gruppenname aktuelle auswahl slogan
/arachne /texte/göteborg... /die perspektiven des weltweiten sozialismus erneuern!
menü text      

/home

/ziele

/kontakt



















































>> anfang














































>> anfang






























>> anfang








































>> anfang








































>> anfang





































>> anfang












































>> anfang






























>> anfang










































>> anfang

 

MODERNE PATRIOTEN

Vortragstext von Anton Landgraf zur Veranstaltung "Visionen - Wirklichkeiten - Widerstand" im Rahmen der Hamburger Aktionstage zum EU-Gipfel in Göteborg am 14. Juni.

I.Visionen: Germanischer Generalplan

Konservative Briten lieben das Pfund und ihre Insel, den Euro und die Deutschen mögen sie hingegen nicht. "Von Brüssel und Berlin geht für die heutige Generation von Briten eine Bedrohung aus. Die fremde Oberherrschaft bedroht unsere Lebensweise", zitierte die Tageszeitung The Times aus einer Rede, die der konservative Unterhausabgeordnete Sir Peter Tapsell im Frühjahr bei einem Wahlkampfauftritt hielt. Seine Partei, die Tories, hatten versucht, den Wahlkampf in ein Referendum über die Einführung des Euro umzufunktionieren. Und Tapsell brachte die Argumente gegen den Euro wohl am deutlichsten zum Ausdruck.

Er lehne den Euro entschieden ab, da bereits die Nazis eine gemeinsame Währung für Europa geplant hatten, sagte Tapsell. Seine Sorge vor einem deutschen Europa sah er durch die "Visionen" des deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder bestätigt.

Dieser hatte Anfang Mai in einem SPD-Programmentwurf vorgeschlagen, eine Art europäische Regierung zu etablieren und die EU nach deutschem Vorbild in eine Staaten-Föderation auszubauen. "Wir haben Hitlers 'Mein Kampf' vielleicht nicht rechtzeitig gelesen, aber jetzt haben wir um Himmels willen keine Ausrede, den Schröder-Plan nicht zu studieren", sagte Sir Peter bei seinem Auftritt. Schröders Vorschläge seien nichts anderes als ein "Germanischer Generalplan" zur Beherrschung Europas.

Nun sind die Tories sicherlich nicht die beste Referenz, wenn es um eine emanzipatorische Kritik an der EU geht. So profilierten sich die Konservativen während des Wahlkampfes mit der These, dass die britische Rasse wegen der vielen Einwanderern "bastardisiert" sei und verlangten eine Verschärfung des Asylrechts, die selbst den deutschen Innenminister Otto Schily neidisch machen würde. Dennoch stellen manchmal auch die falschen Leute aus den falschen Gründen die richtigen Fragen: Also, ist die EU ein deutsches Projekt? Stimmt die "Vision", dass sich die EU unter deutscher Führung zu einem neuen europäischen Superstaat entwickelt?

Kurz vor der Einführung des Euro sprachen wir schon einmal über diese Frage. Damals diskutierten einige Jungle World-Mitarbeiter bei einem Redaktionsbesuch in Kopenhagen mit dänischen EU-Gegnern. Die EU-Befürworter argumentierten, die gemeinsame Währung sei eine Möglichkeit, Deutschland an die kurze Leine zu nehmen. Die Alternative sei hingegen die Fortsetzung des deutsches Sonderwegs - ein deutscher Machtblock (inklusive Österreich und einige ehemalige Ostblockländer) - gegen die ehemaligen Alliierten Frankreich und Großbritannien. Das Gelingen einer europäischen Währung sei daher "eine Frage von Krieg oder Frieden", wie Helmut Kohl es damals formulierte und damit sogar Zustimmung bis in die radikale Linke erhielt.

Das Gegenargument der dänischen EU-Gegner lautete: Nicht Deutschland wird europäischer, sondern Europa deutscher. Die EU sei nicht ein Einbindungsinstrument, sondern ein Sprungbrett für Deutschland, um seine Interessen besser durchzusetzen. Die EU würde zwei schreckliche Entwicklungen verbinden: Eine deutsche Hegemonie über Europa und eine neoliberale Wirtschaftspolitik.

