gruppenname aktuelle auswahl slogan
/arachne /texte/göteborg... /die perspektiven des weltweiten sozialismus erneuern!
menü text      

/home

/ziele

/kontakt



















































>> anfang














































>> anfang

 

Kleines Frühstück Osteuropa?

Kleines Frühstück Osteuropa? Für oder gegen die EU Osterweiterung? ... Automatisch dagegen?! Oder birgt die Osterweiterung nicht auch Vorteile? Solche und weitere Fragen stellte Sebastian Schädler von der AG Osteuropa aus Berlin vor einem Publikum von circa 60 Leuten in der B5 in Hamburg. Am Beispiel Polen analysierte Schädler die aktuellen Punkte zu Osteuropa, welche in Göteborg bearbeitet werden sollten. Diese waren insbesondere die zukünftige Reorganisierung der EU nach der Osterweiterung als auch Fragen zur Arbeitspolitik.

Vogel friß oder krepier

Laut Schädler hat die EU ihre Verhandlungsstrategie mit den osteuropäischen Ländern geändert. Wo seit 1993 eine stufenweise Annäherung an die EU für alle Anwärterstaaten möglich war, gilt heute eine Art "Regattaverfahren" nach klassischer kapitalistischer Verfahrensweise: Wer die geforderten Bedingungen erfüllt, gewinnt und kriegt was vom Kuchen - wer nicht, verliert und wird abgeschrieben. Perspektivisch bedeutet dies für die "Verlierer" wahrscheinlich ein Absinken auf so genanntes "Dritte Welt"-Niveau. Zu den Anwärtern der Armut gehören momentan zum Beispiel Rumänien, Bulgarien und Albanien... Tschüs! Sieger werden zu Beispiel Polen, Ungarn und Tschechien sein... The winner takes it all! ... äheem... hier mal nicht: Denn vom Preisgeld wird leider einiges abgerechnet werden müssen, so dass sich die Frage stellt, ob überhaupt was davon übrig bleibt. IWF-Strukturanpassungsprogramme haben bei vielen der Länder die Schuldenberge steigen lassen und die "Programme" der EU kommen ja erst noch.

Strukturell betrachtet wird es eine EU nur als "Europa der zwei Geschwindigkeiten" geben. Somit werden die momentanen Sieger der Regatta zwar formale Mitglieder werden, aber mit einem beidseitigen Ausnahmenkatalog, der erst nach Jahren eine absolute Gleichstellung vorsieht. Aber auch diese ist schon in Frage gestellt. Denn wenn es nach Deutschland und Frankreich geht, wollen diese als "Kerneuropa" die EU strukturell zu ihren Gunsten hierarchisieren. Damit würde insbesondere Deutschland mit seiner wirtschaftlichen Führungsrolle seine Machtstellung auch administrativ festigen.


Um was geht’s in Göteborg?

Der Anpassungsprozess zwischen den alten EU-Ländern und den Anwärterstaaten ist sehr weitreichend und durchzieht alle gesellschaftlichen Bereiche. Doch hat schon allein Polen 500 Ausnahmegenehmigungen beantragt, welche teilweise noch 18 Jahre nach dem Beitritt gelten sollen.

Der problematischste Punkt ist hierbei das geforderte Landkaufverbot für die alten EU-Länder, da zum Beispiel im Vergleich zu Deutschland die Bodenpreise nur lächerliche ein Zehntel betragen.

Weiterhin soll alleine die Bundesregierung 44 Milliarden an Subventionen für die insgesamt in die Auswahl gekommenen zehn Anwärterkandidaten zahlen... was sich erst mal ganz uneigennützig anhört. Das Geld wird jedoch größtenteils auf dem Umweg über die deutsche Wirtschaft zurückfließen. Deutschland als ein Exportland profitiert davon also.

Und nicht nur hier. Schließlich verschiebt sich auch die Festung Europa mit Polens Außengrenze weiter nach Osten, die bereits heute schon stärker kontrolliert wird. Somit werden unsere Grenzer auch ein bißchen von dieser Aufgabe entlastet.

Weiterhin sollen die Menschen aus Polen für sieben Jahre nicht in Deutschland arbeiten... was deutsche Gewerkschaften mit ihrer Standortlogik ebenfalls begrüßen!

 

Perspektiven (... losigkeit) am Beispiel Polen

Die Zustimmung in der Bevölkerung zur EU hat im Gegensatz zum Anfang der neunziger Jahre abgenommen. Heute haben nur noch 50 Prozent Lust auf "Go west!" und wünschen einen Beitritt.

Bedroht ist vor allem der allseits marode Agrarsektor und der auf Grund sonst drohender Arbeitslosigkeit damit zusammen hängende PendlerInnenverkehr von Putzkräften und Hilfsbauarbeitern nach Deutschland. Aber auch das organisierte Zwangsgewerbe der Prostitution findet hier seine Kundschaft.

Letzteres soll, wie oben erwähnt, sieben Jahre eingefroren werden, so dass die PendlerInnen weiterhin dazu gezwungen werden schwarz zu arbeiten. Die Bedingungen und Anforderungen werden somit durch das deutsche Kapital formuliert. Was also in den alten EU-Ländern gilt, soll in Osteuropa anders werden: Die legale Möglichkeit sich seinen Arbeitsplatz innerhalb der EU-Grenzen frei wählen zu können.

Der deutsche Bausektor weiß um diese Situation und weiß deswegen auch gut sie zu seinen Gunsten zu nutzen. Illegalität ist fester Kalkulationsfaktor... weswegen die Bauunternehmen davon profitieren, wenn deutsche Bauarbeiter ihren eigentlich polnischen Standeskollegen die Fresse einschlagen, weil diese zu billig arbeiten - so passiert 1997 in Berlin. Doch nicht nur die deutsche Wirtschaft fördert diese Spaltung, sondern auch die IG Bau mit kongruenten Argumentationsmustern. Ein wohl klassisches Beispiel für Rassismus mit eigentlich sozio - ökonomischen Ursachen.

