Möllemann
in Kiel - Kein Landerecht für Antisemiten
In
der Halle 400 findet am Freitag, den 30. August 2002, 19 Uhr, eine
Wahlkampfveranstaltung der FDP mit Guido Westerwelle und Jürgen W. Möllemann
statt. Die Diskussion um die antisemitischen Äußerungen des umstrittenen
ehemaligen Mitglieds der nordrhein-westfälischen FDP-Fraktion Jamal Karsli und
des stellvertretenden Bundesvorsitzenden Möllemannn in den vergangenen Monaten
hat den Wandel der politischen Kultur in Deutschland und den politischen
Rechtsruck der Gesellschaft mehr als deutlich gemacht. Die FDP ist
mitverantwortlich dafür, dass Antisemitismus in Deutschland wieder "hoffähig"
ist.
Antisemitismus
pur: "Die Juden sind selbst schuld"
Als
FDP-Mitgliedsanwärter behauptete der Ex-Grüne Karsli im April diesen Jahres,
Israel arbeite mit "Nazimethoden". In der extrem rechten Wochenzeitung
"Junge Freiheit", sprach er anschließend in bester Nazi-Diktion von
einer "weltweiten zionistischen Lobby", die in Deutschland die Medien
kontrolliere. Trotzdem - oder gerade deshalb - wird Karsli, der zu diesem
Zeitpunkt bereits Mitglied der Landtagsfraktion in Nordrheinwestfalen war, mit
Unterstützung Möllemanns Mitglied des Kreisverbandes Recklinghausen. In ihren
Grundpositionen unterscheiden sich Karsli und der Möllemann offensichtlich
nicht wesentlich. Auf die Kritik an der Parteimitgliedschaft Karslis, die u.a.
vom Zentralrat der Juden geäußert wurde, reagierte der Ex-Fallschirmjäger Möllemann,
der schon zuvor mit Äußerungen, in denen er die Selbstmordattentate palästinensischer
Gruppen auf israelische Zivilisten Verständnis gerechtfertigt hatte, in Kritik
geraten war, mit scharfen Angriffen gegen das Präsidiumsmitglied des
Zentralrats der Juden, Michel Friedmann. "Ich glaube, dass kaum jemand den
Antisemiten, die es in Deutschland leider gibt (...) mehr Zulauf verschafft als
Herr Scharon und in Deutschland Herr Friedman mit seiner intoleranten, gehässigen
Art". In Reinkultur übernahm er damit eines der ältesten antisemitischen
Stereotypen überhaupt: Die Juden sind selbst schuld an ihrem Unglück. Zugleich
inszenierte Möllemann sich klassisch populistisch als Sprecher des
"Volkes", dem es aus historischen Gründen nicht möglich sei, seine
Meinung frei zu äußern. Seine Israel-Kritik stellte er unter das Motto
"Nieder mit dem Tabu, dass man in Deutschland Israel nicht kritisieren dürfe."
Diese Aussage ist schlichtweg falsch - ein Blick in die bundesdeutsche
Medienlandschaft genügt, um diese Behauptungen zu widerlegen - aber um eine
korrekte Darstellung ging es auch nicht. Vielmehr "brach" Möllemann
demagogisch ein Pseudotabu, um die vorhandenen antisemitischen Ressentiments in
der Bevölkerung in WählerInnenstimmen für die FDP umzumünzen. Indem er
Michel Friedman zur Quelle des Antisemitismus machte, beging Möllemann den
eigentlichen Tabubruch.