Vielleicht ist jetzt, während des EU-Gipfels in Göteborg, ist eine gute Gelegenheit, eine Art Zwischenbilanz zu ziehen. Und wenn man ein vorläufiges Urteil zu fällen hätte, dann würde ich sagen: Europa ist deutscher geworden.

Hat Tapsell also doch recht gehabt? Ist Deutschland auf dem besten Weg, zum dritten Mal in hundert Jahren den Kontinent zu dominieren? Zwar nimmt der deutsche Einfluss zu, doch ist es meiner Ansicht nach falsch, von einer einfachen Kontinuität der Nationalstaaten auszugehen. Diese neue Ordnung resultiert historisch nicht, wie eine weit verbreitete linke EU-Kritik behauptet, aus der Kontinuität, sondern aus der nach zwei Weltkriegen offensichtlich gescheiterten deutscher Hegemonialpolitik. Der "Germanische Generalplan" zur Unterwerfung Europas ist - im Gegensatz zu Tapsells Meinung - 1945 in Berlin vorerst gescheitert.

Erst diese Niederlage - und die damit verbundene "Aussöhnung mit dem französischen Erbfeind" - ermöglichte die Integration Deutschlands in die EU und den damit seit 1989 verbundenen Aufstieg zu einer neuen Weltmacht. Die deutsche Hegemonievorstellungen beruhen nicht mehr auf der Gegnerschaft zu den ehemaligen europäischen Alliierten, sondern auf der Kooperation mit ihnen.

Diese Kooperation - in erster Linie mit Frankreich - ist wiederum nur möglich, wenn es zumindest eine parzielle Übereinstimmung der Interessen zwischen den EU-Kernländern gibt. Zumindest müssen Frankreich und Großbritannien einige Vorteile darin sehen, sich in eine Kooperation mit Deutschland einzulassen. Nach welchem Muster funktioniert also diese neue Ordnung?

 

II. Wirklichkeit: Konzentrische Kreise

"Wenn wir für die Einigung Europas und die EU eintreten, praktizieren wir nicht idealistische Selbstlosigkeit, sondern verfolgen eigene praktische Interessen". Diese Aussage des ehemaligen deutschen Außenministers Klaus Kinkel von 1992 beschreibt nicht nur das deutsche Selbstverständnis gegenüber der EU, sondern würde von seinen europäischen Kollegen vermutlich ähnlich formuliert. Nicht die Betonung eines gesamteuropäischen Interesses oder das Streben nach einem "Superstaat", in dem die einzelnen Nationen aufgehen, steht im Mittelpunkt. Im Gegenteil: die EU wird als ein Instrument angesehen, mit der die jeweiligen nationalstaatlichen Interessen besser durchgesetzt werden können.

"Eine Isolation von Europa ist nicht patriotisch, sondern die Verleugnung unseres wahren nationales Interesses", erklärte New Labour-Chef Tony Blair während des Wahlkampfes in Großbritannien. Europa stelle "eine einmalige Gelegenheit für Einfluss und Führerschaft auf der Weltbühne in vitalen Fragen unseres nationalen Interesses dar. Wahrer Patriotismus heißt zuerst Aufstehen für das britische nationale Interesse", sagte er - und meinte damit die Integration in die EU.

Dieser "moderne Patriotismus", wie Blair es nannte und der damit den traditionellen "proud to be british"-Konservativen im Wahlkampf den Boden entzog, bringt das Verhältnis zwischen EU und Nationalstaat gut zum Ausdruck. Die europäische Integration bedeutet keinen Verzicht auf nationalstaatliche Macht, sondern die Ausweitung ihrer Spielräume. Dies erklärt auch, wieso der Nationalismus in der vergangenen Dekade zugenommen hat - obwohl doch ständig von dem Bedeutungsverlust des Nationalstaates die Rede war.

Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Fortsetzung nationaler Hegemonievorstellung, im europäischen Integrationsprozess bildet sich vielmehr allmählich eine neue Herrschaftsordnung heraus.

