Ende der Proteste in Venezuela nicht abzusehen

Von Dario Azzellini

Die am 4. Dezember von der Opposition begonnenen Proteste gegen den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez sollen weiter verschärft werden. Nachdem die Opposition zunächst angekündigt hatte alle Steuerzahlungen zu verweigern, schlug der Sprecher des rechten Gewerkschaftsverbandes CTV, Carlos Ortega, vor einen Boykott der Strom- und Wasserzahlungen in die Wege zu leiten. Ortega beteuerte erneut "der Streik" werde nicht an Intensität nachlassen und in den nächsten Tagen würden sich auch noch die Beschäftigten aus dem Transportsektor anschließen. Dem Widersprachen diese jedoch vehement. Nur einen Tag nach den Ankündigungen Ortegas erklärten 32 verschiedene Transportarbeitergewerkschaften, sie verurteilten den Streik und würden sich daran - wie auch zuvor an den anderen Streiks - nicht beteiligen. Richard Manbele, Sekretär der Nationalen Transportkommission, erklärte im Namen seiner und weiterer Gewerkschaften des Sektors "Wir werden uns an keinem sogenannten Streik der CTV und des Unternehmerverbandes Fedecamaras um dem Land zu schaden beteiligen", die Organisatoren des Streiks "sabotierten die Treibstoffversorgung ohne jegliche Befragung, ebenso verletzten sie unser Recht auf Arbeit, Beförderung der Passagiere, freie Zirkulation ebenso wie unser Recht uns im Dezember mit unseren Familien zu vereinen und sogar zu kochen". Die Transportarbeiter seien Opfer von Anschlägen der Opposition, die "Fahrzeuge niedergebrannt, Fahrer tätlich angegriffen und Straßen blockiert" habe. Auch warfen sie den Medien vor darüber nicht zu berichten.

Ende vergangener Woche erfolgte eine zweitägige Schließung der Banken, die ohnehin seit Wochen mit reduzierten Öffnungszeiten operieren. Dabei handelt es sich um den Versuch die Chavez-Regierung auf finanziellem Wege in die Knie zu zwingen. Während der zwei Tage sollten weder Filialien geöffnet noch Bankautomaten aufgefüllt werden. Schon allein die Ankündigung sorgte für einen starken Kursverlust der venezolanischen Währung Bolivar von knapp 1.400 Bolivar auf über 1.600 Bolivar pro Dollar. Bisher hatte sich die Währung gut halten können und nicht einmal während der Proteste der letzten Wochen nachgegeben. Es wird jedoch allgemein erwartet, dass sich der Bolivar wieder bei etwa 1.420 zu einem Dollar einpendelt.

Die US-amerikanische Investmentgesellschaft Merrill Lynch stufte mittlerweile die venezolanischen Staatsanleihen von "marktkonform" auf "unterdurchschnittlich" herab. Eine Lösung des Konflikts vor der verfassungsgemäßen Volksbefragung Mitte August sei nicht zu erwarten. Die wirtschaftliche Situation sei jedoch aufgrund der verschiedenen Streiks und Proteste schlecht. Für das Jahr 2002 sei als Folge ein Rückgang des BIP's um 9,2 Prozent zu erwarten, eine Zahlungsunfähigkeit werde jedoch nicht befürchtet.

Der Bankenstreik wurde just ausgerufen nachdem die Regierung ein Dekret zur Öffnung der Banken erließ, da diese "einen grundlegenden Dienst leisteten und diesen auch garantieren müssen". Laut Augenzeugen öffnete jedoch der Großteil der Filialien, wie in den vergangenen Wochen, mit eingeschränkten Betriebszeiten. Nur im wohlhabenden Osten Caracas blieben die Banken geschlossen. Der Zustrom lag jedoch um 70 Prozent niedriger als an normalen Tagen, da die meisten ihre Bankgeschäfte bereits in den vorherigen Tagen erledigt hatten. Aníbal Galindo, Sprecher der linken Gewerkschaft Fuerza Bolivariana de Trabajadores (FBT) erklärte der Streik sei rundum gescheitert, da 95 Prozent der Finanzinstitute ihre Türen geöffnet hätten. José Elías Torres, Präsident der Koordination von Gewerkschaften der Bankangestellten Fetrabanca, bezeichnete den Streik hingegen als "vollen Erfolg", da nach seinen Aussagen über 80 Prozent der Bankangestellten sich daran beteiligten. Allerdings scheinen die Angaben der FBT glaubwürdiger, da Fetrabanca nur etwa 1,7 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Bankangestellten repräsentiert. Zudem kündigten zahlreiche weitere Gewerkschaften der Bankangestellten - darunter Sutraban, Sintrabiv, Asitrabanca, Fetrabanvene - an, sich nicht an dem Streik zu beteiligen. Diese vertreten über 70 Prozent der Beschäftigten des Sektors. Die Gewerkschaften kündigten auch die Gründung eines neuen Dachverbandes an, da Fetrabanca "eine leer Hülle sei, die von der CTV missbraucht wird", zudem entspreche der Verband nicht den legalen Mindestanforderungen und habe sogar im Namen von Gewerkschaften zum Streik aufgerufen, die dem Verband weder angehören, noch den Streik unterstützen.

