Gesichtspunkte einer linksradikalen Kritik des G8-Gipfeltreffens

 

 

  1. Die sieben G8-Staaten – plus einem am Katzentisch – sind die Beherrscher der Welt, was schon in der Arroganz der Eigenbezeichnung Weltwirtschaftsgipfel zum Ausdruck kommt. Es ist ausgesprochene Wahrheit! Die sich in Heiligendamm versammelnden Mächtigen der Welt gefallen sich darin, sich als Wohltäter der Menschheit, Vorkämpfer gegen Armut, Hunger und Krieg zu präsentieren. Das G8-Treffen ist eine megalomanische Showveranstaltung zur Selbstinszenierung als Weltregierung, der in Wirklichkeit jegliche demokratische Legitimation fehlt.
  2. Diese Staaten bedienen sich eines ausgeklügelten Systems diverser Mittel, Vertragsgeflechte und Institutionen, um der Welt ihren Willen aufzuzwingen. Das reicht von bi- oder multilateralen Abkommen zwischen Staaten, gegenleistungsgebundener Entwicklungs- und Militärhilfe über weltumspannende Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IMF) oder der Weltbank,die die Etats armer Staaten bezuschussen und dafür für die dortigen Bevölkerungen verheerende Bedingungen durchsetzen, der Welthandelsorganisation (WTO)und internationalen Handelsabkommen wie dem General Agreement of Tariffs and Trade (GATT), mit dem ungleicher Handel zugunsten der Industriestaaten gegen die „3. Welt“ durchgesetzt wird, bis hin zu Militärinterventionen und Kriegen gegen unbotmäßige Regierungen.
  3. Ihr Ziel ist es, sämtliche Regionen der Erde der kapitalistischen Verwertung zu unterwerfen. Konkret heißt dies, Öffnung der Märkte, ungehinderter Zugang zu Rohstoffen, freier Zugriff auf Arbeitskräfte. Mit hochsubventionierten Agrarprodukten zerstört die EU regionale Märkte. Andere, ökonomisch irrelevante Landstriche überlässt man dagegen sich selbst mit der Folge von Armut und Elend, Hunger und Bürgerkriegen. Ganze Länder Afrikas fallen örtlichen Warlords anheim. Das einzige Ziel des „Westens“ besteht in diesen Fällen darin, Flüchtende von europäischem Boden fernzuhalten. Eines der zynischen Hauptthemen des Gipfels in Heiligendamm lautet übrigens „Hilfe für Afrika“.
  4. Nach 1989 – dem Ende der Sowjetunion und des Staatenarchipels des Warschauer Pakts - konnte fast jeder Zipfel der Welt kapitalistischem Wirtschaften unterworfen werden. Residuen eigenen nationalstaatlichen Willens, auch wo sie sich lediglich partiell gegen imperialistische Interessen richten, oder Regierungen, die sich unbotmäßig verhalten (z.B. als Rückzugsgebiet des „internationalen Terrorismus“ dienen) werden militärisch gebrochen: Zerschlagung Jugoslawiens, Besetzung Afghanistans und des Iraks, unverhohlenene Kriegsdrohungen gegen Nordkorea, Syrien und den Iran. Das ökonomische Interesse wurde weiter oben benannt. Dessen Konsequenzen betreffen auch die Ökologie im weiteren Sinne: Die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen werden vernichtet, Ökosysteme nachhaltig zerstört, die Natur irreparabel ausgebeutet. Die Folgen der zunehmenden Anwendung der Gentechnik v.a. im agrarischen Sektor sind noch gar nicht absehbar.