Von Beginn an war die EU vor allem ein Zusammenschluss ökonomischer Interessen. Die EU-Integration begann mit der Montan-Union, später folgte die Zoll- und die Währungsunion. Sie basiert auf der Einsicht, dass sich seit dem Ende des zweiten Weltkrieg wirtschaftliche Interesse in zunehmende Maße nur noch gemeinsam mit anderen Staaten realisieren lassen. Die EU wurde gegründet, um (a) einen eigenen homogenen Binnenmarkt einzurichten, (b) um eine Währung zu etablieren, die auf dem Weltmarkt mit dem US-Dollar konkurrieren kann. Hier liegen die gemeinsame Interessen der Euro-Staaten. Der wirtschaftliche Zusammenschluss kann aber nur funktionieren, wenn er von einer politischen Integration begleitet wird.

Diese Kooperation erfolgte nach einer klaren Hierarchie, die der ehemalige CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble und der außenpolitische Sprecher der CDU, Karl Lamers, bereits in den achtziger Jahren mit ihrer Kerneuropa-These formulierten. Außenminister Joseph Fischer hat sich in seiner Europarede, der er vergangenes Jahr in der Berliner Humboldt-Universität hielt, explizit darauf bezogen und auch Schröders "Vision" von Europa basieren auf dieser Konzeption.

Demzufolge bildet Deutschland und Frankreich (sowie die Benelux-Staaten) den Kern des EU-Projekts. Der viel zitierte "deutsch-französische Motor" bildet, in Abstimmung mit Großbritannien, den Antrieb des EU-Projekts und legt auch fest, wohin die Reise geht. Dann folgt lange nichts. Erst mit großem Abstand läuft die zweite Garnitur der EU dem Führungsgespann hinter — die restlichen Mitgliedsstaaten, angeführt von Italien und Spanien. Der dritte Kreis bilden die potenziellen Neuzugänge aus dem Osten. Der vierte Kreis sind die neuen Einflusszonen: Der Mittelmeerraum (inklusive Algerien), Süd- und Osteuropa, der Nahe Osten und Lateinamerika.

Die jeweiligen nationalen Interessen lösen sich nicht auf, sondern werden von innen nach außen durchgesetzt. In den diversen zwischenstaatlichen Gremien werden die Konzepte entwickelt und abgestimmt. Während in der Nachkriegszeit die Union vor allem auf den Ausgleich zwischen Deutschland und Frankreich basierte, hat sich seit 1989 das Gewicht eindeutig nach Berlin verlagert.

Spätestens mit dem Gipfel in Nizza im vergangenen Dezember hat sich Deutschland seinen maßgeblichen Einfluss auf politischer Ebene gesichert. Dort erreichte die deutsche Delegation weit größere Zugeständnisse, als sie selbst erwartet hatte. Entscheidungen im Ministerrat müssen künftig (neben 74 Prozent der Ratsstimmen und 50 Prozent der Staaten) auch mindestens 62 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Deutschland kann auf dieser Grundlage nun als einziges Land gemeinsam mit nur zwei weiteren EU-Staaten (eines jede Entscheidung blockieren. Zusätzlich wird die deutsche Vertretung im Europäischen Parlament ausgeweitet. Nach dem Vertrag von Nizza ist Deutschland der mit Abstand mächtigste Staat in der Union. "Die Zeiten, da Deutschland ein wirtschaftlicher Riese und ein politischer Zwerg war, sind längst vorbei", kommentierte Le Monde damals den Sieg von Gerhard Schröder.

Um bei dem Bild der konzentrischen Kreise zu bleiben, so bildet sich Deutschland als der eigentliche Kern der EU heraus, der seine Entscheidungen mehr und mehr im Alleingang trifft und sie erst anschließend mit Frankreich abstimmt. In diesem Sinne stimmt die Aussage, dass die EU deutscher wird.

Diese Entwicklung lässt sich an den wichtigen Entscheidungen der letzten zehn Jahren verdeutlichen.

1. In der Wirtschaftspolitik. Hier ist die EU weitgehend der Stabilitätspolitik der Deutschen Bundesbank gefolgt und auch die Europäische Zentralbank unter Wim Duisenberg folgt eindeutig dieser deutschen Position. Damit hat sich Deutschland gegen die keynesianische Inflationspolitik der südlichen EU-Länder und Frankreich durchgesetzt. Deren Wirtschaftspolitik verfolgte - kurz gesagt - die Strategie, durch erhöhten Staatsausgaben und "Defizit-Spending" den Konsum in Schwung und die Arbeitslosenzahlen niedrig zu halten. "Ein wenig Inflation kann nicht schaden", lautete das Motto von Griechenland bis nach Portugal. Das gilt nicht mehr. Für Deutschland hatte die harte Mark bzw. ein stabiler Euro höchste Priorität.

