Vor mehr als zehn Jahren, im Oktober 1989, entstand aus dem Zusammenschluss der Autonomen Gruppe Kiel mit dem Lübecker Arbeitskreis antiimperialistischer Widerstand (AKAW) die – zunächst noch sehr kleine – Organisation AVANTI – Projekt undogmatische Linke.
Unsere Überzeugung war und ist, dass diese Gesellschaft revolutionär verändert werden muss und dass die hierfür notwendige gesellschaftliche Gegenmacht nicht allein aus spontanen Bewegungen bestehen kann, sondern die Beteiligung revolutionärer Organisationen braucht.
Auch wenn das Ziel einer grundsätzlichen Gesellschaftsveränderung noch in weiter Ferne scheint, ist es unsere Aufgabe, heute mit der Organisierung von RevolutionärInnen zu beginnen, um die Voraussetzungen hierfür zu schaffen.
Unsere Wurzeln liegen in der autonomen Bewegung, dennoch trifft das Etikett „Autonome" schon lange nicht mehr auf uns zu. Denn wir lehnen nicht nur die häufig anzutreffende Unverbindlichkeit und Organisationsfeindlichkeit ab, sondern haben uns auch von einem Politikstil verabschiedet, der sich fast ausschließlich auf eine kleine, politische und/oder subkulturelle Szene bezieht und dazu neigt, den Trennungsstrich zum Gegner vor den eigenen Füßen zu ziehen. Nicht zuletzt dadurch ist es uns gelungen, weitere GenossInnen aus anderen politischen und sozialen Strömungen für AVANTI zu gewinnen – z.B. aus der feministischen oder der Umweltbewegung.
Bei unserem Entschluss uns zu organisieren konnten uns die verschiedenen kommunistischen Parteien und Gruppierungen ebenfalls kein Vorbild sein. Wir wollen keine zentralistische Organisation mit ausgeprägten Hierarchien, keinen orthodox erstarrten – und damit falsch verstandenen – Marxismus. Unsere Organisation soll von der Basis her aufgebaut werden und ihren MitstreiterInnen, ihren Gruppen vor Ort und ihren überörtlichen Arbeitsgruppen größtmögliche Autonomie gewährleisten, aber zugleich ein Handeln auf gemeinsamer Grundlage ermöglichen.
Im Vordergrund stand für uns stets die praktische politische Arbeit vor Ort. So haben wir in unseren Orten eine gefestigte und wichtige Rolle innerhalb der politischen Szene und es ist uns – im Bündnis mit anderen Gruppen – immer wieder gelungen, mit Aktivitäten und Kampagnen weit über diese Szene hinaus zu wirken. Dies ist sicherlich am deutlichsten in den Bereichen Antifaschismus und Antirassismus; wir arbeiten aber auch in den Politikfeldern Antikapitalismus, Anti-Atom oder Antipatriarchat.
Dabei waren und sind wir immer bemüht, schon heute tatsächliche Erfolge zu erstreiten, anstatt mit einer nur radikal klingenden Propaganda die Veränderung der gesellschaftlichen Realität auf eine ferne, ungewisse Zukunft („nach der Revolution") zu vertagen.
Von Rückschlägen begleitet waren unsere Versuche, eine über Schleswig-Holstein hinausgehende Organisierung voranzutreiben, uns also mit Gruppen in anderen Städten zusammenzuschließen. So scheiterte die sog. FELS-Initiative, bei der 1993/94 insgesamt zehn Gruppen debattierten, um eine bundesweite Organisation zu schaffen, an letztlich unüberbrückbaren Widersprüchen. Diese zeigten sich sowohl in den Organisationsvorstellungen als auch in der Gesellschaftsanalyse. Insgesamt war das Spektrum zu beliebig und zu weit gefasst (von traditionell-marxistischen bis zu eher autonomen Gruppierungen), um eine Einigung zu erreichen.
Auch unser Zusammenschluss mit der Bremer Gruppe LEGO im Jahr 1996 währte nur knapp zwei Jahre, in denen wir gemeinsam unter dem Namen „Levanti" aufgetreten waren. Zu den Gründen für das Scheitern dieses Versuchs, in den wir viel Enthusiasmus und Arbeitskraft investiert hatten, verweisen wir auf unsere separate Stellungnahme (veröffentlicht in der Nr. 1 unserer Zeitschrift AVANTI, November 1999).
Seitdem geht es aber auf regionaler Ebene stetig voran: Durch die Gründung bzw. Aufnahme der Gruppen in Bad Oldesloe und Norderstedt sind wir jetzt an vier Orten in Schleswig-Holstein vertreten. Wir sind damit unserem Etappenziel, landesweit aktions- und interventionsfähig zu werden, ein gutes Stück näher gekommen.
