~~==++ Antirassistische Gruppe Leipzig ++==~~
Referat gehalten auf der Veranstaltung von LSG, ALOA u. FAU: Eine Bilanz der rot-grünen Jahre

Ist Rot/grün im Bereich Einwanderungspolitik das kleinere Übel gegenüber Schwarz/Gelb?

"Wenigstens nicht ganz so rassistisch, wie der Stoiber!" höre ich einige sagen. Dass dem nicht so ist, soll im Folgenden aufgezeigt werden. Und zwar nicht anhand rassistischer Äußerungen der beiden Kanzlerkandidaten - die gibt es zuhauf - sondern einer Betrachtung der drei großen Projekte Rot/Grüns in der Einwanderungspolitik: der Reform des Staatsbürgerschaftsrecht, der Greencardverordnung und des kürzlich verabschiedeten Zuwanderungsgesetzes.

1. Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts

Die großangekündigten Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, wurde nach der rassistischen Unterschriftenkampagne der CDU ganz schnell zum halbherzigen Reförmchen, ohne dass sich endgültig vom Abstammungsprinzip verabschieden wurde. Gesetzliche Verbesserungen für die erste "Gastarbeitergeneration", den zum Teil über 30 Jahren hier Lebenden, sucht man vergebens. Einbürgerungserleichterungen für sie brachte das neue Gesetz nicht, außer einer in diesen Fällen gar nicht relevanten Reduzierung der notwendigen Aufenthaltsdauer für die Anspruchseinbürgerung von 15 auf 8 Jahre. Wichtig für diese Menschen wäre dagegen die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft gewesen, da sonst der Verlust von Erbschaftsansprüchen bzw. Sorgerechtsansprüchen droht. Dafür sorgen die nun zwingend vorgeschriebenen Sprachtests und die Einbürgerungsvoraussetzungen der Straffreiheit, der Verfassungstreue und des Nichtbezugs von Arbeitslosen- und Sozialhilfe für Verschärfungen. Die EinbürgerungsbewerberInnen müssen den eigenen sowie den Lebensunterhalt ihrer Familie auf Dauer aus eigenen Einkünften bestreiten können, ohne auf öffentliche Mittel angewiesen zu sein. Ist schon für den Erwerb einer unbefristeten Aufenthaltsberechtigung eine dreijährige Beitragszahlung zur Rentenversicherung notwendig, wird die sozialstaatliche Diskriminierung nun nochmals gesteigert: bei Bezug staatlicher Leistungen wie Krankengeld oder Erziehungsgeld oder Ausbildungsförderung, ist eine Prognoseentscheidung erforderlich, ob der Einbürgerungsbewerber künftig in der Lage sein wird, seinen Unterhalt künftig allein aus eigenen Kräften zu bestreiten. Im Klartext: der Einbürgerung würdig ist nur, wer jahraus, jahrein in die Sozialkassen einzahlt ohne jemals auf deren Unterstützung angewiesen zu sein. Um so auch als "Neudeutsche" die alte Funktion der Gastarbeiter zu erfüllen, weitaus mehr zur sozialen Sicherung beizutragen, als man selbst in Anspruch zu nehmen berechtigt ist.

