Solange es Ausbeutung und Unterdrückung gibt, haben Menschen dagegen aufbegehrt. Es hat in dieser Geschichte von Befreiungs- und Klassenkämpfen Siege und Niederlagen gegeben, es gab wichtige Erkenntnisse und fatale Irrtümer. Wir sind daher davon überzeugt, dass der Untergang des Real Existierenden Sozialismus nicht gleichbedeutend mit dem Ende der sozialistischen Utopie und dem Kampf um ihre Verwirklichung ist.
Die Hoffnung auf ein anderes, besseres Leben in Solidarität und Selbstbestimmung, in sozialer Gerechtigkeit und in voller Gleichberechtigung aller Menschen wird lebendig bleiben, bis Hunger, Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung endgültig der Vergangenheit angehören – und die klassenlose, von allen Herrschaftsformen befreite Gesellschaft Realität wird.
Diese Utopie mag ein fernes, vielleicht zu unseren Lebzeiten unerreichbares Ziel sein. Und dennoch gibt sie uns Mut, Kraft und Orientierung für unseren politischen Kampf.
AVANTI begreift sich als Teil der widersprüchlichen Geschichte von sozialistischen, libertären und kommunistischen RevolutionärInnen. Dem Marxismus verdanken wir wichtige theoretische Erkenntnisse, wie die Spaltung der Gesellschaft in Klassen, die materialistische Geschichtsauffassung* oder die Einblicke in die Funktionsweise der kapitalistischen Ökonomie. Seine Uminterpretation in ein System von dogmatischen, unbezweifelbaren Lehrsätzen, wie sie vor allem von den kommunistischen Parteien sowjetischer Prägung vorgenommen wurde, lehnen wir jedoch entschieden ab. Die Werke und Theorien der „KlassikerInnen" des Sozialismus sind für unsere Theoriebildung – ebenso wie die feministische Theorie – eine wichtige Anregung, werden von uns aber nicht als verbindlich angesehen.
Insbesondere die politische Strategie und Taktik muss auf die heutige gesellschaftliche Situation zugeschnitten sein, die sich maßgeblich von derjenigen der Jahre 1848 (Erscheinen des kommunistischen Manifests) und 1917/18 (Oktoberrevolution in Russland, Novemberrevolution in Deutschland) unterscheidet. Eine – mehr oder minder abgewandelte – Kopie der alten Politikkonzepte und Organisationsmodelle kann deswegen nicht der Weg für unsere Organisierung sein. Gleichwohl versuchen wir, aus der Geschichte zu lernen, Bewährtes zu übernehmen und Fehlentwicklungen zu erkennen und zu vermeiden. In diesem Sinne versuchen wir die Gratwanderung, undogmatisch vorzugehen, ohne in theoretische Beliebigkeit zu verfallen.
SozialistInnen, AnarchistInnen und KommunistInnen haben in den vergangenen 150 Jahren mit großem Enthusiasmus und Mut für eine bessere Gesellschaft gekämpft. Viele von ihnen haben diesen Kampf mit ihrem Leben bezahlt. Trotz der Niederlagen und Irrwege verdanken wir ihrem Kampf viele soziale Rechte und politische Freiheiten, die wir heute genießen, aber auch immer wieder gegen reaktionäre Angriffe verteidigen müssen. Als Beispiele genannt seien das Demonstrationsrecht, das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung und auf Streik oder die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit. Daher wird ihr Kampf durch die Deformation und spätere Niederlage des Real Existierenden Sozialismus nicht entwertet.
Insbesondere dürfen wir auch all diejenigen GenossInnen nicht vergessen, die im Widerspruch zum Stalinismus gestanden haben und oft deshalb Opfer von Verfolgung geworden sind. Die TrotzkistInnen, die Kommunistische Opposition in Deutschland oder auch die spanischen Anarcho-SyndikalistInnen betrachten wir daher ebenfalls als Teil der Geschichte, auf die wir uns beziehen. Oftmals haben gerade die unabhängigen KommunistInnen – etwa in der Frage der Einschätzung des Faschismus und der einzuschlagenden Taktik zu seiner Bekämpfung – die eigentlich wertvollen Analysen und Vorschläge geliefert. Vor den Fehlern, Verirrungen und Verbrechen, die im Namen des Sozialismus begangen worden sind, dürfen wir nicht die Augen verschließen. Wie konnte es geschehen, dass die russische Oktoberrevolution, die von dem Wunsch nach Freiheit und Gerechtigkeit so vieler getragen wurde, schließlich in die bedrückende Diktatur des Stalinismus mündete? Deshalb ist es auch Aufgabe der Linken heute, sich mit diesem Teil ihrer Geschichte auseinander zu setzen. Hier bleiben noch viele Fragen offen. Erklärungsansätze wie die damalige Rückständigkeit Russlands, das Ausbleiben der Revolution im Westen, der innere Bürgerkrieg und die Verwüstung des Landes, der geringe Alphabetisierungsgrad und die unterentwickelten demokratischen Traditionen können sicherlich nur einen Teil der Fragen beantworten.
