Nizza: Indymedia-Zusammenfassung
Sat, 9 Dec 2000

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A - I N F O S N E W S S E R V I C E
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From http://france.indymedia.org

Das ist ein Versuch, die Ereignisse der letzten beiden Tagen zusammenzufassen. Bitte schickt Kommentare, Fehlerkorrekturen
(Do., 7.12., 22 Uhr)

Revolt.News@pmail.net

(uebersetzt vom franzoesischen Original: Fr 8.12., 13.30 Uhr)

Mittwoch, 6. Dezember:
Am Tag vor der Eroeffnung des EU-Gipfels in Nizza versammelten sich 70.000 Personen zu einer Demonstration in der franzoesischen Stadt. Die Mehrzahl der Demonstranten sammelten sich unter der Fahne der Europaeischen Konfoederation der Gewerkschaften (ECU/CES). Ausser Gewerkschaftsmitgliedern gab es noch Arbeitslosenverbaende, Immigranten, Umweltaktivisten, kommunistische und anarchistische Gruppen, autonome Gruppen, kurdische und tuerkische Aktivisten, Frauenkollektive, baskische und korsische Aktivisten etc.

Urspruenglich waren zwei verschiedene Demonstrationen geplant: die Gewerkschaften auf der einen Seite, die Globalisierungsgegner, Arbeitslosenverbaende, ATTAC, progressive und linke Parteien etc. auf der anderen. Schliesslich lief es so, dass beide sich in letzter Minute vereinten, auch wenn ihre Themen nicht dieselben waren. Tatsaechlich unterstuetzt die ECU/CES die Annahme der Charta der Fundamentalen Rechte, kritisiert aber deren Schwaeche, waehrend das Kollektiv fuer den Gegengipfel (in dem zahlreiche Gruppen vertreten sind) diese Charta ablehnt.

Die vom Buergermeister von Nizza (einem Ex-Mitglied der faschistischen Front National) genehmigte Demoroute war nicht lang genug. Daher packten die Gewerkschafter bereits ihre Transparente ein und meinten, sie haetten ihre Sache gut gemacht, als das Ende der Demo gerade die erste Schritte machte.

Diese Demonstration lief ruhig ab und die meisten Gewerkschafter kehrten nach der Demo wie geplant in ihre Heimatlaender zurueck (mit dem Flugzeug).

In der Nacht versammelten sich 2000 Personen im Gymnasium Leyrit zu einem Treffen. Susan George sprach ueber die gegenwaertige Fadheit und Dekadenz der internationalen Institutionen und dass es Veraenderungen nicht von oben her geben werde. Francois Dufour sprach im Namen der Bauernkonfoederation. Er erklaerte unter anderem, warum der jetzt weltbekannte Jose Bove nicht da war. Tatsaechlich ist am Mittwoch in Paris die Sicherheitsbeamten auf Bove losgegangen und haben ihn zu Boden geschlagen, als er versuchte, am Place de la Concorde zu einer landwirtschaftlichen Konferenz der WTO mit dem Vorsitzenden der WTO, Mike Moore, zu betreten.

So wie in Prag waren hunderte Italiener fuer die Teilnahme an der Demonstration in Nizza mobilisiert. So wie nach Prag nahmen sie den "Global Action Express" fuer die Reise. Wie in Prag wurden die 1500 Italiener von Ya Basta, Tuti Binachi, Rifondazione Communista an der Grenze aufgehalten. Trotz des Protests der italienischen Behoerden verweigerten die franzoesischen Behoerden, geschuetzt von Riot-Polizei, den Italienern die Einreise. Unbeeindruckt versuchten einige, zu Fuss die Grenze zu ueberschreiten.

Die Aktivisten wurden in der italienischen Grenzstadt Vintimille aufgehalten, wo sie gegen 0.30 Uhr ankamen. Da der Bahnhof von Carabinieri umstellt war, schliefen die italienischen Aktivisten im Zug. Sie besetzten auch noch einen anderen Zug, um etwas mehr Platz zu haben. Am naechsten Tag, nach einigen Diskussionen, verließen die Demonstranten den Bahnhof gemeinsam, um beim franzoesischen Konsulat Visa zu beantragen. Die italienische Polizei griff sofort an und es kam zu recht heftigen Kaempfen.

