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Oktober 2005    

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Paradise NOW
Der "ehrbare Antisemitismus" im Kinoformat






QUARANTA.DE: „Verurteilen Sie die Selbstmordanschläge?“
Hany Abu - Assad: „Warum denn? Ich bin gegen die Tötung von Menschen, und ich will das stoppen. Aber ich verurteile die Selbstmordattentäter nicht. Für mich ist das eine sehr menschliche Reaktion auf eine extreme Situation.“

 Unmöglich ist, gleichzeitig gegen die Tötung von Menschen zu sein, aber die Tötung von Menschen nicht zu verurteilen - also nicht gegen das Töten zu sein. Zumindest für jene, die an den Spielregeln einfachster Logik festhalten mögen. Mag man nicht, sollte man in den nächsten Tagen ins Kino gehen: Es läuft PARADISE NOW- ein Film, der sogar noch mehr verspricht, als das Urteilsvermögen außer Kraft zu setzen: nämlich, den Schuldigen und somit die Legitimation eben dafür zu finden.

Es ist nicht legitim zu töten - gleichzeitig jedoch menschlich, denn: die Protagonisten des Films sind palästinensische Selbstmordattentäter und die extreme Situation die militärische Besatzung durch Israel.

Der Film wird eine lohnende Abendunterhaltung für all jene sein, denen die folgenden unausgesprochenen Vorraussetzungen des Films zu Axiomen ihres Denkens geworden sind: Man muß sich auf die Frage einlassen, ob suicide bombing strategisch sinnvoll ist oder nicht, kein Interesse am Leid der israelischen Bevölkerung haben, vom Antisemitismus nichts wissen wollen und materielles Elend als zureichende Erklärung für die Reaktion islamistischer AttentäterInnen halten. Ebenso muß man davon überzeugt sein, daß Israel sich nicht wie jeder Staat im Falle eines Angriffs verhält, sondern das Elend der PalästinenserInnen provoziert.
Der Film ist für die IsraelfeindInnen sehr zu empfehlen, die eine vornehme Haltung einzunehmen pflegen, die es freilich gebietet, die Lösung des friedlichen Kampfes den Selbstmordattentaten vorzuziehen.  

 „PARADISE NOW ist ein Film, der den Nahostkonflikt aus einer anderen Perspektive zeigt und dem Zuschauer in eindringlichen Bildern die Ausweglosigkeit der Gewaltspirale in diesem Teil der Erde verdeutlicht.“ (Broschüre zum Film)

 Mitnichten zeigt der Film den Nahostkonflikt „aus einer anderen Perspektive“, sondern aus genau der, die der sich durchsetzenden europäischen Medienberichterstattung entspricht – was z.T. wohl auch den Erfolg von PARADISE NOW erklärt. Zu wünschen hingegen wäre, der mediale Diskurs würde sich an die Verarbeitung der Metapher der Gewaltspirale machen, ist sie doch nichts anderes als ein Denkverbot: Gewalt erzeugt Gewalt und keiner kann wissen warum, jeder ist schuld und daher erledigt sich eine Positionierung. Letztlich läuft dies auf das physikalische Modell des Pendels hinaus, gegen dessen Ausschlagen zur einen wie zur anderen Seite eben nichts zu machen ist. Dennoch wäre es weniger fatal als die Logik derzeitiger Nahostberichterstattung, denn trotz der beliebten Rede von der Gewaltspirale funktioniert sie eher gemäß des biologischen Reiz-Reaktions-Musters: Den Reiz gibt der Aggressor Israel - palästinensische Selbstmordattentate folgen als Reaktion verzweifelter FreiheitskämpferInnen.

„Die zahlreichen mörderischen Anschläge auf Zivilisten in Bussen und Cafes in Israels werden zwar als Folge der Besatzung verstanden; die von Israel angegebenen Gründe für Militäraktionen werden als vorgeschoben dargestellt, was den Schluß nahe legt, es handele sich dann wohl um reine Schikane. Suggeriert wird, die (...) Gewalt habe eine verständliche Ursache auf der einen Seite, eine unverständliche auf der anderen.“ (Initiative Antisemitismuskritik (Hrsg.): Israel in deutschen Wohnzimmern, Stuttgart 2005)

Auf die Durchsetzung jener Vorstellung baut PARADISE NOW. Nur so kann er bar jeder Darstellung von Momenten politischer, gesellschaftlicher, historischer Dimension auf die Präsentation von Gewalttaten beider Seiten verzichten und sich ganz darauf verlassen, daß das Publikum entspannt sich dem anheim geben wird, was da kommt. Da kommt aber eigentlich nicht viel; auf Spannung, Story, psychologische Entwicklung, moralische Entscheidungen, Konflikte, Emotionen kann das Publikum warten - doch Langeweile kommt nicht auf, denn affektive Basis und politische Haltung wird das Publikum, ist es denn begeistert, schon mitgebracht haben. Setzt der Film doch auf ihr Vorurteil: Die „extreme Situation“ ist alleiniges Resultat der israelischen Besatzung und erzwingt eine politische Gegenwehr der PalästinenserInnen.
In einer kapitalistischen Welt, in der staatliche Folter, Morde, Kriege zum Tagesgeschäft gehören,  scheint die Identifizierung und Unterstützung derer, die darunter zu leiden haben, in der Tat unmittelbar die politisch und menschlich richtige Reaktion zu sein:

