Akute Kriegsgefahr in Chiapas

von chiapas - genova - argentina - everywhere - 10.09.2002 14:15
http://germany.indymedia.org/2002/09/29224.shtml

Seit dem 31. Juli ist im südöstlichen mexikanischen Bundesstaat Chiapas eine paramilitärische Offensive im Gange, die auf Seiten der zapatistischen Indigenas bisher einige Tote und Dutzende Verletzte gefordert hat. Zahlreiche oppositionelle Familien wurden aus ihren Dörfern vertrieben. Die mexikanische Regierung leugnet dennoch die Existenz der Paramilitärs. Aus Chiapas kommen Hilferufe aus den autonomen Gebiete und von Menschenrechtsorganisationen. Die Menschen brauchen jetzt dringender den je Öffentlichkeit auf globaler Ebene und die Gewissheit, dass der globale Widerstand gegen den neoliberalen Kapitalismus gerade auch in den Wohlstandsfestungen Europas und den USA anhält und vorangeht.

"... Ein interkontinentales Netzwerk des Widerstandes gegen den Neoliberalismus, ein interkontinentales Netzwerk für die Menschlichkeit. Dieses interkontinentale Netzwerk, das Unterschiedlichkeiten respektiert und Ähnlichkeiten anerkennt, wird versuchen, sich mit anderen Widerständigkeiten zusammenzufinden. Dieses interkontinentale Netzwerk der Widerstände ist keine Organisationsstruktur; es hat keinen zentralen Kopf oder Entscheidungsträger, kein Zentralkomitee oder Hierarchien. Wir alle bilden dieses Netzwerk, alle, die wir Widerstand leisten." (Aus einer Erklärung der EZLN)


wandbilder (murals) erzählen geschichte...

Diese stärkste Offensive der paramilitärischen Gruppierungen seit dem Massaker von Acteal vor fünf Jahren wird dabei begleitet von Mobilisierungen der Bundesarmee. Die rechtskonservative Regierung Fox wie auch die chiapanekische Regierung Salazar leugnen trotz der Morde und Angriffe der Paramilitärs deren Existenz: Die Ermordungen seien auf innerkommunitäre Konflikte zurückzuführen, es gehe um Streitigkeiten zwischen Familien, in einem Fall bspw. darum, dass ein Ehemann seine Frau verliess und eine neue Beziehung einging. Lorenzo Martínez Espinosa und Jacinto Hernández Gutiérrez, die Vertreter der autonomen indigenen Behörden, welche in diesem alltäglichen Fall in der Gemeinde Amaytik eine vermittelnde Position einnahmen und die beiden Streitparteien zu einer Aussprache einluden, wurden jedoch gezielt von Paramilitärs überfallen und bestialisch ermordet. Diese Paramilitärs gehören der Gruppe OPDIC an, welche unter der Leitung des PRI-Abgeordneten Pedro Chulín Jiménez agiert und innerhalb der letzten Wochen auch zahlreiche weitere Mordversuche auf dem Gewissen hat. So wurden Zapatistas überfallen, die eine autonome Schule bauten (La Culebra, 31. Juli) und Straßenkontrollen der Zapatistas angegriffen, welche die illegale Ausfuhr von Tropenhölzern und die Einfuhr von Alkohol und Drogen in die indigenen Gemeinden zu unterbinden versuchen.

Weshalb dieser neue Ausbruch von paramilitärischer Gewalt in Chiapas, wenn doch schon alle Welt meint, es herrsche, siebeneinhalb Jahre nach dem Aufstand der EZLN, wieder Frieden im mexikanischen Südosten?

Nun, die neue Zentralregierung wie auch die des Bundesstaates waren nicht fähig, die sozialen Ursachen des zapatistischen Aufstandes anzugehen und ihre Politik gleicht immer stärker derjenigen der ehemaligen Staatspartei PRI. So hat auch der ehemals linke Politiker Emilio Zebadua, heute chiapanekischer Innenminister, am Mittwoch in Genf behauptet, es gäbe keine Paramilitärs, sondern bloss Konflikte um Land.

"Und dann sagten sie 'Globalisierung', und da wußten wir Bescheid, denn so nannten sie diese absurde Ordnung, in der das Geld die einzige Heimat ist, der die Leute dienen und in der die Grenzen nicht etwa aus Brüderlichkeit aufgehoben werden, sondern durch den Aderlaß, der die Mächtigen mästet." (Zitat Marcos)

Die Gründe für die paramiliärischen Aktivitäten liegen nach Meinung der autonomen indigenen Behörden und zahlreicher Menschenrechtsbeobachter auf der Hand: Die Autonomie der indigenen Dörfer, wie sie von der zivilen Basis der EZLN immer stärker in die Praxis umgesetzt wird, ist eine Bedrohung für die neoliberalen Pläne der Regierung Fox - und der Regierung Bush, die den gesamtamerikanischen Freihandelsraum FTAA bis 2005 verwirklichen will. Denn eine Bevölkerung, die mitbestimmen will bei der sogenannten "Entwicklung" oder diese gar in die eigenen Hände nimmt, kann schnell auch mal einem Großprojekt den Garaus machen, wie das Beispiel des projektierten Großflughafens in San Salvador Atenco gezeigt hat, das vor wenigen Wochen am entschlossenen Widerstand der betroffenen Gemeinden scheiterte.