Mobilisierungspotentiale:
Möllemanns
Statements sind keine "Ausrutscher", sie sind Ausdruck einer
verachtenswerten, jedoch klar kalkulierten, Wahlkampfstrategie: der
populistischen Instrumentalisierung des Antisemitismus. Ganz offensiv vertreten
Westerwelle und Möllemann im Rahmen des Projektes 18 ihre Ausrichtung auch auf
die Mobilisierung einer rechten Zielgruppe. Beide haben wiederholt gegenüber
der Presse betont, dass sie auch "jene Protestwähler" gewinnen
wollen, die sonst die DVU und REP wählen. Für die antisemitischen Äußerungen
Möllemanns war der FDP der Beifall der extremen Rechten dann auch gewiss. Auf
einer FDP-Veranstaltung in Lübeck fiel dieser selbst die Abgrenzung gegenüber
der NPD schwer. Der schleswig-holsteinische Fraktionsvorsitzende und erklärte Möllemann-Freund
Wolfgang Kubicki, der dessen persönliche Angriffe auf Friedmann lapidar mit dem
Satz "auf einen groben Klotz gehört manchmal ein grober Keil"
kommentiert hatte, weigerte sich schlichtweg, zehn Lübecker Neonazis um den
NPD-Bundestagskandidaten Jürgen Gerg des Saales zu verweisen oder inhaltlich
dazu Stellung zu beziehen.
Antisemitismus
als Wahlkampfstrategie: von alten Traditionen
Entlarvend,
dass gerade auch der extrem rechte Demagoge, der Kärntner Landeshauptmann Jörg
Haider, Solidaritätsangebote an Möllemann richtete. Die Verbindungen zwischen
FDP und der österreichischen FP … sind nicht neu. In den vergangenen Jahren
referierten mehrfach FP…-Spitzenpolitiker und auch Haider selbst auf
FDP-Veranstaltungen. Pläne zur "Haiderisierung" der Partei habe, so
erinnert die bayrische Landesvorsitzende der FDP, Sabine
Leutheuser-Schnarrenberger in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung, Möllemanns
Berater Fritz Goergen schon vor 15 Jahren auf den Tisch gelegt. Nachdem die
Politiker Manfred Brunner in Bayern und Heiner Kappel in Hessen mit dieser
Konzeption gescheitert waren, wurde diese innerhalb der FDP allerdings vorläufig
auf Eis gelegt. Brunner und Kappel versuchten sich schließlich im extrem
rechten Bund Freier Bürger (BFB), der allerdings ebenfalls in der
Bedeutungslosigkeit blieb. Aktuell kommen aber auch andere FDP-Traditionen an
die Oberfläche. Die Äußerungen des Ulmer FDP-Kreisvorsitzenden Stefan Havlik
erinnern deutlich daran, dass die Partei in den Anfangsjahren der Bundesrepublik
als Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten fungierte: "Deutschlands
Politiker sollten mutig dafür eintreten, Israel zunächst (!) in die Grenzen
von 1947 zurückzuweisen". Ebenso wies er auf dem Jahreskongress des
Studienzentrums Weikersheim, einer wichtigen Schnittstelle zwischen bürgerlichen
Konservativen und der extremen Rechten und Zentrum für rechte Theoriebildung,
darauf hin "dass es auch ein Deutschland jenseits von Oder und Neiße
gebe".
Parteiübergreifende
"Enttabuisierungstendenzen"
Die
Kritik an zunehmenden antisemitischen Tendenzen darf natürlich nicht auf Möllemann,
Westerwelle und die FDP beschränkt bleiben. Sie steht aber in zugespitzter Art
und Weise exemplarisch für eine Verschiebung des gesellschaftlichen Klimas nach
rechts. Die Rede des Schriftstellers Martin Walsers anlässlich der Verleihung
des Friedenspreises des deutschen Buchhandels in der Paulskirche ist nur ein
besonders drastisches Beispiel der politischen Forderung nach einem
Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit: Man wolle an das Kapitel der
"Judenvernichtung" nicht mehr erinnert werden. Schon in der Debatte um
Walsers Paulskirchenrede wurde der damalige Vorsitzende des Zentralrats der
Juden, Ignatz Bubis, mit unverhohlen antisemitischen Untertönen aufgeladenen Äußerungen
massiv angegriffen, ohne dass sich irgendein verantwortlicher Politiker zu
seiner Verteidigung bereit fand. Gerade jenen Walser, der sich gerade mit seinem
umstrittenen Roman Tod eines Kritikers erneut den Vorwurf des Antisemitismus
zugezogen hat, lädt Kanzler Schröder am 8. Mai - dem Tag der Befreiung vom
Nazi-Regime - zum öffentlichen Gespräch über die Nation und Patriotismus.