2. Die Greencarddebatte

Das beste Beispiel für den Verkauf von Rück- als Fortschritten ist jedoch die Green Card Offensive Schröders vom Sommer 2000. Diese Verordnung über die Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis für IT-Fachkräfte hat mit der Green Card im US-amerikanischen Sinne, die zur Einbürgerung führt, herzlich wenig zu tun: Lediglich einen befristeten Aufenthalt von maximal 5 Jahren für erst mal 20.000 Ausländer mit Hochschul- oder Fachhochschulausbildung im IT-Bereichdenen sieht die Verordnung vor. Und neu ist an der sogenannten Green Card Verordnung rein gar nichts: schon die seit 1991 bestehenden Verordnungen über Arbeitsaufenthalt und Arbeitsgenehmigung enthalten Ausnahmeregeln die im Fall von Fachkräftemangel auf dem deutschen Arbeitsmarkt den Zugang ausländischer Fachkräfte vorsehen. Allein 1999 kamen über diese Vorschriften 37.700 ausländische Fachkräfte in die BRD. Warum also diese medienwirksame Zusatzverordnung namens "Green Card? Erhellend wirkt da zum Einen der Blick auf die rot-grüne Koalitionsvereinbarung, zum Anderen auf die unterschiedliche Ausgestaltung der bereits bestehenden arbeits- und aufenthaltrechtlichen Verordnungen hinsichtlich Möglichkeiten einer Aufenthaltsverfestigung in der BRD. Gegenüber diesen verleiht die Green Card Regelung nämlich deutlich weniger Rechte. Für Fachkräfte die nach den bereits bestehenden Verordnungen in die BRD kommen, wäre die Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und nach weiteren 3 Jahren einer uneingeschränkten Aufenthaltsberechtigung, sowie der uneingeschränkte Familiennachzug möglich. Darüber hinaus bestünde keine Bindung an einen bestimmten Arbeitgeber. Einer Aufenthaltsverstetigung und Integration stünde rechtlich also nichts im Wege. Wer nach der IT-Verordnung zuwandert, erhält lediglich eine auf 5 Jahre befristete Aufenthaltserlaubnis und eine an einen bestimmten Arbeitgeber gebundene Arbeitserlaubnis. Eine Aufenthaltsverstetigung wird so ausgeschlossen, die Arbeitserlaubnis ist auf eine bestimmte Branche beschränkt und familiäre Strukturen werden nicht berücksichtigt.
Die GreencardVerordng war nicht weniger als der geschickte Anstoß einer öffentlichen Debatte über ein Zuwanderungsgesetz. So sollte auch der rassistisch eingestellten Wählerschaft die Notwendigkeit von (Arbeits)immigration behutsam verklickert werden und ihnen gleichzeitig die Angst genommen werden, die MigrantInnen könnten Ansprüche auf Partizipation an deutschen Wohlfahrtssystemen anmelden und womöglich ganz hier bleiben, statt - wie früher die Gastarbeiter - nur vorübergehend zu kommen, über einen Engpass hinwegzuhelfen und dann wieder zurückzukehren. Einwanderung wurde vorübergehend wieder als win-win-Situation dargestellt: alle gewinnen, MigrantInnen, UnternehmerInnen - dem unternehmerischen Migrant/in werde gewissermaßen die Grenze geöffnet. Als klassisches Verkaufsargument für legale Arbeitsmigration wird bezeichnenderweise die demographische Entwicklung angeführt: Denn die Sorge um die deutsche Rentensicherheit, erhöht die Akzeptanz im Volke gegenüber Einwanderung dann doch beträchtlich.
Dabei waren die parlamentarischen Weichen für ein Einwanderungsgesetz längst gestellt, nicht nur weil der ausländerrechtliche Dschungel eine an ökonomischen und an Kriterien der effektiven Zugangskontrolle orientierte flexible Ausländerpolitik verhinderte. Bereits beim Asylkompromiss 1993 erkaufte sich die CDU die Zustimmung der SPD mit der Bereitschaft, über ein Einwanderungsgesetz zu reden. Und in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung vom Oktober 1998 steht zu lesen: "Wir erkennen an, dass ein unumkehrbarer Zuwanderungsprozeß in der Vergangenheit stattgefunden hat und setzen auf die Integration der auf Dauer bei uns lebenden Zuwanderer". Dem rot-grünen Anspruch, Vertreter einer neuen liberalen Politik zu sein, sollte der öffentlichkeitswirksame Vorstoß den nötigen glaubhaften Anstrich geben.

3. Das Zuwanderungsgesetz

Schon der Name des Gesetzes macht stutzig: "Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern". Richtig Tacheles wird aber in der Informationsbroschüre der rot/grünen Bundesregierung geredet, die in ungewohnter Offenheit darlegt, was hier eigentlich bewiesen werden soll: beim Thema Ausländerpolitik setzt die Regierung nicht auf Humanität und Integration, sondern Ausgrenzung und wirtschaftliche Ausbeutung. Einige Auszüge:

"Das Gesetz wird die Zuwanderung deutlich senken: Die Abschiebeverfahren werden beschleunigt. Durch die Absenkung des Nachzugsalters von 16 auf zwölf Jahre ist mit einer geringeren Zuwanderung nach Deutschland zu rechnen". heißt es da. Und es ist jetzt möglich, "...im Bedarfsfall eine begrenzte Zahl besonders geeigneter Zuwanderer über ein Auswahlverfahren aufzunehmen. Es handelt sich dabei um ein zusätzliches optionales Steuerungsinstrument, das voraussichtlich zunächst nur einer sehr begrenzten Anzahl von Zuwanderern offen stehen wird".

