~~==++ Antirassistische Gruppe Leipzig ++==~~
veröffentlicht in: Klarofix 3/02

Zelten am flughafen:

die inneren grenzen im visier

Vom 27. Juli bis 5. August 2001 wird zum vierten Mal ein Grenzcamp unter dem Label "Kein Mensch ist illegal" stattfinden. Nach den drei vergangenen Camps an der ostdeutschen zur tschechischen bzw. polnischen Grenze wurde für diesen Sommer das Rhein-Main-Gebiet mit dem Schwerpunkt Frankfurter Flughafen gewählt.

warum eigentlich ein "grenz"camp im landesinneren?

In Deutschland 2001 verlaufen Grenzen nicht nur als Mauern um das nationale Territorium, sondern durchziehen als Kontrollinien das gesamte Land. Obwohl ein "Grenz"camp nahe der Metropole Frankfurt am Main erstmal widersinnig klingen mag, bieten sich gerade dort Ansatzpunkte, den Rassismus in Staat und Gesellschaft zum Thema zu machen. Dies scheint nicht zuletzt angesichts dessen angebracht, daß im Zuge des staatlichen Antifasommers 2000 von Teilen der bürgerlichen Öffentlichkeit versucht wurde das letztjährige Grenzcamp in Forst als Speerspitze der Zivilgesellschaft einzugemeinden.
Den Focus politischer Debatte und Aktionen auf die "inneren Grenzen" zu richten, bietet die Möglichkeit, die Mythen aufzubrechen, die notwendiger Bestandteil sowohl der Vereinnahmungsversuche des Camps als auch der herrschenden Einigkeit darüber war, das Deutschland zuallererst ein Glatzenproblem hat. So konnte sich über den "unkontrollierten Rassismus" auf der Straße, genannt Fremdenfeindlichkeit, empört und gleichzeitig über den sich stumm und leise vollziehenden institutionellen Rassismus deutscher Behörden und rassistischer Denkmuster der deutschen Bevölkerung geschwiegen werden. Mit einem Camp am "kosmopolitanten" Rhein-Main-Flughafen der Multi-Kulti-Metropole Frankfurt am Main soll der staatliche, institutionelle und gesellschaftliche Rassismus wieder dort hingerückt werden, wo er hingehört: ins Blickfeld antirassistischen Widerstands.

schwerpunkt flughafen

Der Rhein-Main-Airport ist der deutsche Abschiebeflughafen Nr.1. Über 10.000 Menschen werden von hier aus jedes Jahr abgeschoben, die Hälfte davon in Lufthansamaschinen, das sind im Tagesdurchschnitt 30 bis 40 Menschen! Immer wieder werden die Abschiebungen mittels Gewalt durchgesetzt. Es ist insofern kein Zufall, daß Kola Bankole 1994 und Aamir Ageeb 1999 beim Abflug in Lufthansaflugzeugen von BGS-Beamten zu Tode gebracht wurden. Im Flughafengelände ist seit 1993 quasi als Grenzknast ein Internierungslager eingerichtet, in dem neu ankommende Flüchtlinge festgehalten werden. Seit Oktober 1999 werden dort auch unbegleitete Kinder arrestiert. Nach einer Schnellprüfung wird ein Teil der Asylsuchenden sofort vom Flughafen aus wieder abgeschoben, ohne jemals offiziell bundesdeutsches Staatsgebiet betreten zu haben. Asylsuchende die ärztliche bzw. psychologische Hilfe benötigen, werden mittels BGS-Bewachung in Psychatrien oder Krankenhäuser gebracht und gelten auch dann als "nichteingereist". Flüchtlinge die einreisen dürfen, werden schließlich an die zuständige hessische Erstaufnahmeeinrichtung in Schwalbach weitergeleitet.
Roter Faden des Grenzcamps 2001 wird daher der Flughafen und die Forderungen nach sofortiger Auflösung des Internierungslagers und Stop aller Abschiebungen sein. Unter dieser Prämisse kämpfen Flüchtlinge, MigrantInnen und Unterstützungsgruppen im Rhein-Maingebiet seit Jahren in vielfältigen Formen - Ansätze die das Grenzcamp 2001 aufgreifen und unterstützen will. Die Ausrichtung des Camps wird jedoch weder inhaltlich noch praktisch auf Flughafen und Abschiebepraxis begrenzt bleiben. Auch die weiteren Ebenen rassistischer Sondierung, Kontrolle und Ausgrenzung wie Ausländerbehörden, Arbeitsämter und städtische Ordnungsfanatiker sollen dazu in Zusammenhang und Verhältnis gesetzt werden.

das grenzregime im hinterland

Der Flughafen bildet den zentralen Teil einer umfassenden Infrastruktur des regionalen Grenzregimes, zu dem das Aufnahmelager Schwalbach ebenso gehört wie der Abschiebeknast Offenbach. Diejenigen, die durch die Maschen deutscher "Außengrenzen" geschlüpft sind, sehen sich mit einem ganzen Arsenal weiterer Grenzen konfrontiert. Ihnen ist, je nach Art der Einreise und Gutdünken deutscher Verwaltungsbehörden und Richter ein diskriminierender rechtlicher Status zugewiesen. Illegalität, Duldung, Befristung, Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis heißt der Status, nach dem sich die begrenzten Möglichkeiten für Bewegungsfreiheit, Aufenthalt, Arbeit, Wohnung und der Teilhabe an sozialen und politischen Rechten richten. Auch inmitten des Landes bleiben die Bewegungsmöglichkeiten für Illegalisierte und Asylbewerber durch rechtliche Schikanen wie die Residenzpflicht, Personenkontrollen im städtischen Raum, Schleierfahndungen auf Bundesstraßen und Razzien an Arbeitsorten eingeschränkt und bedroht.

