Antinationale Gruppe Bremen [ANG]
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Februar 2009   






ERKLÄRUNG DER ANTINATIONALEN GRUPPE BREMEN
Anlässlich der Veranstaltung mit Les Madeleines am 17.02.09 in Bremen


Nach wie vor ist die Position der ANG: Die Kritik der Gruppe les madeleines an der Definitionsmacht kann und soll diskutiert werden.
Bei der Planung der VA-Reihe „Take a Ticket – Zur Kritik linksradikalen Alltagsbewusstseins“ war uns klar, dass eine madeleines-VA zum Thema Definitionsmacht auch in der linksradikalen Szene in Bremen auf Ablehnung stoßen würde. Und diese Erwartung war u.a. gerade unsere Motivation, die madeleines-VA mit in unsere Reihe aufzunehmen. Denn wir gehen davon aus – und die Reaktionen in Bremen verstärkten unseren Eindruck –, dass es sich offensichtlich bei der Definitionsmacht um ein Tabu, um ein unhintergehbares Dogma Vieler in der linksradikalen Szene handelt. Als ein solches gesetzt, entzieht es sich einer vernünftigen Begründung und fällt damit unseres Erachtens hinter den eigenen kritischen, emanzipatorischen Anspruch linksradikaler Kritik zurück. Drei Veranstaltungen finden in unserer Reihe statt: am 30. und 31.01. referierte Magnus Klaue zur Politischen Kritik der Mode, am 11.02. Kerstin und Mika zum politischen Veganismus und am 17.02. folgt nun die Veranstaltung mit den les madeleines zur Kritik der Definitionsmacht.
Wie kamen wir auf diese Zusammenstellung?
Wir gehen davon aus, dass es zwischen den genannten Debatten eine Gemeinsamkeit gibt: es werden hier bestimmte Setzungen vorgenommen, die unreflektiert zum „Alltagsbewusstsein“, zum alltäglichen Denken in linksradikalen Zusammenhängen dazugehören.[1]
Stellt die Mode u.a. in queeren Zusammenhängen ein „politisches Instrumentarium“ der linken Praxis dar, wurde dies laut unserer Ankündigung von Magnus Klaue unter folgendem Gesichtspunkt in die Kritik genommen: „Postmoderne Rollenspielstrategien der Travestie und performative Identitätssubversion fungieren als freiwillige Einübung einer gesellschaftlich ohnehin notwendigen Flexibilisierung und Individualisierung, die auf nichts anderes zielt als auf die totale Identifikation der Subjekte und ihrer Körper mit dem universalen Wertgesetz.“
Die VA zum politischen Veganismus stellte unter anderem zur Debatte, dass „die antispeziesistische Vorstellung vom Tier als Individuum mit eigenen Interessen (‚Subjekt eines Lebens’) die bürgerliche Vorstellung des autonomen Subjekts – das in der kapitalistischen Gesellschaft jeder einzelne Mensch erst qua Disziplinierung aus sich zu machen stets aufs neue genötigt ist – projektiv auch im Reich der Tiere entdeckt.“
Ebenso wird ideologiekritisch auf der madeleines-VA die These diskutiert werden, ob „in diesem linksradikalem Umgang mit Sexualität und sexueller Gewalt nicht allein die Unschuldsvermutung gegenüber Beschuldigten aufgehoben, sondern der Opferstatus von Frauen im Modus des wortlosen Treu und Glaubens nur noch einmal affirmiert“ wird.Der Zusammenhang, der zwischen Mode, Veganismus und Definitionsmacht von uns mit dieser Reihung hergestellt wird, bezieht sich auf die Ticketförmigkeit der Argumente in den jeweiligen Debatten: es geht also darum, wie werden bestimmte Gegenstände in der Linken verhandelt, nicht um die Behauptung, die Gegenstände selbst wären gleich. Es geht um die Kritik der Argumente in szeneinternen Auseinandersetzungen, des hier zum Ausdruck kommenden Bewusstseins – daher heißt es im Untertitel auch Alltagsbewusstsein und nicht -praxis.[2]
Um es noch einmal ganz deutlich zu machen: Der Titel unserer Reihe „Take a Ticket – Zur Kritik linksradikalen Alltagsbewusstseins“ macht deutlich, dass es sich hier um eine Gemeinsamkeit in der Argumentationsstruktur handelt, nicht um die Behauptung einer Identität der Gegenstände – es geht in der VA-Reihe nicht um eine Gleichsetzung von Milch, einem T-Shirt und einer Vergewaltigung, sondern um eine unterstellte Gemeinsamkeit in der szeneinternen Auseinandersetzung um die politische Bedeutung der Mode, um theoretische Begründungen innerhalb des Veganismus und um das Konzept der Definitionsmacht. Zur Kritik stehen Denkformen in denen sich – gegen die eigene Intention – bürgerliche Ideologie ein linksradikales Gewand gibt.
 