Besonders fatal an dieser Entwicklung war die Rückwirkung des Stalinismus auf die kommunistischen Parteien im Rest der Welt. Geblendet von Erfolgen und vermeintlichen Erfolgen der russischen GenossInnen ordneten sie sich nach und nach der Führung aus Moskau unter. Die kritische Diskussion in den Parteien wurde zunehmend unterbunden. An die Stelle einer kritischen und lebendigen marxistischen Theorie trat die Aufstellung geistloser und dogmatischer Lehrsätze, die die jeweilige Parteilinie pseudo-wissenschaftlich untermauern sollten und die von den KommunistInnen nicht diskutiert, sondern vorbehaltlos geglaubt werden sollten. Die KommunistInnen, die dieser Linie nicht folgen mochten, wurden aus den Parteien ausgeschlossen; nicht nur in der Sowjetunion mussten viele ihre Opposition mit dem Leben bezahlen.
Der Stalinismus hat so nicht nur die Gesellschaft der UdSSR und der anderen sozialistischen Staaten deformiert, sondern der sozialistischen Utopie und Bewegung insgesamt schweren Schaden zugefügt. Wer heute – wie AVANTI – an der sozialistischen Utopie festhält, muss sich die Frage stellen lassen, wie ähnliche Fehlentwicklungen in der Zukunft verhindert werden sollen. Das betrifft vor allem das Verhältnis von RevolutionärInnen zur Demokratie.
War die revolutionäre Linke zunächst ein untrennbarer Teil der Arbeiterbewegung, so traten – insbesondere seit den späten 60er Jahren – mit den sozialen Bewegungen neue politische Strukturen in den Vordergrund, die für einen beträchtlichen Teil der RevolutionärInnen zu einem wichtigen, wenn nicht gar zum hauptsächlichen oder einzigen Betätigungsfeld wurden. Als Frauen-, Anti-Atom-, Umwelt- oder Friedensbewegung setzen diese sozialen Bewegungen an wichtigen, teilweise existenziellen Fragen an, die in der traditionellen Arbeiterbewegung nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatten. Sie sind eine notwendige Erweiterung und Bereicherung des politischen Spektrums, denn eine wirksame gesellschaftliche Gegenmacht kann heute – nach unserer Überzeugung – nicht mehr allein in der Arbeiterbewegung aufgebaut werden. Dabei halten wir es allerdings für ebenso sicher, dass ohne oder gar gegen die Mehrheit der Lohnabhängigen ebenfalls keine Gegenmacht entstehen kann, die eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft auf die Tagesordnung setzen könnte.
Wir sprechen auch deshalb über die sozialen Bewegungen, weil hier die Wurzeln von AVANTI liegen. Erfahrungen in der Friedens- und Anti-AKW-Bewegung der 80er Jahre haben zur Entstehung der Gruppen geführt, aus denen schließlich AVANTI hervorgegangen ist.
Soziale Bewegungen sind nicht als solche revolutionär, obwohl die meisten gesellschaftlichen Probleme, gegen die sie angehen, nach unserer Auffassung nur revolutionär gelöst werden können. Wir arbeiten in sozialen Bewegungen mit, weil der Kampf gegen die herrschende Gesellschaftsordnung im Kampf gegen deren konkrete Ausprägungen seinen Anfang hat. Es ist eine Aufgabe revolutionärer Kräfte, zunächst an solchen konkreten Fragen anzusetzen und mit vielen anderen Menschen gemeinsam Protest und Widerstand zu entwickeln.
Die Durchsetzung des Frauenwahlrechts im Jahr 1918 war der erste große Erfolg in der Geschichte der Frauenbewegung. In der Weimarer Republik konnten noch weitere Rechtspositionen durchgesetzt werden, wie z.B. die Zulassung von Frauen als Richterinnen, Schöffinnen und Geschworene. Im Faschismus der rassistischen bevölkerungspolitischen Politik der Nazis unterworfen und in vielen Lebensbereichen erneut diskriminiert, wurde die Gleichberechtigung von Frau und Mann dann im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland niedergeschrieben. Die patriarchale Grundstruktur der Gesellschaft blieb von dieser juristischen Formel zunächst weitgehend unberührt.
Erst die aus der StudentInnenbewegung seit 1968 entstehende autonome Frauenbewegung entwickelte eine feministische Gegenkultur. Sie rückte Bereiche ins Blickfeld, die bis dahin kaum beachtet wurden: die Gesundheitssituation von Frauen, ihre Sexualität, Gewalt gegen Frauen oder die Situation von Frauen in Forschung und Lehre. Die feministische Bewegung vertiefte die Kritik an den patriarchalen Strukturen, z.B. indem unter der Parole „Das Private ist politisch" das Alltagsverhalten stärker in den Blick genommen wurde.
Die Erkämpfung eigener Räume und einer Frauen vorbehaltenen Infrastruktur (Frauenverlage, Frauenzeitschriften und –buchläden, Frauencafés und –kulturgruppen, Frauenhäuser und Notrufe für misshandelte und vergewaltigte Frauen und Mädchen) waren weitere wichtige Erfolge dieser Bewegung. Zumindest in den kapitalistischen Staaten des Nordens hat die Frauenbewegung in den 70er Jahren starke Mobilisierungskraft gehabt und deutliche Erfolge erzielt: Der Grundgedanke der Gleichstellung von Mann und Frau ist gesellschaftlich durchgesetzt, auch wenn patriarchale Strukturen in teils veränderter, teils verdeckter Form weiterhin bestehen. Sexualisierte Gewalt in ihren vielfältigen Formen ist von der neuen Frauenbewegung treffend als ein wesentliches Strukturmerkmal patriarchaler Gesellschaft nachgewiesen, unmissverständlich als gesellschaftlicher Skandal gedeutet und ins öffentliche Bewusstsein gerückt worden.