In einigen Banken wurden die Angestellten faktisch zum "Streik" gezwungen, indem der Streik von oben verfügt wurde, d.h. wenn der regionale Leiter der Bank beschloss "zu streiken" erfolgte eine Anordnung an die einzelnen Filialien die Türen zu schließen.

Auch der angekündigte Streik im Erziehungssektor nach Ende der Weihnachtsferien ist nicht von großem Erfolg gekrönt. An vielen Schulen, vor allem Privaten, aber auch öffentlichen in oppositionell kontrollierten Bundesstaaten, erzwangen aufgebrachte demonstrierende Eltern die Öffnung.Eltern- und Nachbarschaftsvereine arbeiten gemeinsam mit Studentenorganisationen und der "Bolivariansichen Koordination sozialer Organisationen" am Aufbau kommunaler Unterrichtsstrukturen.

An den verschiedenen Universitäten des Landes ist die Situation verworren, während verschiedene Fachbereiche und Universitätsversammlungen beschlossen zum Ende der Winterpause den Studienbetrieb wieder ganz regulär aufzunehmen, wiesen zahlreiche Rektoren die Schließung der Universitäten an. Daher kam es in den vergangenen Tagen an allen Universitäten zu massiven Protesten und unzähligen Versammlungen.

Die Schließung der Schulen und Universitäten wurde darüber hinaus auch von etwa 15 venezolanischen Menschenrechtsorganisationen, darunter auch die kirchlichen, und der UNICEF verurteilt.

Indes wurde anhand von Aufnahmen der BBC und anderer Sender deutlich, dass die Verantwortung für die Erschiessung zweier Regierungsanhänger während einer Kundgebung gegen die erste Demonstration der Opposition im Jahr 2003, die versuchte das Militärfort Tiuna zu erreichen, bei der oppositionell kontrollierten Stadtpolizei liegt. Die venezolanischen Medien, die zum größten Teil von der Opposition kontrolliert werden, hatten hingegen versucht die Regierung eines Hinterhalts gegen die oppositionelle Demonstration zu beschuldigen. Chavez zeigte die Aufnahmen in einer Fernsehsendung und kündigte weitere Massnahmen gegen die Stadtpolizei an. Der "Rat für öffentliche Sicherheit", der vergangene Woche im Innen- und Justizministerium eingerichtet wurde, beschloss die Anwesenheit von Armeeangehörigen in den Wachen der Stadtpolizei von Caracas weiter aufrechtzuerhalten und eine Reihe interner Untersuchungen einzuleiten.

Zwei der zivil gekleideten Schützen wurden ebenfalls identifiziert. Bei einem handelt es sich um einen ehemaligen Polizisten, der für den oppositionellen Bürgermeister von Caracas arbeitet, bei dem anderen - der für den Tod von einem der Chavez-Anhänger verantwortlich sein soll - um den vermeintlichen "Sicherheitschef" der am Putsch beteiligten Militärs.

Zu weiteren Zusammenstößen zwischen Oppositionellen und Anhängern der bolivariansichen Revolution kam es am Donnerstag Nachmittag in verschiedenen Städten. Die Opposition hatte zur "Eroberung der PDVSA" aufgerufen und zu verschiedenen Anlagen und Gebäuden Demonstrationen organisiert, die bestenfalls einige Hundert Personen umfassten. Dabei kam es zu einzelnen Auseinandersetzungen mit Chavisten, die seit Wochen die Anlagen schützen.

