Organisierte revolutionäre Tätigkeit zeichnet sich u.a. dadurch aus, dass wir uns über kurzfristige Projekte und Kampagnen hinaus strategische Ziele setzen, an denen wir langfristig unsere Politik bestimmen. In der Fähigkeit zu strategischem Handeln liegt einer der wesentlichen Vorteile einer Organisation gegenüber spontanen Bewegungen. Die Notwendigkeit der Organisierung von RevolutionärInnen ergibt sich nicht zuletzt aus der Notwendigkeit, strategisch handeln zu können.
Die strategischen Ziele bilden gewissermaßen die Vermittlung zwischen unserer politischen Alltagsarbeit und unserer politischen Utopie. Sie beschreiben die nächsten Wegmarken, die wir erreichen wollen, um auf dem Weg zur grundsätzlichen Veränderung der Gesellschaft voran zu kommen. Daher sind die strategischen Ziele nicht unabhängig von der politischen Utopie, sondern aus ihr abgeleitet. Zu den strategischen Zielen, die wir in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Kämpfen erreichen wollen, zählt insbesondere die Befreiung der Menschen aus den Fesseln der bürgerlichen Ideologie und damit die Vergrößerung der Möglichkeiten für emanzipatives Handeln. Gegenmacht entsteht zunächst sozial, erst dann organisatorisch.
Wenn unsere Vorstellung von Sozialismus also eine Gesellschaft beschreibt, die auf sozialer und politischer Gleichheit, auf Solidarität sowie der demokratischen Kompetenz und Eigenaktivität der Menschen aufgebaut ist, so muss sich diese Vorstellung in unserer Strategie wiederfinden. Unsere Strategie darf nicht auf einen – letztlich militaristischen – Plan zur Eroberung der politischen Macht ausgerichtet sein, sondern muss bereits auf dem Weg das Ziel berücksichtigen.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit haben wir für die Entwicklung unserer Organisation folgende strategische Ziele formuliert:
die Herstellung von politischer Interventionsfähigkeit
die gesellschaftliche Verankerung und
Als politisch interventionsfähig bezeichnen wir eine handlungsfähige Organisation, die in der Lage ist, in politische Auseinandersetzungen einzugreifen und als eine gesellschaftlich wirksame Kraft wahrgenommen wird.
Interventionsfähigkeit hat zunächst eine quantitative Komponente: Wir streben an, eine starke Organisation mit vielen MitstreiterInnen zu werden und uns in möglichst vielen Orten und Regionen (zunächst) Norddeutschlands zu verankern. Es geht aber nicht um Wachstum um jeden Preis. Unsere Handlungsfähigkeit entsteht aus der Organisierung von politisch tatsächlich aktiven Menschen, die sich bewusst zu unserem Projekt bekennen und unsere Grundpositionen teilen.
Bestandteil von politischer Interventionsfähigkeit ist auch die gemeinsame Weiterentwicklung unserer Theorie und Praxis. Das kollektive Lernen, die Auswertung und das Festhalten von politischen Erfahrungen sind eine der wichtigsten Aufgaben einer revolutionären Organisation. Die offene Diskussion unserer Erfolge und unserer Fehler, die Auseinandersetzung mit Kritik von innen und von außen verbessert unsere Erkenntnismöglichkeiten über politische Situationen sowie die sich daraus ergebenden Aufgaben und Chancen für sozialistische Politik. Nicht unterschätzt werden darf auch, dass die gemeinsame Auswertung von Erfahrungen das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Organisation stärkt.
Um interventionsfähig zu sein, sind auch Organisationsstrukturen notwendig, die sowohl ein zielgerichtetes, gemeinsames Handeln als auch das kollektive Lernen und die Entwicklung eines solidarischen Zusammenhalts ermöglichen. Diese Strukturen müssen aufgebaut und ständig anhand der politischen Praxis überprüft und – wenn nötig – verändert werden. (genauer zu unseren Organisationsstrukturen im folgenden Abschnitt V)
Schließlich benötigen wir eine entsprechende Infrastruktur, um interventionsfähig zu sein. Dazu gehören zunächst Räume für Treffen und Büroarbeiten ebenso wie Computer und anderes technisches Gerät. Sehr wichtig ist die Verbesserung unserer finanziellen Ausstattung, damit politische Projekte nicht immer wieder am Geld scheitern. Wir rechnen diese Aufgaben deswegen zu den strategischen Zielen, weil die Entwicklung einer arbeitsfähigen technischen und finanziellen Infrastruktur eine oft unterschätzte Aufgabe ist, die planvoll und langfristig angegangen werden sollte.
