Gesichtspunkte einer linksradikalen Kritik des
G8-Gipfeltreffens
 
 
 - Die sieben G8-Staaten – plus einem
     am Katzentisch – sind die Beherrscher der Welt, was schon in der Arroganz
     der Eigenbezeichnung Weltwirtschaftsgipfel zum Ausdruck kommt. Es
     ist ausgesprochene Wahrheit! Die sich in Heiligendamm versammelnden
     Mächtigen der Welt gefallen sich darin, sich als Wohltäter der Menschheit,
     Vorkämpfer gegen Armut, Hunger und Krieg zu präsentieren. Das G8-Treffen
     ist eine megalomanische Showveranstaltung zur Selbstinszenierung als
     Weltregierung, der in Wirklichkeit jegliche demokratische Legitimation
     fehlt.
- Diese Staaten bedienen sich eines ausgeklügelten
     Systems diverser Mittel, Vertragsgeflechte und Institutionen, um der Welt
     ihren Willen aufzuzwingen. Das reicht von bi- oder multilateralen Abkommen
     zwischen Staaten, gegenleistungsgebundener Entwicklungs- und Militärhilfe
     über weltumspannende Institutionen wie dem Internationalen
     Währungsfonds (IMF) oder der Weltbank,die die Etats armer
     Staaten bezuschussen und dafür für die dortigen Bevölkerungen verheerende
     Bedingungen durchsetzen, der Welthandelsorganisation (WTO)und
     internationalen Handelsabkommen wie dem General Agreement of Tariffs
     and Trade (GATT), mit dem ungleicher Handel zugunsten der
     Industriestaaten gegen die „3. Welt“ durchgesetzt wird, bis hin zu
     Militärinterventionen und Kriegen gegen unbotmäßige Regierungen.
- Ihr Ziel ist es, sämtliche Regionen der Erde der
     kapitalistischen Verwertung zu unterwerfen. Konkret heißt dies, Öffnung
     der Märkte, ungehinderter Zugang zu Rohstoffen, freier Zugriff auf
     Arbeitskräfte. Mit hochsubventionierten Agrarprodukten zerstört die EU
     regionale Märkte. Andere, ökonomisch irrelevante Landstriche überlässt man
     dagegen sich selbst mit der Folge von Armut und Elend, Hunger und Bürgerkriegen.
     Ganze Länder Afrikas fallen örtlichen Warlords anheim. Das einzige Ziel
     des „Westens“ besteht in diesen Fällen darin, Flüchtende von europäischem
     Boden fernzuhalten. Eines der zynischen Hauptthemen des Gipfels in
     Heiligendamm lautet übrigens „Hilfe für Afrika“.
- Nach 1989 – dem Ende der Sowjetunion und des
     Staatenarchipels des Warschauer Pakts - konnte fast jeder Zipfel der Welt
     kapitalistischem Wirtschaften unterworfen werden. Residuen eigenen
     nationalstaatlichen Willens, auch wo sie sich lediglich partiell gegen
     imperialistische Interessen richten, oder Regierungen, die sich unbotmäßig
     verhalten (z.B. als Rückzugsgebiet des „internationalen Terrorismus“
     dienen) werden militärisch gebrochen: Zerschlagung Jugoslawiens,
     Besetzung Afghanistans und des Iraks, unverhohlenene Kriegsdrohungen gegen
     Nordkorea, Syrien und den Iran. Das ökonomische Interesse wurde
     weiter oben benannt. Dessen Konsequenzen betreffen auch die Ökologie
     im weiteren Sinne: Die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen werden
     vernichtet, Ökosysteme nachhaltig zerstört, die Natur irreparabel
     ausgebeutet. Die Folgen der zunehmenden Anwendung der Gentechnik v.a. im
     agrarischen Sektor sind noch gar nicht absehbar.
- Die G8-Staaten haben also schwerwiegende
     gemeinsame Interessen. Sie sind dennoch kein homogener Block oder einer
     einzigen Führungsmacht unterworfen, sondern verfolgen je eigene
     Interessen, deren Widersprüche immer mal wieder zum Vorschein kommen (sog.