2. In der Sozialpolitik. In der Konsequenz wurden die so genannten Maastrichter Kriterien verabschiedet. Seitdem gilt die soziale Deregulierung europaweit als Masterplan. Schröders Aussage, es gebe "kein Recht auf Faulheit", ist nur das (späte) Motto für die europäische Sozialpolitik.

3. In der Außenpolitik. Zweifellos hat sich die deutsche Interventionspolitik auf dem Balkan als "erfolgreich" erwiesen: Von der Anerkennung Kroatiens und Sloweniens bis zum Nato-Krieg im Kosovo. Und vermutlich war der Kosovo-Krieg erst der Anfang. Nicht erst seit dem Besuch von Außenminister Fischer in Israel lassen sich die europäischen Bemühungen im Nahen Osten deutlich verfolgen. Seit geraumer Zeit versucht die EU dort, die USA zu verdrängen. Wie es scheint, ist sie auf dem besten Weg dazu. Im Juni gelang es ihr zum ersten Mal, eigene Beobachter zu plazieren. Ein Prozess, der sich ähnlich wie in Jugoslawien entwickeln könnte - von der Vermittlung zu Beobachtern zur "Friedenstruppe". Gut möglich, dass in nicht allzu ferner Zukunft die Debatte hier beginnt, ob nicht deutsche Soldaten, gerade wegen der Vergangenheit, in Israel Frieden schaffen sollen.

Zu dem neuen außenpolitischen Einfluss gehört auch die Militärpolitik: Deutschland ist maßgeblich beim Ausbau der WEU in eine Euro-Armee und der Schaffung einer 60.000 Mann starken Task Force beteiligt; sie ist wichtiger Bestandteil bei der Sicherung der europäischen Einflusssphäre und ermöglicht Deutschland - siehe Kosovo - künftig seine "Interesse" bis weit außerhalb Europas militärisch abzusichern. Deutsche Soldaten auf dem Balkan, vielleicht bald im auf dem Golan, wären ohne EU-Beteiligung sicherlich undenkbar.

Eine ähnliche Entwicklung gilt auch für Südamerika. In Kolumbien empfiehlt sich die EU als Vermittler im Bürgerkrieg, Kuba begrüßt euphorisch den Euro als Alternative zum Dollar, Argentinien erwägt seine Einführung als Leitwährung.

In Südosteuropa ist dies schon gelungen. Fast der gesamte ehemalige Ostblock und der Balkan gehört mittlerweile zur Euro (bzw. D-Mark)-Zone. In Montenegro ist die D-Mark offizielles Zahlungsmittel, in Südosteuropa ist sie zur Leitwährung avanciert. Diese Entwicklung wird sich mit der EU-Ost-Erweiterung noch verstärken.

4. Im "Europa der Regionen". Gleichzeitig mit der neuen Expansion nach außen gewinnt der Regionalismus an Einfluss. In Spanien wollen die Basken einen eigenen Staat errichten, in Serbien die Kosovo-Albaner, in der Türkei die Kurden. Korsika soll einen Autonomie-Status erhalten, ähnliches fordern jetzt auch die Bretonen. In Belgien wollen sich die Flamen von den Wallonen separieren, in Italien will die Lega Nord sich von Rom abspalten usw.

Nur scheinbar besteht in dem Verhältnis zwischen Nationalstaat und Regionalismus ein Widerspruch. Denn der kleinräumige und der großräumige Chauvinismus können sich sehr wohl ergänzen. Beispielhaft formulierte es Deutschlands prominentester Heimatschützer, der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber: "Die Regionen seien der Trumpf Europas im Wettbewerb der Kulturen. Wirtschaftlich starke Regionen seien das Rückgrat für den Wirtschaftstandort Europa. Europa brauche die Regionen außerdem zur Bewahrung von Identität und Geborgenheit in der zunehmend globalisierten Welt, für bürgernahen Verwaltungsvollzug und nicht zuletzt für die innere Stabilität der Gesellschaft", zitierte ihn seine Staatskanzlei nach einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing im Januar vergangenen Jahres.