Die Abgrenzung der gesellschaftlichen Verankerung zur politischen Interventionsfähigkeit ist etwas schwierig. Wir verstehen unter Interventionsfähigkeit eher die organisatorisch-praktische und unter Verankerung eher die ideologisch-politische Seite derselben Sache.
Gesellschaftliche Verankerung meint also die Einbettung von AVANTI in ein Netzwerk von Bündnissen und/oder Kontakten sowohl mit anderen linken (nicht unbedingt revolutionären) Organisationen als auch mit politisch interessierten und engagierten Menschen, die z.B. in politischen Gruppen oder Bürgerinitiativen aktiv sind.
Hierfür ist unsere aktive Mitarbeit in verschiedenen sozialen Bewegungen, in Initiativen und Bündnissen unverzichtbar. Denn Verankerung entsteht zuallererst in der praktischen Zusammenarbeit, durch gemeinsame Erfahrungen in politischen Kampagnen und Kämpfen. Wichtig für den Erfolg ist hierbei, dass unsere Mitarbeit und unsere Vorschläge geeignet sind, das gemeinsame Ziel der jeweiligen Bewegung voran zu bringen und nicht etwa unser kurzfristiger Eigennutz im Vordergrund steht. Wir streben an, dass andere uns als faire und verlässliche PartnerInnen in der Zusammenarbeit erleben, die ihre Positionen offen vertreten und – wo vertretbar – zu vernünftigen Kompromissen bereit sind.
Als entscheidend für die gesellschaftliche Verankerung betrachten wir die Aufhebung der Spaltung zwischen der eher autonom geprägten radikalen Linken und der ArbeiterInnenbewegung. Die soziale Frage – in der sich der Klassenwiderspruch, also einer der Grundwidersprüche der Gesellschaft spiegelt – muss deswegen in unserer Praxis ein starkes Gewicht haben. Die Umsetzung dieser Aufgabe ist nicht leicht und wir müssen ehrlich zugeben, dass wir damit noch eher am Anfang stehen. So richtig es aber ist, dass revolutionäre Politik sich heute nicht mehr allein auf die traditionelle IndustriearbeiterInnenschaft stützen kann, so notwendig ist die Anerkennung der Tatsache, dass ohne und gegen die ArbeiterInnenbewegung überhaupt keine gesellschaftliche Gegenmacht geschaffen werden kann, die eines Tages die Frage des Sozialismus auf die Tagesordnung setzen könnte. Wir suchen daher – wo immer es sich anbietet – neben der Zusammenarbeit mit z.B. Arbeitsloseninitiativen auch die mit aktiven GewerkschafterInnen und Gewerkschaftsgliederungen. Denn bei aller Kritik an den häufig erstarrten Gewerkschaftsbürokratien und ihrer unzureichenden Mobilisierungs- und Kampfbereitschaft, handelt es sich noch immer um die größten und einflussreichsten Organisationen der arbeitenden Menschen. Unsere Kritik wird nur dann positive Wirkung zeigen können, wenn wir sie nicht ausschließlich von außen vorbringen.
Um uns gesellschaftlich zu verankern, müssen wir eine Öffentlichkeitsarbeit entwickeln, die revolutionäre Zielsetzungen mit nachvollziehbaren und erreichbaren Tagesforderungen verbindet. Entscheidend ist für uns nicht, ob Forderungen radikal klingen, sondern ob sie geeignet sind, Menschen zu mobilisieren und zu aktivieren. Voraussetzung ist natürlich, dass diese Forderungen tatsächliche Schritte in Richtung auf Befreiung und Selbstbestimmung darstellen. Wir lehnen aber die Unsitte ab, Forderungen abzulehnen, die angeblich „reformistisch" sind oder einen konkreten Adressaten auf der Seite der Staatsmacht haben. Diese Position verkennt die Bedeutung, die der Kampf um konkrete, erreichbare Teilziele im Prozess der Schaffung von gesellschaftlicher Gegenmacht hat.