Die Institutionalisierung der Frauenbewegung durch die Einstellung von Frauenbeauftragten und die Einrichtung von Frauenprojekten hat aber auch dazu beigetragen, dass sie an Kampfkraft verloren hat. Die Kraft vieler Frauen wird von den Sorgen um Anträge und Gelder aufgesogen.
An vielen Fragen ringt die Frauenbewegung zudem seit Mitte der 80er Jahre um Antworten, wie die Wirklichkeit zutreffend zu beschreiben ist und der Weg zur Durchsetzung herrschaftsfreier Strukturen aussehen kann. Hierzu zählen etwa die Diskussionen um die Beteiligung von Frauen an Herrschaftsstrukturen, aber auch radikale Infragestellungen bisheriger Sichtweisen auf die Kategorie Geschlecht.
Einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung feministischer Theorie leisteten z.B. schwarze Frauen mit ihrer Kritik an der (weißen) Frauenbewegung. Sie wiesen darauf hin, dass sie in den Forderungen, Inhalten und der politischen Praxis der weißen Frauenbewegung keinen Platz für ihre Belange und Erfahrungen sehen. Sie warfen weißen Feministinnen vor, von „den Frauen" zu sprechen, jedoch die Erfahrungen vieler Frauen auszublenden. Schwarze Frauen wandten sich deshalb gegen die Vorstellung, dass die soziale Kategorie „Geschlecht" von anderen Herrschaftsstrukturen wie Klasse und Rassismus isolierbar sei. Die (weiße) Frauenbewegung, welche sich bisher vor allem auf ihren Opferstatus bezogen hatte, wurde damit vor neue Aufgaben gestellt.
Die sogenannte „Frauenfrage" fällt zusammen mit der Frage nach allgemeiner Emanzipation. Die Frauenbewegung setzt an einem zentralen Grundwiderspruch dieser Gesellschaft an. Als gemischt-geschlechtliche Gruppe suchen wir daher – wo es möglich ist – nach gemeinsamen Bündnissen und Utopien. Darüber hinaus suchen wir nach einer eigenen politischen Praxis in diesem Bereich und/oder beteiligen uns als AVANTI-Frauen an Aktionen, die ausschließlich von Frauen durchgeführt werden.
Für die Zukunft wünschen wir uns, dass die Frauenbewegung – bei aller Nutzung der institutionell erreichten Erfolge – wieder als starke Bewegung auf der Straße erfahrbar wird, die ihre Forderungen in Konfrontation mit den patriarchalen Strukturen der Gesellschaft durchsetzen kann.
Die Frage von Krieg und Frieden hat für die Arbeiterbewegung immer eine wichtige Rolle gespielt. Mit der atomaren Hochrüstung und besonders den unverhohlenen Plänen von USA und NATO einen Atomkrieg führbar und gewinnbar zu machen, wurde die Friedensbewegung in den 80er Jahren eine echte Massenbewegung.
Die direkte und existenzielle Bedrohung verhalf der Bewegung zu einer Breite, die ganz unterschiedliche politische Kräfte und soziale Interessen umfasste. Daher spielten auch nationalistische Vorstellungen eine beträchtliche Rolle, gegen die wir uns immer scharf abgegrenzt hatten.
Die reine Orientierung auf eine Massenbewegung, die nur immer mehr Menschen zu Großdemonstrationen mobilisieren wollte, wurde an der Stelle falsch, wo sie auf den Aufbau von tatsächlichem Widerstand und eine Frontstellung gegen die herrschende Klasse im eigenen Land verzichtete.
Das Konzept der Einheit von Protest und Widerstand gehört daher zu den Lehren, die AVANTI aus den Erfahrungen in der Friedensbewegung gezogen hat. Auch breitester Protest muss wirkungslos bleiben, wenn der Schritt zum Widerstand ausbleibt. Und umgekehrt bleibt auch entschlossenster und mutigster Widerstand isoliert und damit wirkungslos, wenn er sich nicht auf einen breit entwickelten Protest stützen kann.
Mit dem Ende des kalten Krieges und damit der akuten Gefahr eines atomaren Krieges in Europa ist die Massenbasis der Friedensbewegung verschwunden. Der Einsatz der eindeutigen waffentechnischen Überlegenheit der NATO gegen Regionalmächte ist nur mit sehr geringen „eigenen" Verlusten verbunden, daher bleibt die Opposition gegen diese imperialistischen Kriegshandlungen begrenzt. Der (Wieder-)Aufbau einer antimilitaristischen Bewegung gehört trotz dieser schwieriger gewordenen Bedingungen zu den wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre. Hierzu wollen wir gemeinsam mit anderen unseren Beitrag leisten.
Vergleichbar der Bedrohung durch einen atomaren Krieg hat auch die Zerstörung der Umwelt eine existenzielle, über den Klassenwiderspruch und patriarchale Strukturen hinausgehende Dimension. Daher sammelten sich auch hier unterschiedlichste Strömungen bis hin zu reaktionär-biologistischen und faschistischen Kreisen, um deren Ausgrenzung immer wieder gekämpft werden muss.
