Chiapas: Eindrücke eines “Krieges niederer Intensität”

von zapata - 06.10.2002 12:21
http://de.indymedia.org/2002/10/31067.shtml

Am 07.08 wurde in der autonomen Gemeinde 6.August ein Unterstuetzer der zapatistischen Bewegung von drei Paramilitaers umgebracht. Auf seiner Milpa arbeitend wurde der Companero Jose Lopez Santiz mit acht Kugeln, vor den Augen seiner fuenf und sechs Jahre alten Kinder, von den aus Altamirano stammenden Paramilitaers Benjamin Montoya Oceguera, Baltazar Alfonso Utrilla und Belisario Castellanos Gomez erschossen.

Am 19.08 kam es in Altamirano zu einer Manifestation von hunderten Unterstuetzern der Zapatisten, auf der Gerechtigkeit fuer den Tod von Jose Lopez Santiz gefordert wurde. Die Zapatisten forderten die Durchsetzung des Abkommens von San Andres, welches keine konventionelle Gefaengnisstrafe, sondern die Unterstuetzung (Sicherung des Lebensunterhaltes) der Familie des Ermordeten durch die Taeter vorsieht.

Bedingt durch die angespannte Lage besteht eine erhoehte Notwendigkeit an Menschenrechtsbeobachtern, die zur Sicherheit der autonomen zapatistischen Gemeinden in diese Region geschickt werden. Also nahm ich am 20.08 an der Vorbereitung fuer den Aufenthalt in einer Gemeinde des Konfliktgebietes teil. Seit ungefaehr Anfang August hat die Basis der Zapatisten innerhalb ihrer autonomen Bezirke Straßensperren errichtet. Mit Hilfe dieser soll folgendes erreicht werden:

  1. : Stop der illegalen Abholzung gefaehrdeter, seltener Holzarten
  2. : Stop der Zirkulation einer großen Anzahl gestohlener Fahrzeuge
  3. : Durchsetzung des Verbotes von Alkohol und Drogen innerhalb der autonomen Gebiete.

Meine, ganz persoehnliche, Einschaetzung ist, das durch die Straßensperren ebenfalls die Bewegungsfreiheit und der Terror der paramilitaerischen Gruppen gegen die zapatistische Zivilbevoelkerung eingeschraenkt werden soll. Ich wurde, als Teil einer sechskoepfigen Gruppe von Menschenrechtsbeobachtern in das Municipio San Manuel, in die Gemeinde Nuevo Guadelupe, Quexil, mit 36 Familien und etwas ueber 250 Personen, ca. eine Stunde von Ocosingo entfernt geschickt. Am Montag, den 19.08, zwei Tage vor unserer Ankunft, kam es in dieser Gemeinde zu gewalttaetigen Auseinandersetzungen zwischen Paramilitaers aus Montelibano und den Bewohnern der Gemeinde.

Gegen sechs Uhr morgen kam eine Gruppe von fast 200 Mitgliedern der paramilitaerischen Organisation OPDIC an der Kreuzung (mit Straßensperre) des Dorfes an. Zuerst wurde aus der Gruppe der Paramilitaers heraus das Zapata und SubMarcos tragende Ortsschild mit Steinen beschmissen, dann drang ein Teil der Paramilitaers in ein an der Straße liegendes Wohnhaus ein, beraubte die Bewohner und zerstoerte die Einrichtung. Als die Dorfbewohner mit Macheten und Stoecken bewaffnet, das taegliche Arbeitsgeraet eines Campesinos, zusammenkamen um sich und ihr weniges Hab und Gut zu verteidigen griffen die Paramilitaers zu Schusswaffen. Im anschließenden "Gefecht" zwischen den beiden Gruppen kam es zu erheblichen Verletzungen. Neben etlichen Verletzungen durch Steine und Schlaege an Gesichtern und Koerpern sind drei Zapatisten durch Kugeln aus Kaliber-22 Gewehren verletzt worden.

Ein Companero hat einen Durchschuss des rechten Unterschenkels, der zweite einen Steckschuss links etwas oberhalb des Beckens, der dritte Companero hat einen Durchschuss des rechten Oberarms, sowie einen Steckschuss links, etwas unterhalb des Schulterblattes. Diese Kugel konnte nicht entfernt werden und steckt noch immer in der Lunge des Opfers. Der erste der drei wurde mehr schlecht als recht ("oberflaechliche Wunde, eine Salbe ist vollkommen ausreichend...") im staatlichen Krankenhaus von Ocosingo behandelt, die beiden anderen sind in einer Station der Aerzte ohne Grenzen operiert worden. Unter den hygienisch schlechten Bedingungen in denen sie leben ist der Heilungsprozess sehr schlecht, und sie erholen sich nur langsam. Auf Seiten der paramilitaerischen Gruppe kam es zu drei Verletzten, einer davon schwer. So stellte sich fuer uns die Situation in der Gemeinde dar als wir ankamen.

Vom 21.-27.08 ist es zu großen Militaerbewegungen zwischen den Camps bei Ocosingo und bei Montelibano (durch unsere Gemeinde hindurch) gekommen. Besonders zu erwaehnen sind ein Konvoi am 25.08, bestehend aus 12 Militaerfahrzeugen und ca. 165 Soldaten von Ocosingo nach Montelibano, sowie ein Konvoi am 26.08 bestehend aus 42 Militaerfahrzeugen und ca. 275 Soldaten die entgegengesetzte Richtung. Interessant ist besonders ersterer, da innerhalb dieses Konvois 5 zivile Wagen mit Paramilitaers gefahren sind, die so umgehen konnten an der Straßensperre in unserer Gemeinde angehalten und kontrolliert zu werden.