Keine Grenze gilt für immer - es ist kein Zufall, dass gerade die Bundesrepublik das Konzept eines "Europa der Regionen" so offensiv propagiert. An der Grenze zu Tschechien, zu Polen und zu den Niederlanden sind bereits zahlreiche so genannte "Euro-Regionen" entstanden. Die Macht des wirtschaftlich stärkeren Partners - was nach Lage der Dinge heißt: Deutschlands - führt dazu, dass dieser auch in Fragen von politischer Bedeutung den Ton angibt.

Das "Europa der Regionen" geht immer einher mit Begriffe wie "Identität", "regionale Traditionen" und "kulturelles Erbe". Dieser "ahistorische Bezug auf eine als homogen wahrgenommene regionale Identität", schreibt Andreas Dietl in Jungle World (Nr. 37/00), "zählt zu den Hauptursachen des Rassismus in Europa".

5. In der Flüchtlingspolitik und der Innere Sicherheit. Eine weiteres Modell der länderübergreifenden Zusammenarbeit findet sich bei Abwehr von Flüchtlingen. An der deutsch-polnischen und der deutsch-tschechischen Grenze entstehen so genannte Polizeizentren, in denen sich die Beamten beider Länder gemeinsam auf die Jagd nach illegale Migranten machen. Vor allem aber verlagert Deutschland die Schengen-Grenzen bis auf den Balkan aus. BGS-Polizisten befinden sich seit dem Zusammenbruch des Staates in Albanien, seit dem Abkommen von Dayton in Bosnien-Herzegowina und in Kroatien und schließlich seit dem Ende des Nato-Kriegs gegen Jugoslawien im Kosovo.

Gleichzeitig strebt das deutsche Innenministerium seit längerem eine einheitliche europäische Polizei und Sicherheitsbehörden vor. In Schröders Programmentwurf sieht explizit die Vergemeinschaftung der Exekutiv-Behörden vor.

6. In der Gen- und Biotechnologie. Auch in der Gen- und Biotechnologie will Deutschland den Anschluss nicht verpassen. "Erst kommt das Wissen", dann der "Führungsplatz in der Bio- und Medizintechnik", erklärt Bundeskanzler Gerhard Schröder im Februar diesen Jahres. Für den Ausbau der Biotechnik will die Bundesregierung in den nächsten fünf Jahren 1,5 Milliarden Mark bereitstellen. Hinzu kommen weitere 350 Millionen Mark für das nationale Genomforschungsprojekt.

Die Bundesregierung hat viel aufzuholen, denn in der Gentechnologie liegen die USA in Führung, Europa hinkt etwa um zehn Jahre hinterher. Die rund 1 300 europäischen Unternehmen der Branche haben derzeit insgesamt einen Börsenwert von 35 Milliarden Dollar, gerade ein Zehntel des Werts der US-amerikanischen Firmen.

Die US-Biotechbranche konnte schon früh vom Telekom-Boom an den Börsen und vom engen Kontakt zwischen Universitäten und Industrie profitieren. Die schnelle Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse und ihre prompte Finanzierung durch Risikokapital verschaffte den USA Vorteile im Wettbewerb. In Europa folgte zuerst Großbritannien in den achtziger Jahren dem US-Modell. Dort wurden die ersten biotechnischen Startups gegründet, viele von ihnen in der Nähe der Forschungsinstitute von Cambridge und Oxford. Später folgten Frankreich und kleinere Länder wie Island und die Schweiz.

In Deutschland kam die Technologiebörse am Neuen Markt hingegen erst Mitte der neunziger Jahre in Schwung, ebenso die staatliche Förderung. Durchaus mit Erfolg. Im vergangenen Jahr gab es zwischen Flensburg und Konstanz zum ersten Mal mehr Biotechunternehmen als in Großbritannien. Doch um den Vorsprung der USA aufzuholen, sind in den nächsten Jahren viel größere Investitionen nötig als bisher.