Erfolgreich waren wir auch bei einer unauffälligeren, aber nicht minder wichtigen Aufgabe, nämlich der Integration neuer politischer „Generationen" in unseren Zusammenhang. Schon vor zehn Jahren war einer unserer wichtigsten Kritikpunkte an der autonomen Bewegung, dass immer wieder erfahrene GenossInnen nach Jahren des Kampfes aufgaben, während die „Jungen" neue Gruppen bildeten und die Fehler der „Alten" wiederholten, anstatt auf deren Erfahrungen aufzubauen bzw. aufbauen zu können.
Heute sind bei AVANTI sowohl politisch Unerfahrenere als auch solche Menschen aktiv, die seit mehreren Jahrzehnten politische Arbeit leisten. Das Spannungsfeld zwischen der Weitergabe von Erfahrungen und erarbeiteter Grundlagen einerseits und der Aufnahme von neuen Impulsen und den notwendigerweise anderen Sichtweisen unerfahrenerer GenossInnen andererseits wirft natürlich auch zahlreiche Probleme auf, jedoch überwiegen die positiven Effekte bei weitem. Letztlich handelt es sich bei der Fähigkeit zur Integration neuer bzw. junger MitstreiterInnen um eine Überlebensfrage für jede politische Organisation – wir geben ihr daher besonderes Gewicht.
Nach über zehn Jahren ist unser damaliges Grundsatzpapier („AVANTI-Buch") zwar in vielen Punkten noch gültig, insgesamt aber eindeutig veraltet. Die 1997 gemeinsam mit LEGO erstellte Broschüre („LEVANTI – ... denn allein machen sie dich ein!") ist schon deswegen von beschränktem Gebrauchswert, weil es sich um ein Kompromisspapier handelt, das von dem Bemühen um Einigung geprägt war und gerade dadurch an inhaltlicher Trennschärfe verlor. Höchste Zeit also, dass AVANTI seine Grundlagen erneut einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich macht und damit auch eine kritische Überprüfung und Diskussion ermöglicht.
Was bedeutet heute noch „revolutionäre Organisierung", was verstehen wir unter dem verstaubt erscheinenden Begriff „Sozialismus"? Und welche Schlussfolgerungen für unsere praktische Politik ziehen wir aus unseren theoretischen Positionen? Auf diese Fragen können alle, die mit uns im politischen Alltag in Berührung kommen, mit Recht eine Antwort erwarten.
Dabei müssen wir eingestehen, dass auch uns Begriffe wie „Revolution" oder „Sozialismus" oft viel zu groß und irgendwie pathetisch vorkommen – angesichts der Schwäche der radikalen Linken in der BRD und einer neoliberalen Ideologieoffensive, die jede Vorstellung von Gesellschaftsveränderung in Richtung auf mehr soziale Gerechtigkeit als „rückwärts gewandt" oder „nicht mehr zeitgemäß" denunziert und Sozialabbau und reaktionäre Entwicklungen als „Reformen" und als „modern" verkauft.
Dennoch dürfen wir uns nicht scheuen, unsere Utopien und Gegenentwürfe zu diskutieren, zu entwickeln und öffentlich zu vertreten. Denn die herrschende Gesellschaftsordnung erscheint vielen Menschen zur Zeit übermächtig und ohne Alternative – und hat trotzdem keine Zukunft. Sie hat keine Antworten auf die grundlegenden Fragen der menschlichen Gesellschaft im nächsten Jahrhundert anzubieten, stattdessen produziert sie immer weiter Hunger, Elend, Krieg, Umweltzerstörung, Sinnentleerung usw.
Fertige Antworten – sofern es sie denn überhaupt gibt –, wie eine neue Gesellschaft organisiert werden muss und wie der Weg dorthin aussieht, haben wir nicht. Als kleine Organisation sehen wir uns auch nicht in der Position, solche Antworten bereits zum jetzigen Zeitpunkt im Detail zu entwickeln. Doch dies macht die Diskussion über Gegenentwürfe nicht überflüssig – im Gegenteil.
Entsprechend unserem Anspruch, undogmatisch zu arbeiten (uns also die Fähigkeit zu erhalten, einmal gewonnene Einschätzungen und Grundlagen immer wieder an der Realität und der Kritik anderer zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern), wird das jetzt vorgelegte Papier mit Sicherheit nicht das letzte bleiben. Es entspricht jedoch dem augenblicklichen Stand unserer Diskussion und ist unsere Arbeitsgrundlage für die nächsten Jahre.