„Es gibt zu wenige Institutionen, die sich für Globalisierungsopfer engagieren, für jene, die keine Rechte haben und sich nicht wehren können. Hier hat die Berlinale traditionell eine Aufgabe, neben aller Kunst.“ (Berlinale-Festivaldirektor D. Kosselick im Tagesspiegel 9.2.05)

Das scheinbar hehre Anliegen hat nur einen Makel: Die Intifada ist kein Kampf gegen Unterdrückung, sondern ein antisemitischer Kampf gegen die Juden mit dem Ziel ihrer Vernichtung, sowie gegen jene PalästinenserInnen, die zu Kollaborateuren erklärt werden.
Dies ist keine Frage der Interpretation, sondern die Selbstaussage derer, die der Film als „politische Freiheitskämpfer“ darstellt. Der Antisemitismus ist real ihr unbestrittenes Hauptmovens:

„Hinter der Globalisierung steht das internationale jüdische Kapital, das bereits seine Ursprungsländer beherrscht und danach strebt, diese Herrschaft über die ganze Welt auszudehnen.“ (M. Qutb: Die Muslime und die Globalisierung (arab.), Kairo 2000)

„Habt keine Gnade mit den Juden, egal wo sie auch sind, egal in welchem Land. Wenn ihr ihnen begegnet, tötet sie. Tötet die Juden und Amerikaner, die wie sie sind und ihnen beistehen.“(Aufruf des Direktors der Islamischen Universität Gaza über das Fernsehen der Palästinensischen Autonomiebehörde, zit.n. MEMRI Special Dispatch Nr.138, 13.10.2000)[1]

 PARADISE NOW beansprucht, aus subjektiver Perspektive den letzten Tag zweier Selbstmordattentäter „authentisch“ darstellen zu wollen. Falsch ist dieser Anspruch nicht per se, sicherlich aber die Umsetzung in diesem Fall. Denn zu einer solchen Perspektive gehörte die Motivation der Attentäter. Aber der politische Konflikt geht nicht in Darstellung des Films ein und daher auch nicht die politische Entscheidungsfindung der Protagonisten. Weder durch Figuren noch durch filmische Mittel wird je eine moralische Infragestellung der Tat vollzogen. Und: Die Opfer der Attentate kommen in PARADISE NOW schlichtweg nicht vor. Somit bleibt auch die Motivation verborgen, denn: kein Mord ohne Wunsch nach dem Tod des Anderen.
Was es hingegen gibt, ist eine strategische Entscheidungsfindung: ob Selbstmordanschläge der „palästinensischen Sache“ dienlich sind oder nicht.  Doch nicht nur das, die Vertreterin des „gemäßigten Krieges“ gegen Israel, Suha, weist darauf hin, daß man durch die Attentate ebenso würde wie der Feind, also wie die Israelis. Was heißt das anderes, als daß allein Israel Gewalt in die Welt bringe und die Attentate eigentlich israelischer Provenienz seien?[2]
Der Film ist nicht dafür zu kritisieren, daß er eine subjektive Perspektive einnimmt, sondern dafür, daß er eine israelfeindliche Haltung voraussetzt, noch dazu in Verbindung mit der Vorstellung, es handele sich um ein moralisch integeres Anliegen, was Hamas & Co verfolgen.
An die Leerstelle des Antisemitismus und dessen Verknüpfung mit radikal- islamistischen Glaubensvorstellungen tritt eine scheinbar rationale politische Fragestellung, allerdings ohne daß der Film an irgendeiner Stelle eine politische oder historische Dimension thematisieren würde.Dieser bedarf er gar nicht: die Thematisierung der mörderischen Legierung von Religion und Antisemitismus - die sich jedem Versuch subjektivem Nachvollzugs  ebenso wie der rationalen Erklärung per se verschließt - würde das Publikum stören. Aber darum geht es auch nicht: In PARADISE NOW kann das geneigte Publikum nachfühlen, was es eh schon weiß – Der Feind ist Israel!
Hinter dem Gerede von der Gewaltspirale steht eine antiisraelische Haltung, die eine Verleugnung antisemitischer Barbarei (und zwar derzeitiger wie der nationalsozialistischen) voraussetzt. Was angeblich so differenziert ist, und so bemüht, verschiedene Positionen zuzulassen, ist der Ausschluß eben einer differenzierten Position: nämlich den Zusammenhang von Israels militärischen Aktionen und der zunehmenden Gefahr der Formierung islamistischer Netzwerke, deren Ziel nicht die Befreiung von Hunger und Elend ist, sondern die Zerstörung Israels.

„Das Widerstreben, das Phänomen des Terrors in all seinen Implikationen rückhaltlos zu erforschen, ist in sich selbst ein unterschwelliges Symptom des Terrors.“ (Leo Löwenthal, Individuum und Terror, 1946)

 
Solidarität mit Israel!
Kampf dem Antisemitismus!




Antinationale Gruppe Bremen

Commité Rosé



[2] Die Aussage einer Protagonistin ist freilich nicht zu verwechseln mit der Aussage eines Filmes. Doch zu kompliziert ist der Film nicht gestrickt und an politischen Positionierungen zwei vertreten: Verteidiger der Selbstmordanschläge und – vor allem Suha - KritikerInnen derselben. Da kein weiteres filmisches Material den Aussagen  entgegensteht, bleiben nur die Darstellung des verarmten Gazastreifens gegenüber der schillernden Metropole Tel Aviv- das Publikum weiß schon, auf welcher Seite es stehen wird.


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