Um dieses Kapital aufzutreiben, werden die phantastischen Zukunftsaussichten der Biotechbranche angepriesen: Je höher der Einsatz, desto gewaltiger die Versprechen. Mit Hilfe des Genomprojekts soll beispielsweise der Krebs besiegt werden. Seine Regierung werde den Kampf gegen die "Volkskrankheit" aufnehmen und sie "ausrotten", tönte Tony Blair, nachdem britische Gerichte das therapeutische Klonen von Embryonen erlaubt hatten. Bundeskanzler Schröder übernimmt diese Werbestrategie für die Bioindustrie. So befürwortet die neue Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt Gentests an künstlich befruchteten Eizellen, damit schwere Erbkrankheiten besser bekämpft werden können.

Die Verbindung von medizinischen Heilsversprechen und Standortwettbewerb ist in mehrfacher Hinsicht lukrativ. Denn wer will der Biotechnologie noch die Legitimation absprechen, wenn mit ihrer Hilfe schwere Leiden gelindert oder gar verhindert werden? Und was könnte profitabler sein, als das Leben und den Körper selbst zu vermarkten?

 

III. Widerstand: Im Herzen der Bestie

Um noch einmal zusammenzufassen: Die EU ist als Wirtschaftsgemeinschaft gegründet worden, um die gemeinsamen Interessen der einzelnen Nationalstaaten besser durchzusetzen. Von der Integration hat bisher Deutschland am stärksten profitiert - vom Binnenmarkt und durch seine neue außenpolitische Rolle. Dennoch konnte der deutsche Aufstieg nur erfolgen, weil es (ökonomisch und politisch) zumindest parziell gemeinsame Interessen mit den anderen EU-Staaten gibt. Ohne gemeinsamen Binnenmarkt und Währung wäre kein Staat auf Dauer zu den USA konkurrenzfähig, und hätte entsprechend auch außenpolitisch nichts zu melden.

Wenn Deutschland an der Spitze dieses neuen supranationalen Zusammenschluss steht, wieso regt sich dann ausgerechnet in Deutschland so wenig Widerstand dagegen?

Um darauf eine Antwort zu geben, möchte ich zuvor einige kurze Anmerkungen über das Verhältnis zwischen Nationalstaat und transnationalen Zusammenschlüsse formulieren. Für viele Gruppen und Aktivisten, die nach Göteborg gefahren sind, bilden die Anti-EU-Aktionen nur den Auftakt für den "summer of resistance", der von Göteborg, über den WEF-Gipfel in Salzburg zum G8-Treffen in Genua führt. Interessant ist dabei, dass das Event-Hopping in einem direkten politischen Zusammenhang gesehen wird. In Göteborg wird angeblich nur für den regionalen (europäischen) Rahmen vorbereitet, was in Salzburg und Genua gleich für die gesamte Welt diskutiert wird. Die politischen Eliten treffen sich - so die These der Aktivisten - um die Welt den neoliberalen Spielregeln anzupassen. Und die EU bildet dabei quasi nur die Unterabteilung für die weltweite Kapitalismus-GmbH, die zur Auflösung der Nationalstaaten und der weltweiten Durchsetzung einer Herrschaft der Konzerne angetreten ist.

Es gibt meiner Ansicht nach mehrere Gründe, dieser Sicht zu widersprechen. Weder wird die nationalstaatliche Politik überflüssig, noch handelt es sich um ein weltweites ideologisches und ökonomisches System, das sich einfach unter den Begriff "Neoliberalismus" subsumieren lässt.

Dem Irrtum, dass sich die jeweiligen Staaten in subnationale System transformieren, dass nationale Regierungen nichts mehr zu sagen haben, der Kapitalismus sozusagen keine Heimat mehr hat, erliegen nicht nur linke Globalisierungsgegner. Die schärfste Kritik an der EU kommt daher auch von rechts. Die Parole "Zerschlagt die EU" gehört mittlerweile zum Standard-Reportoire der NPD. Ebenso wird in Frankreich von Le Pen bis Pasqua gegen die EU mobil gemacht - mit dem "Argument", die EU entmachte die "Grand nation". Und in Italien hat die rassistische Lega Nord allen Ernstes bis vor kurzem behauptet, die EU sei die letzte Bastion des Kommunismus.