Eine Anmerkung zum Nachzugsalter: der EU-Standart liegt bei 18 Jahren, eine entsprechende, für alle Mitgliedstaaten verbindliche! Richtlinie wird wahrscheinlich Ende des Jahres in Kraft treten. Der Kampf um 12 oder 16 Jahre bei dem die Bundesregierung gegenüber der Opposition eingeknickt ist, hatte also nur einen Sinn: die "Überfremdungsängste" des deutschen Wahlvolkes zu befriedigen. Kurz vor der Wahl scheint die Regierung, die Union beim Thema Zuwanderung überholen zu wollen. Dem kleinen Kontingent von Hochqualifizierten wird übrigens als einzigen ein relativ sicheres Niederlassungsrecht eingeräumt, ihre Kinder dürfen auch bis zum 18. Lebensjahr nachziehen, so wird ein Zweiklassenrecht bei der Einwanderung und Integration eingeführt.

"Des Weiteren können die Länder zentrale Ausreiseeinrichtungen schaffen, um die Rückführung ausländischer Personen ohne Aufenthaltsrecht zu beschleunigen."

Dafür, dass diese Ausreisezentren nicht leer stehen, wurde auch gesorgt: Die bisherige ausländerrechtliche Duldung wurde gestrichen, für einen Großteil der bisher geduldeten Ausländer gibt es keinen Ersatz, eine Minderheit soll eine "Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung" erhalten, der Rest fällt ins rechtliche Nichts und reiht sich bei den Hunderttausenden von Menschen ohne Papiere ein.

"Asylberechtigte erhalten kein unbefristetes Aufenthaltsrecht mehr. (...) Selbst ein unbefristetes Aufenthaltsrecht kann widerrufen werden, wenn keine Verfolgungsgefahr mehr besteht."

Treffen kann das in nächster Zeit z.B. kurdische Flüchtlinge, die Bundesregierung erwägt derzeit die Auslieferung des Kalif von Köln in die Türkei, mit der Begründung, dass dort die Todesstrafe nicht mehr ausgeführt werde.

Besonders stolz ist Rot/Grün offensichtlich darauf, dass man die alte Parole der NPD, "Arbeit zuerst für Deutsche", in konkrete Politik umwandelt: "Vorrang für deutsche Arbeitnehmer: Zuwanderer kommen nur dort zum Einsatz, wo es wirklichen Bedarf gibt." wirbt die Bundesregierung.

Das ist jedoch keineswegs neu. Den sogenannten "Inländervorrang", also Arbeitsplatzvermittlung an einen Ausländer erst, wenn kein Deutscher für die Stelle zur Verfügung steht, gab es schon im alten Ausländergesetz. Dass diese rassistische Einteilung von der Bundesregierung als Qualitätsmerkmal des neuen Gesetzes hervorgehoben wird, sollte auch die letzten Hoffnungen auf eine antirassistische Politik unter Rot/Grün zerstören.

4. Kontinuitäten deutscher Ausländerpolitik

Solche Konzepte der Arbeitsmigration gibt es in Deutschland schon seit Jahrhunderten. Als Beispiele seien nur die Ausbeutung der Kolonialisierten, die GastarbeiterInnen in den sechziger Jahren oder die SaisonarbeiterInnen genannt. Arbeitskräfte werden je nach Marktlage zur Stärkung des nationalen Wirtschaftsstandorts ins Land geholt, dies möglichst zeitlich befristet und ohne ihnen vergleichbare soziale und politische Rechte wie den eigenen StaatsbürgerInnen einzuräumen. Es handelt sich also nicht um ein völlig neues Phänomen. Dem kapitalistischen Verwertungsprinzip entsprechend werden alle Menschen, die sich nicht verwerten können oder wollen, ausgegrenzt. Dies gilt potentiell sowohl für nicht mehr "brauchbare" Menschen innerhalb eines Nationalstaates aber gerade auch für Außenstehende. Denn EinwanderInnen müssen sich erst durch Leistung Rechte erwerben, die "Deutschen" schon qua Geburt zustehen. Rassistisch ist dabei nicht, daß sie sich Rechte durch Leistung erwerben können, sondern, daß ihnen diese nicht schon von vornherein zugestanden werden. Es handelt sich dabei um ein Grundprinzip des Kapitalismus, an dem auch eine rot-grüne Regierung natürlich nichts ändern wird.