Wir wurden dazu aufgefordert, diese „unsägliche Debatte“ zu beenden – das tun wir nicht.
 
Insgesamt drängt sich uns nach der Lektüre bisher in Umlauf gekommener Beiträge zur Auseinandersetzung über die Veranstaltung am 17.02. der Eindruck auf, dass die Texte von les madeleines von ihren GegnerInnen mit einer interessierten Leseschwäche rezipiert werden. Wir sind mit auf schlichtweg falschem Verstehen basierenden Diffamierungen von les madeleines und damit auch uns als VeranstalterInnen konfrontiert, die wir so nicht stehen lassen wollen.
So heißt es in einem Flugblatt zur Kritik der Veranstaltung: „Les Madeleines geben an, diskutieren zu wollen ‚Warum die Freiheit, alles, was einem oder einer Unbehagen bereitet, als Vergewaltigung zu definieren, einen unverschämten Affront denen gegenüber darstellt, die in der Tat erzwungene Penetration erltten haben’. Sie maßen sich damit an für Betroffene von Vergewaltigungen zu sprechen und verharmlosen gleichzeitig jede andere Form von sexualisierter Gewalt, sowie alltäglichem Sexismus.“[3] Die KritikerInnen untersagen hier Les Madeleines für die Betroffenen sexueller Gewalt zu sprechen und unterstellen ihnen damit implizit sie hätten keine Erfahrungen in diesem Bereich – dies grenzt an Unverschämtheit. Fast jede Frau macht – und das ist die reale Voraussetzung auf die das Konzept der Definitionsmacht als praktische Konsequenz reagiert – im Verlauf ihres Lebens Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen. Unterstellt wird den madeleines automatisch eine Täterperspektive – als könne nicht auch eine Kritik an Definitionsmacht formuliert werden, die keine Ausblendung der Erfahrung sexistischer Gewalt und Übergriffigkeiten zur Voraussetzung hat. Demgemäß wird die Forderung, die Diskussion um die Definitionsmacht mit den madeleines zu beenden u.a. damit „begründet“: „Die Ernsthaftigkeit Praxen dazu zu entwickeln schimmern bei den Madeleines eigentlich nie durch, stattdessen tritt eher ein Niedermachen jeglicher praktischer Versuche zu Tage. Das vermittelt eher das Interesse an einer Demotage der Definitionsmacht als feministischer Praxis, denn die Bemühung einer positiven Weiterentwicklung.“[4]
Ja, das stimmt: Die madeleines erheben nicht den Anspruch, obgleich sie das Konzept der Definitionsmacht grundsätzlich kritisieren, eine neue Handlungspraxis zu entwerfen. Unterstellt wird aber, dass dadurch der Beweis erbracht sei, die madeleines sähen keinen „Handlungsbedarf“ und würden sexuelle Gewalt verharmlosen. Aber gerade ausgehend von dem subjektiven Leid der Erfahrung sexueller Gewalt argumentieren die madeleines – und zwar aus einer feministischen Perspektive. Gerade weil sie das subjektive Leiden der von sexueller Gewalt Betroffenen sehr ernst nehmen, weil sie es sich zum Anliegen machen, grundsätzlich die gängige Praxis zu kritisieren mit der Frage: Wäre unter den beschissenen Voraussetzungen nicht doch etwas Besseres möglich als die Praxis der Definitionsmacht? In der Tat problematisieren die madeleines u.a. in der Borderlinebroschüre die umstandslose Übernahme einer subjektiven Artikulation von Gewalterfahrung als Grundlage der ‚Vollstreckung eines szeneinternen Urteils’.
Dass sie tatsächlich keine konkreten Handlungsanweisungen bieten können und einer kollektiven, verallgemeinernden Praxis grundsätzlich kritisch gegenüberstehen, heißt nicht automatisch, dass sexuelle Gewalt von les madeleines verharmlost und achselzuckend hingenommen würde – sondern wirklich erstmal nur, dass eben kein neues Konzept angeboten wird. Dadurch wird aber weder die Kritik am kritisierten Konzept falscher noch sexuelle Übergriffe häufiger. 

