Gerechtigkeit global durchsetzen:
Kapitalismus abschaffen

Wenn die Leistungen für Arbeitslose gekürzt werden sollen, von den ArbeiterInnen "Lohnzurückhaltung" verlangt wird, wenn "wir uns unser Sozialsystem nicht mehr leisten können" oder wenn eine stärkere Besteuerung der großen Konzerne und VermögensbesitzerInnen angeblich unmöglich ist – immer wird zur Begründung auf die "Globalisierung" verwiesen. "Globalisierung", das klingt wie ein naturwüchsiger Prozess, der nicht von Menschen gemacht und schon gar nicht von Menschen aufgehalten werden könnte. Und genau das ist es, was den Begriff der "Globalisierung" für das Kapital und seine neoliberalen Ideologen so attraktiv macht:

Er rechtfertigt die Zunahme sozialer Ungleichheit und verschleiert gleichzeitig, dass die angeblichen Gesetzmäßigkeiten und Sachzwänge auf bewusste politische Entscheidungen zurückgehen.

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass der DGB den 1. Mai 2002 unter das Motto "Globalisierung gerecht gestalten" gestellt hat. Im Maiaufruf fordern die Gewerkschaften weltweite soziale Mindeststandards, ein Verbot der Kinderarbeit, die Achtung der Menschen- und Bürgerrechte einschließlich des Rechts auf ungehinderte gewerkschaftliche Organisierung.

Es ist gut, dass damit die internationale Solidarität in den Mittelpunkt der diesjährigen Aktivitäten zum 1. Mai gestellt wird. Schließlich ist der 1.Mai seit mehr als 100 Jahren ein internationaler Aktionstag der ArbeiterInnen und wird in fast allen Ländern dieser Erde begangen. Der – mit dem Begriff der "Globalisierung" verbundene – weltweite Angriff des Kapitals auf Lebensstandard, soziale Errungenschaften und Rechte der Lohnabhängigen verlangt nach einer umfassenden Gegenwehr, die gleichfalls auf internationaler und globaler Ebene organisiert werden muss.

Globalisierung - was ist das ?

Notwendig für diese Gegenwehr ist allerdings ein genaueres Verständnis dessen, was "Globalisierung" eigentlich bedeutet, worin das Neue der gegenwärtigen Situation besteht, gegen was und gegen wen sich unser Widerstand also richten muss. Im offiziellen Maiaufruf des DGB heißt es hierzu: "Globalisierung teilt unsere Welt in Gewinner und Verlierer. Die einen nehmen teil am weltweiten Austausch von Waren, Kapital, Geld und Dienstleistungen, mehren ihren Reichtum und profitieren vom technischen Fortschritt. Die anderen leiden unter Hunger und Armut, leben ohne ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit. Kapitalismus ohne Regeln und soziale Verantwortung vertieft diese ungerechte Teilung, verschärft die sozialen Gegensätze und erhöht die Arbeitslosigkeit."

So richtig der Hinweis auf das gewaltige Ausmaß sozialer Ungleichheit in der Welt ist, so ungenau ist leider die Analyse der Ursachen. Der Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Globalisierung stellt sich nämlich genau umgekehrt dar: Nicht der "Kapitalismus ohne Regeln" verschärft die Globalisierung. Die modernen Kommunikationstechniken und das Zusammenwachsen der Welt an sich sind nicht das Problem. Sie verschärfen lediglich die soziale Spaltung, die im Kapitalismus selbst bereits angelegt ist. Es ist nicht die Globalisierung, sondern der Kapitalismus, der die Welt in Gewinner und Verlierer, in arm und reich teilt, der obszönen Reichtum auf der einen Seite und Hunger und Elend auf der anderen Seite hervorbringt.

Warum ist es von solcher Bedeutung, ob die Globalisierung oder der Kapitalismus in den Mittelpunkt der Kritik gestellt wird? Es geht dabei um die Antworten und Alternativen, die wir der herrschenden Politik entgegenstellen. Leicht könnten wir dem Irrtum verfallen, dass die Rückbesinnung auf den Nationalstaat eine Antwort auf die Globalisierung sein könnte und dass im nationalstaatlichen Rahmen eine Wiederauflage des Wohlfahrtsstaates der Nachkriegszeit möglich wäre.