  5. Die G8-Staaten haben also schwerwiegende gemeinsame Interessen. Sie sind dennoch kein homogener Block oder einer einzigen Führungsmacht unterworfen, sondern verfolgen je eigene Interessen, deren Widersprüche immer mal wieder zum Vorschein kommen (sog. Handelskriege zwischen EU und USA, Ablehnung des Irak-Kriegs durch Deutschland und Frankreich). Die Europäische Union stellt dabei einen der Kerne der Weltmächte dar. Sie hat sich vom Türöffner beim Wiederauftritt Westdeutschlands auf „internationalem Parkett“ zum Instrument deutscher Weltmachtpolitik in enger Kooperation mit Frankreich und gelegentlich Großbritannien (das gern einmal die Option der Juniorpartnerschaft mit den USA wählt, u.a. um deutschem Vormachtstreben in der EU entgegenzuwirken) entwickelt. Wer also den Zustand der Welt kritisieren will, tut gut daran, sich dabei nicht einzig auf die USA zu fokussieren. Insbesondere Linke in Deutschland sollten den EU- und BRD-Imperialismus ins Blickfeld ihrer Argumentation rücken, eingedenk Karl Liebknechts „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“
  6. Die Auswirkungen der weltweiten neoliberalen Politik – einer Politik, die Regulierungen abschafft, die vornehmlich im wirtschaftlichen Bereich den Lebensstandard des Gros der Bevölkerungen absichern soll (von Arbeitsschutzgesetzen bis zu Sozialleistungen) - sind auch im „Herzen der Bestie“ zu spüren. Auch der deutsche Markt wird für die internationale Konkurrenz zugeschnitten („Wettbewerbsfähigkeit des Standorts“, heißt das in Politikersprache). Je niedriger hiesige Löhne ausfallen, desto mehr Mittel können deutsche Unternehmen in der weltweiten Konkurrenz einsetzen, je weniger Sozialtransfers der Staat nach „unten“ leitet, desto besser kann er „seine“ Konzerne dabei unterstützen. Daher ist es unerheblich, ob Rot-Grün, Schwarz-Rot oder welche Farbkombination auch immer gerade regiert: Sie alle gäben staatliche Mittel viel lieber für Rüstung oder direkte Subventionierung beispielsweise kapitalintensiver Forschung aus als für Sozialleistungen. Insbesondere befinden sich die Zahlungen für Menschen, die aus der kapitalistischen Verwertungslogik ausgemustert und damit zu „unnützen Essern“ werden, im Visier der SparpolitikerInnen. Und auch beim erwerbstätigen Normbürger sind noch Ressourcen zu erschließen, was mit Mehrwertsteuererhöhung oder Kürzungen bei Renten und Gesundheitsleistungen in Angriff genommen wird. Dies umso vehementer, als der Widerstand dagegen angesichts der Schärfe der Einschnitte in tradierte Sozialleistungen verhalten und kraftlos ausfällt.
  7. Die erste Runde dieses massivsten Angriffs auf das Auskommen breiter Bevölkerungsschichten seit 1945 brachte Hilfsarbeiter, Jobber und Ungelernte auf einen Niedriglohn, der trotz Vollzeitarbeit kaum noch zum Bestreiten des Lebensunterhalts langt. Die zweite Runde soll Erwerbslose zur Annahme jeder Arbeit zwingen, auch wenn die Löhne niedrig und angebotene Arbeitsplätze mies sind, sonst droht der „soziale Absturz“ namens Hartz IV und der Arbeitszwang der 1-Euro-Jobs. Die dritte Runde ist der Angriff auf noch-tarifäre Arbeitskräfte durch Drohung mit Entlassungen wegen Abwanderung ins Ausland, inländischer Billiglohnkonkurrenz oder Werksschließung wegen fehlender Rentabilität. Die Massenarbeitslosigkeit in Zusammenhang mit drohendem ALG II-Bezug verfehlt seine Wirkung nicht: Löhne und Gehälter fallen seit Jahren. Die EU-Bolkestein-Richtlinie und ihr nur um Nuancen entschärfter Nachfolger sollen weiter an dieser Schraube drehen.
  8. Die nationalistische Kritik an EU oder globalisierter Weltwirtschaft, dies alles schade Deutschland, entpuppt sich als blanker Unsinn: Deutschland ist eine der weltweit in die skizzierte Richtung drängenden Kräfte – und deutsche Konzerne sind die Gewinner. All dies ist im „deutschen Interesse“. Es ist nur nicht im Sinne weiter Teile der Bevölkerung. Dies sollte eine linke Kritik immer klar herausstellen, damit die Abgrenzung zu nationalistischen und faschistischen Kritiken klar konturiert bleibt.

 

Anarchistische Gruppe/Rätekommunisten (AG/R), 3. November 2006