Das andere Problem ist der Agrarsektor an dem schon die "Realsozialisten" scheiterten. 52 Prozent der polnischen Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten.

Laut Schädler kann Polen in drei Bereiche eingeteilt werden: Die Familienbetriebe, die LohnarbeiterInnen und die Tourismusbranche. Die Familienbetriebe sind klein und leben hauptsächlich von Subsistenzwirtschaft, also produzieren für den Eigenbedarf. Allerhöchstens die Hälfte schafft es nach dem Beitritt diesen Status zu halten.

Die LohnarbeiterInnen wurden nach dem Zusammenbruch des "Realsozialismus" 1989 abgebaut und pendeln eben teilweise täglich bis zu drei Stunden nach Deutschland. Der Rest lebt von der Stütze oder der Caritas (!). Sie sind diejenigen, vor denen Europa am meisten Angst hat, da sie zu nichts weiter "taugen" als HilfsarbeiterIn zu sein.

Ein anderer Teil lebt von der Tourismusbranche, die der Rettungsanker sein soll, der er nicht sein kann. 40 Prozent der polnischen Bevölkerung sollen perspektivisch von TouristInnen leben, die nirgends in Sicht sind. Hier soll wie so oft im Kapitalismus das Versprechen auf ein besseres Leben schon die Erfüllung sein.

Die untereinander währende Konkurrenz der polnischen Gewerkschaften und Landwirtschaftsverbände tut ihr übriges. Sie bieten ein konfuses Potpourri an Erklärungsmustern für die desolate soziale Lage an und tragen diese Meinungsverschiedenheiten teilweise militant aus. Einmal sind es die Russen, die Schuld haben, dann wieder doch nur der polnische Staat allein und manchmal, wer hätte es gedacht, auch die amerikanischen Juden.

Linker Widerstand in Polen überhaupt ist noch eher müde. Trotzdem gibt es erste Organisierungsansätze. Zum Beispiel gab es in Bezug auf die Migrationsproblematik dieses Jahr erste Grenzcamps. Auch in Bezug auf die Geschlechterfrage hat sich in der Hauptstadt Warschau die erste Frauengruppe gegründet und es konnte eine Frauen-, Lesben- und Schwulendemonstration am ersten Mai stattfinden. Ansonsten jedoch beschränkt sich der Geschlechterdiskurs auf den akademischen Bereich, der gerade mal zwei feministische Zeitschriften zu verzeichnen hat.

Insgesamt betrachtet also: Kleines Frühstück Osteuropa?

 

Credit points für Polen

Laut Schädler ist aber im Agrarsektor vielleicht doch noch nicht alles verloren. Wenn die alten EU-Staaten nicht noch stärker subventioniert werden als bisher, könnte Polen eventuell mit konkurrieren. Auch könnten Teile der EU-Subventionen für infrastrukturelle Aufbaumaßnahmen wie Straßenbau verwendet werden. Doch nicht kleines Frühstück?

Auch juristisch betrachtet wird der Anpassungsprozess durchaus emanzipative Neuerungen bringen. Zum Beispiel ist zu erwarten, dass Polen von der geplanten Einführung der Todesstrafe absehen muss. Auch mit einer Verankerung von Minderheitenrechten kann gerechnet werden, wo bisher in vielen Ländern Osteuropas jegliche Organisierung verboten ist.

Ebenfalls könnten minimale Frauenrechte institutionell verankert werden und somit endlich grundsätzliche Standards, wie Frauenbeauftragte oder Klagerechte, bei bevorzugt männlicher Platzvergabe Beachtung finden.

 

Und jetzt?

Wie Schädler am Beispiel Polen zu zeigen versuchte, kann es eine eindeutige Positionierung gegen die EU-Osterweiterung so nicht geben. Auch stellt sich die Frage nicht primär, da eine Linke bei der Entscheidung momentan keine Handlungsmacht hat und die Osterweiterung somit beschlossene Sache ist. Und selbst wenn dem so wäre: Eine andere Alternative als die EU gibt es für Polen innerhalb der kapitalistischen Globalordnung nicht.

Laut Schädler sollte somit vielmehr fokussiert werden, dass eine gleichberechtigte Entwicklung zwischen allen Mitgliedsstaaten gefördert wird und sich in diesem Zusammenhang die Frage stellt, mit wem eine radikale Linke in Osteuropa bündnispolitisch zusammenarbeiten könnte.

Aktueller Stand November 2001: Polen ist zu Kompromissen beim Landerwerb bereit und versucht nun in den Verhandlungen, eine Frist von zwölf Jahren statt den ursprünglich achtzehn Jahren durchzusetzen. Investitionsprojekte werden jedoch sofort möglich sein. Weiterhin ist Polen bereit, eine Einschränkung der Freizügigkeit für ArbeitnehmerInnen für eine begrenzte Zeit hinzunehmen. Von dieser Einschränkung wollen aber nur Deutschland und Österreich Gebrauch machen (!). Allgemein ist Polen bei den Verhandlungen mit der EU gegenüber anderen Bewerbern leicht zurückgefallen, gehört aber nach den Worten des EU-Kommissars Günther Verheugen nach wie vor zu den ersten Kandidaten. Im jüngsten Brüsseler Bericht über die Vorbereitungen der Kandidaten war Polen besonders für Versäumnisse bei der Justiz und der Verwaltung "gerügt" worden. Noch weit von einer Einigung entfernt sind die Verhandlungen im wohl schwierigsten Bereich, der Landwirtschaft.


Zur Website der Osteuropa-AG