Gezielte Wahlkampfstrategie?! Zeitgleich denkt Schröder laut über deutschen
Einsatz deutscher Soldaten in Israel nach. Hat ihn jemand darum gebeten? Schröders
Motiv liegt nach den Bundeswehreinätzen im Kosovo und Afghanistan wohl eher in
der endgültigen innen-, außenpolitischen und militärischen
"Normalisierung" Deutschlands.
Sicherlich
stießen die antisemitischen Äußerungen von Karsli und Möllemann in der Öffentlichkeit
auf zum Teil scharfe Kritik - auch von führenden PolitikerInnen der FDP. Wenn
diese Kritik jedoch vorwiegend vor dem Hintergrund des Ansehensverlusts
Deutschlands im Ausland und potentiellem wirtschaftlichem Schaden geschieht,
sind die Konsequenzen verheerend. Schon jetzt belegen Umfragen ein stetiges
Ansteigen antisemitischer Tendenzen und ein zunehmend offen formuliertes
Bekenntnis zu Antisemitismus. Waren es im Jahr 1999 "nur" 19 Prozent
der Deutschen, die es gut verstehen konnten, dass "manchen Leuten Juden
unangenehm sind", waren 2002 schon 33% der Befragten mit dieser Aussage
einverstanden. Parallel dazu nahm die Anzahl antisemitischer Straftaten
drastisch zu. Allein in Berlin hat sich deren Zahl im Jahr 2001 im Vergleich zum
Vorjahr verdoppelt. Bundesweit verzeichnete das Bundesministerium des Innern im
Jahr 2000 1085, im folgenden Jahr schon 1600 antisemitische Straftaten. In
diesem Jahr 2002 ist wiederum ein deutlicher Anstieg zu erwarten. So hat sich
die Anzahl antisemitisch motivierter Straftaten im 2. Quartal 2002 - also in
unmittelbarer Nähe zu den Entgleisungen der Möllemänner und Karslis - im
Vergleich zu den ersten drei Monaten des Jahres mehr als verdoppelt. Vor diesem
Hintergrund hatte Ignatz Bubis, der übrigens Mitglied der FDP war und die
Partei im Frankfurter Römer vertrat, in dem letzten Interview vor seinem Tod
ein pessimistisches Bild seines Wirkens gezeichnet. Resignierend erklärte er,
dass er seine letzte Ruhestätte nicht in Deutschland haben wolle, da er der
Gefahr einer Grabschändung entgehen wolle. Angesichts des bis heute nicht
aufgeklärten Sprengstoffanschlags auf das Grab seines Vorgängers, Heinz
Galinski, sind seine Befürchtungen nur all zu gut nachzuvollziehen. Eine ähnliche
bittere Bilanz zieht der Schriftsteller Ralph Giordano. Aus der persönlichen
Perspektive kam er angesichts der aktuellen Auseinandersetzungen und der daraus
resultierenden gesellschaftlichen Reaktionen zu der Erkenntnis: "In keiner
Epoche seit der Befreiung von vor siebenundfünfzig
Jahren ist heftiger an den mir von den Nazis injizierten Fluchtinstinkt
appelliert worden, als in unserer Gegenwart."
Widerstand
ist gefragt
Bei
den Protesten gegen die Wahlkampfveranstaltung der FDP mit Möllemann geht es
nicht um die Frage der Bewertung des sog. Nahostkonflikts. Es geht auch weniger
darum, ob Möllemann Antisemit oder Rechtspopulist ist, der versucht mit
aggressiven antisemitischen Untertönen die fehlenden 10% zu seinem Projekt 18
zu erhaschen. Es geht angesichts des Anwachsens antisemitischer Ressentiments
darum, gegen Politiker und Parteien, die Antisemitismus schüren zu protestieren
und Widerstand zu entwickeln. Antisemitischer Hetze als "normalem" und
tolerierten Bestandteil "demokratischer Diskurse" werden wir
entschieden widersprechen.
Protestieren
Sie mit uns am 30. August gegen den Auftritt Möllemanns und Westerwelles vor
und in der Halle 400.