Aber auch bei der staatstragenden Linken, bei den sozialdemokratischen und trotzkistischen Organisationen hält sich die Legende vom Tod des Nationalstaates. Ein Beispiel ist dafür die aus Frankreich stammende Gruppe Attac, die mittlerweile in mehr als 20 Ländern aktiv ist und sich auch bei nahezu jeder Anti-EU- und Anti-Globalisierungs-Aktion beteiligt.

Attac ist eine Abkürzung für "Aktionen für eine Steuer auf finanzielle Transaktionen zugunsten der Bürger". Die Organisation, die 1998 als Reaktion auf die so genannte Asienkrise gegründet wurde, will eine "Tobin-Steuer" von 0,5 Prozent auf alle Transaktionen der internationalen Geldmärkte einführen, um "den Fluss von spekulativen Kapital zu verhindern". Nach Ansicht von Attac liegen die Gründe für die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen, für Flexibilisierung, Massenentlassungen und der Deregulierung der sozialen Sicherungssysteme am freien Fluss des Kapitals.

Die meisten Aktivisten von Attac kommen aus trozkistischen Gruppen und viele von ihnen sind der französischen Monatszeitschrift Le monde diplomatique verbunden. Ihre Pläne zur Besteuerung von Finanzspekulationen werden selbst von Teilen der politischen und wirtschaftlichen Elite unterstützt - so etwa von Jacques Delores (Ex-Präsident der EU-Kommission) und George Soros.

Eine solche Tobin-Steuer würde von Staaten oder Staatengruppen, die mit der UN oder dem IWF kooperieren, eingetrieben. Attac bevorzugt daher die "Verstärkung der nationalen oder regionalen Staaten, damit diese ihre Finanz- und Wirtschaftspolitik besser gestalten können".

Doch diese Trennung von Staat und Kapital, von Produktionsprozess und Zirklation, hat einige fatale Konsequenzen. Durch diese Fixierung auf das "spekulative Kapital" stehen "nicht länger die Produktionsprozesse und die Akkumulation von Kapital im Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern Clubs einflussreicher Männer (und weniger Frauen), die hinter verschlossenen Türen die Zukunft der Welt aushandeln", schrieb Alain Kessi in Jungle World - damals anläßlich der WEF-Treffens in Davos. Die Kritik ist aber problemlos auf die Aktivitäten vieler Anti-EU-oder Anti-Gloablisierungsgruppen zu übertragen.

Die niederländische Gruppe de Fabel van de illegaal hat völlig zurecht kritisiert, dass die Gesetze des Marktes nichts zu tun haben mit den Handlungen einiger weniger Kapitalisten oder multinationaler Konzerne. "Der Kampf um die Welt, die wir uns wünschen, bedeutet nicht, dass wir uns auf dickbäuchige Zigarrenraucher stürzen, die beim Pferderennen Melonen auf dem Kopf tragen", schreiben sie.

"Worauf es ankommt, sind nicht die individuellen Profite, sondern eine Orientierung auf die Produktion und die sozialen Verhältnisse dieses Systems, das uns diktiert, wie wir zu arbeiten und zu leben haben. Die Abschaffung des Kapitalismus bedeutet nicht, den Reichen ihr Geld wegzunehmen, ebensowenig, es revolutionär an die Armen umzuverteilen, sondern die Abschaffungen der Gesamtheit von Geldbeziehungen, die letztlich nur durch eine Abschaffung der Warenproduktion zu haben ist", heißt es in dem Papier von de Fabel weiter.

Die Kritik am Spekulationskapital lädt geradezu ein, antisemitische Ressentiments hervorzurufen. So kursieren einige linke Aufrufe gegen die EU, in denen aufgefordert wird, die Auslieferung der Euro-Scheine und Münzen zu verhindern. Die NPD würde diesen Aufruf sicherlich ebenfalls unterstützen.

Gleichzeitig zieht die These, dass der (National-) Staat gegen das Zirkulationskapital zu stärken sein, unangenehme Freunde an. Als im Januar 2000 der Vorschlag gemacht wurde, die "Tobin-Steuer" im EU-Parlament zu verhandeln, wurde dieser Antrag nicht nur von Sozialisten, Kommunisten und den grünen Parteien unterstützt, sondern auch von der rechtskonservativen Fraktion um Pasqua und De Villiers.