In dieser Zeit sind wir informiert worden das am 01.09 eine Versammlung der paramilitaerischen Gruppe OPDIC in Montelibano stattfinden wird. Es ist daher zu befuerchten das es innerhalb des Monats September zu einem direkten Angriff auf Nuevo Guadelupe kommen wird. Aus diesem Grunde stellte sich fuer uns Campamentistas die Frage wie wir uns verhalten werden, falls dies noch waehrend unseres Aufenthaltes (bis zum 06.09) in der Gemeinde der Fall sein sollte. Es bestehen prinzipiell immer zwei Moeglichkeiten zur Auswahl, entweder uns rechtzeitig evakuieren zu lassen, oder, in der Hoffnung das unsere Anwesenheit einen (wenn auch kleinen) Faktor der Sicherheit fuer die Bewohner der Gemeinde darstellt, zu bleiben. Nachdem uns die Verantwortlichen versichert hatten, (in dem Fall des Bleibens) das falls die Situation zu gefaehrlich fuer uns werden sollte, wir an einen sicheren Ort gebracht werden, von dem wir aus beobachten koennen was im Dorf passiert, haben wir uns gemeinsam entschlossen in dem eventuell eintretenden Fall zu bleiben.

Ein Tag spaeter, der 27.08. Wir werden von dem Verantwortlichen um 22:15 Uhr informiert das sich drei- bis vierhundert Mitglieder der Gruppe OPDIC in Montelibano sammeln. Der schwer verletzte Paramilitaer ist an seinen Verletzungen erlegen. Durch den Tod des Paramilitaers ist ein sofortiger, direkter Angriff auf die Gemeinde mehr als wahrscheinlich geworden. Sie werden gegen Mitternacht Richtung Nuevo Guadelupe aufbrechen.Es ist eine lange und schlaflose Nacht. Wir Campamentistas sitzen zusammen und reden. Was wird der naechste Morgen bringen?

Montelibano ist ungefaehr fuenf Stunden ueber Schotterpiste entfernt, was bedeutet das die Paramilitaers hier kurz vor Morgengrauen eintreffen werden. Waehrend der Nacht bekommen wir widerspruechliche Informationen das die Frauen und Kinder das Dorf verlassen werden und auch wir evakuiert werden sollen. Letztendlich werden wir in der Gemeinde bleiben.

Die ganze Nacht ueber kommen viele, sehr viele Zapatisten aus den umliegenden Gemeinden zusammen um Nuevo Guadelupe gegen den erwarteten Angriff zu verteidigen. Um 3:30 Uhr werden wir benachrichtigt das die Paramilitaers noch 10km entfernt sind und wir uns bereithalten sollen. Schnell sind wir aus unseren Haengematten heraus, fuer die wenige Zeit die wir geschlafen haben (wenn ueberhaupt), war es unnoetig unsere Kleider auszuziehen. Warten. Ungewissheit. Hoffen das alles gut geht. Die Zapatisten haben sich entschlossen sich entlang der Straße, vor den Haeusern (zum Schutz derselben) aufzustellen. Sie wollen die Straße nicht blockieren und den Paramilitaers eine ungehinderte Durchfahrt ermoeglichen um sie nicht unnoetig zu provozieren.

Wir warten.

Um 5:30 Uhr kommt endlich die erloesende Nachricht das die Paramilitaers auf den letzten Kilometern gestoppt und umgedreht haben. Die Gefahr eines Angriffs ist vorbei. Sinnloses Blutvergießen konnte nochmal verhindert werden. Durch die gute und schnelle Organisation, das Zusammenziehen einer großen Anzahl zapatistischer Unterstuetzer aus den umliegenden Gemeinden in nur wenigen Stunden, sind die Paramilitaers wohl ueberrascht und abgeschreckt worden, und haben sich dann wieder zurueckgezogen. Nach dieser Nacht ist fuer die naechsten sieben Tage kein einziges Militaerfahrzeug durch die Gemeinde gefahren. Verschiedenste paramilitaerische Gruppen haben innerhalb des letzten Monats angekuendigt eine nach der anderen Autoridad der autonomen zapatistischen Gemeinden und Kreise zu eliminieren, bis keine mehr am leben ist.

Am Morgen des 25.08 sind im Municipio Ricardo Flores Magon in der Gemeinde Amaytik zwei Autoridades, bei einer Versammlung in einer Schule, von Paramilitaers ermordet worden. Ihre toten Koerper sind von ihren Moerdern dem Militaer uebergeben worden und von diesem mit einem Helikopter ausgeflogen worden. Bis heute sind ihre Leichname nicht wieder aufgetaucht. In der Nacht des 26.08 ist im Municipio Olga Isabel, in der GemeindeK'an Akil eine weitere Autoridad ermordet worden. Die Taeter gehoereneiner paramilitaerischen Gruppe namens "Los Aguilares" an. Der gleichnamige Kopf der Gruppe ist ein ehemaliges Mitglied der mexikanischen Bundesarmee, woher auch die Waffen der Gruppe stammen.


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