Schließlich bemühen wir uns um ein offensives Politikverständnis; d.h. dass wir – wo angebracht und nützlich – auch Kontakt mit bürgerlich-reformistischen Organisationen suchen und auch die Möglichkeiten der bürgerlichen Presse nutzen. Die Gefahr, hierbei „über den Tisch gezogen zu werden", ist dann begrenzbar, wenn wir über eine eigene organisatorische Stärke und damit Unabhängigkeit verfügen sowie mit fachlicher Kompetenz und mit Selbstvertrauen in die Kontakte hineingehen.
Woran messen wir Erfolg oder Misserfolg von politischen Aktivitäten? Natürlich zunächst an ihren unmittelbaren Ergebnissen, also daran ob ein Kampagnen- oder Aktionsziel erreicht werden konnte. Aber dieser Maßstab allein greift zu kurz. Denn auch Kampagnen, in denen wir unsere Forderungen nicht durchsetzen können, sogar echte Niederlagen, können sich langfristig als wichtige Schritte für die Entwicklung von gesellschaftlicher Gegenmacht herausstellen. Unzweifelhaft gibt es ebenso erfolgreiche Aktionen, die uns langfristig keinen Schritt weiter bringen. Nach welchen Kriterien wählen wir unsere Aktionsformen aus, nach welchen bestimmen wir die Bündnisse, um die wir uns bemühen?
Ein wichtiger Gradmesser, ob eine politische Aktivität langfristig sinnvoll ist oder nicht, besteht darin, ob sie das demokratische oder das revolutionäre Bewusstsein voranbringt oder nicht. Hierbei verstehen wir unter demokratischem Bewusstsein die Erkenntnis der Notwendigkeit und Möglichkeit, sich aktiv für die eigenen Interessen einzusetzen, Fremdbestimmung abzuschütteln, sich von Autoritäts- und Staatsfurcht zu lösen und die eigenen Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. Revolutionäres Bewusstsein umfasst darüber hinaus die Erkenntnis der Notwendigkeit und Möglichkeit, das kapitalistisch-patriarchale Gesellschaftssystem zu überwinden und sich zu diesem Zweck zu organisieren.
Hierbei gehen wir davon aus, dass Bewusstsein zwar immer die Erkenntnis theoretischer Zusammenhänge voraussetzt, aber nur dann als Bewusstsein bezeichnet werden kann, wenn diese Erkenntnis auch mit praktischen Erfahrungen verbunden ist. Gemeinsame Kampagnen, Aktionen und Kämpfe sind daher entscheidend für die Bewusstseinsbildung, da hierbei Widerstand und Elemente von Gegenmacht praktisch erlebt werden können.
Ob eine Aktion in diesem Sinne demokratisches oder revolutionäres Bewusstsein schafft, misst sich also – in der Regel – nicht an den Ansprüchen der jeweils Radikalsten oder Entschlossensten, sondern daran, ob möglichst viele Beteiligte gemeinsam einen Schritt in Richtung auf Widerstand und Gegenmacht gehen und dabei Vertrauen in sich selbst und in ihre MitstreiterInnen entwickeln. Dabei kommt dem massenhaften, organisierten Regelverstoß – z.B. in Form von Blockadeaktionen – besondere Bedeutung zu. Kritisch sehen wir den in Teilen der autonomen Linken geprägten Militanzkult, der im Einsatz von Gewalt das entscheidende Kriterium revolutionärer Politik sieht. Diese Überhöhung von Gewalt als im Grunde einzig wirksamer Kampfform wertet nicht nur andere Aktivitäten ab, sondern läuft immer Gefahr, patriarchale Denk- und Verhaltensmuster zu verstärken.
Die Schaffung und Förderung dieser Art von politischem Bewusstsein – bei anderen und bei uns selbst – ist ein wichtiger Teil revolutionärer Politik. Wir versuchen daher, unsere konkreten Aktionen und Vorschläge stets darauf zu überprüfen, ob sie über den kurzfristigen Sinn hinaus diesem Ziel dienlich sind.