In diesem Punkt scheint künftig ein zumindest parzielle Zusammenarbeit zwischen Linken und Rechten - gegen das Finanzkapital, für den sozialen Staat - nicht mehr ausgeschlossen. Susan Georg, eine US-amerikanische Politikwissenschaftlerin, Vizepräsidentin von attac-international und regelmäßige Le Monde Diplomatique-Autorin, ist sich zwar bewusst, dass eine Zusammenarbeit mit der extremen Rechten gefährlich ist. Dennoch sei diese notwendig. "In den USA waren die vereinten Kräften der Linken und der Rechten notwendig, um die Fast-Track-Bestimmung des US-Präsidenten zu Fall zu bringen (Das Recht, Freihandelsbestimmungen ohne Zustimmung des Kongresses gesetzeswirksam zu machen).

Die Kritik an den Finanzmärkten wird besonders fatal, wenn sie sich noch um eine geographische Zuschreibung bemüht. "Europa oder die USA" heißt die manifestartige Überschrift eines Artikels in dem Ostberlin Blatt "Der Gegner". Die Autoren plädieren dafür, das soziale Erbe Europas gegen die Hegemonie des US-Neoliberalismus zu verteidigen. In einer solchen dichotomischen Sicht werden die Tradition des (westeuropäischen) sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaates sowie des (osteuropäischen) Realsozialismus plakativ gegen den US-Neoliberalismus gestellt, der die weltweiten Finanzmärkte dominiert und die Sozialssystem vernichtet.

Bei seinem Aufruf zum großen Kulturkampf kann sich das Berliner Underground-Blättchen durchaus prominenter Unterstützung sicher sein. So hielt der französische Premierminister Lionel Jospin Anfang Juni eine Europa-Rede, die z.T. auch den Anti-Globalisierungsaufrufen entnommen sein könnte.

"Diese wirtschaftliche Kohärenz muss in den Dienst der sozialen Solidarität gestellt werden. Dies fordern unsere Bürger. Europa kann und darf keine bloße Freihandelszone sein", heißt es da Das "Gesetz des Marktes" bewirke eine Vereinheitlichung der Konsumverhalten und eine Konzentration der Kulturindustrien. Gemeinsam müssen wir uns aber gegen die drohende Uniformierung und die Überflutung durch Kulturprodukte aus ein und derselben Quelle wehren. Dies ist eine grundlegende Frage der Zivilisation. Selbstverständlich ist dies ein Kampf für die europäischen Kulturen, aber auch für alle anderen Kulturen."

Wer mit dieser "Quelle" gemeint ist, braucht wohl nicht mehr weiter ausgeführt zu werden. Die EU ist mehr als ein Wirtschaftsraum, sie ist in diesem Sinne eine Wertegemeinschaft, die ihre Kultur gegen Hollywood und ihre soziale Erungenschaften gegen die Wall-Street verteidigen muss. Es wäre fatal, wenn sich eine linke EU-Kritik diesem europäischen Patriotismus anschließen würde.

 

IV. Schluss

Thesen für eine linke Kritik der EU.

1. Nicht Kampf gegen das Spekulationskapital, sondern gegen die Arbeit muss im Mittelpunkt stehen. Nicht die Zirkulationsspähre ist der Ansatzpunkt, sondern die Warenproduktion und die Arbeitsverhältnisse.

2. Die Formierung einer neuen europäischen "Identität" funktioniert nur über die Ausgrenzung des "Nicht-Identischen", d.h. über die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik. Im Mittelpunkt steht dabei die Kritik des Schengener Systems und seine Ausdehnung bis an die Grenzen der neuen Ost-Beitrittskandidaten und den südosteuropäischen Einflusszonen.

3. Der Ausbau der EU zur Militärmacht und "Friedensstifter". Nach dem Balkan ist der Nahe Osten das nächste Ziel der europäischen Friedensstifter. EU-Truppen im Nahen Osten unter deutscher Beteiligung - dieses Szenario könnte in absehbarer Zeit durchaus denkbar sein.

4. Die Frage, welche Rolle die EU künftig im Nahen Osten spielen wird, ist umso wichtiger, da Deutschland heute das mächtigste Land in der Union ist. Das Herz der Bestie schlägt in Berlin. Wer die EU kritisiert, muss den Bezug zu den deutschen Interessen herstellen.