5. Diskurswandel

Was sich geändert hat, ist der politische Hintergrund: die Politik der Rot-Grünen Bundesregierung ist bestimmt vom Modell der westlichen Demokratie und der Zivilgesellschaft, die der völkischen, spezifischen Form des deutschen Nationalismus und Rassismus entgegensteht. Allzu plumper, unflexibler Rassismus, der sich wirtschaftlichen Überlegungen und Forderungen entzieht, soll als muffiges deutsches Wahngebilde zugunsten einer demokratisch, kapitalistisch-rationalen Form weichen. In diesem Diskurs sind völkischer Rassismus und eine undifferenzierte Abschottung nicht mehr primäres Prinzip der Politik, sondern Kontrolle und Steuerung von Migration. Insbesondere Industrie und Handel drängen schon länger auf eine Öffnung Europas für den globalen Arbeitsmarkt und die Lockerung der Zuwanderungsbeschränkungen für ArbeitnehmerInnen. Insofern basiert das neue Einwanderungsgesetz tatsächlich zuerst auf wirtschaftlichen Forderungen und Überlegungen, jedoch nicht ohne den Verweis auf nationale Interessen. Ziel ist es, den Standort Deutschland im internationalen Vergleich zu stärken. Dazu musste auch der Bevölkerung die Notwendigkeit und die Einsicht, daß sich aus den Fähigkeiten von bestimmten EinwanderInnen Kapital für Staat und Volk schlagen läßt, vermittelt werden. Der Staat hat insofern ein durchaus ernstgemeintes Interesse an der Abschwächung des völkischen Rassismus.

6. Fazit

Die tatsächliche Gesetzesänderung die dieser Diskursverschiebung folgte, war wie oben dargestellt minimal. Und auch das völkische Prinzip dominiert weiterhin, siehe Staatsbürgerschaftsrecht. Mit dem geplanten Zuwanderungsgesetz wird sich die Lage einiger weniger konkret verbessern, für die Mehrzahl jedoch ist eine eindeutige Verschlechterung ihrer Situation zu erwarten. Und Rassismus wird nicht in Frage gestellt. Das kapitalistische System braucht vielmehr Differenzierungen wie z.B. Geschlecht und Nation, um das Konkurrenzprinzip aufrechtzuerhalten. Nicht zuletzt deshalb gibt es auch weiterhin rassistische Einteilungen und die damit verbundene Abwertung.
Selbst MigrantInnen die es schaffen, ihre ökonomische Nützlichkeit unter Beweis stellen, müssen sie sich integrieren und kritiklos an die Normen des "Hausherrn Deutschland" anpassen. Die Multi-Kulti-Fraktion fordert eine kulturelle Bereicherung der deutschen Monokultur, während die konservativen Kräfte die Untergrabung der "deutschen Leitkultur" verhindern wollen. Wer diesen Vorgaben nicht entspricht, gilt als finanziell belastend oder gefährlich. Gegen solche unerwünschten MigrantInnen schottet sich Deutschland desto stärker ab. In Folge der durch die Einwanderungsdebatte und den zivilgesellschaftlichen Antifaschismus veränderten gesellschaftlichen Situation wird also weder "der alte völkische Nationalismus" vollständig abgelöst, noch wird die Sortierung der Menschheit nach Nationen durch die Öffnung der Arbeits- und Absatzmärkte in Frage gestellt. Die Nationalstaaten sind auch weiterhin Grundlage für die kapitalistische Ordnung. Dagegen gilt es sich zu engagieren!

Ein Beitrag der AG Elecciones der Antirassistischen Gruppe Leipzig

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09.11.2003
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