Phantasien aus dem Hause Schily.
Dass alle diese Maßnahmen nicht zur rechtzeitigen Identifizierung der mutmaßlichen Täter von New York geführt hätten, stört offensichtlich wenig. Im Schnelldurchlauf werden Maßnahmen und Gesetze durchgepeitscht, für die es in einer anderen Situation nur schwer eine Mehrheit gegeben hätte.
Dass gleichzeitig lauthals beteuert wird, der Islam dürfe nicht pauschal verurteilt werden und selbstverständlich wollten wir eine „offene Gesellschaft" bleiben, sollte uns weniger beruhigen als vielmehr alarmieren. Denn diese Beruhigungsversuche sind die notwendige ideologische Begleitmusik für den teils geplanten, teils bereits vollzogenen Rechtsruck in der Innenpolitik.
Weit verbreitet ist jetzt die Vorstellung, dass dem Terrorismus auch der Nährboden entzogen werden müsse. Regionale Konflikte sollten gelöst werden und die Weltordnung insgesamt gerechter gestaltet werden. So richtig dieser Ansatz ist, so selten wird er konsequent zu Ende gedacht. Wie soll denn eine gerechte Weltwirtschaftsordnung unter kapitalistischen Vorzeichen aussehen? Ein Kennzeichen kapitalistischer Ökonomie ist es doch gerade, dass sie – im Großen wie im Kleinen – dem Recht des (wirtschaftlich) Stärkeren zur Durchsetzung verhilft. So werden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Es wird leider eine Illusion bleiben, dass das Entsetzen über die Terroranschläge in den USA hieran irgendetwas ändern könnte.