Die Anti-Atom-Bewegung war seit ihrer Entstehung Mitte der 70er Jahre ein wichtiges Betätigungsfeld der radikalen Linken und damit auch für unsere Organisation. Von den jüngeren sozialen Bewegungen fanden in ihr lange Zeit militante Aktionsformen die meiste Verbreitung und Akzeptanz. Die Verbindung von massenhaftem Protest und entschlossenem, oft auch militanten Widerstand hat zum relativen Erfolg der Bewegung viel beigetragen. Denn immerhin sind die ursprünglichen Pläne der Atomindustrie, was z.B. die Anzahl der zu errichtenden AKWs angeht, bei weitem nicht durchsetzbar gewesen.
Wegen der politischen Institutionalisierung von Teilen der Anti-AKW-Bewegung in Gestalt der GRÜNEN und ihrem Weg in den politischen Opportunismus ist eine unabhängige Bewegung heute nötiger denn je, um den angekündigten Ausstieg auch tatsächlich – und nicht erst in mehreren Jahrzehnten – durchzusetzen.
Während es an vielen Orten Geschichtswerkstätten und Arbeitskreise gibt, die die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus aufrechterhalten und damit Beiträge gegen eine zunehmend prominente UnterstützerInnen gewinnende „Politik des Schlussstrichs" leisten, wird der Kampf um die Einschränkung der politischen und praktischen Bewegungsfreiheit von Neofaschisten und ihrer Hintermänner von immer weniger Gruppen und Organisationen getragen. Häufig haben sich etwa Gewerkschaften aus entsprechenden Gegenmobilisierungen verabschiedet; die ohnehin zu geringe Verankerung antifaschistischer Aktivitäten in der heutigen ArbeiterInnenbewegung ist Ausdruck und Ergebnis sowohl dieser Politik als auch Folge des Rückzugs linksradikaler Gruppen aus klassenkämpferischen Aktivitäten.
Für Teile der linksradikalen Szene ist der Antifaschismus hingegen seit Mitte der 80er Jahre zum zentralen Betätigungsfeld geworden. Wir halten die von Teilen der autonomen Antifa-Szene verbreitete Position „Antifa ist der Kampf ums Ganze" für falsch. Hier wurde eine Theorie gebastelt, die die bestehenden Defizite, insbesondere den Rückzug aus vielen anderen Bereichen gesellschaftlicher Auseinandersetzung, zur Tugend erklärt. So richtig es ist, dass die faschistische Gefahr ohne die Beseitigung seiner Wurzeln nicht zu bannen ist, so wenig verliert der Antifaschismus seinen Charakter als Abwehrkampf. Für eine Beseitigung der herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung – und damit der Beseitigung der faschistischen Gefahr – bedarf es umfassenderer sozialer Mobilisierungen und Auseinandersetzungen.
Obwohl die Diskriminierung von ArbeitsmigrantInnen schon früher in Teilen der „Neuen Linken" Berücksichtigung fand, entstand eine eigenständige antirassistische Bewegung in der Bundesrepublik erst spät. Gegen die ersten großen Hetzkampagnen gegen Flüchtlinge und EinwanderInnen in den 80er Jahren fand die Bewegung zu Strukturen und eigenständigem Handeln. Ihr Verdienst ist es, Umfang und Verankerung völkisch-rassistischen und nationalistischen Denkens und Handelns in der Bundesrepublik verdeutlicht zu haben, staatliche rassistische Strukturen öffentlich kritisiert und in vielen Fällen konkrete Unterstützung für Flüchtlinge und EinwanderInnen geleistet zu haben. Politisch hat sie jedoch mit der gravierenden Einschränkung des Rechts auf Asyl durch die Änderung des Artikels 16 Grundgesetz und mit der Vielzahl folgender, auf Abschreckung und Ausgrenzung zielender Gesetze eine schwere Niederlage erlitten.
Wir treten ein für die Abschaffung aller Sondergesetze, die Flüchtlinge und EinwanderInnen betreffen, und für die Zurückdrängung und schließliche Beseitigung völkischer, nationalistischer und antisemitischer Denk- und Handlungsweisen. Die dazu notwendige starke antirassistische Bewegung muss eine grundlegende Kritik gesellschaftlicher Unterdrückungs- und Ausgrenzungsstrukturen mit konkreten Kämpfen und Unterstützungsaktionen verbinden, um sich weder in rein karitativen Aktivitäten noch in antinationalen Positionen zu verlieren, die in die Selbstisolation führen.
Wegen der politischen Entrechtung und des völkischen Staatsbürgerrechts hat die Selbstorganisation von Flüchtlingen und MigrantInnen in der Bundesrepublik noch keine lange Tradition. Wir messen dieser Selbstorganisation aber langfristig großen Stellenwert zu, wobei es nicht unsere Aufgabe sein kann, diesen Prozess aktiv voranzutreiben. Wir wollen allerdings für gesellschaftliche Bedingungen streiten, die die Selbstorganisation von Flüchtlingen und EinwanderInnen ermöglichen und fördern sowie auch selbst mit solchen Organisationen die Zusammenarbeit und den Austausch suchen.
„Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für die Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der Gerechtigkeit, sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn Freiheit zum Privilegium wird." (Rosa Luxemburg)
Die sozialistische Arbeiterbewegung ist mit dem Kampf um demokratische Rechte untrennbar verbunden. Wichtige Errungenschaften – wie z.B. das Frauenwahlrecht, Streikrecht und Versammlungsfreiheit – wurden von der Arbeiterbewegung durchgesetzt. Dennoch wurden die demokratischen Traditionen durch die harten Auseinandersetzungen mit Staat und Kapital zurückgedrängt. Dies gilt besonders für das zaristische Russland, wo die Repression die SozialistInnen in die Illegalität zwang. Als Antwort auf diese Situation entstand das Modell der bolschewistischen „Partei neuen Typs", einer straffen, zentralistischen Organisation von BerufsrevolutionärInnen. Im Bürgerkrieg, den die Konterrevolution gegen die junge Sowjetmacht entfesselte, verstärkte sich die Tendenz zu Kommandostrukturen in der Partei nochmals erheblich.
Man beruhigte sich damit, dass es bewährte und moralisch zuverlässige GenossInnen seien, denen die diktatorischen Befugnisse übertragen wurden. Damit wurde die Bedeutung der demokratischen Kontrolle von Macht jedoch völlig unterschätzt. Es reicht eben nicht aus, dass die Macht im Interesse der Bevölkerungsmehrheit ausgeübt wird, sie muss auch tatsächlich durch die Bevölkerung ausgeübt werden, sonst gibt es keinen Sozialismus, der diesen Namen verdient. Er darf keine Einparteiendiktatur sein, die nach dem Prinzip „Die Partei hat immer Recht" abweichende Meinungen unterdrückt.
Gerade im Sozialismus muss das – auch organisatorische – Nebeneinander verschiedenster Parteien und Strömungen gewährleistet sein. Denn ohne den politischen Wettstreit und die offene Diskussion kann eine Gesellschaft nicht lernfähig und damit weder ökonomisch erfolgreich und ökologisch verantwortlich noch lebenswert für ihre Mitglieder sein.
AVANTI bekennt sich daher zum politischen Pluralismus und zum Recht auf eine legale Opposition auch gegen eine sozialistische (Räte-)Regierung. Das schließt die Möglichkeit mit ein, dass auch eine revolutionäre Regierung eines Tages von der Bevölkerung schlicht abgewählt werden kann. Gegen den möglichen konterrevolutionären Versuch, die neue Ordnung gewaltsam zu stürzen, sind repressive Maßnahmen unumgänglich. Ihre Anwendung muss sich aber auf genau diesen Fall beschränken und demokratisch legitimiert sein.
Daher wird eine wesentliche Aufgabe der sozialistischen Revolution darin bestehen, sich gesellschaftlich so zu verankern, dass eine Rücknahme der Veränderung der Gesellschaft strukturell unmöglich wird. Die Errungenschaften des Sozialismus beseitigen zu wollen, muss ähnlich absurd und lächerlich erscheinen, wie es heute der Versuch wäre, Deutschland wieder zu einem Kaiserreich zu machen.
Vorweg: Wir erheben nicht den Anspruch, einen fertigen Plan auszuarbeiten, wie ein Sozialismus der Zukunft aussehen kann. Wir haben sowohl zum politischen wie zum Wirtschaftssystem lediglich Vorstellungen von den Prinzipien, nach denen die Gesellschaft organisiert werden sollte. Wir empfinden dieses Fehlen eines genauen Modells zur Zeit nicht als Schwäche. Für uns steht die politische Praxis im Vordergrund. Wir leisten theoretische Arbeit, soweit sie hierfür erforderlich ist und in unseren Möglichkeiten steht. Zudem hegen wir große Zweifel, ob es sinnvoll ist, in der jetzigen Phase am grünen Tisch den großen Plan zu erarbeiten. Wir sind vielmehr überzeugt, dass mit dem Wachstum der revolutionären Bewegung und der Zuspitzung von Widersprüchen sich auch die Vorstellung von einer gesellschaftlichen Alternative verfeinern kann und wird.
Solange Sozialismus mit autoritärer Bürokratie, Unterdrückung von Meinungs- und Reisefreiheit und dem ständigen Mangel an Konsumgütern gleichgesetzt wird, wird es keinerlei Chance für die Durchsetzung eines gesellschaftlichen Umschwungs geben. Wir glauben nicht, dass es die richtige Antwort auf dieses Problem wäre, einfach einen neuen Begriff für unsere politische Utopie zu wählen. Denn wir werden den Erfahrungen und Problemen beim ersten historischen Versuch, den Kapitalismus zu überwinden, nicht durch Etikettenschwindel ausweichen können. Es gilt vielmehr zu benennen, was wir heute unter Sozialismus verstehen, warum und wodurch er sich von den untergegangenen Parteidiktaturen unterscheidet.