Die paramilitärischen Überfälle des vergangenen Monats fanden denn auch an strategisch wichtigen Punkten in Chiapas statt: - In der Zona Norte (autonomer Bezirk Olga Isabel, im offiziellen Bezirk Chilón gelegen), wo die Bevölkerung sich erfolgreich gegen den Bau einer Schnellstraße durch ihre Gemeinde wehrte - dieser Straßenbau ist Teil des von Fox initiierten Plan Puebla-Panama.

Im autonomen Bezirk Ricardo Flores Magón (offiziell: Ocosingo), am Eingang zu dem Naturschutzgebiet der Montes Azules, wo sich zahlreiche Gemeinden ihrer Vertreibung widersetzen. Der Urwald der Montes Azules zählt zu einem der begehrtesten Landstriche in Mesoamerika, aufgrund seiner biologischen Vielfalt (Pharmaindustrie, Biotechnologie) wie auch seiner Bodenschätze (Uran, Erdöl).

Der Widerstand eines breiten Teils der chiapanekischen Bevölkerung gegen die Pläne der Regierung Fox, das Land und deren Ressourcen an in- und ausländisches Kapital zu verschachern, findet seinen klarsten Ausdruck in der Organisierung der autonomen indigenen Gemeinden. Die paramilitärischen Angriffe und die neuen Truppenverschiebungen der mexikanischen Bundesarmee in den Südosten lassen vermuten, dass nun auch die Regierung Fox in einem Zermürbungskrieg gegen die Gemeinden die indigene Autonomie zu ersticken versucht.

Mexikanisches Bundesgericht lehnt Beschwerden der indigenen Gemeinden ab

Am Nachmittag des 6. September hat das höchste mexikanische Gericht, der Suprema Corte de Justicia de la Nacion, die Einsprachen von 330 indigenen Gemeinden gegen das "Ley Indigena Light" abgeschmettert. Somit ist nun auch der juristische Weg zu einem würdigen Frieden in Mexiko gescheitert.

Die indigene Bewegung Mexikos lehnt den Gesetzesentwurf in dieser Form strickt ab, da er weit hinter den Abkommen von San Andres von 1996 zurückbleibt und nur eine Weiterführung der rassistischen Politik des mexikanischen Staates mit schönen Worten kaschiert. So werden beispielsweise die indigenen Gemeinden und Bezirke nicht als autonome Rechtssubjekte anerkannt. Die Landfrage bleibt ungelöst.

Die de facto-Autonomie in den Bundesstaaten Chiapas und Oaxaca wird so einmal mehr illegalisiert. Damit soll auch den neoliberalen Großprojekten im Rahmen des "Plan Puebla-Panama" Tür und Tor geöffnet werden und den indigenen Gemeinden soll kein legaler Rahmen des Einspruchs gestattet werden.

Die Entscheidung des mexikanischen Bundesgerichts hat eine Welle der Entrüstung hervorgerufen, der breite Mobilisierungen der indigenen Bevölkerung und der solidarischen Zivilgesellschaft folgen werden. Wie die radikaleren Teile der indigenen Bewegung, beispielsweise die EZLN, auf das "Schließen der letzten Türe von Seiten des Staates" (La Jornada von heute) reagieren werden, bleibt abzuwarten. Der Kleinkrieg der Paramilitaers gegen die autonomen Gemeinden geht inzwischen verstärkt weiter und forderte im Monat August vier Tote und über zwanzig Verletzte.

Der Aufstand 1994, unter dem Slogan "Ya basta!" ("Es reicht!"), war nicht nur für Mexiko ein entscheidendes Ereignis. Der Verzicht auf eine feste Ideologie, das "fragend gehen" und die Idee einer Welt, in die viele Welten passen, waren Inspiration für politische Bewegungen auf der ganzen Welt - handelt es sich doch um einen Widerstand, der zwar lokal geleistet werden muss, sich aber gegen Herrschaftverhältnisse wendet, die weltweit existieren. Besonders bei den Protesten gegen Gipfeltreffen wurden diese Ansätze aufgegriffen und kamen in der Vielfalt der Proteste zum Ausdruck...

Die Menschen sind in Chiapas im Moment extremer Repression ausgesetzt.
Geht auf die Straßen, damit Widerstand auch hier sichtbar wird.
Widerstand global verbinden!
Gegen FTAA, EU, WTO & Co. ...
Dem globalen Kapitalismus globalen und selbstorganisierten Widerstand entgegensetzen!

mehr und aktuelle Infos:

(Infos auf Deutsch)
(Infos auf Spanisch)
(Zapapres-Mexiko Nachrichtenimport, Hamburg)
(Gruppe B.A.S.T.A. aus Münster)
(Chiapas-Soli-Komitée, Barcelona)


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