     Handelskriege zwischen EU und USA, Ablehnung des Irak-Kriegs durch Deutschland
     und Frankreich). Die Europäische Union stellt dabei einen der Kerne
     der Weltmächte dar. Sie hat sich vom Türöffner beim Wiederauftritt
     Westdeutschlands auf „internationalem Parkett“ zum Instrument deutscher
     Weltmachtpolitik in enger Kooperation mit Frankreich und gelegentlich
     Großbritannien (das gern einmal die Option der Juniorpartnerschaft mit den
     USA wählt, u.a. um deutschem Vormachtstreben in der EU entgegenzuwirken)
     entwickelt. Wer also den Zustand der Welt kritisieren will, tut gut daran,
     sich dabei nicht einzig auf die USA zu fokussieren. Insbesondere Linke in
     Deutschland sollten den EU- und BRD-Imperialismus ins Blickfeld ihrer
     Argumentation rücken, eingedenk Karl Liebknechts „Der Hauptfeind steht im
     eigenen Land!“
- Die Auswirkungen der weltweiten neoliberalen
     Politik – einer Politik, die Regulierungen abschafft, die vornehmlich im
     wirtschaftlichen Bereich den Lebensstandard des Gros der Bevölkerungen
     absichern soll (von Arbeitsschutzgesetzen bis zu Sozialleistungen) - sind
     auch im „Herzen der Bestie“ zu spüren. Auch der deutsche Markt wird für
     die internationale Konkurrenz zugeschnitten („Wettbewerbsfähigkeit des
     Standorts“, heißt das in Politikersprache). Je niedriger hiesige Löhne
     ausfallen, desto mehr Mittel können deutsche Unternehmen in der weltweiten
     Konkurrenz einsetzen, je weniger Sozialtransfers der Staat nach „unten“
     leitet, desto besser kann er „seine“ Konzerne dabei unterstützen. Daher
     ist es unerheblich, ob Rot-Grün, Schwarz-Rot oder welche Farbkombination
     auch immer gerade regiert: Sie alle gäben staatliche Mittel viel lieber
     für Rüstung oder direkte Subventionierung beispielsweise kapitalintensiver
     Forschung aus als für Sozialleistungen. Insbesondere befinden sich die
     Zahlungen für Menschen, die aus der kapitalistischen Verwertungslogik
     ausgemustert und damit zu „unnützen Essern“ werden, im Visier der
     SparpolitikerInnen. Und auch beim erwerbstätigen Normbürger sind noch
     Ressourcen zu erschließen, was mit Mehrwertsteuererhöhung oder Kürzungen
     bei Renten und Gesundheitsleistungen in Angriff genommen wird. Dies umso
     vehementer, als der Widerstand dagegen angesichts der Schärfe der
     Einschnitte in tradierte Sozialleistungen verhalten und kraftlos ausfällt.
- Die erste Runde dieses massivsten Angriffs auf
     das Auskommen breiter Bevölkerungsschichten seit 1945 brachte
     Hilfsarbeiter, Jobber und Ungelernte auf einen Niedriglohn, der trotz
     Vollzeitarbeit kaum noch zum Bestreiten des Lebensunterhalts langt. Die
     zweite Runde soll Erwerbslose zur Annahme jeder Arbeit zwingen, auch wenn
     die Löhne niedrig und angebotene Arbeitsplätze mies sind, sonst droht der
     „soziale Absturz“ namens Hartz IV und der Arbeitszwang der 1-Euro-Jobs.
     Die dritte Runde ist der Angriff auf noch-tarifäre Arbeitskräfte durch
     Drohung mit Entlassungen wegen Abwanderung ins Ausland, inländischer
     Billiglohnkonkurrenz oder Werksschließung wegen fehlender Rentabilität.
     Die Massenarbeitslosigkeit in Zusammenhang mit drohendem ALG II-Bezug
     verfehlt seine Wirkung nicht: Löhne und Gehälter fallen seit Jahren. Die
     EU-Bolkestein-Richtlinie und ihr nur um Nuancen entschärfter Nachfolger
     sollen weiter an dieser Schraube drehen.
- Die nationalistische Kritik an EU oder
     globalisierter Weltwirtschaft, dies alles schade Deutschland, entpuppt
     sich als blanker Unsinn: Deutschland ist eine der weltweit in die
     skizzierte Richtung drängenden Kräfte – und deutsche Konzerne sind die
     Gewinner. All dies ist im „deutschen Interesse“. Es ist nur nicht im Sinne
     weiter Teile der Bevölkerung. Dies sollte eine linke Kritik immer klar
     herausstellen, damit die Abgrenzung zu nationalistischen und
     faschistischen Kritiken klar konturiert bleibt.
 
Anarchistische
Gruppe/Rätekommunisten (AG/R), 3. November 2006