Diese Ansicht würde aber nicht nur nationalistische, reaktionäre und rassistische Tendenzen bestärken. Sie ist darüber hinaus auch schlicht illusionär, denn der Klassenkompromiss der 60er und 70er Jahre ist vom Kapital aufgekündigt worden. Seit mehr als 15 Jahren werden die sozialen Errungenschaften und Zugeständnisse schrittweise angegriffen, ausgehöhlt und abgeschafft. Die Lohnquote ist seitdem ständig gesunken, die Reallöhne stagnierten, während die Gewinne der Unternehmen und Konzerne schwindelerregende Höhen erreichten. Arbeitslosengeld und Renten wurden gesenkt, die Leistungen der Krankenversicherung verschlechtert, Zeitverträge und andere Formen prekärer Arbeit zum Massenphänomen usw.

Die neoliberale Offensive

Die ideologische Begleitmusik zu diesem Generalangriff auf Rechte und Geldbeutel der Lohnabhängigen war und ist der Neoliberalismus – und die "Globalisierung" wurde eines seiner beliebtesten Argumente. Obwohl die neoliberalen Wunderrezepte über mehr als 15 Jahre die Massenarbeitslosigkeit nicht verringern konnten und immer wieder wie jüngst in Argentinien zu ökonomischen Katastrophen geführt haben, hat sich der Neoliberalismus heute in Wirtschaftswissenschaft und Politik weitgehend durchgesetzt.

Auch die rot-grüne Bundesregierung folgt dieser Linie. Getreu dem neoliberalen Dogma werden die öffentlichen Kassen kaputt gespart. Da die Staatsschulden abgebaut werden sollen, gleichzeitig aber eine höhere Besteuerung der großen Konzerne und Vermögen nicht ernsthaft in Betracht gezogen wird, müssen die Sozialleistungen beschnitten und die öffentlichen Investitionen heruntergefahren werden. Dieser zusätzliche Nachfrageausfall verstärkt die Krise und erhöht die Arbeitslosigkeit weiter.

Sparwahn und Sozialabbau

Am Beispiel des öffentlichen Defizits lässt sich auch beobachten, wie sich die Politik über den Umweg europäischer Abkommen und internationaler Institutionen selbst die Sachzwänge schafft, denen sie dann angeblich gehorchen muss. Der „Stabilitätspakt" mit seiner willkürlichen Defizitbeschränkung auf 3% ist vor allem von Deutschland in der EU durchgesetzt worden. Als wegen der aktuellen Wirtschaftskrise nun das deutsche Haushaltsdefizit in die Nähe dieser Marke kam, sollte nach den vereinbarten Regeln eine „Frühwarnung" erfolgen, die in den Medien eingängig als "blauer Brief" präsentiert wurde. Um diese Frühwarnung zu umgehen, hat Finanzminister Eichel gegenüber der EU nun die wahnwitzige Zusage abgegeben, bereits ab 2004 den deutschen Gesamthaushalt nahezu ausgleichen zu wollen. Dies wird ohne weitere massive Einschnitte in die Sozialleistungen nicht zu realisieren sein. (In ihrem Frühjahrsgutachten forderten die etablierten Wirtschaftsforschungsinstitute ein neues Sparpaket im Umfang von 16 Milliarden Euro!) Die Verantwortung für den kommenden sozialen Kahlschlag kann die Bundesregierung dann aber der EU zuschieben. Für die Wirksamkeit dieses Mechanismus – und auch für das Ausmaß der künftigen Einschnitte ins soziale Netz – dürfte es übrigens nur eine sehr geringe Rolle spielen, ob der Bundeskanzler demnächst Schröder oder Stoiber heißt. Beide sind im gleichen Maße dem Neoliberalismus und damit dem politischen und ökonomischen Programm des Kapitals verpflichtet.

Klassenkampf von unten !

Für die Gewerkschaften ist es daher hohe Zeit, ihre Illusionen aufzugeben – sowohl was die Rückholbarkeit des klassischen Sozialstaates als auch was die Rolle der Sozialdemokratie als ehemaliger Arbeiterpartei angeht. Um Missverständnisse zu vermeiden: Das bedeutet ganz und gar nicht, dass die Verteidigung der übrig gebliebenen sozialen Errungenschaften aufgegeben werden sollte und die Anstrengungen zu ihrem Ausbau verringert werden sollten. Im Gegenteil: Der Kampf um Erhalt und Ausweitung der sozialen Rechte der Lohnabhängigen muss in der Zukunft härter und entschlossener geführt werden als bisher. Auf die Konzessionsbereitschaft von Regierungen und Kapitalverbänden kann schon lange nicht mehr gezählt werden. Sie führen den Klassenkampf längst wieder offensiv – es kommt nun darauf an, diesen Kampf auch von unserer Seite wieder aufzunehmen.