rassismus und stadt

Der Innere-Sicherheitsdiskurs ist durchzogen von rassistischen Bildern und Stereotypen. Stadt=Kriminalität=Ausländer lautet das etablierte Einmaleins. So fällt dem deutschen Bürger beim Thema Drogen der nordafrikanische Dealer und beim Thema Diebstahl der polnische Autoschieber ein. Ob tschechischer Menschenhändler, chinesische Zigarettenmafia oder islamischer Fundamentalist - "Täter" und Bedrohungsszenarien werden meist über rassistische Zuschreibungen definiert und diese dann als Rechtfertigung für die weitere Aufrüstung in Sachen Sicherheit und Überwachung, sei es durch Kameras oder durch wachsame Nachbarn, herangezogen werden.
An die bundesweiten Innenstadtaktionen 1997/1998 und die aktuelle Bezugnahme linker Diskussionen auf Sicherheitswahn und Überwachungsgesellschaft, kann das Camp seinen Aktions- und Diskussionsradius auf rassistische Ausgrenzungen in und aus städtischen Räumen erweitern. Razzien am Bahnhofsviertel, bei denen in den letzten Monaten mehrere hundert Prostituierte abgeschoben wurden, die Videokameraüberwachung an der Konstablerwache, die die sich dort aufhaltenden Jugendlichen vertreiben soll oder der sicherheitstechnisch aufgerüstete Hauptbahnhof - ein weiteres Operationsfeld des BGS - sind mögliche Aktionsfelder.

die neue einwanderungsdebatte

Ein Camp an diesem Ort fordert auch auf, die Ambivalenzen wahrzunehmen, die das gegenwärtige Migrationsregime produziert. Banken, Messe und Flughafen stehen für eine Internationalität der sich als liberal und weltoffen inszenierenden Wirtschaftszone Rhein-Main, die entsprechendes Weltflair für sich beansprucht und auf multikulturelle Dienstleistungen aller Art angewiesen ist.. In Hotels oder der Gastronomie, in der Prostitution oder als Dienstmädchen, im Baugewerbe, als Gebäudereiniger oder als Ladearbeiter - im und um den Flughafen - vor allem die Fülle schlecht bezahlter Jobs läßt sich allein mit MigrantInnen in abgestuften Ausbeutungsverhältnissen "rentabel" bewältigen. Illegalisierte sind hier begehrte Arbeitskräfte, ihre Rechtlosigkeit macht sie zu modernen Sklaven dieser Gesellschaft.
Die Staatsantifadebatte und die aktuellen Diskussionen um Einwanderung, in die Unternehmer und Politiker aller Coleur vor allem arbeitsmarktorientierte Regulierungsmodelle einbringen, haben jedoch auch gezeigt, daß alte antifaschistische und antirassistische Erklärungsmodelle angesichts des gegenwärtigen Migrationsregimes oft nicht mehr weiterhelfen. Die antirassistische Arbeitsteilung zwischen Antifa, Antira und Flüchtlingspolitik erweist sich in den Zeiten der Staatsantifa als unzulänglich. Das Camp soll daher auch als Diskussions- und Experimentierrahmen zur Vernetzung der verschiedenen Politikspektren dienen, mit dem Ziel einer klaren und offensiven Positionierung in Abgrenzung zur neuen "einwanderungsfreundlichen" und "toleranten Zivilgesellschaft". Die staatlich gewollte und koordinierte neue Einwanderung setzt auf qualifikationsbetonte Selektivität anhand ethnischer Kriterien und ist somit per Definition rassistisch. Die zentrale Forderung, die der staatlichen Regulation von Migration entgegengesetzt werden muß, ist die Verteidigung des Rechtes auf Bewegungsfreiheit, einhergehend mit der Selbstermächtigung, über ökonomische, soziale und politische Rechte und Möglichkeiten zu verfügen, ohne die das Recht auf Freizügigkeit faktisch ins Leere läuft. Daß in der Konsequenz dessen, Privilegien geteilt werden müssen, von denen auch AntirassistInnen und AntifaschistInnen mit deutschem Paß profitieren, gilt es dabei klarzustellen.
Das diesjährige Grenzcamp Rhein-Main kann Anlaß sein, die Widersprüche der gegenwärtigen Konstellation zwischen Abschottung und regulierter Zuwanderung, Leitkultur und Multikulti, Abhängigkeiten und migrantischer Selbstermächtigung neu oder weiter zu diskutieren und entsprechende Ansatzpunkte praktischer Gegenwehr auszuloten.

Mehr Informationen und Kontakte bekommt ihr über den Infoladen im Conne Island.

Eure grenzcampvorbereitungsgruppe leipzig


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09.11.2003
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