Theoretisch und praktisch unbrauchbar geworden ist nach unserer Auffassung die Formel von der „Diktatur des Proletariats". Ursprünglich gebraucht wurde der Begriff, um deutlich zu machen, dass das Proletariat (also die lohnabhängig Beschäftigten) sich gegen die herrschende Klasse des Kapitals durchsetzen müssen und dadurch für kurze Zeit selbst zur herrschenden Klasse werden. Sie nehmen – so die klassische Theorie – dann die Produktionsmittel für die Gesellschaft in Besitz und heben dadurch den Klassengegensatz auf, wodurch dann die Notwendigkeit für die Diktatur, ja für den Staat insgesamt entfällt und die klassenlose Gesellschaft des Kommunismus möglich wird. Bei Marx stand die „Diktatur des Proletariats" der „Diktatur der Bourgeoisie" gegenüber, das Wort Diktatur bezog sich auf Herrschaft allgemein, nicht auf die heute gebräuchliche Interpretation als totalitäre Herrschaft. Wie wir wissen, wurde unter der Losung „Diktatur des Proletariats" eine dauerhafte diktatorische Herrschaft geschaffen, die sich nicht nur gegen die Konterrevolution und die Überbleibsel der Kapitalistenklasse richtete, sondern ziemlich schnell gegen das Proletariat und viele der RevolutionärInnen der ersten Stunde selbst.
Eine revolutionäre Politik und Propaganda des 21. Jahrhunderts wird mit den Losungen des 19. Jahrhunderts scheitern, die Erklärung unserer tatsächlichen Ziele bedarf eines Verzichtes auf nur zu leicht misszuverstehende Formulierungen der „Klassiker".
So richtig es daher ist, dass die Macht des Kapitals revolutionär gebrochen werden muss, so wenig darf dies zu diktatorischen Zuständen, also zur Beseitigung demokratischer Entscheidungsstrukturen und zur Aushebelung der fundamentalen Freiheits- und Menschenrechte führen. Eine Situation, in der die Revolution sich nur noch auf die Macht der Bajonette gestützt behaupten kann und nicht stark genug ist, die eigenen Maßnahmen in offener Diskussion zu vertreten und hierfür Mehrheiten zu gewinnen, ist gleichbedeutend mit der Niederlage der Revolution. Es gibt dann nur noch die Alternative, diese Niederlage einzugestehen und Macht wieder abzugeben oder aber den Weg zur Diktatur zu beschreiten, was langfristig verheerende Folgen für das Projekt der Umgestaltung der Gesellschaft hat, weil die sozialistischen Kräfte auf Jahre und Jahrzehnte diskreditiert werden.
Wir wollen diese Ausführungen nicht als historische Besserwisserei verstanden wissen. Wir versuchen im Nachhinein, aus der Geschichte der sozialistischen Bewegung Lehren zu ziehen und sprechen damit kein moralisches Urteil über die RevolutionärInnen von einst, die Entscheidungen getroffen haben, die sie nach damaliger Kenntnis für die richtigen hielten.
Das Wirtschaftssystem der realsozialistischen Staaten bestand in einer zentralen Planwirtschaft, die sich als unfähig erwiesen hat, Güter in ausreichender Menge, vor allem aber in ausreichender Qualität herzustellen. Ressourcen in ungeheurem Ausmaß wurden nicht genutzt, sondern verschleudert, Gebäude und Maschinen schlecht instand gehalten usw. Immer wieder wird behauptet, dies beweise die Überlegenheit der Marktwirtschaft über die Planwirtschaft. Nur der Markt könne sicherstellen, dass das produziert wird, was gebraucht wird, indem sich jede Nachfrage auch ihr Angebot schafft bzw. ein Angebot, das keine Nachfrage findet, ziemlich schnell vom Markt verschwindet. Die Triebfeder der wirtschaftlichen Tätigkeit sei nun einmal das Streben nach Profit. Die damit verbundene soziale Ungleichheit müsse eben hingenommen werden.
Wir widersprechen dieser Auffassung aufs schärfste. Jede Marktwirtschaft hat ihre Gewinner und ihre Verlierer. Dies muss über kurz oder lang zur Konzentration von wirtschaftlicher Macht in den Händen weniger führen. Demokratie und soziale Gerechtigkeit sind auf dieser Basis nicht zu erreichen. Zudem gibt es auch innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft Elemente von Planwirtschaft. Große Konzerne beispielsweise planen ihre Aktivitäten und internen Abläufe sehr genau. Sie beweisen damit, dass es prinzipiell möglich ist, auch sehr komplexe Abläufe sinnvoll und effektiv zu planen. Allerdings geht es in einer sozialistischen Planwirtschaft nicht um den Zweck des Profits weniger, sondern um die Bedürfnisbefriedigung aller. Das bedingt eine demokratische Planung, die die Mitwirkung aller ermöglicht und erfordert. Dafür wird sicherlich viel Zeit erforderlich sein, die aber schon beim heutigen Stand der Produktivität zur Verfügung stehen würde, wenn nicht immens viel Arbeitszeit und Ressourcen für unnütze Produkte (etwa die zahlreichen Wegwerf-Produkte oder Rüstungsgüter) und ein wahnwitziges Transportaufkommen verschwendet würden. Wir gehen davon aus, dass bei sinnvoller Planung und demokratischer Diskussion, für welche und wie viele Güter und Dienstleistungen tatsächlich Bedarf besteht, die Möglichkeit sowohl für eine umfassende betriebliche und wirtschaftspolitische Demokratie als auch für eine deutliche Verkürzung der regelmäßigen Arbeitszeit besteht. Dazu müssen Entscheidungen dezentralisiert werden und die arbeitenden Menschen nicht nur auf dem Papier Eigentümer ihrer Betriebe sein, sondern tatsächliche Entscheidungsgewalt haben.
Das Privateigentum an Produktionsmitteln kann und muss daher abgeschafft werden und eine Form kollektiven Eigentums an seine Stelle treten.