Die Carabiniere feuerten Traenengas (moeglicherweise aus naechster Naehe; die Uebersetzung ist unklar). Mehrere Personen mussten ins Krankenhaus. Nach den Konfrontationen und nachdem sie das Konsulat erreicht hatten, beschlossen die Italiener, zum Bahnhof zurueckzukehren. Also konnten sie in der Grenzstadt demonstrieren. In Genua veroeffentlichte die Rifondazione Communista einen Demoaufruf und einen Appel, den Praefekten abzusetzen, der fuer die Polizeigewalt in Vintimille verantwortlich ist.

Als Reaktion auf die Blockade des Zugs in Vintimille besetzten in Nizza Tausende von Demonstranten den Hauptbahnhof und forderten die Oeffnung der Grenze fuer die italienischen Aktivisten, am Ende der großen Demo und waehrend der Gegengipfel stattfand.

Die Riot-Polizei (CRS) reagierte, indem sie die Demonstranten angriff und sie aus dem Bahnhof warf. Danach gab es ein paar Zusammenstoesse im Stadtzentrum von Nizza.

Ebenfalls als Reaktion auf die Blockade der Italienier gingen viele Spanier und Franzosen zur Grenze, um die Genossen zu unterstuetzen. In der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember patrouillierten die Bullen und hielten systematisch Leute in Gruppen von mehr als 3 Personen an und ueberprueften deren Ausweise.

Am Donnerstag, den 7. Dezember, bewegten sich Tausende Demonstranten im Morgengrauen auf die Acropolis, das Konferenzzentrum, zu, um die Eingaenge zu blockieren. Ungefaehr 5-6000 Leute bildeten verschiedene Großgruppen, um die Gipfelteilnehmer und die zahlreichen sie beschuetztenden Bullen zu belaestigen.

Die Ankunft der Staatsoberhaeupter in der Acropolis wurde eigentlich nicht gestoert. Im Gegensatz dazu wandelte sich auf den Straßen die Ruhe des Vortages zu recht gewalttaetigen Konfrontationen mit Sicherheitskraeften. Der Straßenverkehr wurde in vielen Stadtteilen blockiert. Die Demonstranten wurden angegriffen und griffen ihrerseits die ueberall vorhandenen Polizeisperren um die Sicherheitszone des Gipfels an. Die Wolken von Traenengas ueber Nizza erreichten ein solches Ausmass, dass das Aircondition-System der Acropolis das Traenengas ansaugte und offenbar brachte das Praesident Chirac zum Niesen.

Es gab Kaempfe, Banken brannten, Scheiben wurden eingeworfen. Es gab auch einige Festnahmen. Die Demonstranten erreichten ihr Ziel nicht, weil das zu gut bewacht war; die Bullen machten sich sogar die Muehe, in der "roten Zone" von Tuer zu Tuer zu kontrollieren.

Die 2000 europaeischen Delegierten wurden gut bewacht. Neben der Praesenz von verschiedenen aus ganz Frankreich zusammengezogenen Polizeieinheiten (und Armeeeinheiten) gab es auch Interventionsteams, die auch fuer Einsaetze im Wasser und in der Luft ausgeruestet waren, falls es Personen gelingen sollte, auf diesen Wegen in die Sicherheitszone vorzudringen.

Heute morgen konnte wir eine Aktion beobachten, bei der cira 40 BAC- Polizisten (Verbrechensbekaempfungsbrigade) sich in den Konflikt im Zentrum vom Nizza einmischten. Sie waren unter anderem mit "Flashballs" bewaffnet, mit Gummigeschosspistolen, und jagten kleine isolierte Gruppen von Demonstranten.