Ebenso ärgerlich wie absurd mutet der Vorwurf an, wir hätten kein Interesse an einer Auseinandersetzung, wenn jedes Diskussionsangebot unsererseits ausgeschlagen und die Veranstaltung mit Vehemenz zu verhindern versucht wird. Es ist doch offensichtlich, dass OrganisatorInnen einer öffentlichen Abendveranstaltung nicht per se unterstellt werden kann, dass sie kein Interesse an einer Auseinandersetzung mit einem haben. Wohl per se kann jenen ein solches Interesse abgesprochen werden, die versuchen, diese Veranstaltung zu verhindern. Die GegnerInnen der Veranstaltung lassen nur das als Auseinandersetzung gelten, was ihren eigenen Dogmatismus bejaht. Das Ergebnis jeglicher Diskussion ist Voraussetzung ihres Stattfindens und darf nur lauten: Die Definitionsmacht muss in jedem Fall unangetastet bleiben.
Welche Angst steckt hinter der kategorischen Weigerung, die madeleines und ihre Kritik anders als etwas so fürchterlich Anmutendes, dass man es einzig nur ausgrenzen und bekämpfen kann, zu begreifen? Angesichts der massiven Reaktionen muß man sich doch wirklich fragen: Welche Konsequenzen werden denn von so einer Art Veranstaltung befürchtet? Uns kommt es angesichts der Vehemenz der Anfeindungen gegen die VA so vor, als ob eine bloße Diskussion über die Definitionsmacht schon die Phantasie lostritt, in ihrer Folge könnten alle Dämme brechen und die linksradikale Szene einer Welle sexueller Gewalt ausliefern, welche nur durch die Aufrechterhaltung der Definitionsmacht aufzuhalten wäre. Um es noch einmal zu betonen: Auch wir sehen, dass sexistisches Verhalten an der Tagesordnung ist. Es erscheint uns allerdings nicht einleuchtend, dass das Definitionsrecht die einzige Möglichkeit sei diesem entgegen zu treten; es ist eher Ausdruck eines vermeintlich allmächtigen Dogmatismus, der sich moralisch vorab auf eine richtige, gute Seite zu stellen versucht – so etwas ist das Gegenteil einer Auseinandersetzung. Die Tatsache, dass les madeleines das Konzept der Definitionsmacht grundsätzlich in Frage stellen wird automatisch gleichgesetzt mit einer anti-antisexistischen Position.
Wir stellen diese reflexhafte Ineinssetzung in Frage. Wieso ist das überhaupt so selbstverständlich, dass eine Infragestellung der Definitionsmacht automatisch antifeministisch und anti-anti-sexistisch, d.h. sexistisch ist?
Eine Begründung dieser Annahme konnte uns bisher noch nicht plausibel gemacht werden…
 
ANTINATIONALE GRUPPE BREMEN (http://ang.nadir.org)

[1] Und wir gehen doch wohl zu Recht davon aus, dass das Definitionsrecht, welches als Grundlage eines Handlungskonzeptes eine allgemeine Geltung beanspruchen muss, auch außerhalb von akuten Fällen sexueller Übergriffe den Leuten präsent ist. 
[2] Was uns zum Beispiel am Veganismus nicht interessiert ist, ob jemand Sojabratlinge oder Hacksteak isst – uns interessiert, wie diese Praxis als politische begründet wird.  Dass es einen Zusammenhang zwischen Theorie und Praxis gibt, sei hiermit gar nicht in Frage gestellt, wohl aber, dass beide unmittelbar das gleiche wären…
[3] the fucking feminists – für Definitionsmacht: Zur Kritik des sexistischen, patriarchalen Alltagsbewusstseins am Beispiel der Les Madeleines, S.2
[4] http://appell-an-die-restvernunft.blogspot.com/
 

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