Die realsozialistische Wirtschaft hatte zwei grundlegende Schwierigkeiten. Die erste bestand in der Vorstellung, dass eine Planwirtschaft zentral gelenkt werden müsse, was zu einer absurden Aufblähung der Planbürokratie führte; die zweite darin, dass die ausgeprägten Kommandostrukturen und das Fehlen demokratischer Strukturen das angebliche „Volkseigentum" zu einer inhaltsleeren Phrase gemacht haben.
Der Sozialismus wird in der Tat hohe Anforderungen an die Eigenverantwortung, den Gestaltungswillen und die soziale Kompetenz der Menschen stellen. Wir glauben aber nicht, dass es hierfür eines utopischen „anderen" Menschen bedarf. Schon heute engagieren sich Menschen in vielen Bereichen, ohne dabei nach Profit oder individuellen Vorteilen zu streben. Dies findet im privaten Bereich ebenso statt wie in Vereinen oder Initiativen. Warum sollten sie sich also zukünftig nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit für ihren Betrieb, ihren Wohnblock, ihre Stadt usw. verantwortlich fühlen? Voraussetzung hierfür ist zunächst die Umwälzung der ökonomischen Basis, eine verbesserte und veränderte Bildung, dann aber ein Höchstmaß an direkt erfahrbarer Demokratie, die deswegen – soweit irgend möglich und sinnvoll – dezentral aufgebaut werden muss. Auch für die weiterhin notwendigen Elemente zentraler Planung können Möglichkeiten gefunden werden, die notwendigen Entscheidungen auf eine breite demokratische Grundlage zu stellen.
Eine gewisse Veränderung des sozialen Bewusstseins der Menschen muss dafür sicher vorausgesetzt werden. Diese Veränderung ist aber zugleich die Bedingung, dass es überhaupt zu einer sozialistischen Revolution kommt. Zum größeren Teil wird die Herausbildung einer neuen solidarischen Kultur der Produktion und Verteilung aber erst das – längerfristige – Ergebnis einer Veränderung der Strukturen sein können.
Dann wird der Wert eines Menschen auch nicht mehr über seine Arbeit bestimmt sein. Eine sozialistische Gesellschaft darf nicht wie bisherige Gesellschaften Selektion, Ausgrenzung und Bewertung betreiben. Sie darf nicht sortieren nach krank und gesund, stark und schwach, leistungsstark und unproduktiv, nützlich und belastend – und davon die Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum abhängig machen. Arbeitsteilung nach hierarchischen, geschlechtlichen oder rassistischen Kriterien findet nicht mehr statt. Reale Unterschiede zwischen den Geschlechtern (z.B. Gebärfähigkeit) dürfen nicht für die Rollenbestimmung oder die Arbeitsteilung von Bedeutung sein. Produktion und Reproduktion müssen als ein Lebenszusammenhang gesehen werden. Deshalb müssen Strukturen geschaffen werden, die eine kollektive Verantwortung hierfür ermöglichen.
Die materiellen Voraussetzungen – also Produktionstechniken, Ressourcen, Ausbildung – für eine sozialistische Gesellschaft sind im Weltmaßstab vorhanden. Die Güter können so verteilt werden, dass niemand in Hunger und Elend leben muss. Die Produktion kann so umgestellt werden, dass der unverantwortliche Raubbau an der Natur gestoppt wird. Die klassenlose Gesellschaft ist möglich, sie ist keine kurzfristige, aber eine realistische Utopie.
Von Revolution zu reden, erscheint häufig noch utopischer und unzeitgemäßer als das Bekenntnis zum Sozialismus. Gerade angesichts der derzeitigen völligen Außenseiterposition der revolutionären Linken in Deutschland fällt es schwer zu glauben, dass wir eines Tages mit der Masse der Bevölkerung gemeinsam die Verhältnisse in diesem Land radikal ändern können. Auch wenn eine Revolution als ferne Zielvorstellung erscheint, zeigt doch die Geschichte, wie schnell sich Verhältnisse und Bewusstsein ändern können. Es gibt keine gleichförmige Entwicklung, sondern längere Phasen von Stagnation oder Reaktion können plötzlich durch scharfe Wendungen und Sprünge abgelöst werden. Wir sehen keinen Anlass zur Resignation, da wir – natürlich im sehr viel kleineren Maßstab – schon mehrfach die Erfahrung gemacht haben, wie schnell Empörung und Widerstandsbereitschaft wachsen können. Wir verweisen z.B. auf die Erfahrungen der Anti-AKW-Bewegung an ihren Brennpunkten wie Wackersdorf, Gorleben und – für eine kurze Zeitspanne 1987/88 – auch Lübeck, wo wir (noch unter dem Namen AKAW) aktiv an der Bewegung gegen Atomtransporte durch die Stadt beteiligt waren, die in kurzer Zeit Tausende BürgerInnen zu Protest, aber auch aktivem Widerstand mobilisierte. Natürlich hatte das alles mit Revolution noch nicht viel zu tun, ist für uns aber ein praktischer Beleg dafür, dass linke Massenmobilisierungen binnen kurzer Zeit möglich sind, wenn die Empörung groß genug und eine Handlungsperspektive sichtbar ist.