Unbekannte verübten auch einen Handgranatenanschlag auf die algerische Botschaft in Caracas. Algerien hatte erst kürzlich seine Bereitschaft erklärt die venezolanische Regierung bei der Wiederinbetriebnahme der Erdölindustrie zu unterstützen.

Die Gewerkschaft der Erdölarbeiter von Trinidad und Tobago hingegen wies die Aufforderung der venezolanischen Opposition den Streik zu unterstützen zurück. Gewerkschaftspräsident Errol McLeod erklärte "wir unterstützen definitiv Präsident Chávez, demokratisch gewählter Präsident des Landes", McLeod erklärte weiter seine Organisation unterstütze die Armen Venezuelas, die 80 Prozent der Bevölkerung darstellten.

Das staatliche Erdölunternehmen befindet sich seit Ende Dezember wieder unter Kontrolle der Regierung, die eifrig an der vollen Wiederinbetriebnahme der Produktion arbeitet. Rafael Ramírez, Minister für Energie und Bergbau, kündigte eine schnelle Umstrukturierung der PDVSA an. Im Zentrum stehe der massive Abbau der Bürokratie. 2000 höhere Angestellte, die führende politische Aufgaben bei der Sabotage des Erdölunternehmens eingenommen hätten, wurden bereits entlassen, weitere sollen folgen. Die Entlassungen sind völlig gesetzmäßig, da es sich bei dem "Streik" in der PDVSA - der eher ein Zusammenspiel von Sabotage an den Anlagen und Drohungen gegen subalterne Arbeiter darstellte - nicht um einen Arbeitskampf handelte. Die Forderungen betrafen lediglich den Rücktritt des Präsidenten. Selbst das oppositionell kontrollierte Höchste Gericht Venezuelas ordnete die sofortige Wiederaufnahme der Arbeit in der PDVSA an, was die Opposition dennoch verweigerte. Auch die Ingenieurskammer kündigte an Sanktionen gegen Ingenieure vorzunehmen, die Anlagen sabotiert hätten.

Im Hintergrund des Streiks steht vor allem der Zugriff auf das venezolanische Öl. Das wurde aktuell wieder deutlich, als das Oppositionsbündnis "Demokratische Koordination" bekannt gab, dass es die Privatisierung der PDVSA und der Elektrizitätswerke plant. Der Vorsitzende der Post-Chavez-Kommission "Proyecto País" des Oppositionsbündnisses José Curiel - Mitglied der korrupten ehemaligen Regierungspartei Copei und Unterzeichner der Selbsternennung zum Präsidenten des Ex-Arbeitgebervorsitzenden Pedro Carmona im Putsch vom April 2003 - stellte die Pläne der Opposition bezüglich der Politik nach Chávez vor. Unter den 40 vorgeschlagenen dringlichen Maßnahmen finden sich u.a. der Austritt aus der OPEC, die Privatisierung des staatlichen Ölunternehmens PDVSA, der Gas- und Elektrizitätswerke. Im Erziehungs- und Gesundheitssektor sollen verstärkt Privatinvestitionen gefördert werden.

Indes unterzeichneten 19 demokratische, republikanische und unabhängige Abgeordnete des US-Repräsentantenhauses ein Schreiben an Chavez, in dem sie sich gegen jeden Umsturzversuch aussprechen und erklären "Die Personen in der aktuellen Regierung, die ihren Sturz im April 2002 unterstützten, lagen falsch und wir verurteilen diese Entscheidung zutiefst", und fügten hinzu "wir haben dafür gearbeitet, dass sich dieser Fehler nicht wiederholt".

Der linke bolivianische Ex-Präsidentschaftskandidat Evo Morales, dessen "Bewegung zum Sozialismus" (MAS) aus den letzten Wahlen als stärkste Partei hervor ging, schlug vor das Weltsozialforum in Porto Alegre (Brasilien) vom 24. Bis 27. Januar zu nutzen, um eine "lateinamerikanische Solidaritätsbewegung mit Chavez und dem bolivarianischen Prozess ins Leben zu rufen. Diese solle für Februar zu einer Solidaritätskonferenz in Caracas aufrufen. Die Bewegung solle auch gegen das geplante amerikanische Freihandelsabkommen FTAA agieren und andere Kämpfe des Kontinents koordinieren.


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