Hierfür müssen die Gewerkschaften ihren Mitgliedern reinen Wein einschenken. Deswegen ist es so unbefriedigend, dass im DGB-Maiaufruf nur schüchterne Kritik an einem "Kapitalismus ohne Regeln und soziale Verantwortung" geübt wird und die Globalisierungskritik in dem Aufruf an "die Politiker" gipfelt, die „Globalisierung gerecht zu gestalten". Der Kapitalismus, wie wir ihn heute erleben, folgt sehr wohl Regeln, nämlich den Regeln der Konkurrenz, des Rechts des Stärkeren und der Profitmaximierung. Andere Regeln und "soziale Verantwortung" müssen dem Kapitalismus von außen, durch soziale Gegenmacht aufgezwungen werden, was je nach dem gesellschaftlichen Kräfteverhältnis mehr oder minder erfolgreich sein kann.

Nicht rückwärts gewandte Träumereien und nicht zahnlose Appelle an PolitikerInnen sind deshalb das Gebot der Stunde, sondern der konsequente und zielstrebige Aufbau einer sozialen Gegenmacht, die der Offensive des Kapitals Paroli bieten kann. Eine solche Gegenmacht kann nicht ohne die Gewerkschaften aufgebaut werden, sie kann aber auch nicht von den Gewerkschaften allein gebildet werden. Eine gleichberechtigte, kritische und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und sozialen Bewegungen (also den GlobalisierungskritikerInnen, der Umweltbewegung, der Erwerbslosenbewegung usw.) ist notwendig, um gemeinsam Ideen, Aktionsformen, Utopien, Mut und Selbstvertrauen für die kommenden Auseinandersetzungen zu entwickeln.

Soziale Gegenmacht schaffen !

Diese neu zu schaffende soziale Bewegung muss lokal verankert werden, aber gleichzeitig europäisch und international organisiert sein. Gegenwärtig hängen wir mit unseren Organisationsformen dem Kapital um Jahre hinterher. Wenn immer mehr Entscheidungen nicht mehr auf nationaler Ebene fallen, müssen wir die Fähigkeit zum Widerstand auf internationaler Ebene entwickeln. Nicht nationale Borniertheit darf unsere Antwort auf die kapitalistische Globalisierung sein, sondern die Entwicklung eines neuen, praktischen Internationalismus.

Zu den wichtigsten Zielen, die – mindestens – europaweite politische Initiativen erfordern, gehören nach unserer Überzeugung:

• eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich! Nur so können alle arbeiten, die arbeiten wollen. Kürzere Arbeitszeiten fördern zudem eine gerechte Teilung der Familienarbeit und wirken so der Benachteiligung von Frauen im Arbeitsleben entgegen.

• die Abschaffung des Arbeitszwangs (durch Entzug von Sozialleistungen o.ä.) und die Durchsetzung des Rechtes, eine Arbeitsstelle frei auswählen und auch ablehnen zu dürfen.

• die Abwehr weiterer Privatisierungen öffentlicher Leistungen im Gesundheitswesen, bei Post- und Telekommunikationsdiensten, im Verkehrs- und Energiesektor. Privatisierungen bedeuten nicht nur niedrigere Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten, sondern auch einen massiven Demokratieabbau.

• die Abwehr weiterer Einschnitte in die Sozialleistungen, stattdessen eine höhere Besteuerung der großen Unternehmen und Vermögen sowie des Kapitalverkehrs. Denn Geld ist genug da - es ist nur falsch verteilt.

Für einen demokratischen Sozialismus !

Dies allein sind noch keine revolutionären Forderungen. Im Kampf für ihre Umsetzung wird sich aber zeigen, dass soziale Gerechtigkeit und Kapitalismus sich letztlich ausschließen. Kapitalismus bedeutet die Spaltung der Gesellschaft in eine besitzende Minderheit, die die Kontrolle über den Produktionsprozess, die Märkte und die wesentlichen gesellschaftlichen Entscheidungen ausübt, und eine Mehrheit, die froh sein darf, wenn sie ihre Arbeitskraft verkaufen darf und nicht auf das Abstellgleis der Arbeitslosigkeit geschoben wird.

Ein solches Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das auf Spaltung und Konkurrenz beruht, kann niemals wirklich demokratisch sein. Es produziert zwangsläufig Krisen, Konflikte und Kriege. Es vertieft und verfestigt andere gesellschaftliche Spaltungen - die Unterdrückung der Frauen ebenso wie den Rassismus. Der Kapitalismus darf deshalb nicht das letzte Wort der Geschichte sein.