Revolution bedeutet die radikale Umwälzung der politischen und sozialen Verhältnisse auf der Basis einer massenhaften Mobilisierung und aktiven Beteiligung der Bevölkerung. Diese breite Mobilisierung ist nicht nur notwendig, damit der Sozialismus tatsächlich gegen die Kräfte der Reaktion durchgesetzt werden kann, sondern auch damit die neue Gesellschaft von Anfang an demokratisch aufgebaut wird. Wie eine zukünftige Revolution aussehen wird, wissen wir nicht. Es spricht vieles dafür, dass sie von allen revolutions-romantischen Vorstellungen weit entfernt sein wird.
Eine Revolution ist nicht zwangsläufig eine gewaltsame Umwälzung. Kann revolutionäre Gewalt gerechtfertigt sein? Sicher ist, dass wir die Gewalt zunächst zutiefst ablehnen. Gewalt verhilft dem Recht des Stärkeren zur Durchsetzung und ist damit Teil des gesellschaftlichen Zustandes, den wir überwinden wollen. Sowohl als strukturelle Gewalt wie auch als direkte Gewalt – in Form von Militär- und Polizeieinsätzen, faschistischem Terror oder Männergewalt gegen Frauen – ist sie in der heutigen Gesellschaft ständig präsent. Unsere Utopie ist demgegenüber die einer gewalt- und herrschaftsfreien Gesellschaft.
Dennoch haben RevolutionärInnen immer wieder zum Mittel der Gewalt gegriffen. In vielen historischen Situationen halten wir diese Entscheidung für richtig und unvermeidlich. Viele Befreiungsbewegungen – etwa die in Nicaragua – hatten keine andere Möglichkeit, Diktaturen zu stürzen als das Mittel des bewaffneten Kampfes. Vielfach ist die Entscheidung zum Einsatz dieses letzten Mittels erst nach Jahrzehnten gewaltlosen Widerstandes gefallen. Die Erfahrungen dieser Befreiungskämpfe zeigen aber auch, dass der Einsatz von Gewalt immer auch Tendenzen zur Verrohung in den eigenen Reihen hervorgebracht hat. Wir sind daher der Überzeugung, dass die Entscheidung zum Einsatz revolutionärer Gewalt sehr genau abgewogen werden muss und nur als letztes Mittel gelten kann, wenn andere Methoden, um dem Willen der Bevölkerungsmehrheit nach einem gesellschaftlichen Wandel Geltung zu verschaffen, nicht zur Verfügung stehen oder versagt haben.
Ob eine künftige Revolution friedlich – oder überwiegend friedlich – verläuft, darüber lässt sich heute nur spekulieren. Letztlich wird es sowohl auf die Macht und Stärke der revolutionären Bewegung als auch auf die verbliebene Stärke der alten Machteliten ankommen. Sicher ist nur, dass die gesellschaftliche und ökonomische Macht des Kapitals gebrochen werden muss. Dies ist in jedem Fall eine Machtfrage, die nicht einfach durch die Gewinnung einer parlamentarischen Mehrheit entschieden werden kann, da alle Erfahrung zeigt, dass die Regeln der bürgerlichen Demokratie nur noch wenig wert sind, wenn die Profite bedroht sind. Beim Aufbau dieser außerparlamentarischen Gegenmacht mitzuwirken, betrachten wir als unsere Aufgabe.
Eine gesellschaftliche Gegenmacht wird nicht von einer Gruppierung oder Partei allein gebildet werden können – und dies halten wir auch nicht für wünschenswert. Gegenmacht entsteht nach unserer Vorstellung vielmehr aus einer spontanen revolutionären Bewegung, an der verschiedene revolutionäre Organisationen beteiligt sind, die in dieser Bewegung konstruktiv zusammenarbeiten, ohne ihre Unterschiedlichkeit aufzugeben.
In diesen Kämpfen kann die Aufgabe der sozialistischen Opposition nicht darin liegen, einen in Konflikt mit den Herrschenden geratenen Teil der Bevölkerung lediglich quantitativ zu verstärken; ihre Aufgabe ist vielmehr die qualitative Veränderung des Konflikts. Sie hat die von den sozialen Protestgruppen oft nur pragmatisch gestellten Fragen auf die grundlegenden Herrschaftsstrukturen, gegensätzlichen Interessen und tiefergehenden Widerspruchslinien zurückzuführen.
Die politischen Kämpfe, die wir heute führen, haben also eine doppelte Funktion. Sie versuchen zunächst konkrete Teilforderungen und Verbesserungen innerhalb des bestehenden Systems durchzusetzen. Denn nur eine radikale Linke, die sich als durchsetzungs- und mobilisierungsfähig in diesen Teilkämpfen erweist, kann hoffen, jemals von einer Mehrheit der Bevölkerung als Perspektive angesehen zu werden. Zum anderen entsteht in diesen Kämpfen Erfahrung und politisches Bewusstsein, das wiederum Teil des Aufbaus von gesellschaftlicher Gegenmacht ist, die hoffentlich eines Tages die Machtfrage stellen und positiv entscheiden kann.
* Der Historische Materialismus sieht in den Produktionsverhältnissen und ihrer dialektischen Entwicklung durch den Klassenkampf den Motor der Geschichte. Er betont die zentrale Rolle der ökonomischen Basis für die Entwicklung von Gesellschaften gegenüber idealistischen Konzepten, die die Ideen und Vorstellungen der Menschen für primär halten. zurück