Nach den Ereignissen heute morgen zogen sich viele Leute zum Gymnasium Leyrit zurueck, dem Zentrum des Gegengipfels. Spaeter wurde das Gymnasium mit der freundlichen Hilfe der Polizei von 2000 Personen befreit, weil die Polizei mit Traenengas und Wasserwerfern die Raeume beschoss.

Heute morgen hat auch die Versammlung der NGOs und der europaeischen Verbaende, genannt der "Scheideweg der buergerlichen Gesellschaft", in Nizza stattgefunden, um zu diskutieren, wie auf eine wirkliche europaeische Verfassung hingearbeitet werden kann, die nicht nur eine blosse Erklaerung von Prinzipien ist. Dieses Treffen verabschiedete einen Antrag, der von Raffaele Salinari vorgelegt wurde, in dem das Vorgehen der franzoesischen Behoerden gegenueber dem Zug der italienischen Aktivisten als "anti-europaeisch" verurteilt wird.

Heute nachmittag konfrontierten einige Antifaschisten die Sicherheitskraefte der Nazipartei von Le Pen (Front National), die mit der Zustimmung des Stadtrats eine Versammlung organisiert hatte. Die Bullen waren nicht mehr da, und ein Antifaschist wurde dabei schwer verletzt.

Es gab auch eine Demonstration europaeischer Foederalisten. Eine Gruppe junger Foederalisten machte ein Sit-In, das von der Riot-Police (RCS) gewaltsam unterdrueckt wurde - gerade eine Viertelstunde nachdem die europaeischen Staatsoberhaeupter die beruehmte Charta der Grundlegenden Rechte angenommen hatte, gegen die sich die Demonstrationen der letzten beiden Tagen richteten.

Ebenfalls heute nachmittag gab es eine Stinkbombenaktion von autonomen Aktivisten (Banken, Supermaerkte, Buffalo Grill), um "den Leuten konkret zu zeigen, was in dieser Welt stinkt". Die Ziele dieser Aktion mussten evakuiert werden.

Am Abend fuhren einige Demonstranten (schon) nach Hause und versuchten, durch die Polizeiketten um den Bahnhof von Nizza zu gelangen. Andere organisierten eine allgemeine Versammlung in der Aula des Gymnasiums Leyrit, die offenbar nach der Raeumung heute nachmittag von anderen Demonstranten wieder besetzt worden war.

Weitere Informationen:

Im Zusammenhang mit der Bewegung, zum EU-Gipfel nach Nizza zu fahren, wurden in Frankreich mehrere Kollektive gegruendet, um mit kostenlosen Zuegen anzureisen. In mehreren franzoesischen Staedten (Paris, Nancy, Dijon, Lille, Lyon, Bordeaux, Montpellier, Toulouse...) versammelten sich daher Leute, um gemeinsam zu fahren. Behoerden und Politiker reagierten darauf mit Polizeiaktionen: Gleise wurden blockiert und Raeumungsaktionen der Polizei, Verhandlungen wegen niedriger Fahrpreise, Leibesvisitationen, Polizeiangriffe, Verletzungen und Festnahmen.

Nachdem es große Unterkunftsprobleme fuer die Demonstranten gab, wurden die besetzten Haeuser in Nizza geoeffnet. Ein besetztes Haus wurde von der Polizei geraeumt. In der Nacht vom 6. auf den 7. Dezember uebernachteten Demonstranten in der Aula des Gymnasiums Leyrit, in der der Gegengipfel tagen sollte.

Es wurden ca. 60 Festnahmen gezahelt (nach dem belgischen oeffentlichen Rundfunk waren es 30). Verletzte gab es sowohl bei den Demonstranten wie bei der Polizei.

Einige Globalisierungsgegner versammelten sich nochmals an der Grenze zum Fuerstentum Monaco, um dort gegen das Geldwaescheparadies zu protestieren.

Es soll bereits eine Soli-Aktion in Irland und Italien stattgefunden haben. In Bruessel versammelten sich am 6. Dezember 200 Personen, um die Demonstranten in Nizza zu unterstuetzen.

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